A. Abramson: Die Geschichte des Fernsehens

Cover
Titel
Die Geschichte des Fernsehens.


Autor(en)
Abramson, Albert
Herausgeber
Walitsch, Herwig
Erschienen
Paderborn 2002: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
437 S., 78 s/w Abb.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Grisko, Berlin

Noch vor kurzem schien es, als ob das Internet das Fernsehen als visuelles Leitmedium ablösen würde. Der publizistische Wirbel um die neuen Medien und die Phantasmen um die wundersame ökonomische Potenz der technischen und ästhetischen Konvergenz überdeckte für kurze Zeit die tatsächliche Entwicklung und die realen Präferenzen der Nutzer. Mit dieser ebenso schnellen wie heilsamen Korrektur technischer, gesellschaftlicher, ästhetischer und ökonomischer Erwartungen ging auch die kleinlaute Berichtigung der prophetischen Kraft der Multimedia-Welt vorbei. Vielleicht ist dieses das richtige mediale Umfeld und der richtige Zeitpunkt für das ebenso schlicht wie viel versprechend betitelte Buch von Albert Abramson „Die Geschichte des Fernsehens“, das 2002 in der Übersetzung von Herwig Walitsch, der ebenfalls ein umfangreiches Nachwort beisteuerte, im Münchner Fink-Verlag erschien.

Diese bereits vor knapp 15 Jahren im amerikanischen Original erschienene Darstellung des amerikanischen Fernsehpioniers ist bereits mit dem Erscheinen nicht nur im deutschsprachigen Raum zu einem Standardwerk avanciert. Denn anders als die bislang erschienenen Programm-, Institutionen- und Produktionsgeschichten 1, oder auch die unterschiedlichen Ansätze einer weitergefassten – mitunter nationalen – Technik- oder Theoriegeschichte 2, konzentrierte sich Abramson gänzlich auf die belegbaren technischen und papiernen Visionen einer Vor-, Früh- und Entwicklungsgeschichte des Fernsehens. Er sprach mit lebenden Zeitzeugen, stützte sich bei der Darstellung jedoch gänzlich schwer zugängliche Patentabschriften und wissenschaftliche Zeitschriften bzw. monografische Abhandlungen. Insofern ist der offene Titel des Buches ein wenig irreführend.

Sein geografischer Untersuchungsschwerpunkt liegt – sieht man einmal von der Berücksichtigung des russischen Beitrags zur Entwicklung der technischen Serienreife ab – in Westeuropa und Amerika. Abramson verfolgt die Entwicklungen bis ins Jahr 1941. Die Darstellung des knapp 60 Jahre umfassenden Zeitraums bis in die Gegenwart ist einer zweiten Publikation vorbehalten. Bis dahin kann man mit dem Nachwort des Herausgebers arbeiten, der die Zeit bis zum Erscheinungsdatum aufgearbeitet hat. Während die ersten knapp 60 Jahre – Abramsons Darstellung setzt, nach einer kurzen Vorgeschichte, im Jahr 1881 ein – mit Anmerkungen knapp 350 Seiten umfasst, kommt Walitsch mit 50 Seiten aus. Ergänzt wird der Textteil durch eine knappe Auswahlbibliografie, allein der umfangreiche Quellenteil von Abramson würde wahrscheinlich weitere 100 Seiten ausmachen, ein technisches Glossar, das wichtige Fachbegriffe kurz erläutert, und ein detailliertes Register, das den Band auch als zielgerichtetes Nachschlagewerk gebrauchen lässt. Diese Tatsache ist wichtig, denn die technische Spezifität einzelner Abschnitte macht eine durchgängige Lektüre zwar möglich, bedarf aber zur detaillierten Rekonstruktion eine punktgenaue und vergleichende Relektüre. Dies auch deshalb, weil sich eine einheitliche Nomenklatur erst mit dem Regelbetrieb herausbildet und die Innovationen auch sprachlich deutlich unterscheidbar gemacht werden mussten. Im Vorgriff auf diese Standardisierung, die selbstverständlich auch die verwendeten, entwickelten und miteinander kombinierten Basistechniken betrifft, gilt es nicht nur Anschluss an eine stetig wechselnde Technik, sondern auch deren unterschiedlichen Bezeichnungen zu halten. Gleiches gilt im Übrigen für die Forscher und Erfinder, deren Präsenz und Wichtigkeit – sowohl hinsichtlich ihres erstmaligen Auftauchens, als auch mit Blick auf ihre dauerhafte Innovationsfähigkeit – somit rekonstruierbar wird.

