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Titel
Die Etrusker. Geschichte und Kultur. Aus dem Italienischen von Helmut Schareika


Autor(en)
Camporeale, Giovannangelo
Erschienen
Düsseldorf 2003: Artemis & Winkler
Anzahl Seiten
617 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Amann, Institut für Alte Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik, Universität Wien

Bei dem hier besprochenen Buch handelt es sich um die deutschsprachige Fassung der 2000 unter dem Titel "Gli Etruschi. Storia e civiltà" erschienenen italienischen Originalausgabe.1 Neben dem allgemeinen historischen Interesse ist das Erscheinen dieser Übersetzung besonders vom Standpunkt der universitären Lehre aus zu begrüßen, da aktuelle etruskologische Literatur auf dem deutschsprachigen Buchmarkt eher selten anzutreffen ist. Erklärtes Ziel des Florentiner Etruskologen Camporeale ist es, mit seinem Handbuch zur Geschichte und Kultur der Etrusker "der interessierten Öffentlichkeit neue Informationen zuzuführen [...] und einen Ausblick auf neue Richtungen der Forschung zu geben" (S. 12), deren Entwicklung unter anderem auch mit dem interdisziplinären Charakter der modernen Etruskologie zusammenhängt. Das Vorurteil des Geheimnisvollen, das die Etrusker oft umweht, ist mit Camporeale zu Recht völlig unverständlich (S. 14). Das Werk gliedert sich in zwei große Teile: einen allgemeinen Überblick über Geschichte und Kultur (S. 17-273) und einen topografischen Abriss zu den einzelnen Städten des etruskischen Siedlungsgebietes (S. 277-558). Damit soll sowohl dem gesamtetruskischen Blickwinkel in Anlehnung an Massimo Pallottino als auch der Forderung nach Einzelbetrachtungen in der Tradition Luisa Bantis Genüge getan werden.2

Der erste Teil ("Die etruskische Kultur") zerfällt in elf unterschiedlich gewichtete Kapitel. Auf einen ausführlichen Überblick über die Forschungsgeschichte (Kapitel 1, S. 17-47) folgt eine knappe Beschreibung der Quellensituation (Kapitel 2, S. 48-55). Kapitel 3 (S. 56-91) widmet sich der Abgrenzung und geografischen Beschreibung des etruskischen Kernlandes zwischen Apennin und Tiber, der zentralen Rolle, die den Ressourcen (besonders den Erzvorkommen) zukommt, der Entwicklung des Städtewesens mit einer sozial differenzierten Gesellschaft und einer breiteren Mittelschicht und der etruskischen Präsenz außerhalb des Kernlandes. Der folgende "Historische Abriß" (Kapitel 4, S. 92-126) von der Spätbronzezeit bis ins ausgehende 1. Jahrhundert v.Chr. ist einem Handbuch entsprechend kurz gehalten, scheint jedoch teilweise allzu überblickshaft: Dies betrifft vor allem die alte, aber nach wie vor aktuelle Diskussion bezüglich der etruskischen Ursprünge: In der Tradition Pallottinos meint Camporeale, die schon etruskische Villanovakultur (S. 93ff.) habe sich aus verschiedenen ethnisch-kulturellen Gruppen außeritalischer und italischer Herkunft herausgebildet. Nicht angesprochen werden dabei beispielsweise die Frage nach der allgemeinen Einordnung des spätbronzezeitlichen Protovillanova-Phänomens oder der wahrscheinlich ursprüngliche Volksname Turs(a) für die Etrusker in Italien.3 Nur kurz angerissen werden die Gründe für die Krise Südetruriens im 5. Jahrhundert v.Chr. (S. 115), wobei sich hier auch die Frage nach inneretruskischen Unruhen stellt, sowie die Kelteneinfälle und die Romanisierung, die im Unterkapitel 4.4 Behandlung finden ("Vom 4. bis zum 1. Jahrhundert v.Chr., S. 117-123). Hier wäre eine ausführlichere Diskussion sprachwissenschaftlicher und philologischer Zeugnisse - trotz der gebotenen Kürze - wünschenswert gewesen.

