K. Lutzer: Der Badische Frauenverein

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Titel
Der Badische Frauenverein 1859-1918. Rotes Kreuz, Fürsorge und Frauenfrage


Autor(en)
Lutzer, Kerstin
Reihe
Veröfföffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe B 146
Erschienen
Stuttgart 2002: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
XLI, 503 S., 10 Abb.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilona Scheidle, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Welche Möglichkeiten an gesellschaftlicher Partizipation standen Frauen des badischen Großherzogtums im 19. Jahrhundert offen? Differenzierte Antworten finden sich in Kerstin Lutzers Arbeit zum Badischen Frauenverein. Im Kontext deutscher (Vereins)Geschichte stellt sie dessen Gründung vor, analysiert Ausbreitung, Organisation, Finanzierung und Mitgliederstruktur, untersucht die Grundpositionen, das Vereinsleben und die Arbeitsgebiete wie Frauenbildung, Armen-, Kinder- und Gesundheitsfürsorge sowie die Krankenpflege.

Eine Erfolgsgeschichte durch Organisation und Mobilisation

Zu lesen ist eine Erfolgsgeschichte: 1859 von der Großherzogin Luise von Baden wegen Kriegsdrohung initiiert, stand er in der Tradition patriotischer Frauenvereine, die situativ als Instrument kollektiver Krisenbewältigung handelten. Innovativ war die dauerhafte Einrichtung auch in Friedenszeiten, die ihn zur weiblichen Massenorganisation werden ließ: 1870 erfasste er 2,1% der erwachsenen Badnerinnen, 1909 waren es 15,3% – ein fast dreifach höheren Mobilisierungsgrad als auf Reichsebene. Der Verein war zentral nach Karlsruhe ausgerichtet. Das Zentralkomitee bestimmte zusammen mit der Großherzogin die Vereinspolitik, setzte Impulse für neue Arbeitsansätze und kontrollierte das Einhalten vereinsrechtlicher Standards. Statutenrevisionen von 1872/73, die Schaffung eines Landesausschusses, jährliche Landesversammlungen, das Vereinsblatt und ab 1910 der Engere Ausschuss verbesserten das Einbinden der Zweigvereine in die Landesorganisation. Mit dem Ergebnis, dass 1907 fast 90% aller Frauenorganisationen im Badischen Frauenverein eingegliedert waren.

Ein produktives Zusammenwirken von Haupt und Gliedern wurde durch flexiblen Umgang gegenüber regionalen und lokalen Präferenzen und Sonderentwicklungen gefördert. Zur faktischen Demokratisierung d.h. zu Enthierarchisierung und zur Reduktion der Karlsruher Dominanz kam es allerdings erst in der Weimarer Republik, belegbar mit dem absoluten Höchststand von 94.348 Mitgliedern im Jahr 1920. Ausgesprochene Staatsnähe, die sich durch sein enges Verhältnis zum Fürstenhaus äußerte, charakterisieren den Verein. Die Staatsnähe ermöglichte spezielle Begünstigungen auf steuerlicher, finanzieller oder rechtlicher Ebene, welche die effiziente Ausdehnung des Vereines in seiner gesamten Dimension erst ermöglichte. Seit Vereinsgründung fungierte ein hoher Beamter aus der inneren Verwaltung als Generalsekretär, der eine enge Kooperation der Vereinszentrale mit dem Innenministerium gewährleistete. Ab 1908 wurde der Posten mit einem hauptamtlichen Staatsbeamten besetzt. Dies verdeutlicht die staatliche Anerkennung der Vereinsarbeit und signalisiert ebenso, dass der Badische Frauenverein quasi die private Wohlfahrtsagentur des badischen Staates repräsentierte.

Der Verein war in einem Viertel der badischen Gemeinden präsent, mit Schwerpunkten im Nordwesten und von der Rheinebene bis Südbaden. Seine Verbreitung korrespondierte mit geografischen, wirtschaftlichen, historischen und konfessionellen Faktoren und war nicht so “flächendeckend” wie bislang dargestellt. Der Stadt-Land-Befund für den Zeitraum 1871 bis 1910 fiel zu Gunsten des “platten Landes” aus, da sowohl die Anzahl der Mitglieder als auch die Zahl der Zweigvereine in Gemeinden unter 2000 Einwohnenden höher als in Städten war. Demnach vermochte es der Verein, seine urban entwickelten Strukturen und seine kulturellen Gepflogenheiten auf die ländliche Gegend zu übertragen, wobei die Kerngruppe in ihrer sozialstrukturellen Zusammensetzung stets den bürgerlichen Schichten im weitesten Sinne entstammte.

