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Titel
Natur im Mittelalter. Konzeptionen, Erfahrungen, Wirkungen. Akten des 9. Symposiums des Mediävistenverbandes, Marburg, 14.-17. März 2001


Herausgeber
Dilg, Peter
Erschienen
Berlin 2003: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
X, 498 S., 60 Abb.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jörg, Historisches Seminar, Universität Trier

Mit dem Generalthema „Natur im Mittelalter“ widmete sich das 9. Symposium des Mediävistenverbandes im März des Jahres 2001 einem an inhaltlicher Breite und Vielfalt kaum zu überbietenden Forschungsfeld, dem glücklicherweise seit einigen Jahren von verschiedenen Fächern verstärkt Beachtung zukommt. Dass die Wahrnehmung der Natur durch den Menschen und das Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu lange vergangenen Zeiten heute das Interesse der Forschung ebenso wie das einer breiteren Öffentlichkeit finden, ist freilich nicht zuletzt mit den diesbezüglichen Problemen der Gegenwart in Verbindung zu sehen. Allerdings greift eine wissenschaftliche Betrachtung der Natur während der mittelalterlichen Jahrhunderte, wie sie der nun von Peter Dilg herausgegebene Tagungsband mit insgesamt 30 Beiträgen vorlegt, weit über den die populäre Diskussion bestimmenden Aspekt „Umweltzerstörung“, dem wiederum ein „moderner“, eng begrenzter Naturbegriff zugrunde liegt, hinaus.

Die geradezu unerschöpfliche Vielzahl möglicher Fragestellungen und Themenschwerpunkte ist in diesem Zusammenhang bereits während der letzten Dekade im Rahmen früherer wissenschaftlicher Kongresse und Veröffentlichungen belegt worden. Insbesondere der fast eintausend Seiten umfassende, von Albert Zimmermann und Andreas Speer schon 1991 herausgegebene Tagungsdoppelband „Mensch und Natur im Mittelalter“, der auf die unter diesem Rahmenthema 1990 abgehaltene 27. Kölner Mediävistentagung zurückgeht, ist hierbei zu nennen.1 Neue Akzente bemühte sich die Marburger Tagung vor allem durch die konsequente Einbindung einer Vielzahl von Fächern und der innerhalb dieser weit aufgefächerten Disziplinen zu setzen. So vereinigt auch der Tagungsband Beiträge aus der Philosophie, der Geschichts- und Literaturwissenschaft, der Kunst-, Medizin- und Naturwissenschaftsgeschichte sowie aus der Byzantinistik. Dass die dabei zur inhaltlichen Orientierung vorgegebene Unterteilung in die drei das weit gefasste Generalthema näher charakterisierenden Sektionen „Konzeptionen“, „Erfahrungen“ und „Wirkungen“ für den vorliegenden Band aufgrund zahlreicher Überschneidungen und Unschärfen zwischen den Einzelbereichen nicht durchgehalten werden konnte, belegt einmal mehr die Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes.

Auf eine inhaltliche Gliederung der Tagungsresultate wurde aus diesem Grunde sogar gänzlich verzichtet. Lediglich das organisatorische Tagungsfundament selbst wurde zur Erstellung einer behelfsmäßigen Gliederung genutzt, die den Band anhand der Charakterisierung der Vorträge durch die Organisatoren in drei unterschiedlich große Gruppen von Beiträgen unterteilt. So ist der Eröffnungsvortrag Gundolf Keils zu „Aspekte(n) des antiken Naturbegriffs“ (S. 3-29), mit dem der Relevanz der antiken Grundlagen – von der ionischen Naturphilosophie an der Wende zum 6. Jahrhundert vor Christus bis zur Naturdeutung Galens – für das mittelalterliche Naturverständnis Rechung getragen wurde, auch als erster Aufsatz und gleichzeitig erster Hauptteil an den Anfang gestellt.

Diesem folgen als zweiter Teil die sieben so genannten Hauptreferate (S. 33-150), die aus der Perspektive der oben bereits erwähnten Fächer jeweils eine Einführung in das Tagungsthema geben. Auf begrenztem Raum (durchschnittlich ca. 16 Seiten) für ein Fach knapp den jeweiligen Forschungsstand zum Thema „Natur im Mittelalter“ zu reflektieren und eine einleitende wie auch instruktive Zusammenschau zu liefern, stellt eine ebenso verdienstvolle wie undankbare Aufgabe dar. Insgesamt dürfen die nach dieser Vorgabe entstandenen Beiträge sicherlich als gelungen bezeichnet werden. Zum einen bieten die Ausführungen das Fundament zum Verständnis und zur Einordnung der folgenden Sektion, deren Beiträge sich innerhalb des Gesamtrahmens speziellen Fragestellungen aus den einzelnen Disziplinen widmen. Zum anderen ermöglichen sie auch Fachfremden einen Einblick in die jeweilige fachspezifische Problematik und eine überschaubare erste Orientierung für das jeweilige Forschungsgebiet. Besonders eindrucksvoll dokumentieren die insgesamt 34 dem kunsthistorischen Aufsatz Mechthild Modersohns „Natura als Göttin – eine Personifikation zwischen Mythos und Aufklärung“ (S. 84-110) beigefügten Abbildungen (S. 95-110) die Vielfalt mittelalterlicher Natura-Vorstellungen.

