Titel
Monastische Reform zwischen Person und Institution. Zum Wirken des Abtes Adam Meyer von Groß St. Martin in Köln (1454 - 1499)


Autor(en)
Hammer, Elke-Ursel
Reihe
Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 165 / Studien zur Germania Sacra 22
Erschienen
Göttingen 2001: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
636 S., 1 Karte
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Rosen, Fachstelle für Regional- und Heimatgeschichte, Landschaftsverband Rheinland

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten wurde die Erforschung der Ordens- und Klostergeschichte des späteren Mittelalters stark unter dem Aspekt des Verfalls betrieben. Doch verzerrte dieser Zugriff die Gesamtperspektive. In der vorliegenden Studie, einer für den Druck geringfügig überarbeiteten Jenaer Dissertation, werden nicht nur die Verfallsphänomene in den Blick genommen, sondern auch auf deren Bekämpfung durch dynamische Reformer hingewiesen. Damit fügt sich die Arbeit in die in der letzten Zeit intensivierte Erforschung spätmittelalterlicher kirchlicher Reformbewegungen ein. Hier wird deutlich, wie unzutreffend - jedenfalls in pauschalierender Form - die These einer allgemeinen Krise ist.

Nun nimmt die Autorin nicht nur eine inhaltliche Akzentverschiebung vor, sondern setzt auf einen methodischen Perspektivwechsel; das Werk hat insoweit "Pilotcharakter" (S. 12). Zu Recht merkt Hammer an, dass bislang schwerpunktmäßig die konstitutionellen und ideengeschichtlichen Grundlagen der Bursfelder Reform erforscht worden sind, während die die Reform tragenden Personen nur wenig beachtet wurden (S. 9). Dieser Neuansatz rückt nun mit Adam Meyer einen der zentralen Träger in das Zentrum des Interesses, der als exemplarische Reformerpersönlichkeit bezeichnet werden kann. Allerdings liegt hier keine "klassische" Biographie vor, was Hammer auch nicht anstrebte. Ob der von ihr angeführte Grund, eine Biographie habe weder mittelalterlichem noch monastischem Denken entsprochen (S. 12), in dieser Pauschalität zutrifft, wäre intensiver zu diskutieren. Zudem ist für den methodischen Zugriff des Historikers die zeitgenössische Relevanz von Biographien nicht unbedingt ausschlaggebend 1. Durch diese gleichsam personalisierte Perspektive der Bursfelder Aktivitäten wird nicht nur das Wirken Meyers deutlicher, sondern man erhält zudem einen besseren Einblick in die Spezifika dieser Bewegung: Initiative, Planung, Durchführung und Folgen der Reformen sind in einer vergleichend-systematischen Weise übersichtlich dargestellt.

Wie ist die Arbeit aufgebaut? Im ersten Abschnitt wird nach der Herkunft Meyers gefragt, dann die Situation der Kölner Abtei Groß St. Martin vor und unter dem Abbatiat des Reformers beleuchtet, anschließend der Provinzialverband Köln-Trier, die Bursfelder Kongregation und zuletzt das Zusammenwirken von Provinzialverband und Kongregation vorgestellt. Im zweiten Hauptteil präsentiert Hammer die Klöster, die mit Hilfe von Meyer reformiert wurden bzw. reformiert werden sollten 2. Anschließend wird nach Theorie und Praxis der Reform gefragt. Sodann rücken die Reforminitiatoren und die politischen Rahmenbedingungen in das Blickfeld der Betrachtung. Im letzten Hauptabschnitt stellt Hammer Ansprachen und Traktate Meyers vor und fragt, wieweit diese als Basis für seine Tätigkeit gedient haben. Nach einer Zusammenfassung ihrer Arbeitsergebnisse stellt die Autorin das Itinerar der Hauptperson zusammen. In einer weiteren Übersicht werden dann "Mönche Bursfelder Klöster im Umfeld der Reformen Meyers" aufgelistet (S. 542-588), hierbei allerdings weder Auswahlkriterien angegeben noch eine prosopographische Auswertung vorgenommen. Auch bleibt die Relevanz dieser Personen für das Wirken Meyers unklar. Querverweise zu den einzelnen Textkapiteln wären hilfreich gewesen. Ein Literaturverzeichnis sowie ein Orts- und Personenregister schließen das Werk ab. Eine beigefügte Karte mit den von Meyer visitierten und reformierten bzw. nichtreformierten Klöstern macht in übersichtlicher Form den weiten Aktionsradius des Abtes deutlich.

