W. Reinbold: Propaganda und Mission im ältesten Christentum

Titel
Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche


Autor(en)
Reinbold, Wolfgang
Reihe
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 188
Erschienen
Göttingen 2000: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
IX und 386 S.
Preis
€ 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Clauss

Die Leitfrage der ausgezeichneten Studie lautet: Auf welche Weise breitet sich die Christenheit in neutestamentlicher Zeit aus? R(einbold) stellt zu Beginn klar, daß differenzierte Analysen bis 70 n.Chr. aufgrund der spärlichen und kaum zu datierenden Quellen nicht möglich sind; deshalb gliedert er seine Arbeit auch nicht nach chronologischen oder geographischen Kriterien, sondern nach prosopographischen: Er untersucht die Tätigkeit einzelner Personen wie Petrus, Paulus, Barnabas, Stephanus und so fort.

Zunächst weist R. einige Irrwege der Forschung auf, indem er Mission als die gezielte Ausbreitung einer Religion unter Menschen versteht (10). Das ist zwar banal, muß aber gegen theologische Arbeiten betont werden, die Mission beispielsweise als das Handeln des Leibes Christi in der Geschichte der Menschheit bezeichnen, um in das Fazit zu münden, alles, was die Kirche tue, sei Mission. So kann man Begriffe überflüssig machen; R.s Arbeit hebt sich dagegen durch sprachliche und begriffliche Klarheit wohltuend ab. Definiert werden muß schließlich der Begriff Propaganda, womit R. die Beeinflussung oder Werbung beispielsweise unter Christen selbst versteht. Propaganda kann aber auch das Leben im persönlichen Umfeld sein, wo man absichtsvoll oder absichtslos neue Anhänger gewinnt (14). Dann muß es notwendigerweise auch Negativ--Propaganda geben, die nicht Gegenstand der Untersuchung ist und von der wir aus den Quellen nur wenig erfahren.

Zunächst analysiert R. die Selbstbezeichnungen der Christen, die einem jüdischen Interpretationsuniversum entstammen, wie es etwa auch für die Essener nachweisbar ist; die frühe Kirche war eine Spielart jüdischer Existenz. Der gleichen Sphäre enstammt ferner eine Fremdbezeichnung wie der Name Christen, besser Christianer wie Caesarianer --- womit der sprachliche, nicht der politisch--juristische Vergleich gemeint ist. Sie dürfte in Antiochia aufgekommen sein und meint Menschen des neuen Glaubens, die nicht Juden sind, also sogenannte Heidenchristen. Für Paulus ist das Judentum des Petrus dessen ganze Existenz, während er sich selbst als Jude von Geburt begreift, der sich dann entwickelt hat (Gal 2, 14). Insofern ist Paulus der Vertreter der neuen Gruppierung (29): Er bricht mit dem Judentum, denn er ist nicht Jude, aber auch nicht Heide, er ist etwas Drittes, Neues. Christianer waren zunächst Juden, wurden aber in zunehmendem Maße von außen als anders verstanden und setzten sich bald selbst von den Juden ab.

Ein wichtiges Element für das Verständnis der Ausbreitung der neuen Religion stellen die Apostel dar, wie sie uns die Didache schildert (111). Sie sollen einen, maximal zwei Tage in einer Gemeinde bleiben und dann wieder verschwinden. Es sind Apostel im Vollsinn, ohne daß wir wissen, was einen Apostel eigentlich ausmacht. Solche Menschen besuchen die Gemeinde und werden am nächsten Tag mit Reiseproviant weggeschickt. Was aber tun sie? Weshalb werden sie so schlecht behandelt? Wer ist also ein Apostel (114)? Die Antwort muß wohl lauten: Wer sich für einen Apostel hält und irgendwie anerkannt wird. Der Apostel bestimmt seine Aufgaben und seine Funktion selbst; so gilt es zumindest bis zur Zeit der Didache. Von der Kirche wird diese Situation der Frühzeit verklärt, denn spätestens bei Eusebius finden wir ein Apostelbild vom rastlosen Wanderer (116). Es gab aber durchaus auch stationäre Apostel wie die von Paulus so genannten Superapostel. In dieser Diktion des Paulus tritt ein Phänomen auf, daß die Christen auf Dauer prägen sollte: die gehässige und abschätzige Diskriminierung der Konkurrenz. Von Paulus werden diese Superapostel als Falschapostel charakterisiert, da er ihnen das Apostelprädikat nicht absprechen kann. Sie sind Zeitgenossen Jesu und haben sich zum Ziel gesetzt, in den neuen Christen-Kirchen vor den Aktivitäten des Paulus zu warnen. Und der warnt wiederum vor jenen. Recht zu haben war seit den Anfängen das konstituierende und von allen übrigen differierende Element der neuen Religion.