Der dritte und größte Teil des Bandes umfasst jene Beiträge, deren Autoren sich, wie zuvor angedeutet, Einzelfragen widmen (S. 153-487). Diese wurden nach dem Vorwort des Herausgebers lediglich „grob chronologisch“ (S. IX) aufgereiht. Möglicherweise wäre gerade hier eine schärfere Unterteilung nach den Fachgebieten oder verwandten Einzelthemen sinnvoll gewesen (vgl. etwa die Gliederung des erwähnten Bandes der 27. Kölner Mediävistentagung). Die insgesamt 22 Aufsätze, die etwa zu gleichen Teilen früh-, hoch- und spätmittelalterliche Schwerpunktsetzungen aber auch epochenübergreifende Fragestellungen in sich vereinen, gewähren – wie durch das Tagungsthema vorgegeben – Einblicke in Konzeptions-, Erfahrungs- und Wirkungshorizonte von Natur im Mittelalter. Das Themenspektrum der instruktiven Beiträge reicht dabei, um nur einige Beispiele zu nennen, von der „Wahrnehmung und Funktionalisierung der Natur im Krieg aus der Perspektive des 9. Jahrhunderts“ (Adelheid Krah, S. 189-203) über „Natur und Naturkunde in der spätmittelalterlichen Fabelsammlung Speculum sapientia“[...]“ (Romy Günthart, S. 373-385) bis hin zu „Krankheit und Heilung im Spiegel der mittelalterlichen Wunderkonzeption“ (Constanze Rendtel, S. 408-418). Auch der zuletzt stärker in den Fokus der Forschung gerückten Untersuchung von Naturkatastrophen sowie der zeitgenössischen Erklärungsmuster und Schutzmaßnahmen 2 wird Rechnung getragen (vgl. besonders Michele C. Ferrari, Naturbeherrschung, S. 163-177; Elke Freifrau von Boeselager, Sturmfluten, S. 227-242).

Sicherlich werden sich auch zukünftige Untersuchungen und Kongresse unter verschiedenen Fragestellungen der Natur im Mittelalter widmen. Eine umfassende Aufarbeitung der Materie ist durch deren inhaltliche Breite und Vielschichtigkeit schlicht unmöglich. Jedoch wird der vorliegende Tagungsband mit den in ihm vereinigten 30 Beiträgen dem durch den Herausgeber formulierten Anspruch insgesamt vollkommen gerecht, „[...] einmal mehr die Wahrnehmungs-, Deutungs- und Erklärungsvielfalt zu dokumentieren, die das unerschöpfliche ‚Buch der Natur’ in der mittelalterlichen Welt hervorgebracht hat“ (S. IX).

Anmerkungen:
1 Zimmermann, Albert; Speer, Andreas (Hgg.), Mensch und Natur im Mittelalter. 2 Halbbände, Berlin 1991. Vgl. zuletzt auch Robertshaw, Alan u.a. (Hgg.), Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters: Colloquium Exeter 1997, Tübingen 1999; Spindler, Konrad (Hg.), Mensch und Natur im mittelalterlichen Europa: Archäologische, historische und naturwissenschaftliche Befunde. Akten der Akademie Friesach „Stadt und Kultur im Mittelalter“, 01.-05. September 1997, Klagenfurt 1998.
2 Jankrift, Kay Peter, Brände, Stürme, Hungersnöte. Katastrophen in der mittelalterlichen Lebenswelt, Ostfildern 2003 (vgl. dazu die Rezension in H-Soz-u-Kult, URL: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-167>); Groh, Dieter (Hg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen 2003; Jakubowski-Tiessen, Manfred (Hg.), Um Himmels Willen: Religion in Katastrophenzeiten vom 14.-19. Jahrhundert, Göttingen 2003; Berlioz, Jacques, Catastrophes naturelles et calamités au Moyen Age, Turnhout 1998; Bennassar, Bartolomé, Les catastrophes naturelles dans l’Europe médiévale et moderne. Actes des XVes Journées Internationales d’Histoire de l’Abbaye de Flaran 10., 11. et 12. septembre 1993, Toulouse 1996.

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