R. Rösler: Autoren, Debatten, Institutionen

Titel
Autoren, Debatten, Institutionen. Literarisches Leben in Mecklenburg-Vorpommern 1945-1952


Autor(en)
Rösler, Reinhard
Reihe
Mecklenburger Profile 5
Erschienen
Hamburg 2003: von Bockel Verlag
Anzahl Seiten
231 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Barck, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Avisiert wird uns „erstmals“ eine „Literaturgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns“, allerdings für den nur kurzen Zeitraum von 1945-1952, wobei die Begrenzung auf 1952 nicht expressiv verbis begründet wird, sondern sich von der Auflösung des Landes „Mecklenburg“ herleitet. Wir erfahren in der knappen „Einleitung“ des Verfassers, dass die Darstellung auf seiner im Dezember 1988 an der Pädagogischen Hochschule Güstrow verteidigten Habilschrift basiert, deren „Nachwende-Wiederlesen“ bei ihm „zwiespältige Eindrücke“ hinterlassen habe und den Entschluss, sie von „zu viel ideologischem Ballast“ zu befreien sowie „manche Sichtweisen“ zu ändern. Dies ist sympathisch offen bekannt und bewirkt doch zugleich einen nennenswerten Mangel des Ganzen, weil es den konzeptionellen „roten Faden“ betrifft. War die Arbeit in der für die DDR sakrosankten Frage der marxistischen Bündnispolitik wohl vor allem auf den Nachweis von deren Funktionieren in der SBZ/frühen DDR ausgerichtet gewesen, so erfolgt die Darstellung jetzt vorrangig aus der Perspektive des Nicht-Funktionierens bzw. des Scheitern derselben. Dies wird vor allem an dem Wirken der Autoren Hans Franck, Friedrich Griese und Ehm Welk festgemacht, womit klar wird, dass es auf diesem Feld um den umstrittenen Umgang mit der so genannten Inneren Emigration geht. Anstatt nun aber hier anzusetzen und diese weit über die Region hinausgehende literaturpolitische Problematik zum Zentrum der Erörterung zu machen, verschenkt der Autor die Chance, seine Darstellung auf diesem nach wie vor defizitärem Forschungsfeld anzusiedeln. Dies hätte sich mit seinem regionalen Ansatz aufs beste vereinen lassen, denn wie er selber zeigen kann, blühte diese Art von Literatur besonders gut in den ländlichen Gefilden, wo Land, „Scholle“ und „Heimat“ das Leben und auch Schreiben prägten. Nicht zufällig galt ein Hauptverdikt der Nazis der so genannten Asphaltliteratur. Und ganz in diesem Sinne hatte Friedrich Griese, der 1933 zusammen mit Beumelburg, Blunck, H. Grimm, H. Johst u.a. in die „gesäuberte“ Akademie der Künste berufen worden war, „Literaten“ wie Döblin 1936 für die Schwierigkeiten verantwortlich gemacht, „das ewige Bild der deutschen Landschaft in eine bessere und dafür aufgeschlossenere Zeit hinüberzuretten“ (S. 31). Die Frage nach Franck und Griese als Adressaten der Bündnispolitik zu stellen, wie sie vor Ort vor allem von Willi Bredel praktiziert worden ist, heißt nicht zuletzt, deren antifaschistische Kriterien zu fixieren. Hier vermisst der Leser hilfreiche Auskünfte, wie sie alleine schon aus den programmatischen Grundlagen des Kulturbundes leicht zu gewinnen gewesen wären. Das erfolgt zwar dann im Zusammenhang mit Willi Bredels Wirken (S. 99ff.), fehlt einem aber anfangs als Argumentationsbasis bei den vorangestellten Autoren-Kapiteln zu Franck, Griese und Ehm Welk. Wenn zudem in der Einleitung definiert wird, „Bündnispolitik heißt, verkürzt ausgedrückt, daß bürgerliche Spezialisten aller Bereiche - in unserem Falle diejenigen, die für die Schaffung neuer Literaturverhältnisse von Bedeutung waren, also Schriftsteller, Verleger, Bibliothekare usw. - gebraucht wurden und zu gewinnen waren“ (S. 13), zeigt sich erstens, dass „bürgerlich“ jeweils genauer bestimmt werden müsste (schloss dies z.B. NS-Positionen ein?), und dass zweitens auch auf der „sozialistischen“ Seite (wie vor allem am Fall Scharrer ausführlich gezeigt wird) untereinander erstmal ein „Bündnis“ hergestellt werden musste. Außerdem wird der Kulturbund als „Intellektuellen-Organisation“ zu einseitig beschrieben, denn in seiner zu Recht als bedeutsam eingeschätzten kulturell-literarischen