B. Chiari u.a. (Hgg.): Krieg und Militär im Film

Cover
Titel
Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts.


Herausgeber
Chiari, Bernhard; Rogg, Matthias; Schmidt, Wolfgang
Reihe
Beiträge zur Militärgeschichte 59
Erschienen
München 2003: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
654 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hilde Hoffmann, Institut für Film-und Fernsehwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

Die Erinnerung, Wahrnehmung und Deutung von Krieg im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert wurde und wird durch die audiovisuellen Medien intensiv geprägt und strukturiert. Mit den audiovisuellen Medien etablierte sich seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts eine neue Art der historischen Überlieferung und der Erinnerung. Diese Medien lassen sich einerseits als Archive benutzen, können andererseits aber auch als öffentliche Träger von Diskursen über Gegenwart, Geschichte und Zukunft fungieren. Durch ihre Doppelfunktion als Speicher- und Verbreitungsmedium haben sie einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Rekonstruktion, Vermittlung und Konstruktion von Geschichte.1 Diese Relevanz audiovisueller Texte für die Erinnerung und die Herausbildung eines kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft ist in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung seit einigen Jahren Konsens. Die Geschichtswissenschaft reagierte jedoch nur zögerlich; die Kritik an der mangelnden Auseinandersetzung mit Film, Fernsehen und ‚Neuen Medien’ ist fast zum Allgemeinplatz geworden. Seit den 1990er-Jahren führt die so genannte ‚kulturwissenschaftliche Wende’ in der Geschichtswissenschaft aber auch zu wachsender Aufmerksamkeit gegenüber (audio-)visuellen Quellen.

Der vorliegende Sammelband widmet sich dem Verhältnis von Krieg, Geschichte und Film unter kulturwissenschaftlicher Perspektive. Er steht im Kontext einer Militärgeschichte, die sich auch als Sozial- und Kulturgeschichte des Krieges versteht, sich endgültig von der traditionellen Kriegsgeschichte verabschiedet und klassische Felder wie die Operationsgeschichte um neue Fragestellungen ergänzt und wesentlich erweitert hat. Als Teil einer Schriftenreihe des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes versammelt die Publikation die Ergebnisse der Tagung „Krieg und Militär im Film“ (November 2001, Potsdam). In fünf thematischen Abschnitten wird der interdisziplinären Stellung des Films und methodischen Fragen, der Produktion und Rezeption im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik, der Affinität von Militär und Film im Nationalsozialismus sowie dem Militär- und Kriegsfilm im Kalten Krieg nachgegangen.

Den thematischen Abschnitten vorangestellt ist ein Überblicksbeitrag von Gerhard Paul zu „Krieg und Film im 20. Jahrhundert“. Er kommt zu der Einschätzung, dass „keine anderen Ereignisse [...] den Film – seine narrative Struktur und seine Ästhetik, seine Geschichte und seine Produktionsbedingungen – so sehr geprägt [haben] wie die großen Kriege des 20. Jahrhunderts; und kein Medium den Krieg in der Wahrnehmung und Erinnerung des 20. Jahrhunderts so sehr geformt [hat] wie der Film“ (S. 3). Neben einer aufschlussreichen historischen Skizze des Kriegsfilms von seinen Anfängen bis zu aktuellen Hollywood-Produktionen bemüht sich Paul um für Historiker sinnvolle Analysekriterien und Perspektiven auf Filme.

Den folgenden Kapiteln sind jeweils knappe Einführungen vorangestellt. Der erste Teil („Kriegsfilm und interdisziplinäres Umfeld“) soll einen theoretischen und methodischen Horizont öffnen. So macht zum Beispiel Günther Riederer systematische Vorschläge zur historischen Methodik der Filmanalyse, zu unterschiedlichen Aspekten der Filmproduktion (technik- und wirtschaftsgeschichtlichen sowie ökonomischen) bis hin zur Diskursivierung einzelner Filme. Kritisch hinterfragt Riederer bisherige Formen der Filmgeschichtsschreibung und schlägt Historikern als Betätigungsfelder unter anderem „die Anwendung der Methode des Kulturtransfers sowie die Analyse des gesellschaftspolitischen Kontextes“ vor (S. 95).