Deutlich sollte bereits hier sein, dass Abramsons Text sehr deskriptiv gehalten ist – eine dem Gegenstand angemessene Annäherung, die Walitsch auch in der Übersetzung beibehalten hat. Der Autor verzichtet in seinen 11 Kapiteln auf spekulative Erscheinungen und gewagte oder legitime kulturelle Einbindungen. Er skizziert einen Prozess, wobei er sich an Erstpublikationsdaten, Patenteinreichungen und belegbare Vorführungen bzw. deren Berichte hält. Erst ab den einschneidenden Daten des ersten Weltkriegs und der zunehmend rasanteren Durchsetzung einer verwendbaren Publikumsreife werden die Bezüge zur Gesellschaftsgeschichte deutlicher, da das Medium erstmals die technische Reife hat, um publizistisch und damit auch politisch Instrumentalisierbar wird.

Die Kapitel folgen einer strengen historischen Chronologie: Archäologie und Vorgeschichte des Fernsehens: 1671-1879 (1-10) 3; Frühe Entwürfe und Erfindungen: 1880-1899 (S. 11-25); Die ersten Geräte: 1900-1911 (S. 26-41); „Elektrisches Sehen auf Entfernung“: 1911-1920 (S. 42-55); Die frühen Kameraröhren: 1921-1924 (S. 56-79); Die mechanische Ära beginnt: 1925-1927 (S. 80-118); Die Einführung des Kineskops: 1928-1929 (S. 119-161); Zurück ins Labor: 1930-1932 (S. 162-212); Das Ikonoskop: 1933-1935 (S. 213-249); Der Londoner Fernsehdienst 1936-1939 (S. 250-283): Das erste NTSC 1940-1941 (S. 284-300). Deutlich wird schon bei einem kursorischen Blick in das Inhaltsverzeichnis, dass die Zeiträume der einschlägigen Innovationen immer kleiner und deren Ereignisdichte immer größer wird.

Den Fokus legt Abramson jedoch auf die detaillierte Genese der technischen Voraussetzungen. Zwar konzidiert Abramson eine Parallelität zwischen Film und Fernsehen, grenzt diese jedoch deutlich gegeneinander ab, indem er Film als „optisch-mechanisch-chemisches Medium“ (1) gegen das Fernsehen als auf „optisch-elektrischen Prinzipien“ (ebd.) beruhend unterscheidet. Basisprinzip des Fernsehens ist die Aufnahme, Übertragung und die verzögerte bzw. in Echtzeit stattfindende massenhafte Wiedergabe eines Bild- und parallelisierten Tonsignals. Damit mussten entsprechende Kameras, Übertragungswege und Bildschirme entwickelt werden. Abramson schreibt die Geschichte innovatorischer Gleichzeitigkeiten, die anfangs noch in gemeinschaftlicher Arbeit später vor allem in abgrenzender – zunehmend auch ökonomisch bestimmter - Konkurrenz ablaufen. Die 1873 erfolgte Entdeckung der lichtelektrischen Eigenschaften von Selen; das knapp 10 Jahre später von Paul Nipkow beantragte Patent für eine das Bild in Punkte und Zeilen auflösende Lochscheibe; die von Ferdinand Braun 1897 erfundene Elektronenröhre, die 11 Jahre später von Alan Archibald Campbell Swinton in Kamera und Bildschirm kombiniert wird, sind lediglich Vorstufen für eine sich vor allem in den 20er-Jahren rasant beschleunigende Entwicklung: Zworykin beantragt 1923 das Patent für die Ikonoskop-Kamera; zwei Jahre später gelingt dem Schotten J.L. Baird erstmals die Übertragung von Bildern mit einer Nipkowschen Lochscheibe; 1928 entwickelt Fainsworth eine Kamera mit einem durchgängigen Bildwandlerelement, bevor wiederum Zworykin die erste funktionstüchtige Bildwiedergaberöhre vorstellt und 1932 sein Ikonoskop serienreif macht.

