Titel
Facetten des Terrors. Der Geheimdienst der "Deutschen Arbeitsfront" und die Zerstoerung der Arbeiterbewegung 1933-1938


Autor(en)
Roth, Karl Heinz
Erschienen
Bremen 2000: Edition Temmen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 20,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rebecca Schwoch, Institut für Geschichte der Medizin

Karl Heinz Roth, Mediziner und Historiker, hat mit diesem Werk eine zwanzig Jahre waehrende Arbeit zu einem wenn auch vorlaeufigen, so doch gelungenen Ergebnis gefuehrt. Diese Edition ist eine erstmalig in der Forschungsliteratur erarbeitete und veroeffentlichte Sammlung von 37 Schriftstuecken, die den bislang kaum bekannten Geheimdienst der groessten Massenorganisation der NS-Diktatur, der Deutschen Arbeitsfront (DAF), betreffen. Damit hat Roth eine Quellensammlung zusammengestellt, die die Bedeutung des DAF-Geheimdienstes fuer den Gesamtkontext des Ueberwachungs- und Terrorsystems und darueber hinaus die politische Sozialgeschichte der NS-Diktatur abwaegen. Es handelt sich um den "ersten dokumentarischen Versuch" zur Aufhellung der verdeckten Operationslinien der DAF gegen die Opposition und den Widerstand vieler Lohnabhaengiger in den Stabilisierungs- und Vorkriegsjahren im Nationalsozialismus. Ein nicht einfaches Unterfangen, da die Quellenlage sehr unzureichend ist bzw. noch immer Luecken aufweist, und die einzelnen Quellen sehr verstreut sind; beispielsweise bleibt das Sonderarchiv Moskau WissenschaftlerInnen immer noch verschlossen.

Eingefuehrt werden die LeserInnen mit einer leider sehr knapp gehaltenen, 35-seitigen Einleitung, in der Roth einen nur kursorischen Ueberblick ueber die Geschichte des DAF-Geheimdienstes bietet, den man so knapp nicht erwartet, zumal der Titel des Buches bei den LeserInnen Erwartungen weckt, die zumindest keine im Grunde genommen reine Quellensammlung vermuten lassen. Kehrt man dieses Manko in eine positive Richtung, so laesst sich feststellen, dass interessierten WissenschaftlerInnen somit noch einige Desiderate der Arbeiter- und Sozialpolitikgeschichtsschreibung offen bleiben, die eine Rekonstruktion und Interpretation der schriftlichen Hinterlassenschaft verlangen.

Der DAF-Geheimdienst ist aus einer getarnten Abwehr-Abteilung der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) hervorgegangen. Letzterer war im Fruehjahr 1933 an der terroristischen Zerschlagung der Arbeiterorganisation an exponierter Stelle beteiligt. Ab Herbst 1933 wurde er im Organisationsamt der DAF untergebracht und erlangte eine nicht zu unterschaetzende Bedeutung, denn in den Konsolidierungs- und den anschliessenden innenpolitischen Krisenjahren der NS-Diktatur agierte er "im Verbund mit dem uebrigen Ueberwachungsapparat an der vordersten Konfrontationslinie des Unterdrueckungs- und Terrorsystems mit der Arbeiterklasse". (9) Zunaechst war der DAF-Geheimdienst eng mit dem Gestapohauptamt liiert. Ab April/Mai 1934 war dieses jedoch nicht mehr der wichtigste Kooperationspartner, sondern der Sicherheitsdienst der SS (SD). Dieser Partnerwechsel, so Roth, sei wohl vor allem durch einen "Parteibefehl" des Stellvertreters des Fuehrers, Rudolf Hess, erzwungen worden, wonach mit Ausnahme des SD alle Nachrichtendienste der NSDAP bis Mitte Juli 1934 ihre Taetigkeit einstellen mussten. (16) Formal konnte der DAF-Geheimdienst somit nur noch unter der Fuehrung des SD weiterexistieren.

Mitte 1935 haeuften sich die Nachrichten der Orts- und Gaustellen des DAF-Geheimdienstes ueber Arbeitsniederlegungen von Notstandsarbeitern und jugendlichen Dienstverpflichteten auf den Baustellen sowie in den ostdeutschen landwirtschaftlichen Grossbetrieben. Solche staatsfeindlichen Aktionen zogen regelrechte Verfolgungswellen nach sich. Das "Amt Information", in dem der DAF-Geheimdienst institutionalisiert und organisiert wurde, analysierte diese Aktionen eingehend, wobei es der Reichsleitung der DAF und der Gestapo Bekaempfungsvorschlaege unterbreitete. Desweiteren folgten taegliche Berichterstattungen, Standardisierungen der Einzelberichte, eine engere Zusammenarbeit mit dem Gestapohauptamt; Sammelberichte ueber alle Streiks - die heute leider nicht mehr aufzufinden sind - wurden erstellt. Klar ist, dass die Streikursachen nicht politischer, sondern sozialer Natur waren. Doch war der organisierte Arbeiterwiderstand inzwischen zu schwach, um noch effektive Aktionen unternehmen zu koennen. An den Verhaftungskampagnen, die schliesslich 1936/37 zum Untergang der organisierten Arbeiterbewegung fuehrten, war das "Amt Information" nur noch in abnehmender Intensitaet beteiligt. Aber es war nach wie vor in der Lage, das "riesige Areal des DAF-Archipels" bis hin zu den Verbrauchergenossenschaften abzusichern, und in der Auseinandersetzung mit den widerstaendig bleibenden Enklaven der Arbeiterbewegung, allen voran der Gewerkschaftsbewegung der Seeleute, blieb der Geheimdienst der DAF bis zu seiner Aufloesung aktiv. Der DAF-Geheimdienst verlor 1937/38 seine Selbstaendigkeit, "weil es ihm nicht gelungen war, die Welle der Kurzstreiks im Vorfeld aufzuspueren, und er sie darueber hinaus auch noch falsch interpretiert hatte". "Aber seine Erfahrungen wirkten dessen ungeachtet im Sicherheitsdienst der SS und in der Gestapo weiter, und einige Merkmale des sich weiter radikalisierenden Terrors hatte er wesentlich mit vorbereitet." (39) 1938 wurde das "Amt Information" gaenzlich aufgeloest. Seine Ueberwachungs- und Fahndungsakten gingen an die SS. In dieser Zeit erfolgte ebenso die endgueltige Zerschlagung des Arbeiterwiderstandes.

