A. v. Saldern (Hg.): Inszenierte Einigkeit

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Titel
Inszenierte Einigkeit. Herrschaftsrepräsentation in DDR-Städten


Herausgeber
von Saldern, Adelheid
Reihe
Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung 1
Erschienen
Stuttgart 2003: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wolfes, Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner

Als im vergangenen Jahr anlässlich des 75. Geburtstages von Hermann Weber eine Bilanz der DDR-Forschung gezogen wurde, zeigte sich einmal mehr die schwierige Stellung der Stadtgeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft: Weder in dem Vortrag von Jürgen Kocka noch in der damals präsentierten Festschrift taucht die Stadt als Untersuchungsgegenstand auf.1 Dabei ist dieser „soziale Mikrokosmos“ ein hervorragendes Untersuchungsfeld für all jene Themen, die Kocka erwähnt hat, etwa die Strukturen von Herrschaft, die Interaktionen zwischen „Oben“ und „Unten“, oppositionelles bzw. loyales Handeln oder die Alltagsgeschichte. Die Städte in der DDR waren, wie auch jüngst auf der Tagung „Städte im Sozialismus“ festgestellt wurde, trotz der fehlenden kommunalen Selbstverwaltung keineswegs reine Befehlsempfänger von Partei und Regierung.2

Untersuchungen zur Stadtgeschichte der DDR werden zurzeit unter anderem am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF) und an der Arbeitsstelle für europäische Stadtgeschichte der Technischen Universität Berlin durchgeführt.3 Jüngst abgeschlossen wurde dagegen das an der Universität Hannover angesiedelte, von Adelheid von Saldern betreute Projekt „Stadt und Diktatur“. Der erste von zwei Bänden mit Beiträgen zu sechs DDR-Städten und einem Schwerpunkt auf den 1960er-Jahren ist jetzt erschienen. Der zweite Band, der auch Studien aus der NS-Zeit und der Bundesrepublik enthalten wird, soll noch in diesem Jahr folgen.

In dem von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekt wurden städtische Feste im Hinblick auf Herrschaftsrepräsentationen und Identitätsstiftung analysiert. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der öffentlichen Präsentation und den Deutungsansprüchen des Staates: Wie weit griff letzterer in die Konzeptionen und die Organisation der Feiern ein, und welche Gestaltungsspielräume blieben den Städten? Eine zweite Analyseebene bildet die Untersuchung der Akzeptanz durch die Bewohner. Im Kern geht es also um das Verhältnis von staatlicher zu städtischer Herrschaft und Repräsentation, um die stadtidentifikatorischen Angebote an die Bewohner und um die Konstruktion von Erinnerung.

Der Band ist untergliedert in eine Einleitung, in der das Gesamtkonzept des Projektes vorgestellt wird, drei Blöcke mit Städtestudien von den drei Autorinnen sowie eine umfangreiche Zusammenfassung der Herausgeberin. Die Einleitung liefert neben Erläuterungen zu Fragestellung, Methoden, Quellen und Forschungsstand eine Diskussion zentraler Begriffe und die Begründung der zeitlichen Beschränkung: Die sechziger Jahre seien für eine Untersuchung herrschaftsbezogener Konsens- und Identitätsbildung besonders geeignet, da der in dieser Zeit einsetzende Modernisierungsschub und die gesellschaftliche Konsolidierung den neuen Eliten größere Handlungsspielräume gesichert hätten. So sei ein optimistisches Klima entstanden, das für kurze Zeit die Herausbildung einer DDR-eigenen Identität gefördert habe.

Von Saldern betont die bisherige Geringschätzung des „Sozial- und Kommunikationsraums“ Stadt in der DDR-Forschung (S. 33). Trotz bekanntermaßen geringer Kompetenzen der Kommunen in der kommunistischen Diktatur handele es sich jedoch um ein ergiebiges Feld für eine kulturgeschichtlich orientierte Untersuchung des Verhältnisses von Herrschaft und Gesellschaft. Als Zugriff wählten die Projektmitarbeiterinnen die ereignisorientierte, mikrohistorische Studie: Städtische Feiern und Feste als Bühnen „staatlicher Macht“ einerseits und „städtischer Selbstbehauptung“ andererseits (S. 59). Ziel der Feierlichkeiten sei stets die Inszenierung von Gemeinschaft und kollektiver Identität gewesen, die „inszenierte Einigkeit“ – so auch der Titel – zwischen Volk, Stadt und Staat. Die hier angebotene Integration und die Bildung von Konsens sollten langfristig als „Brücke zum Volk“ systemstabilisierend wirken. Zugleich dienten die Feiern der städtischen Imagepolitik.