Schon der Aufbau zeigt, dass Hammer keine chronologisch angelegte Biographie verfassen wollte. Durch dieses Vorgehen gewinnt die jeweilige Reform-Geschichte der einzelnen Klöster klare Konturen. Eine rein chronologische Darstellung wäre dagegen wohl schwieriger nachzuvollziehen gewesen, weil die Aktivitäten Meyers durch z.T. sich überlappende und parallel laufende Handlungsstränge charakterisiert waren. Die multiperspektivische Herangehensweise lässt die Strategien und das Handeln des Reformers klarer hervortreten, wobei allerdings gewisse Redundanzen in Kauf genommen werden müssen.

Über die Herkunft des in einem Dorf bei St. Wendel ca. 1410 geborenen und um 1430 in die Trierer Benediktinerabtei St. Matthias eingetretenen Adam Meyer ist wenig bekannt. Seine nichtadelige Abstammung sowie fehlende verwandtschaftliche Beziehungen zum Trierer Konvent erklären sicher manches von seinem späteren Reformeifer. Mit der sein Leben prägenden Bursfelder Reform kam Meyer schon in Trier in Verbindung. 1458 wurde er als "iudex et executor causarum et negotiorum" des Provinzialkapitels eingesetzt mit umfassenden Vollmachten und dem Recht, alle Klöster des Provinzialverbandes Köln-Trier zu visitieren, zu bessern und zu reformieren (S. 52). Sein Vorgehen basierte auf juristischem Denken verbunden mit einem hohen Maß an Entschlossenheit. Er war ein Mann der Praxis mit einer ausgeprägten Fähigkeit zur effektiven Durchführung. Ihm kam durch seinen Aufgabenbereich quasi eine "Scharnierfunktion" zwischen Provinzialverband und Generalkapitel zu. Meyer war eine "zentrale Gestalt der monastischen Reformbewegungen im nordwestdeutsch-niederländischen Raum" (S. 530).

Der methodisch sinnvolle Blick auf die die Reformen tragenden Personen führt zu der Frage, welche Änderungen der Sozialstruktur mit den Erneuerungen verbunden waren. Zum einen weist Hammer auf die stärkere "Verbürgerlichung" der Konvente hin und nimmt die wichtigen Funktionsträger eines Klosters (Abt, Kellner, Prior) ins Visier. Hier kann die Verf. deutlich machen, wie geschickt die Bursfelder vorgingen, um Reformen mit einer systematischen Strategie der Personalauswahl durchzuführen und v.a. auch auf Dauer zu sichern. Ob die Zurückdrängung des adeligen Elementes allein verantwortlich für eine rationellere Wirtschaftsführung war, wäre einer Diskussion wert. Denn wie neuere Studien zeigen, hielten auch in Haushalten des Adels modernere ökonomische Methoden Einzug 3. Zentrale Anliegen der Bursfelder Reformer waren das Verbot des Privatbesitzes und die Abschaffung des Präbendensystems, die Übertragung der Erbteile an das Kloster, die Einhaltung der Klausur, die Wiederherstellung des Gemeinschaftslebens, die Präsenzpflicht, der Fleischverzicht und in verfassungsmäßiger Hinsicht die "Abbatozentralität".

Pointiert stellt Hammer das Vorgehen der Bursfelder heraus: die Zusammenfassung der Einzelklöster und die Schaffung von Organisationsstrukturen und Kontrollorganen mit wirkungsvollen Instrumentarien, Jahreskapitel als höchstes Organ des Verbandes mit Jurisdiktionsgewalt, Reduzierung der eigenständigen Politik der Klöster, Übernahme der zentralen Ämter durch auswärtige Mitglieder der Reformkolonie, regelmäßige Visitationen, Sanktionen gegen Unbotmäßige, Reformtätigkeit und Visitationen durch andere Klöster sowie Begrenzung der Mitgliederzahl. Durch dieses Maßnahmenbündel konnten die meisten Reformen dauerhaft gesichert werden. Ein wichtige Rolle für den Erfolg spielte auch die Unterstützung durch die jeweiligen Landesherren und Bischöfe.

