S. Naas: Entstehung des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931

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Titel
Die Entstehung des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931.


Autor(en)
Naas, Stefan
Reihe
Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 41
Erschienen
Tübingen 2003: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
395 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Becker, Stadt Köln

Die Geschichte des Polizeirechts führte ebenso wie die Geschichte der Polizei insgesamt über lange Zeit ein Schattendasein, ein angesichts der bedeutenden Stellung der Polizei innerhalb des staatlichen Verwaltungsapparates doch erstaunlicher Befund. In den letzten Jahren sind hier vonseiten der Rechtsgeschichte, aber auch der Sozialgeschichte erfolgreiche Bemühungen unternommen worden, die bestehenden Forschungslücken zu schließen. Die bisherigen Arbeiten konzentrierten sich zumeist auf die Epoche der „guten Policey“, auf die Entstehung des Polizeibegriffs in der frühen Neuzeit, oder die Phase der Formierung einer dem heutigen Verständnis nahe kommenden Polizei im 19. Jahrhundert.1 Die Entwicklung der Polizei von 1919 an ist bisher hingegen nur unzureichend erforscht.2 Diese fortbestehende Forschungslücke für die Zeit der Weimarer Republik ist insbesondere aus Sicht der Rechtsgeschichte besonders zu beklagen, fällt doch mit dem 1931 verabschiedeten Preußischen Polizeiverwaltungsgesetz ein „epochemachendes“ 3 Gesetzeswerk, das aus juristischer wie historischer Perspektive besondere Beachtung verdient, in diese Zeit.

Der Jurist lernt auch heute in den historischen Einleitungen der Lehrbücher zum Polizeirecht das „PVG“ als Kodifikation der im 19. Jahrhundert entwickelten Grundsätze des materiellen Polizeirechts kennen. Darüber hinaus verdient das „PVG“ zusätzliche Aufmerksamkeit, da es nach 1945 bis Mitte der 1950er-Jahre erneut die Grundlage des Polizeirechts der bundesdeutschen Länder bildete und auch die nachfolgend erlassenen Landespolizeigesetze bis heute maßgeblich prägte. Im Saarland behielt es sogar bis 1989 formale Geltung. Daneben findet sich die in § 14 PVG geregelte Generalklausel nahezu wortgleich als Ermächtigungsgrundlage polizeilicher Gefahrenabwehrmaßnahmen in allen aktuellen Polizeigesetzen der Länder wieder.

In historischer Hinsicht ist das PVG nicht nur aufgrund seines fachlichen Inhalts von Interesse. Als eines der wenigen bedeutsamen Gesetzgebungsvorhaben der jungen Demokratie, das auch erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnte, verspricht der Blick auf die Entstehungsgeschichte einen Einblick in die parlamentarischen wie außerparlamentarischen Willensbildungsprozesse der Weimarer Republik.4

Mit der von Michael Stolleis betreuten, hier anzuzeigenden Dissertation von Stefan Naas hat dieses Gesetzeswerk nunmehr endlich die verdiente Bearbeitung gefunden. Anhand bisher unausgewerteter Archivbestände und einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Vorbereitung und Rezeption in Rechtsprechung und Fachliteratur möchte der Autor mit seiner Arbeit einen Beitrag zur Polizeirechtsgeschichte (S. 12), aber auch zur Polizeigeschichte (S. 16) der Weimarer Republik leisten. Zeitlich ist seine Untersuchung auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und einen kurzen Ausblick auf die praktische Geltung nach 1933 beschränkt. Über die äußere Gesetzgebungsgeschichte hinaus setzt sich der Autor inhaltlich die Darstellung der verschiedenen Einflussfaktoren auf die Gesetzesentstehung sowie Herausarbeitung von Kontinuitäten zum heutigen Polizeirecht zum Ziel. Ausdrücklich versucht er den Nachweis, dass es sich bei dem PVG nur in zweiter Hinsicht um eine Kodifikation der entwickelten materiellrechtlichen Grundsätze handelt. Vielmehr stand im Vordergrund die Eigenschaft als Reformgesetz im Zuge der Modernisierung der Polizei in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre (S. 15).

Die Arbeit beginnt chronologisch in einem ersten Hauptteil mit den letztlich gescheiterten Bemühungen von Bill Drews um ein einheitliches Polizeiverwaltungsgesetz vor 1924 (S. 17ff.). Naas schildert detail- und kenntnisreich die Schwierigkeiten mit denen sich Drews konfrontiert sah und die schließlich zum Scheitern seiner Bemühungen führten. Die 1917 dem späteren Präsidenten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts in seiner damaligen Funktion als Staatskommissar übertragene Aufgabe der Reform der preußischen Verwaltung war in ihrer Dimension und vor allem vor dem Hintergrund der Revolution von 1918 und der unruhigen ersten Jahre danach nicht realisierbar. Fragen des Laufbahnrechts oder eine Vereinfachung der Rechtsmittel wurden von Bemühungen um eine modernere Bewaffnung und Ausrüstung der Polizei in den Hintergrund gedrängt. Anschaulich wird aber auch der Widerstand der preußischen Ministerialbürokratie gegen die gesetzgeberischen Reformbestrebungen belegt (S. 36ff.).