Im ersten Teil untersucht Lu Seegers die 750-Jahrfeier Rostocks im Rahmen der Ostseewoche 1968 sowie das Magdeburger Elbefest und die Kulturfesttage. Die Ausrichtung der Feier in Rostock wurde stark von nationalen Interessen um die Anerkennung der DDR dominiert, so dass lokale Geschichtsbezüge und Traditionen in den Hintergrund treten mussten. Gleichwohl ließen sich die Rostocker „ihr“ Fest nicht nehmen und feierten abseits der offiziellen Veranstaltungen. Zudem profitierte die Stadt materiell von der Ostseewoche. Demgegenüber hatten die Magdeburger größere Gestaltungsfreiheiten. Das Elbefest diente zugleich als Integrationsangebot für die zahlreichen Zuwanderer und zur Kompensation fehlender urbaner Strukturen sowie schlechter Lebensbedingungen. Die Kulturfesttage waren eine lebendige Präsentation in- und ausländischer Künstler, aber auch eine Prestigeveranstaltung, die dazu beitragen sollte, die Stellung Magdeburgs unter den DDR-Städten zu verbessern.

Im zweiten Teil berichtet Alice von Plato über die städtebauliche Planung und die Enthüllung der Karl-Marx-Büste in Karl-Marx-Stadt, die Internationale Gartenbauausstellung in Erfurt sowie Leinefeldes Erhebung zur „Stadt“ 1969 und das 750-jährige Jubiläum 1977. Die Aufstellung der Büste in Karl-Marx-Stadt 1971 und die Gestaltung der neuen, „sozialistischen“ Stadt hatten für Partei und Regierung in Berlin einen hohen Stellenwert. Dementsprechend war die Monumentalplastik Symbol der Dominanz Berlins wie schon 1953 die Umbenennung von Chemnitz in Karl-Marx-Stadt, doch konnten im Laufe der Planungen die kommunalen Vertreter auch eigene Ideen durchsetzen. Die Bevölkerung nahm das Denkmal mit Humor auf.

Die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) in Erfurt diente der Stadt als Prestigeprojekt zur Selbstdarstellung und Positionierung. Da das Interesse der Staatsmacht an der Veranstaltung mäßig war, besaßen die Veranstalter größere Handlungsspielräume, verfügten jedoch über geringere finanzielle Mittel. Das kleine Leinefelde war traditionell stark durch ein katholisches Milieu geprägt, wodurch die Partei zu einem unkonventionellen, auf Konsens ausgerichteten Umgang mit der Bevölkerung gezwungen war. Durch geschickte Aushandlungsprozesse, vor allem mit dem ansässigen Großbetrieb, wurde die Stadt trotz der Konkurrenz zu den Nachbarstädten stark gefördert und konnte eine positive Entwicklung zur „Stadt im Sozialismus“ (S. 273) durchlaufen.

Im dritten Teil schildert Elfie Rembold die getrennt organisierten Jubiläumsfeiern für die Frühjahrsmesse und die 800-Jahrfeier der Stadt Leipzig 1965. Auch hier dienten die Veranstaltungen dem Staat in hohem Maße zur Selbstdarstellung. Der Stadtverwaltung bleiben nur wenig Spielräume, zumal die Messe nicht der kommunalen Verwaltung, sondern direkt der Berliner Zentralmacht unterstellt war. Dennoch fanden die Jubiläumsfeiern der Messe durch die Ausrichtung eines historischen Marktes regen Zuspruch auf Seiten der Bevölkerung. Allerdings bereiteten den Veranstaltern der 800-Jahrfeier jugendliche Anhänger der Beatkultur einige Probleme.