Ein Schwerpunkt der Bursfelder Reformen, den die Autorin sehr ausführlich behandelt, lag in der Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Als erstes Aufgabenfeld bot sich für Meyer die in Köln gelegene Abtei Groß St. Martin an, deren ökonomische Lage sich seit dem 14. Jh. wesentlich verschlechtert hatte. Hier weist Hammer - im Rückgriff auf die Forschungen von Erich Wisplinghoff - zu Recht darauf hin, dass diese Probleme v.a. durch Managementfehler verursacht worden waren. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch die vielfältigen Interdependenzen von asketischem und wirtschaftlichem Niedergang. Mit der Übersendung einer Gruppe von Reformmönchen aus dem Trierer Kloster St. Matthias nach Köln kam auch Meyer 1448 an den Rhein. Doch erst als dieser 1454 zum Abt gewählt wurde, kam es zu grundlegenden Reformen: Dazu gehörten die Inkorporation von Pfarrkirchen, Verkäufe von Land und die Schaffung einer effektiveren und überschaubareren Wirtschaftsverwaltung durch Aufstellungen der Einkünfte sowie der Schulden und die Anlage von Kopiaren und Registern.

In diesem Zusammenhang ist Hammers Beobachtung richtig, dass durch eine teilweise Umstellung von der Erb- auf die Zeitpacht die Güter tendenziell besser zu kontrollieren waren. Doch kann von "unkontrollierbarer Vererbung" (S. 39) nicht die Rede sein, da auch bei Erbpachtverträgen die Möglichkeit bestand - und durchaus praktiziert wurde -, bei einem Pächterwechsel neue Verträge zu schließen. Als eine zentrale Sicherungsmaßnahme führt die Verf. die Umstellung von (Erb-)Pacht- auf Lehnsverträge an. Diese These erscheint nicht ganz schlüssig, denn auch bei Erbpachtverträgen lag das Zustimmungsvorrecht für eine Weiterleihe beim Kloster als Verpächter. Wie die Autorin selbst beobachtet, gaben die Lehnsleute "ihre Lehen meist in Afterleihe" weiter (S. 41), womit aber ein Überblick erschwert und eine Entfremdung der Güter erleichtert wurde. Darüber hinaus schränkte die Präsenz der Lehnsleute im Hofgericht die Verfügungsgewalt der Abtei über ihre Güter weiter ein. Der These von den Vorzügen einer Umstellung auf das Lehnssystem widerspricht weiterhin Hammers Beobachtung einer Sanierungsmaßnahme in der Abtei Werden, die die Verkürzung der Pachtzeiten zum Ziel hatte und eben nicht Belehnungen (S. 166). Zudem muss bedacht werden, dass die laufenden jährlichen Abgaben in Lehnsverhältnissen tendenziell geringer als in Pachtbeziehungen waren. Als weiteres Reformspezifikum nennt Hammer die Wiedereinführung des Lehnsgerichtes für Groß St. Martin. Nun war diese Institution nicht spezifisch für die Bursfelder, wie die Existenz dieser Gerichte bei einer Reihe anderer Kölner Klöster und Stifte zeigt 4.

Auch Hammers Ausführungen über Grundbesitzübertragungen in der Rheinmetropole müssen spezifiziert werden. Dass eine "Gefahr der Umwandlung in Schreins- oder Briefgut durch das Verbot der Anschreinung des Rechtsgeschäftes im städtischen Schrein zu vermeiden gesucht" (S. 40) worden wäre, kann in dieser Weise nicht zutreffen, weil das Briefgut das Gegenteil von Schreinsgut (eine Art öffentliche Grundbucheintragung) darstellte. Das Briefgut war dadurch charakterisiert, dass es mittels privater Urkunden übereignet wurde. Es war gerade das Ziel der Klöster und Stifte, ihre Güter als Briefgut übertragen zu lassen. Durch diese Übergabeweise versuchte man, die städtischen Bestimmungen gegen die "Tote Hand" zu umgehen. Folglich bestanden bei vielen Kölner Instituten Anschreinungsverbote. Die Amortisationsbestimmungen wurden in der Domstadt mit ihrem indirekten Fiskalsystem übrigens nicht aus steuerlichen Gründen erlassen 5.