Kapitel 5 (S. 127-167) ist in chronologischer Reihenfolge den verschiedenen Epochen der etruskischen Kunst von der geometrischen bis zur hellenistischen Phase gewidmet: Der sozio-politische Hintergrund spezifischer Kunstäußerungen wird deutlich herausgearbeitet, die Bedeutung des griechischen Vorbilds betont und gut dokumentiert. Weniger thematisiert wird dagegen der eigenständige Charakter der etruskischen Kunst. Das detailreiche Hauptaugenmerk liegt auf Keramik- und Bronzeerzeugnissen, auf der Wandmalerei, Reliefkunst und Plastik - im Diskurs zur orientalisierenden Großplastik (S. 142) fehlt ein Verweis auf die frühen Kalksteinstatuen von Casale Marittimo (Pisa) -, wobei die etruskische Architektur eher im Hintergrund bleibt. Das folgende Kapitel 6 (S. 168-195) zur Religion der Etrusker bietet in einem raschen Überblick Grundlegendes zu den diesbezüglichen Aussagen der antiken Autoren, den frühen Zeugnissen von Religiosität - aufgrund seiner Bedeutung für die Frühzeit hätte das villanovazeitlich-orientalisierende Kultareal auf dem Piano della Civita in Tarquinia (S. 172) eine ausführlichere Erwähnung verdient -, ihrer sozio-kulturellen Bindung, den Tempeln, dem Verhältnis zwischen Mensch und Gottheit, den berühmten Weissagungspraktiken, dem Pantheon, wo allerdings der genuin etruskische Charakter und italische Einflüsse auf die etruskische Götterwelt wenig betont werden4, und dem Jenseits. Die Darstellung der "politischen Organisation" (Kapitel 7, S. 196-204) ist vom "öffentlichen Leben" in Kapitel 8 getrennt und in knapper Form anhand literarischer und epigrafischer Zeugnisse dargestellt: Gemäß der gängigen Meinung wird der Übergang vom monarchischen zum republikanischen Herrschaftssystem zwischen spätem 6. und frühem 5. Jahrhundert v.Chr. angesetzt, wobei Phänomene von Tyrannis und Rückfälle in die Monarchie vorkommen. Diverse Beamtentitel sind uns epigrafisch bekannt, aber inhaltlich meist schwer fassbar. Der etruskische Zwölfstädtebund wird als Versammlung primär religiöser Natur interpretiert (S. 201), das Reskript von Hispellum mit Recht als „dürftiger Hinweis“ für die Lokalisierung des Zentralheiligtums (Fanum Voltumnae) bei Volsinii veteres/Orvieto gewertet (bes. S. 391).5

Kapitel 8 (S. 205-214) behandelt öffentliche Aktivitäten wie sportliche Wettkämpfe und Schauspiel, das längere Kapitel 9 (S. 215-245) das "private Leben": Dem Haus (bzw. den wenigen zur Verfügung stehenden archäologischen Zeugnissen) als zentralem Ort familiären Lebens ist ein eigenes ausführliches und informatives Unterkapitel gewidmet (S. 215-223). Es folgen "Ernährung, Bankette, Symposien" mit einer Beschreibung der gebräuchlichen Nahrungsmittel und der Bankettsitten, die auch die Teilnahme der Ehefrauen vorsahen (S. 213f.), "Spiele und Zeitvertreib", "Körper- und Schönheitspflege" sowie "Kleidung und Schuhwerk". Ob die blonden Haare mancher Frauen in der Wandmalerei tatsächlich Produkt einer künstlichen Behandlung, wie Camporeale (S. 238) annimmt, oder natürlich sind, bleibt dahingestellt. In den kurzen Unterkapiteln "Die Familie" (S. 224-227) und "Die Beschäftigungen der Frauen" (S. 242-245) wurde dankenswerterweise auf eine übertriebene, da sachlich nicht gerechtfertigte Betonung der angeblich so hohen sozialen Stellung der etruskischen Frau verzichtet. Das zehnte Kapitel ("Von der Schrift zur Sprache", S. 246-267) stellt die wichtigsten Schriftzeugnisse kurz vor. Der Einfluss auch des korinthischen Alphabets auf die Entwicklung der etruskischen Schriftzeichen wird dabei deutlich herausgearbeitet (S. 251ff.), die etruskische Sprache als "in der Substanz nicht-indoeuropäisch" mit einigen Indoeuropäismen klassifiziert (S. 261) 6 und ein Licht auf die wenigen Zeugnisse für die (nicht mehr existierende) etruskische Literatur geworfen. Den Abschluss bildet ein kurzer Ausblick auf Kontinuität und Weiterleben etruskischer Besonderheiten ab dem Bundesgenossenkrieg ("Das Nachleben", S. 268-273).

Der zweite, topografische Teil ("Die Städte", S. 277-558) ist umfangreich und bietet einen hohen Gebrauchswert als erste Einführung in Kultur, Wirtschaft und Ereignisgeschichte der einzelnen etruskischen Städte und bestimmter Zonen.7 Die Unterkapitel zu Veji, Caere, dem Gebiet Falerii-Capena, Tarquinia, dem Gebiet der Felsnekropolen, Vulci, dem Fiora-Tal, dem Albegna-Tal, Bisenzio, Volsinii (Orvieto und Bolsena), Chiusi, Cortona, Arezzo, Perugia, Roselle, Vetulonia, Populonia, Volterra, Pisa, Florenz und Fiesole (Kapitel 12 "Das eigentliche Etrurien"), Marzabotto, Bologna, Spina, Adria, Mantua (Kapitel 13 "Das padanische Etrurien") sowie Pontecagnano, Fratte bei Salerno und Capua (Kapitel 14 "Das kampanische Etrurien") enthalten in der Regel die neuesten Forschungsergebnisse sowohl in archäologischer als auch in historischer Hinsicht, wobei der Schwerpunkt auf archäologischen Beobachtungen liegt. Siedlungstechnisch-städtebauliche Fragen bleiben allerdings eher im Hintergrund: So werden z.B. die Entdeckungen von Mauro Cristofani im Stadtgebiet von Caere nicht diskutiert oder die gut erhaltenen Stadtmauern und -tore von Perugia kaum erwähnt. Eine gut gewählte, aktuelle Bibliografie am Ende jedes Unterkapitels ermöglicht eine intensivere Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Zentrum. Im Kapitel 13 zur Etruria padana hätte eine ausführlichere Erwähnung von Verucchio mit seinen überaus reichen Bernsteinfunden und von Rubiera, das mit den beschrifteten Zippen die älteste Nennung eines etruskischen Magistrats liefert, das Bild abgerundet.