Im Mittelpunkt des zweiten Hauptteils steht dann die eigentliche Entstehung des PVG in den Jahren 1928 bis 1931 (S. 173ff.). Den zuständigen Referenten im (personell verjüngten) preußischen Innenministerium, Christian Kerstiens und Robert Kempner, gelang es nun, in nur kurzer Zeit die zentralen Prinzipien des materiellen Polizeirechts, aber auch die bereits eingeleiteten organisatorischen Reformen in Gesetzesform zu bringen. Die Tatsache, dass die beiden Referenten ihren Entwurf in wesentlichen Teilen auf die Vorarbeiten von Drews stützten, liefert eine Begründung für dessen rasche Verabschiedung. Der Entwurf erfuhr durch die wohlwollende Aufnahme vonseiten des Justizministeriums wie auch vonseiten des von Drews geleiteten Oberverwaltungsgerichts wichtige Unterstützung. Die anschließende parlamentarische Diskussion spiegelt ebenso die politischen Motive für und gegen eine Verabschiedung des PVG wie die vor allem in der Wissenschaft gegen Ende der Weimarer Republik weiterhin vorhandenen Vorbehalte gegen eine Kodifkation im Bereich des Verwaltungsrechts (S. 206ff.).

Anschließend belegt Naas, dass es sich bei dem Gesetz in materieller Hinsicht um eine Kodifikation der im Kaiserreich entwickelten Grundsätze des materiellen Polizeirechts handelt, die im Wesentlichen nach 1918 unverändert übernommen wurden (S. 277ff.). Entgegen der traditionellen polizeirechtlichen Sichtweise habe es sich hierbei jedoch nur um einen Nebenzweck des PVG gehandelt. Das eigentliche gesetzgeberische Interesse galt dem formellen Polizeirecht, der Polizeiorganisation, den Rechtsmitteln und dem Rechtsweg. Das Ziel eines Reformgesetzes konnte hier erreicht werden. Es gelang, das staatliche Polizeimonopol zu verfestigen und weiter auszubauen sowie die Organisationsstruktur der Polizei zu vereinheitlichen und zu effektivieren (S. 220ff.). Mit einem knappen Ausblick auf die nur kurze Wirkungsgeschichte des Gesetzes nach seiner Verabschiedung endet die Untersuchung (S. 332ff.).

Mit seiner detail- und kenntnisreichen Studie liefert Naas einen verdienstvollen Beitrag zur Geschichte des Polizeirechts. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und seiner maßgeblichen Bestimmungen wird vom Autor anschaulich und unter Einbeziehung bisher unausgewerteter Archivmaterialien sowie umfangreicher Primär- und Sekundärliteratur aufgearbeitet. Naas gelingt es, die bisher von der polizeirechtlichen Forschung nicht in ausreichendem Maße gewürdigte Funktion des PVG als Reformgesetz im Bereich des formellen Polizeirechts eindrucksvoll nachzuweisen. Aus Sicht des Rechtshistorikers wäre eine noch eingehendere Untersuchung der speziellen Begleitumstände und Einflussfaktoren, aber auch der allgemeinen Widerstände gegen eine Kodifikation im Bereich des Polizeirechts wünschenswert gewesen. Der Historiker wird eine (sozial-)geschichtliche Einbettung der beschriebenen Modernisierungsprozesse in den zeitgenössischen Kontext vermissen. Der Wandel, die „Professionalisierung“ des Berufsbilds des Polizisten, die Lockerung der noch im 19. Jahrhundert festzustellenden ausgeprägten Bindung an das Militär, aber auch die gleichzeitige Militarisierung der Polizei wäre ebenfalls eine Betrachtung Wert gewesen. Die vom Autor selbst geweckten Hoffnungen auf einen Beitrag zur Polizeigeschichte werden daher am Ende etwas enttäuscht. Dennoch bleibt als Fazit festzuhalten: Naas ist ein verdienstvoller Beitrag zur Geschichte des Polizeirechts gelungen, der weiteren rechtshistorischen wie historischen Forschungen eine wichtige und hilfreiche Unterstützung sein wird.

Anmerkungen:
1 Hier ist vor allem das von Stolleis, Härter und Simon betreute Forschungsvorhaben „Policeyordnungen der frühen Neuzeit“ am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main zu nennen. Für den Bereich des 19. Jahrhunderts ist auf die Arbeiten Lüdtkes hinzuweisen, vgl. Ders. (Hg.), „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“. Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992; vgl. auch Nitschke, Peter (Hg.), Die deutsche Polizei und ihre Geschichte, Hilden 1996.
2 Vgl. Jessen, Ralph, Polizei und Gesellschaft, in: Paul, Gerhard; Mallmann, Klaus-Michael (Hg.), Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1995, S. 19-43, 25 m.w.N.
3 Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts, Dritter Band 1919-1945, München 1999, S. 131.
4 So bereits die zeitgenössische Einschätzung von Kerstiens, Christian, Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt 1933, S. 183.

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