K. Krause: Geschichte der Universität Leipzig

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Titel
Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Universität Leipzig - von der Gründung 1409 bis zur Gegenwart


Autor(en)
Krause, Konrad
Erschienen
Anzahl Seiten
647 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Held, Leipzig

Was wäre Leipzig ohne seine Universität? Diese Frage stellt Konrad Krause in der Einleitung seiner Monografie. Gegenwärtig läuft die Suche nach lokalen Identifikationen auf Hochtouren. So kreieren innovative Zirkel für die Olympiabewerbung Eckpunkte Leipziger Universalität. Die Neuentdeckung einer Stadt des Sports zeugt davon. Aber kulturell verwurzelt und auch im Alltag gegenwärtig ist neben dem Bild der Messe- auch das einer Universitätsstadt. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts kam es zu einer Verschränkung von Universität, Messe und Buchdruck. Die Universitätsentwicklung war immer eng mit der herausragenden Entwicklung des Leipziger Verlagswesens und Buchhandels verbunden.

Im Gegensatz zum Verlagswesen hat sich nach der politischen Wende von 1989 die Leipziger Universität, ungeachtet mancher Fehlentwicklungen in der sächsischen Hochschullandschaft, behauptet. Ihre historische Tradition wirkt aber auch wie der biblische Fels in der Brandung: Gegründet im Jahre 1409, zwischen 1953 und 1990 den Namen Karl-Marx-Universität führend, zählt die Leipziger Alma Mater zu den ältesten Universitäten Deutschlands. Und die vor dem Tor stehende 600-Jahr-Feier wirft einen langen Schatten. Die Vorbereitungen auf das Jubiläumsjahr 2009 laufen seit geraumer Zeit. Ein erstes publizistisches Achtungszeichen liegt jetzt vor. Der emeritierte Leipziger Hochschullehrer Konrad Krause stellt in seinem Buch diese in politischen und sozialen Brüchen verankerte Tradition heraus. Krause betont, dass er sich nicht an den Fachhistoriker wendet. Vielmehr hat er kollektive Identitäten im lokalen Raum im Blick: Studierende, Absolventen, Mitarbeiter und Lehrkräfte, Freunde und Förderer der Universität sollen auf das Buch zurückgreifen, damit die „Universität noch stärker zu einem geistigen Bezugspunkt in der Stadt und damit zu einem Ort persönlicher Identifikation der Bürger“ wird (S. 15).

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Während im Ersten Teil, dem mit knapp 430 Seiten umfangreichsten, eine mehr chronologisch geordnete Beschreibung gewählt wurde, sind im Zweiten Teil Abhandlungen zu Personen, Institutionen und wissenschaftlichen Leistungen unter einer bestimmten thematischen Sicht zusammengestellt. Wegen ihrer sehr engen Beziehungen zur Universität sind auch einige Anmerkungen zur Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig aufgenommen worden. Im Dritten Teil sind ausgewählte Daten und Ereignisse zu einer Chronik zusammengefügt. „Die Dreiteilung kommt der Einsicht entgegen, daß man solch ein Buch nicht ausschließlich durchgängig von der ersten bis zur letzten Seite liest. Der Einstieg in den Text ist also von unterschiedlichen Stellen aus möglich.“ (S. 15f.)

Zweifellos liegt der Hauptgewinn des hervorragend mit bildlichen Darstellungen angereicherten Textes auf der Zeit nach 1989. Erstmals wird der Versuch unternommen, die Entwicklung der Universität in den 1990er-Jahren darzustellen. Von Gewicht ist dabei die enge persönliche Bindung Konrad Krauses an die Hochschule. Als Dozent für Hochschulpädagogik und Professor für Wissenschaftstheorie und empirische Methoden sozialwissenschaftlicher Forschung lehrte er bis 1996. Dass sein Blick verstärkt auf das Fach Pädagogik und die allgemeinen Studienbedingungen gerichtet ist, kann deshalb auch nicht verwundern. Für die Zeit bis 1945 greift Krause als methodische Klammer auf die Wissenschafts- und Gelehrtengeschichte zurück. An die Geschichte der Universität in der SBZ/DDR geht er mit einem politik- und ideologiegeschichtlichen Ansatz heran.

Im 18. Jahrhundert blühte die Leipziger Universität geistig auf, nicht zuletzt herausgefordert durch die Konkurrenz mit den modernen Nachbaruniversitäten Halle und Göttingen. Hatte Leipzig im 17. Jahrhundert noch als die wissenschaftlich „konservativste aller Hochschulen“ gegolten, wandelte sie sich im 18. Jahrhundert zu einer Musteruniversität der deutschen Frühaufklärung. In dieser Zeit gehörte Leipzig zu den frequentiertesten Universitäten Mitteleuropas. Auch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war die Leipziger Universität nach ihrer Gesamtfrequenz die dritt- bzw. viertgrößte Universität des Deutschen Bundes. In den ereignisreichen sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts verwandelte sich die sächsische Landesuniversität endgültig in eine Bildungsstätte von nationalem Rang. Die wachsende Wirtschaftskraft des Königreichs Sachsen führte auch zum Aufschwung der Universität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es setzte eine umfassende Bautätigkeit ein. Nach dem relativen Anteil der Wissenschaftsausgaben am Gesamtetat lag Sachsen an zweiter Stelle hinter Baden. So prägte die Leipziger Alma Mater allmählich jene bürgerlichen Züge aus, die sie im Jahrzehnt der Reichsgründung zur unbestrittenen ersten deutschen „Arbeitsuniversität“ werden ließen.