Prinzipiell kritisch zu vermerken ist der Verzicht auf Fußnoten. Es wird zwar jedes Kapitel mit nützlichen Literaturhinweisen abgeschlossen, das Fehlen von Fußnoten - oftmals auch eine Forderung von Verlagen - erschwert es dem Lesenden jedoch sehr, bestimmten Detailaussagen und Informationen gezielt nachzugehen. Darüber können die 37 am Ende des Bandes angefügten Anmerkungen (teilweise lediglich Erklärungen des Übersetzers) in keiner Weise hinweghelfen. Hier kommt auch negativ zum Tragen, dass bei den bibliografischen Angaben auf die Titel der zitierten Artikel und auf die Angabe der konkreten Länge der einzelnen Artikel (er werden nur ff.-Verweise geboten) verzichtet wurde.

Die von Helmut Schareika übersetzte deutschsprachige Ausgabe ist um Erklärungen von Spezialausdrücken (in eckiger Klammer) und um einige Anmerkungen erweitert. Teilweise wurden auch Neuerscheinungen in die Bibliografien eingearbeitet (S. 245 und 575: "Amman" statt richtig "Amann"). In seltenen Fällen mutet die Übersetzung etwas eigenartig an, wie auf S. 212: "eine sehr tief stehende Person, kurz: ein Zwerg". Fehler des Übersetzers finden sich relativ häufig.8 Der Anhang enthält eine Zeittafel zum Thema (S. 564-568). Der ausführliche Indexteil zu antiken Autoren, Personennamen, Orten und Sachen (573-617) ermöglicht eine rasche Orientierung, die reiche Bebilderung das Nachvollziehen des im Text Gesagten.

Seinem anfänglich geäußerten Anspruch, neue Forschungsergebnisse und -erkenntnisse zu vermitteln, wird Camporeale besonders im zweiten Teil seines Werkes gerecht. Ohne Frage ist das Buch jetzt schon unter die "Klassiker" der modernen Etruskologie einzureihen und jeder/jedem Interessierten zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Camporeale, Giovannangelo, Gli Etruschi. Storia e civiltà, Turin 2000.
2 Pallottino, Massimo, Etruskologie. Geschichte und Kultur der Etrusker, Basel 1988 (nach: Etruscologia, 7. Aufl., Mailand 1985); Banti, Luisa, Il mondo degli Etruschi, Rom 1960.
3 Harari, Maurizio; Pearce, Mark (Hgg.), Il Protovillanoviano al di qua e al di là dell'Appennino, Atti della giornata di studio (Pavia, 17.6.1995), Como 2000; Rix, Helmut, L'etrusco tra l'Italia e il mondo mediterraneo, in: A. Landi (Hg.), L'Italia e il Mediterraneo antico, Atti del Convegno della Società Italiana di Glottologia (Fisciano, 4.-6.11.1993), Pisa 1995, S. 119-138.
4 Rix, Helmut, Teonimi italici e teonimi etruschi, in: Annali della Fondazione per il Museo Claudio Faina 5 (1998), S. 207-229.
5 Vgl. dazu nun auch Amann, Petra, Das konstantinische "Reskript von Hispellum" (CIL XI 5265) und seine Aussagekraft für die etrusko-umbrischen Beziehungen, in: Tyche 19 (2002), S. 1-27.
6 S. 259: nefts bedeutet eher Neffe als Enkel.
7 Neben dem nicht mehr ganz aktuellen Klassiker von Steingräber, Stephan, Etrurien. Städte, Heiligtümer, Nekropolen, München 1981.
8 So z.B. S. 49: erste Jahrzehnte des 7. Jahrhunderts (richtig: 6. Jahrhunderts); S. 83 u.a.: Ancus Martius (richtig: Marcius); S. 120: Triumph über Veji (richtig: Vulci); S. 123: Bellum Perusinum: 20 v.Chr. (richtig: 40 v.Chr.); S. 149: zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts (richtig: 6. Jahrhunderts); S. 172: spätchristliche Schriftsteller (richtig: frühchristliche); S. 250: unbekannten (richtig: uns bekannten); S. 253: in Südetrurien nur mit kappa (richtig: Nordetrurien); S. 265: vetus fama Etruriae [alter Ruhm Etruriens] (richtig: alte Sage); S. 277: Fornello (richtig: Formello); S. 333: Limi (richtig: Luni); S. 360: etnische (richtig: etrusche); S. 361: Niederlage Vulcis im Jahre 180 v.Chr. (richtig: 280 v.Chr.); S. 420: Liv. IC,37,12 (richtig IX); S. 508: Stele Malvasia-Torelli (richtig: Tortorelli) u.a.

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