Es ist die Person und die Tätigkeit des Paulus, die aufgrund der Quellenlage notwendigerweise im Zentrum der Studie steht. Vor allem die Passagen der Apostelgeschichte über den Aufenthalt in Philippi vermitteln realistische Verhältnisse (Apg 16). Paulus und seine Begleiter kommen in der Stadt an und steigen in einem Hotel ab; später erkundigen sie sich nach der Synagoge. Beim Gottesdienst mischen sie sich unter die Leute und schlendern von hier nach dort. Als Fremde fallen sie auf, werden in Gespräche verwickelt und erklären, was sie tun. Eine Frau wird von den Männern überzeugt und läßt sich mit ihrem Haus taufen. Da sie Geld hat, ziehen die drei Männer aus dem Hotel zu ihr um. Die Synagoge war also nicht der Ort der Predigt, sondern wurde zur Vermittlung persönlicher Kontakte mit potentiellen Konvertiten genutzt (127).

Auch die Situation in Korinth war typisch, wenngleich nicht zu verallgemeinern. Paulus kommt in die Stadt und sucht Arbeit, ein Zeltmacher einen Gesellen. So kommen beide zusammen, stellen fest, daß sie Juden sind - gut -, und später im Gespräch, daß sie beide Christianer sind - noch besser. Paulus bleibt bei seinem Kollegen. Als er später aus Philippi Geld erhält, kann er seine Arbeit einstellen und sich ganz der Verkündigung widmen. Man hat aber den Eindruck, daß es sich stets um Insider handelt, mit denen er redet. Paulus hält keine Missionspredigten, sondern belehrt bereits überzeugte.

R. zieht das Fazit (180--181), Paulus habe sich als Missionar der Heiden, also der Nichtjuden verstanden; wenn die Apostelgeschichte ein anderes Bild zeichne, ständen dahinter Interessen. Mein Einwand in diesem Zusammenhang lautet: Könnte es nicht auch sein, daß Paulus, der im wesentlichen mit der Judenmission gescheitert war, sein Scheitern später selbst zum System erhob und aus der sich zwangsläufig ergebenden Lage ein Konzept machte?

Es ist gewiß richtig, daß Paulus nicht die Synagoge betritt, um zu predigen (186), aber sie ist einer der wichtigsten Orte, um Leute zu treffen, die über die Alltagssituation hinaus "theologisch'' interessiert sind. Es ist doch auffallend, daß es im Prinzip nur zwei Muster sind, die uns die Paulusbriefe und die Apostelgeschichte vorstellen: Entweder redet Paulus in der Synagoge privat mit Menschen, die seine Sprach- und Vorstellungsbilder kennen, oder er findet bei der Arbeit Zeit zu überzeugen. Wo findet man Leute, die bereit sind, etwas Neues kennenzulernen? Wie beim Mithras-Kult dürfte es vor allem das berufliche Umfeld gewesen sein, in dem sich ein Kult verbreitete.

Eusebius zeigt in seiner Darstellung der frühen Kirche, daß er keine Missionare im eigentlichen - definierten - Sinn kennt. Deshalb führt er auch nur vier Namen bekannter Bischöfe in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts auf (285); dies hat zugleich den Vorteil, daß er Amtsträger den "wilden'' Aposteln vorziehen kann. Auch im 2. und 3. Jahrhundert gab es keine Missionare in dem üblichen Sinn, die wohl zur Gänze ein späterer Mythos sind. R. zieht konsequenterweise das Fazit: Es gab keine Mission im definierten Sinn (298).

R. schließt seine ausgezeichnete Studie, mit einer ausführlichen Diskussion jener Gründe, die für die Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten ins Feld geführt werden können (284-341). Diese Behandlung der Propaganda ist ebenso sorgfältig wie die gesamte Arbeit.

In einem Gebiet, in dem die Quellenlage so schwierig ist, wie in keinem anderen, bahnt R. klug Schneisen des Machbaren; generell ist zu begrüßen, daß er nicht der Versuchung verfällt, jeden Quellentext für interpretierbar und jede Frage für lösbar zu halten. So zeigt R. zu Petrus, daß wir mit den Quellen nichts mehr anzufangen vermögen (46); sie sind derart komponiert, daß sie historisch nicht mehr auswertbar sind. Um so eher ist man bereit, seinen stringent herausgearbeiteten Schlüssen zu folgen.

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