In der Zusammenfassung weist die Herausgeberin einfache Vorstellungen von einem einseitig hierarchischen Verhältnis zwischen Staat und Stadt zurück; vielmehr lässt sich die Beziehung als vielschichtiges „Dispositiv“ mit zahlreichen Facetten beschreiben (S. 388). Die Handlungsspielräume der städtischen Akteure hingen von dem jeweiligen Interesse des Staates an der Stadt bzw. an der Veranstaltung ab. In der „Aushandlungsgesellschaft“ DDR (S. 360) kam es auf die vorhandenen Netzwerke und Beziehungen zu den übergeordneten Ebenen an, ferner auf Improvisationstalent und Kooperation mit den Großbetrieben.

Die städtischen Feiern waren eine Bühne für das gesamte Volk, soweit es sich staatskonform verhielt; Außenseiter hatten mit Repressalien zu rechnen. Ziel war die Konsensstiftung und Integration der Bürger, ihre Einbindung in die städtischen Belange und Mobilisierung zur Mitarbeit. Neben die Identifikation mit ihrer Stadt sollte diejenige mit dem Staat treten. Letzterer blieb insofern auf die Bindungskräfte der Städte angewiesen und nutzte sie für seine Zwecke. Dies wirkte in den 1960er-Jahren systemstabilisierend: Die Menschen waren stolz auf ihre Stadt und die Aufbauleistungen, und gerade die Feste blieben ihnen lange im Gedächtnis. Doch der zunehmende Verfall der Städte in den 1970er und 1980er-Jahren neutralisierte diese Identifikationen und wirkte insbesondere auf den Staat delegitimierend zurück.

Der Band ist ein gelungenes Werk, das für die untersuchten Bereiche den derzeitigen Forschungsstand zur DDR-Stadtgeschichte dokumentiert. Die einzelnen Studien sind mitunter etwas langatmig, aber sie sind gut geschrieben und analytisch auf hohem Niveau. Etwas deplaziert wirkt die mehr als fünf Seiten umfassende Rezeptionsgeschichte des Reichstagsbrandes im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung des Leipziger Dimitroff-Museums.

Da die Studien besondere, aus dem Alltag herausragende Ereignisse untersuchen, ist ihr Aussagewert begrenzt: Für die Feiern wurden die Städte stärker gefördert, das Warenangebot war besser, die Erwartungshaltung und die Initiative der Bewohner höher, die Erinnerung intensiver, und nicht zuletzt war die Einmischung des Staates in der Regel nachdrücklicher. So dominierte Berlin zwar die 750-Jahrfeier in Rostock, in der Kommunalpolitik besaß die Stadt jedoch größere Handlungsspielräume als kleinere Städte. Die Abschaffung der Ostseewoche 1975 bedeutete sicherlich ein Imageverlust für Rostock, ob sich dies jedoch auch auf die weitere Förderung und die wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklung der Stadt auswirkte, wäre erst noch zu untersuchen. Diese Einschränkung wird aber teilweise dadurch kompensiert, dass die meisten Beiträge über die ereignisbezogene Analyse hinaus auch Informationen über Stadtplanung, Kommunalpolitik, Regionalgeschichte oder Alltagskultur integrieren. Viele Ergebnisse sind über die Fallstudien hinaus generalisierbar, etwa die Bezeichnung der DDR als „Aushandlungsgesellschaft“, die Konkurrenz der Städte untereinander oder auch das konstatierte städtische Selbstbewusstsein.

Insgesamt stellt das Buch einen wichtigen Beitrag zur DDR-Forschung dar, vor allem, weil es zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Diskussion über das Verhältnis von Politik und Gesellschaft im SED-Staat bietet. Man darf auf den zweiten, systemvergleichend angelegten Band gespannt sein.

Anmerkungen:
1 Kocka, Jürgen, Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, in: Deutschland Archiv 36 (2003), S 764-769, vgl. auch http://www.stiftung-aufarbeitung.de/pdf/kocka_weber.pdf; Eppelmann, Rainer; Faulenbach, Bernd; Mählert, Ulrich (Hgg.), Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn 2003.
2 „Städte im Sozialismus“, Konferenz der Technischen Universität Berlin und des IRS Erkner vom 06.02.-07.02.2004 in Berlin, vgl. den Tagungsbericht von Georg Wagner-Kyora unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=391.
3 Siehe dazu: http://www.zzf-pdm.de/ und http://www.stadtgeschichte.tu-berlin.de/Projekte.htm.

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