Z.T. nicht ganz schlüssig sind auch andere Ausführungen Hammers über wirtschaftliche Reformmaßnahmen: So sieht sie die Aufhebung von Sondervermögen und die Zusammenführung von Abts- und Konventsgut als eine der zentralen Sanierungsaktionen an (S. 330). Doch folgt sie hier wohl eher den zeitgenössischen Argumenten der Reformer als den Erkenntnissen einer ökonomischen Systemanalyse. Denn die Existenz von Sondervermögen oder die Trennung von Abts- und Konventsgut sagt zunächst noch nichts über die ökonomische Effektivität einer solchen Struktur. So konnten sehr viele geistliche und weltliche Institutionen mit einer durch Sondervermögen charakterisierten Wirtschaftsverfassung erfolgreich wirken 6. Beispielsweise bestand ja auch eine der Reformmaßnahmen im Kloster Laach darin, die Offizialen mit Amtsbesitz auszustatten und somit Sondervermögen zu bilden (S. 142).

Etwas widersprüchlich erscheinen die Aussagen über die Relevanz der Einbindung von Klosterökonomien in die jeweilige regionale Sozial- und Wirtschaftsstruktur. Einmal weist Hammer auf die große Bedeutung einer solchen Integration - u.a. durch Stiftungen - hin (S. 155). An anderer Stelle moniert sie jedoch die für das klösterliche Leben zu intensive Eingebundenheit (S. 184). Hier wäre eine differenziertere Problematisierung der unterschiedlichen Ansichten hilfreich gewesen. Diskussionsbedürftig ist ferner die These, dass "stiftsähnliche Verhältnisse" (S. 175) sich zwingend negativ auf die wirtschaftliche Situation auswirken mussten, denn die meisten Stifte konnten sich bis zur Säkularisation ökonomisch sehr gut halten, wie zudem Hammers eigene Beobachtung im Fall der Abtei Rijnsburg (S. 255) zeigt.

Da es sich teilweise - gerade auf wirtschaftlichem Gebiet - eher um allgemeine zeitgenössische Reformmaßnahmen handelte, wird insgesamt nicht immer deutlich, was wirklich spezifisch für die Bursfelder Kongregation war. Doch sollen diese Anmerkungen nicht den positiven Gesamteindruck der umfang- und informationsreichen Studie trüben. Das über weite Strecken quellengesättigte Werk bietet durch den methodisch innovativen Ansatz einen hervorragenden und fundierten Überblick über die Bursfelder Aktivitäten, die Lage und Entwicklung einiger Klöster im Westen Deutschlands und in den Niederlanden sowie über die Durchführung und Folgen der Reformen. Darüber hinaus werden die Charakteristika des Wirkens von Adam Meyer pointiert herausgestellt. Es ist zu hoffen, dass weitere Studien über Reformbewegungen des späteren Mittelalters diesem vorgestellten fruchtbaren Ansatz folgen werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. zur biographischen Methode: Problèmes et Méthodes de la Biographie. Actes du Colloque Sorbonne 3 - 4 mai 1985: sources - travaux historiques 3 - 4; (Publications de la Sorbonne). Paris 1985; Jacques Le Goff: Comme écrire une biographie aujourd´hui? In: Le Débat 54 (mars - avril 1989); S. 48-53.
2 Vgl. die neueren Gesamtdarstellungen zur Abtei Brauweiler von Peter Schreiner: Die Geschichte der Abtei Brauweiler bei Köln (1024 - 1802). Pulheim 2001, und zum Kloster Königsdorf: Heinz Wolter: Geschichte des Benediktinerinnen-Klosters Königsdorf 1136 - 1802. Pulheim 1995.
3 Wilhelm Kossin: Die Herrschaft Rheineck. Wirtschaftliche Grundlagen einer Adelsfamilie im 15. Jahrhundert. (= Rheinisches Archiv 134). Köln/Weimar/Wien 1995.
4 Dieter Strauch: Kölnisches Gerichtswesen bis 1794: Die Ordnung des Hochgerichts, 14. bis 15. Jahrhundert. In: Joachim Deeters und Johannes Helmrath (Hg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. II: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit (1396 - 1794). Köln 1996, S. 29-62.
5 Vgl. zur "Toten Hand": Wolfgang Rosen: Die Stadt und der geistliche Grundbesitz: Das Gesetz gegen die "Tote Hand" von 1385. In: Ders. und Lars Wirtler (Hg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. I: Antike und Mit-telalter. Von den Anfängen bis 1396/97. Köln 1999, S. 296-306.
6 Vgl. Dieter Scheler: Herrenpfründen und Bauernpachten. Die Wirtschaftsführung des Stiftes Xanten im Spätmittelalter. (= Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins, Heft 4). Duisburg 1992.

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