Politische Partizipation durch kostenreduzierendes Engagement

Die inhaltliche Arbeit der landesmütterlichen Initiative zielte auf eine Optimierung der freiwilligen Hilfeleistungen und auf die Mobilisierung von Frauen im Krieg, sowie auf eine maximale Nutzung der personellen und materiellen Ressourcen in Friedenszeiten. Die gesamte Vereinsgeschichte von 1859 bis 1937 verdeutlicht den Wandlungsprozess von punktueller und unsystematischer Privatwohltätigkeit hin zu staatlich anerkannter Fürsorge und deren Weiterentwicklung zur staatlichen Wohlfahrtspflege. Eine aktive Rolle hatte er bei der Entwicklung von gesetzlich geregelter Armenfürsorge zur Daseinsvorsorge durch sein breitgefächertes Angebot für Kranke, Arme, Frauen und Kinder. Langfristig wurden bürgerliche Frauen sukzessive in die staatlichen Aufgaben miteinbezogen, indem sie zunächst als Aufsichtsdamen in der Armenkinderfürsorge als freiwillige Hilfskräfte den männlichen Armenpflegern zugeordnet waren und ab 1910 als gleichberechtigte Armenpflegerinnen und in städtischen Sozialkommissionen mit Sitz und Stimme politische Herausforderungen auf lokaler Ebenen gestalten konnten. Die Vereinsdamen leisteten einen wesentlichen Beitrag an der Weiterentwicklung zur Wohlfahrtspflege, die sich nicht mehr an der Sicherung des Existenzminimums, sondern an dessen Kostenminimierung orientierte. Staatlicherseits lag das Interesse an einer optimalen Rekrutierung der weiblichen Kräfte sowohl im Rahmen des militärischen Sanitätsdienstes beim Roten Kreuz, als auch im Rahmen der vielfältigen Tätigkeiten für die Friedensdienste, welche die öffentlichen Träger immens entlasteten und der Vereinsarbeit eine ausgesprochen politische Dimension gaben.

“Frauenvereinsbewegung ohne emanzipative Programmatik”

Die Vereinsarbeit zeichnete sich durch ihre integrierende Funktion aus und förderte die Entwicklung eines spezifisch badischen Patriotismus, der die Liebe zu Heimat, Vaterland und Fürstenhaus zu einer untrennbaren Einheit verband, ohne dabei in Konflikt mit der großen Einigung, dem Deutschen Reich, zu geraten, sondern das einigende “Band” sowohl um Baden, als auch um das Reich schloss. Diesem Einigungsbund vorangehend protegierte die Großherzogin in landesmütterlicher Manier den Verein. Ihr engagiertes Eintreten für Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sittlichen Hebung der Arbeiterklasse förderte die Stabilität der sozialen und politischen Ordnung und zielte damit auf die Abwehr der Sozialdemokratie. Ihr Engagement als Landesmutter vermittelte dem badischen Fürstenhaus die Aura des sozial-caritativen und entzog es – teilweise - den aktuellen Konflikten. Der Badische Frauenverein war in Baden konkurrenzlos. Zur gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung gab es punktuell Kontakt, zu anderen autonomen Frauenvereinen hielt er sich grundsätzlich auf Distanz. Pragmatische Ansätze, moderate Positionen und der Verzicht auf Rechtsforderungen war keine Taktik, sondern substantieller Ausdruck durch das landesmütterliche Protektorat, durch die allgemeine Staatsnähe und durch die Zugehörigkeit zu den Landesfrauenvereinen vom Roten Kreuz. Ziel war die Harmonisierung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse, nicht deren Veränderung oder Transformation bezüglich der Klassen- oder Geschlechterbeziehungen.

Dennoch leistete der Verein einen emanzipatorischen Beitrag, indem er wesentlich die Professionalisierung “weiblicher” Aufgaben in den Bereichen Erziehung, Haushalt und Pflegedienst förderte. Hierfür fuhr er eine Doppelstrategie: Einerseits erschloss er in bislang unqualifizierten “weiblichen” Tätigkeitsfeldern Erwerbsmöglichkeiten für Frauen, die gleichzeitig auch im Aufgabenbereich jeder Hausfrau lagen und somit doppelt nutzbar waren - im Lebensvollzug für die Orientierung als Hausfrau und als Erwerbsarbeit. Gerade der Rückbezug auf das binär und geschlechtshierarchisch konstruierte Modell von erwerbstätigem Mann und reproduktiver Hausfrau fand breite Akzeptanz in allen Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus förderte der Verein eine politische Partizipation von Frauen durch das Bereitstellen von Erprobungsfeldern, die Frauen nutzen konnten, indem sie einen rechtlich gleichgestellten Umgang in der städtischen Selbstverwaltung üben konnten noch bevor die politische Gleichstellung durch das Wahlrecht eröffnet war.

“Durch die relative Offenheit seiner Positionen war der Badische Frauenverein demnach das geeignete Sammelbecken für Frauen, die nach einer praktischen Aufgabe suchten, aber vor einem Bekenntnis zu Forderungen der Frauenbewegung zurückschreckten oder keine einseitige konfessionelle Bindung suchten. Zugleich bot er den bloß an passiver Mitgliedschaft interessierten Frauen einen mit hohem Sozialprestige verbundenen Rahmen, der es ihnen ermöglichte, gesellschaftliche Rollenerwartungen zu erfüllen.” Lutzers Studie ist brillant recherchiert und profund in der Analyse. Ein Personen-, Orts- und Vereinsregister sowie ihr wissenschaftlicher Apparat laden geradezu ein zum Nachschlagen und Weiterarbeiten. Dieser Arbeit, die zweite Veröffentlichung aus dem Feld der historischen Frauenforschung in der Reihe der Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, steht es an ein Klassiker der Landesgeschichte zu werden.

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