Die Strukturgeschichte des DAF-Geheimdienstes zeigt auf der einen Seite ein labiles und kurzlebiges Organisationsamt, auf der anderen Seite eine durchaus prozessuale Effizienz dieses Geheimdienstes; waehrend seines Bestehens, von 1933 bis 1938, zeigte es eine schnelle und sichere Vorgehensweise. Die wichtigste Bedeutung des DAF-Geheimdienstes fasst Roth folgendermassen zusammen: Sie bestand darin, "dass er im Verbund mit wechselnden nachrichtendienstlichen und staatsschutzpolizeilichen Partnern an der vordersten Konfrontationslinie der NS-Diktatur mit der Arbeiterklasse und den in sie integrierten linksproletarischen Organisationsresten agierte". Und weiter: "Er ueberstand auch das im Juni 1934 durchgesetze nachrichtendienstliche Monopol des Sicherheitsdiensts der SS ueber die NS-Bewegung, waehrend die uebrigen Geheimdienstapparate der NSDAP und der ihnen angeschlossenen Massenorganisationen ihre Taetigkeit nach und nach einstellen mussten oder im Amt Information aufgingen. Die Analyse seiner organisatorischen Strukturen, des Selbstverstaendnisses seiner Akteure, seiner Operationen in den wichtigsten arbeits- und sozialpolitischen Krisenfeldern der NS-Diktatur und nicht zuletzt seiner Lageberichte und Denkschriften ermoeglicht deshalb neuartige Einblicke in die Sozialgeschichte der Aera der Praesidialkabinette und der NS-Diktatur bis in die unmittelbare Vorkriegszeit." (41-42) Darueber hinaus muessten aber auch die uebrigen Nachrichtendienste der NS-Bewegung erforscht werden, z.B. die Abteilung I e der SA, die Wehrmacht-Abwehr oder die Abwehr-Abteilung des Reichsarbeitsdienstes, zu denen in Roths Edition jedoch keine Quellen zu finden sind.

Es handelt sich bei dieser Sammlung - bei der nicht klar hervorgeht, nach welchen Kriterien sie ausgesucht worden sind - vor allem um Quellen zur "marxistischen Zersetzungsarbeit" in den Betrieben und den Konsequenzen, die das "Amt Information" daraus ziehen wollte. Damit bieten diese abgedruckten Schriftstuecke viele Informationen ueber die organisatorische Struktur des "Amtes Information", nicht jedoch oder nur bedingt ueber das tatsaechliche Ausmass des Arbeiterwiderstandes gegen den Nationalsozialismus. Eine weitere Frage, die Roth allerdings selbst stellt, bleibt offen: Wie hat der organisierte Arbeiterwiderstand den Nachrichtendienst der NSBO und der DAF wahrgenommen und eingeschaetzt? Wir koennen heute aus den Schriftsaetzen der Exilfuehrung eine Menge ueber den Ausbau des betrieblichen und ueberbetrieblichen Spitzelsystems sowie ueber die Gegenmassnahmen des Arbeiterwiderstandes zur Abwehr enttarnter Provokateure und Agenten nachlesen. Ueber den DAF-Geheimdienst laesst sich in den Zeitschriften, Broschueren oder Flugblaettern fast nichts finden. Er wurde "umstandslos dem Phaenomen ´Gestapo´ zugeschlagen, obwohl die Existenz eines innerhalb der DAF verankerten Spitzelsystems den Betriebsbelegschaften und Basiskadern der Widerstandsgruppen durchaus bekannt war". (43) Trotz dieser Fragen, die die hier veroeffentlichten Quellen nicht beantworten, zeigen sie eine Vielschichtigkeit des NS-Ueberwachungs- und Terrorsystems sowie einen Nachrichtendienst, der zur Ausforschung der Arbeiter errichtet worden ist. Wenngleich es heute auch vielfaeltige und gute Forschungen zur Geschichte der NS-Arbeits- und Sozialpolitik und speziell der DAF gibt, so fehlt - und das steht in seiner Detailliertheit auch mit dieser Publikation noch aus - die Erforschung des DAF-Geheimdienstes mit all seinen "Facetten des Terrors" immer noch. Dafuer hat Karl Heinz Roth einen wichtigen Beitrag geleistet.

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