Leipzig rückte bis Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in der Studentenfrequenz auf den zweiten Platz vor und setzte sich zwischen den Wintersemestern 1872/73 und 1877/78 vor Berlin an die Spitze der deutschen Universitätslandschaft. Aber der Vorsprung Leipzigs war nur von kurzer Dauer. Schon Ende der 1870er-Jahre wurde die Universität von Berlin überholt und musste schließlich ihren zweiten Platz Anfang der Neunziger-Jahre an München abtreten. Sehr zum Vorteil Leipzigs wirkte sich die im 19. Jahrhundert wesentlich verbesserte Vermögenslage der Alma Mater aus, die sie - nicht zuletzt durch einen ausgedehnten Grundbesitz - zu einer der reichsten Hochschulen des Deutschen Reiches werden ließ. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts war Leipzig zusammen mit Berlin und München eine der Endstationsuniversitäten im deutschen Universitätssystem.1

Krause sieht in den Jahren zwischen 1830 und 1909 die Blütezeit der Leipziger Universität. Die Einschätzung, dass die Reformen nach 1830 dazu beitrugen, dass „für eine Berufung [...] allein die wissenschaftliche Tüchtigkeit ausschlaggebend“ war, weckt Zweifel (S. 114). Krause vernachlässigt den Einfluss des konfessionellen Elements auf die Berufungspolitik und die Stellenbesetzung von Universität und sächsischem Kultusministerium. In Sachsen ging vom lutherischen Protestantismus eine kulturelle gesellschaftliche Hegemonie aus. Als die 1502 gegründete Wittenberger Universität nach dem Wiener Kongress preußisch und der Universität Halle zugeschlagen wurde, blieb Leipzig die einzige sächsische Landesuniversität. Bis in die 1870er hat es in Leipzig keinen jüdischen Ordinarius gegeben und auch katholische Professoren blieben die Ausnahme. War Leipzig – nach der Lesart von Sylvia Paletschek – neben einigen preußischen Universitäten tatsächlich im langen 19. Jahrhundert auffälliger „katholikenfrei“ bzw. „katholikenfeindlicher“ als andere ausgesprochen protestantische Universitäten?2 Zumindest hat es im Kaiserreich katholische Ordinarien gegeben und im Gegensatz zur württembergischen Landesuniversität Tübingen wirkten in Leipzig zwischen Kaiserreich und Beginn der NS-Diktatur auch einige jüdische Professoren.3 Die Universitätsgeschichte ist eines der Schlüsselfelder der deutsch-jüdischen Geschichte im 19. Jahrhundert und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Fast paradigmatisch können sozialkulturelle Bedingungen der gesellschaftlichen Integration der Juden aufgezeigt und damit die Grenzen zwischen Inklusion und Exklusion sichtbar werden.

Da Krause nicht auf archivalische Quellen zurückgreift, werden bisherige Ungenauigkeiten in der Literatur konsequent mitgeführt. Um diese Feststellung auch zu belegen, sollen einige Ausführungen über die Juristenfakultät und ihre Ordinarien im 19. und 20. Jahrhundert herausgegriffen werden. Immerhin galt Leipzig neben Heidelberg und Berlin lange Zeit als ausgesprochene Juristenuniversität. Auch gingen aus den Reihen der Ordinarien der Juristenfakultät mit Ludwig von der Pfordten und Carl Friedrich von Gerber im 19. Jahrhundert zwei Kultusminister hervor. Im Oktober 1871 wurde mit der Berufung von Otto Stobbe aus Breslau zwar die freigewordene Professur für deutsches Privat-, Staats- und Kirchenrecht neu besetzt, doch trat Stobbe offiziell die Nachfolge von Gustav Friedrich Hänel an. Eine Berufung Theodor Mommsens scheiterte nicht, wie Krause annimmt, an Vorbehalten im sächsischen Kultusministerium. Tatsächlich lag in Dresden seine Zusage vor. Als dann Mommsen in Berlin die Stelle des Sekretärs der Akademie der Wissenschaften angetragen wurde, ließ er sich von seinem Wort entbinden. Der Lehrstuhlinhaber für Internationales Privatrecht Konrad Engländer war nicht durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 aus dem Lehrkörper entfernt worden. Engländer starb am 8. Januar 1933.

Dass Krause den Forschungsstand nicht immer reflektiert, wird beispielsweise in der Nichterwähnung des Privatdozenten für öffentliches Recht Hermann Heller sichtbar. Als Gründer und langjähriger Leiter der Leipziger Volkshochschule hatte Heller mit Gertrud Hermes am Pädagogischen Institut ein „Seminar für freies Volksbildungswesen“ geschaffen. Immerhin handelt es sich hier um ein herausragendes Beispiel der engen Kooperation zwischen Universität und Stadt in der Weimarer Republik.4

Darstellungen zur Leipziger Universitätsgeschichte müssen – viel stärker als es Konrad Krause bietet - dem Zugang von Frauen zum Studium und in den Hochschullehrerberuf nachgehen. Auch hier haben die Universität und die sächsische Regierung mit einer konservativen Hochschulpolitik bis 1918 manche Pionierleistung vorzuweisen. Die erste Frau, die an einer deutschen Universität das medizinische Staatsexamen ablegen konnte, war die gebürtige Engländerin Hope Bridges Adams im Jahre 1880 an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Aber eine Promotion wurde ihr von der Fakultät verwehrt. Erst 1902 – vier Jahre bevor die sächsische Regierung das Immatrikulationsverbot für weibliche Studienbewerber aufhob - wurde an der Medizinischen Fakultät erstmals eine Frau promoviert. Es war Ethel Blume, eine Ärztin aus Berlin.5

Dass Krause eine Gesamtdarstellung vorlegt, ist verdienstvoll. Bei allen kritischen Einwänden, dieser kompakte Überblick liefert eine Orientierungshilfe durch die Universitätsgeschichte. Das Buch kann als eine Bestandsaufnahme auf dem Weg der Jubiläumsschriften zur 600-Jahr-Feier dienen. Da es sich im Wesentlichen um eine Aufbereitung der universitätsgeschichtlichen Literatur im engeren Sinne handelt, bleiben die Forschungslücken der Leipziger Universitätsgeschichte ungemindert bestehen. Besonders auffällig sind die Forschungsdefizite für die Zeit der Weimarer Republik und des nationalsozialistischen Regimes. Als die Universität Leipzig 1909 ihr 500-jähriges Jubiläum beging, hat der Psychologe Wilhelm Wundt in seiner Festrede das Problem aufgezeigt, vor dem damals mit Leipzig alle deutschen Universitäten am Beginn des neuen Jahrhunderts standen: die Verbindung des alten Bildungsideals reiner Wissenschaft, das auf der Einheit von Lehre und Forschung beruhte, mit dem Neuen, das auf Vielseitigkeit und praktische Verwertbarkeit des Wissens drängte.6 Für die Gegenwart sieht Krause in den Studienbedingungen und dem anhaltenden Trend zur Massenuniversität mit einem Drang zur „Verschulung“ „die größte Bedrohung der traditionellen universitären Ausbildungskultur“ (S. 117, 557f.).

Anmerkungen:
1 Vgl. Zwahr, Hartmut, Von der zweiten Universitätsreform bis zur Reichsgründung, 1830 bis 1871, in: Rathmann, Lothar (Hg.), Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984, S. 141-190, hier S. 166, 186.; Czok, Karl, Der Höhepunkt der bürgerlichen Wissenschaftsentwicklung, 1871 bis 1917, in: Ebd., S. 191-228, hier S. 193, 195; Mühlpfordt, Günter, Die „sächsischen Universitäten“ Leipzig, Jena, Halle und Wittenberg als Vorhut der deutschen Aufklärung, in: Czok, Karl (Hg.), Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert. Nationale und internationale Wechselwirkung und Ausstrahlung, Berlin (Ost) 1987, S. 25-50, hier S. 25; Wolgast, Eike, Die Beziehungen zwischen den Universitäten Leipzig und Heidelberg, in: Ebd., S. 101-109, hier S. 103f.; Baumgarten, Marita, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler, Göttingen 1997, S. 216f.
2 Vgl. Paletschek, Sylvia, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Stuttgart 2001, S. 284.
3 Ebd., S. 315.
4 Vgl. Adam, Thomas, Die Beziehungen zwischen Volkshochschule und Universität in den 20er Jahren, in: Czok, Karl; Titel, Volker (Hgg.), Leipzig und Sachsen. Beiträge zur Stadt- und Landesgeschichte vom 15.-20. Jahrhundert. Siegfried Hoyer zum 70. Geburtstag, Beucha 2000, S. 100-109.
5 Vgl. Krauss, Marita, Die Frau der Zukunft. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann,1855-1916. Ärztin und Reformerin, München 2002; Czok, Karl, Der Höhepunkt der bürgerlichen Wissenschaftsentwicklung, 1871 bis 1917, in: Rathmann, Lothar (Hg.), Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984, S. 191-228, hier S. 211; Nikolaizig, Andrea, Werden in Leipzig auch Damen promoviert, in: Leipziger Blätter, Heft 34 (1999), S. 46f.; Hoyer, Siegfried, Der Beginn des Frauenstudiums an der Universität Leipzig, in: Moderow, Hans-Martin; Held, Steffen (Hgg.), Bildung, Studium und Erwerbstätigkeit von Frauen in Leipzig im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Beucha 2002, S. 118-129.
6 Wolgast, Eike, Die Beziehungen zwischen den Universitäten Leipzig und Heidelberg, in: Czok, Karl (Hg.), Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert. Nationale und internationale Wechselwirkung und Ausstrahlung, Berlin (Ost) 1987, S. 101-109, hier S. 109.

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