J. Osterhammel: Die Entzauberung Asiens

Titel
Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert


Autor(en)
Osterhammel, Jürgen
Erschienen
München 1998: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
€ 39,90
Stefan Brakensiek, Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Ein Buch ist anzuzeigen, das vieles in einem ist, eine kluge und gelehrte Abhandlung über den europäischen Asiendiskurs des 18. Jahrhunderts, eine Liebeserklärung an die literarische Gattung des Reiseberichts und ein Appell gegen das Vergessen des einmal bereits Gewußten. Es ist zugleich auch ein Pamphlet gegen die verbreitete Sicht, die im Diskurs der Europäer über die außereuropäische Welt ausschließlich die ethnozentrische Konstruktion des "Eigenen", nicht aber auch eine ernstzunehmende Beschäftigung mit dem "Fremden" erkennt.

Jürgen Osterhammel ist mit mehreren Werken zum Kolonialismus und zur Geschichte Chinas im 19. und 20. Jahrhundert hervorgetreten. Mit diesem Werk erweist er sich als ein souveräner Kenner der europäischen Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts. Aus diesem ungeheueren Fundus hat er mehrere hundert Titel vorwiegend in englischer, französischer und deutscher Sprache ausgewertet. Die Einleitung verdeutlicht, was ihn zu diesem intellektuellen Kraftakt motiviert hat: Er möchte eine Brücke bauen über den Abgrund von Kolonialismus und Rassismus, den die Europäer und Nordamerikaner im 19. Jahrhundert zwischen den eigenen westlichen und den fremden Kulturen des Ostens aufgerissen haben, hin zu einer älteren Literatur, die ernsthaft um Welterfahrung und um eine allgemeine Wissenschaft vom Menschen bemüht war. Angesichts der Überheblichkeit des weißen Mannes gegenüber dem militärisch besiegten und ökonomisch ausgebeuteten Asien, wie sie typisch war für das imperialistische Zeitalter, ist fast in Vergessenheit geraten, dass Eurasien in den Jahrhunderten davor einen Zusammenhang bildete, innerhalb dessen der Okzident sich keineswegs seines Vorrangs gegenüber den glänzenden Kulturen und mächtigen Reichen des Orients sicher war. Mit welchen Mitteln sich Europäer im "aufgeklärten Säkulum" den Kulturen und Menschen Asiens anzunähern suchten, zu welchen Interpretamenten sie dabei griffen und zu welchen Erkenntnissen sie gelangten, das sind die Themen dieses Buchs.

Das Werk ist gegliedert in zwei Großabschnitte, überschrieben mit "Wege des Wissens" und "Zeitgenossenschaft und Geschichte". Die erste Hälfte des Buchs rekonstruiert, unter welchen Bedingungen die analysierten Texte des 18. Jahrhunderts entstanden. Der Verfasser geht zunächst der Frage nach, wer überhaupt nach Asien reiste, mit welchen Informationen und Sprachkenntnissen die Reisenden versehen waren, welche kulturellen und historischen Konzepte sie mitbrachten, um ihre Wahrnehmungen verarbeiten zu können. Besonders ist er daran interessiert, welche Spuren der Relativierung ethnozentrischer Haltungen erkennbar sind, wie Differenzerfahrungen von den Autoren des 18. Jahrhunderts thematisiert wurden, wo diese Erfahrungen einerseits in die Relativierung eigener kultureller Prägungen mündeten und wo andererseits Grenzen der Unvoreingenommenheit gegenüber dem Fremden lagen. Das schließt die Reflexion über den Textcharakter des Überlieferten ein: In ihnen tritt uns nicht einfach zeitgenössische Erfahrung entgegen, sondern deren Verarbeitung zu Texten. Zwar gibt Osterhammel zahlreiche Hinweise darauf, wie die Texte produziert wurden, wo sie aufeinander bezogen sind, auch wie Lektüre die Wahrnehmung der Reisenden gesteuert hat, gleichwohl ist er kein Anhänger eines subjektlosen Diskurs-Konzepts. Er stellt qualitative Unterschiede zwischen den Texten fest, die er auf die Fähigkeiten und Temperamente der Autoren zurückführt.

Unter der Überschrift "Zeitgenossenschaft und Geschichte" geht es in der zweiten Hälfte des Werks um die Interpretamente der europäischen Beobachter im 18. Jahrhundert. Asien tritt dem Leser höchst unterschiedlich entgegen, als Hort des "Elementarhistorischen" beispielsweise, wenn es um die Krieger aus der Steppe geht, die immer wieder weite Teile Asiens eroberten und auch Europa bedrohten. Allein, die Grenze zwischen Barbarei und Zivilisation verlief nach Ansicht der Autoren des 18. Jahrhunderts nicht zwischen Asien und Europa, sondern zwischen wilden Nomaden und seßhaften Kulturvölkern, zu denen ganz selbstverständlich Perser und Inder, Chinesen und Japaner gezählt wurden. Auch der aristotelische Despotie-Diskurs, der zum Urgestein eurozentrischer Weltdeutung gehörte und von Montesquieu im frühen 18. Jahrhundert politisch aktualisiert wurde, dominierte das europäische Asien-Bild nicht eindeutig. China und Japan zumal fügten sich niemals bruchlos in die Vorstellung von allgemeiner politischer Knechtschaft, und auch in Bezug auf Persien, Indien und das osmanische Reich wurden immer wieder Zweifel an der Geltung des Konzepts "orientalische Despotie" geäußert. Besondere Sympathie bringt Jürgen Osterhammel den Autoren mit dem "ethnologischen Blick" entgegen, die sich den Ordnungen und Lebensformen der asiatischen Kulturen durch teilnehmende Beobachtung näherten. In einem interessanten Kapitel zeigt er auf, dass in diesem Zusammenhang die Urteile über die Stellung der Frauen in den einzelnen Ländern einen guten Indikator bilden für die Sensibilität der Beobachter und die Subtilität ihrer Argumentation.

"Die Entzauberung Asiens" zeichnet sich durch die Genauigkeit der Begriffsverwendung und eine zurückgenommene Eleganz des Stils aus. Vermutlich folgt Jürgen Osterhammel dabei seinen reisenden und schreibenden "Helden". Sein Buch macht jedenfalls neugierig auf deren Werke, von Jean Chardin über Persien beispielsweise, von Engelbert Kaempfer über Japan, von Carsten Niebuhr über Arabien, von Alexander Russel über die Stadt Aleppo, von Abraham-Hyacinthe Anquetil-Duperron über Indien oder von Joseph von Hammer-Purgstall über das Osmanische Reich. Wenn wir dem Verfasser glauben wollen, erweitert eine solche Lektüre unsere Kenntnis der Welt und unser Wissen vom "Anderen" gleich in zweifacher Hinsicht: Sie bringt uns sowohl die Kulturen Asiens als auch ein fremd gewordenes Europa des 18. Jahrhunderts näher.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch