G. Lobrichon u.a.: Journal de la France et des Français

Titel
Journal de la France et des Français. Bd. 1: Chronologie politique, culturelle et religieuse de Clovis à 2000, Bd. 2: Index. Dictionnaire des noms propres, des noms de lieux, des événements


Autor(en)
Lobrichon, Guy; Élie Barnavi, Hélène Duccini, Francois Lebrun u.a.
Erschienen
Anzahl Seiten
2407 u. 1060 S.
Preis
€ 38,11 u. € 44,97
Bettina Frederking, Universität Freiburg

Chronologien zur französischen Geschichte sind keine Mangelware. Wenn der angesehene Pariser Verlag Gallimard nach siebenjähriger Arbeitszeit das Ergebnis eines neunköpfigen Autorenteams veröffentlicht, so ist die Frage berechtigt, ob es hier wirklich eine Lücke zu schließen gibt. Das "Journal de la France et des Français" beeindruckt zunächst durch seinen Umfang: knapp 3500 Seiten auf extra dünnem Spezialpapier, gedruckt in einer eigens entworfenen Type, die ein Maximum an Zeichen bei guter Lesbarkeit erlaubt; ein "tout en un" der französischen Geschichte von Chlodwig bis zum 7. Dezember 2000.

Im Vorwort tritt die Verlegerin, Françoise Cibiel, für eine Rehabilitierung der Ereignisgeschichte ein, allerdings unter Einbezug des Erbe der "Annales". Das "Journal" versteht sich als "non pas seulement une histoire politique, bien que ce soit le fil conducteur le plus déterminant, mais aussi une histoire religieuse et culturelle, sociale et économique" (Bd. 1, 11), in der auch die "longue durée" ihren Platz finden soll. Diese Konzeption hat Folgen für die Struktur des "Journal". Der Aufbau nach Herrschern und die Unterteilung der einzelnen Perioden ist konventionell; der Inhalt geht jedoch weit über bisher Gebotenes und sattsam Bekanntes hinaus.

Jeder Teilabschnitt wird durch einen Überblick eingeleitet, der eine Gesamtinterpretation der Periode bietet. Die Chronologie selbst ist mit zahlreichen Kurzbiographien angereichert, die nicht nur den Hauptakteuren aus Politik und Gesellschaft, sondern auch zahlreichen weniger bekannten Persönlichkeiten gewidmet sind. Weitere Einschübe setzen die Ereignisse der Chronologie zueinander in Beziehung und informieren über spezielle Entwicklungen auf den verschiedensten Gebieten, zum Beispiel über "Architecture religieuse et architecture profane", "Novellistes et conteurs", "Les patrons de l'industrie et la première guerre mondiale", "Les Russes en France", "La naissance de la télévision publique", um nur einige Beispiele zu nennen.

Vorbildlich ist auch die klare Präsentation. Dank der auf jeder Seite aufgeführten Jahreszahl, begleitet vom Namen des Herrschers und gegebenfalls einer Bezeichnung der Periode (z. B. "1589 - Henri III - Guerres de Religion"), gibt es kein langes Blättern und Suchen; die französische Revolution ist durchgehend doppelt datiert und nimmt den Lesern die mühsame Aufschlüsselung des Revolutionskalenders ab. Strittige Daten sind als solche gekennzeichnet; nicht genau datierte Ereignisse werden am Ende des jeweiligen Jahres aufgeführt. Die Autoren vertreten den Anspruch, bisherige chronologische Irrtümer und Unsicherheiten so weit als möglich zu bereinigen, wozu bei der Erarbeitung der Chronologie nicht auf die bisherige Historiographie, sondern direkt auf die Quellen rekurriert wurde. So werden auch Daten, die selbst schon zu "lieux de mémoire" der französischen Geschichte geworden sind, einer kritischen Revision unterzogen, wie zum Beispiel die vielzitierte Taufe Chlodwigs, die am 25. Dezember "498 ou 496, 497? (..) à Reims, ou à Tours?" stattfand (Bd. 1, 22).

Eine weitere Neuerung des Genres ist der über tausendseitige Indexband, ein alphabetisches Verzeichnis der Personen, Orte und Ereignisse, der einen systematischen Zugriff auf den ersten Band, aber auch eine schnelle Erstinformation erlaubt, da die wichtigsten Informationen schlagwortartig im Index erfasst sind und nicht auf Seitenzahlen verwiesen wird, sondern sämtliche Daten aufgeführt werden, in deren Zusammenhang der gesuchte Begriff eine Rolle spielt.

Das "Journal de la France et des Français" ist kein neutrales Werk. Die Autoren - Guy Lobrichon (481-1498), Élie Barnavi (1498-1610), Hélène Duccini (1610-1661), François Lebrun (1661-1715), Yann Fauchois (1715-1799), Patrice Gueniffey (1799-1899), Jean-Louis Panné (1900-1946), Frédéric Gugelot (1946-1958) und Jean Loignon (1958-2000) - sind ausgewiesene Spezialisten ihres Fachs, und so verbirgt sich hinter den oft knappen Sätzen der neueste Forschungsstand oder ganze Forschungskontroversen, in denen die Autoren entschieden Position beziehen. So heißt es zum Beispiel über die Ursachen der "Terreur" und ihre Beziehung zu den Revolutionskriegen: "justifier la Terreur comme un expédient de défense nationale, comme une réponse aux circonstances, ne rend pas compte de la chronologie: la Terreur s'accentue quand la situation se redresse." (Bd. 1, 1190).

Auch Themen, die erst in letzter Zeit das Interesse der Forschung geweckt haben, wie zum Beispiel das Schicksal der während des Zweiten Weltkriegs gewaltsam zur Wehrmacht verpflichteten Elsaß-Lothringer, der "Malgré-nous", finden in der Chronologie ihren Platz.Angesichts des gewaltigen Umfangs des Unternehmens lässt sich eine gewisse Subjektivität der Auswahl der Einträge gerade bei der Zeitgeschichte nicht immer vermeiden; dennoch ist die Chronologie nicht nur für Historiker, sondern für alle, die das gegenwärtige Frankreich besser verstehen wollen, ein unverzichtbares Nachschlagewerk.Trotz der beachtlichen Anzahl von Mitarbeitern ist die Einheitlichkeit des Werks gewahrt, und die ebenso klare wie anspruchsvolle Sprache der vollständig redigierten Chronologie macht die Lektüre zum Vergnügen. So ist zu erwarten, dass das "Journal de la France et des Français" bald genauso zu einem Standardwerk zur französischen Geschichte wird wie die in der gleichen Reihe erschienenen "Lieux de mémoire".

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