Im Weiteren haben sich die Herausgeber für eine thematische und keine methodische Gliederung des Bandes entschieden (unter den Überschriften „USA – Sowjetunion. Gewalt, Krieg und Nation im Film“, „Erster Weltkrieg und Weimarer Republik“, „Die Luftwaffe im NS-Propagandafilm“ und „Krieg und Militär im deutschen Nachkriegsfilm“). Der Schwerpunkt liegt auf deutschen Produktionen, doch gibt es im zweiten Abschnitt auch eine vergleichende Perspektive mit amerikanischen und sowjetischen Beispielen. Besonders wenn die Texte Filme als Medien der Identitätskonstruktion oder als Technologien des Nationalen in den Blick nehmen, zeigt sich, was eine kulturwissenschaftlich orientierte Analyse historischen Materials bieten kann. Erfreulich ist die Abwendung vom Fokus auf Einzelwerke der Filmgeschichte hin zu Materialfeldern wie etwa den ‚Selbstbildern’ von NVA und Bundeswehr. Die Visualisierungen des Krieges in den beiden deutschen Staaten im Vergleich sind ein bisher selten thematisiertes Forschungsfeld.

Die Herausgeber verstehen den Sammelband als ein „Lese- und Schaubuch, das Anregungen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Wechselverhältnis von Gesellschaft, Film und Militär liefern soll“ (S. 1f.). Das ambitionierte Projekt markiert einen weiteren wichtigen Schritt zur Arbeit mit audiovisuellen Quellen und dem Bemühen um eine breitere Perspektive und Methodenvielfalt in der Geschichtswissenschaft. Als Gewinn bringend zeigt sich der historische Zugriff unter anderem bei Kontextanalysen und dem Ausloten des diskursiven oder sozio-kulturellen Umfelds von Filmen, die den Sammelband für Vertreter unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachdisziplinen empfehlenswert machen.

Teilweise verwundert jedoch die Vernachlässigung einer filmspezifischen Perspektive. Die film- oder medienwissenschaftlichen Bezugsquellen sind teils rar, teils gehen sie hinter geführte Auseinandersetzungen in der Film-/Medienwissenschaft zurück. Die für die Visualisierung und Diskursivierung von Krieg und Militär bedeutenden Fragen nach Geschlechterkonstruktionen wurden bedauerlicherweise nur punktuell gestreift. Zudem wäre es wünschenswert, dass die Geschichtswissenschaft das Medium Fernsehen ebenfalls in ihre Forschungen einbezieht. Denn nicht nur im Kino, sondern vor allem im Fernsehen ist der Krieg als mediales Ereignis täglich präsent – mit neuen Formen der Berichterstattung und neuen Bildtypen, die schon ein Teil der Kampfhandlungen sind. Aufgrund dieser medial vermittelten Unmittelbarkeit kommt den Fernsehbildern eine fundamentale Bedeutung zu.

Riederer schließt seinen Beitrag folgendermaßen: „Historiker sollten eine möglichst große Portion Offenheit in Bezug auf die methodische Vorgehensweise anderer Wissenschaftsdisziplinen in die Analyse von Filmen mitbringen. [...] Eine Geschichtswissenschaft, die ihre reine Textorientierung zugunsten einer integralen Analyse von Bild und Text aufgäbe, würde sich tatsächlich auf einem guten Weg zur viel zitierten ‚Kulturwissenschaft’ befinden.“ (S. 99) Es bleibt zu hoffen, dass sich eine kulturwissenschaftliche Geschichtsforschung sukzessive den Visualisierungen des Krieges und deren Bedeutung für das kulturelle Gedächtnis zuwendet, das diskursive Feld des Krieges rekonstruiert und auf ihre medialen, ästhetischen und politischen Spezifika hin befragt. Die Analyse der kulturellen Kodierungen erstreckt sich, und darin liegt die Brisanz der kulturwissenschaftlichen Perspektivierung, nicht nur auf den Gegenstand, sondern auch auf die wissenschaftlichen Methoden und Analysekategorien. Eine verstärkte transdisziplinäre Arbeit und Vernetzung verschiedener Disziplinen wäre somit konsequent.

Anmerkung:
1 Koch, Gertrud, Film, Fernsehen und neue Medien, in: Knigge, Volkhard; Frei, Norbert (Hgg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 413-422, hier S. 413.

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