Ab Mitte der 30er-Jahre schließlich ist die Geschichte der Fernsehtechnik lediglich eine Geschichte der Perfektionierung, immer detailliertere, d.h. zeilen- und punktgenauere Übertragungen, raffiniertere und ausdifferenziertere Aufzeichnungstechniken werden entwickelt und umgesetzt. Abramson füllt die Lücken zwischen diesen paradigmatischen Entwicklungen geradezu minutiös und zeigt einmal mehr, dass die Genese technischer Innovationen, auch die Geschichte von Irrtümern, Einbahnstraßen, kleinen Schritten, aber auch der Begeisterungsfähigkeit Einzelner ist. Schließlich ist es aber auch die Geschichte der modernen Ökonomie, der Ausbildung nationaler Konkurrenzen und Abgrenzungen (etwa über technische Standards). Dies wird auch in dem Nachwort von Herwig Walitsch deutlich, das – anders als die deskriptive Herangehensweise von Abramson – deutlicher auf internationale Zusammenhänge, Verbindungen und Kausalitäten abhebt.

Neben all diesen kulturgeschichtlich interessanten Nebenschauplätze, die mehr implizit als explizit gestreift werden, bleibt es ein nicht nur für interessierte Medien- und Fernsehwissenschaftler spannend zu lesendes Buch über die technische Evolution des Mediums Fernsehens. Gleichzeitig ist die Erfindungs- und Entwicklungsgeschichte des Fernsehens auch ein Spiegelbild technischer Innovationen in der frühen Moderne. Zunächst von passionierten Einzelpersonen betrieben, die vor allem durch die zunehmende auch publizistische Vernetzung wissenschaftlicher Communities in Austauscht treten, werden die technik- und personalintensive Forschung, Entwicklung und schließlich auch Vermarktung dann von großen Konzernen übernommen, die sowohl gegenüber der Politik (und dem Markt) in der Lage sind, gegebenenfalls strittige Standards durchsetzen, als auch über Werbung und das entsprechend finanziell unterfütterte Marketing die nötige (maximale) Zahl an zahlenden Endverbrauchern durchzusetzen. Inwieweit diese Dynamik, die immer auch eine mehr oder weniger aktive Regelungs- und Unterstützungsfunktion des Staates beinhalten, auch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gelten, müsste man an der jeweiligen Evolution einzelner Medien (Computer, Internet) vergleichend betrachten. Dieser Übergang markiert zugleich auch eine wissenschaftstheoretische Schwelle: Ist das Medium in der Entwicklungsphase vor allem ein Gegenstand der Technikhistorie, ist der Übertritt zur Serien- und Marktreife auch der Eintritt in die Sphäre einer allgemeinen Kulturgeschichte, da sie von nun an – vor allem in einer auf Öffentlichkeit ausgerichteten demokratischen Gesellschaft – die jeweilige politischen und institutionellen Diskurse entscheidend mitbestimmen. Für das Fernsehen bleibt Abramsons Studie eine in dieser Form und für den Zeitraum bis 1941 sicherlich singuläre und deshalb unverzichtbare Publikation zur Medien- und Technikgeschichte des 19. und. 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen:
1 So etwa für den deutschsprachigen Raum Hicktehier, Knut (unter Mitarbeit von Peter Hoff), Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1997.
2 Steinmaurer, Thomas, Tele-Visionen. Zur Theorie und Geschichte des Fernsehempfangs. Wien 1999; Zielinski, Siegfried, Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiel der Geschichte. Reinbek 1989; Ders., Zur Technik des BRD-Fernsehens, in: Hickethier, Knut (Hg.), Institutionen, Technik, Programm. Rahmensaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens, München 1993, S. 135-170.
3 Das Datum erklärt sich mit der Einführung der Laterna Magica durch den Jesuitenpater Athanasius Kirchner.

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