Vermittlungsarbeit richtete er sich ja weit über den kleinen Kreis der Intelligenz hinaus und war mit seinen Veranstaltungen und Publikationen ein wichtiger Faktor in den antifaschistisch-demokratischen Kulturbemühungen. Dies auf der Basis neuen Quellenmaterials zu zeigen und erstmals ein genaueres Bild vom literarischen Leben in Mecklenburg-Vorpommern vermitteln zu können, ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit. Der empirische Reichtum der Kapitel über die „Verlage und Verlagsproduktion“ (S. 146-180), der „Volksbibliotheken und Leihbüchereien“ (S. 181-221) fördert regionale Aktivitäten zutage, die sowohl eigenständig wie überregional wirksam waren. Mit den Porträts des Rostocker Hinstorff Verlages und des Schweriner Petermänkenverlages, die erfreulicherweise über das Jahr 1952 hinausgehen, schließt der Autor im Falle Hinstorff eine bisherige Lücke für die Frühzeit, die Kirsten Tietz 2000 gelassen hatte 1 und betritt im Falle Petermänken Neuland. Den zunächst als Mecklenburgischer Heimatverlag 1947 gegründeten, dann nach dem Schweriner Poltergeist Petermänken benannten Verlag, hatte Bredel als Landesleiter des Kulturbundes von der SMAD lizenzieren lassen. Hier wirkte bis zur Liquidation des Verlages 1964 (nach Bredels Tod, aber auch im Zuge der „Verlagsprofilierung“ nach 1960) als Geschäftsführer und Verleger Ernst Wähmann, dessen Verdienste um die von den Lesern begehrte, jedoch von der Zensur-Behörde stets beargwöhnte heimatkundliche Literatur (z.B. den von 1953 bis 1977 erschienenen Bildkalender „Land am Meer“, herausgegeben von dem Schweriner Schriftsteller und Lektor Hermann Glander, nach 1964 im Ernst-Wähmann-Verlag, der bis 1984 in Schwerin existierte) zu Recht gewürdigt werden. In Bredels „Privatverlag“ (S. 170) kamen bis 1954 ganze 44 Titel von 37 Autoren heraus (bis 1964 dann insgesamt 100 belletristische Titel von 60 Autoren), darunter nach Bredel Bücher von Walter Victor, der Schweriner Jugendbuchautorin Ann-Charlott Settgast, der auf dem Fischland wohnenden Schriftsteller Käthe Miethe, Benno Voelkner, Hanna-Heide Kraze. Dabei wurde er in seiner belletristischen Produktion stets bedrängt durch die Konkurrenz des ökonomisch stärkeren Hinstorff Verlages, dessen legendärer Verleger Peter E. Erichson (Jg. 1881) auf eine lange verlegerische Tradition zurückblicken konnte, in der u.a. der niederdeutsche Erfolgsdichter Fritz Reuter seit 1859 einen wichtigen Platz eingenommen hatte. Peter E., diese anekdotenhaft umgebene Rostocker Persönlichkeit, ließ 1959 seinen Privatverlag in Volkseigentum überführen und bestimmte den Buchhändler Konrad Reich als seinen Nachfolger, unter dessen Leitung und durch die profunde Arbeit des Cheflektors Kurt Batt sich Hinstorff in den folgenden 15 Jahren zum führenden DDR-Belletristik Verlag entwickelte. Das tragische Ende von Kurt Batt, der mit 43 Jahren am Herzinfarkt zugrunde ging, nachdem die Rostocker Parteibürokratie ihn aus dem Verlag gedrängt hatte, gehörte als schlimmer Teil der regionalen Literaturverhältnisse in die noch zu schreibende Gesamtdarstellung einer mecklenburgischen Literaturgeschichte, wie sie zugleich weit darüber hinausweist. Im Untersuchungszeitraum bis 1952 kamen bei Hinstorff 29 Belletristik-Titel und 15 landeskundliche Bücher über Mecklenburg heraus, an erster Stelle vom führenden Hausautor Ehm Welk, des weiteren von Curt Goetz, Ilse Prein, Hanna Heide-Kraze, Käthe Miethe, bis 1959 kam noch Fritz Meyer-Scharffenberg hinzu.

Für den im Titel „Debatten“ genannten Teil rekonstruiert der Verfasser hier erstmals in solcher Ausführlichkeit den „Welk-Scharrer-Streit 1947/48 im Schweriner Kulturbund“ (S. 67-79). Diese Auseinandersetzung ist bisher wohl aus zwei Gründen in der DDR-Forschungsliteratur unterbelichtet worden. Der Herzinfarkt-Tod des achtundfünfzigjährigen Adam Scharrer unmittelbar nach dieser öffentlichen Debatte sowie die damit wiederbelebte, nach dem I. Schriftstellerkongress (im Oktober 1947) aber literaturpolitisch als befriedet geltende Auseinandersetzung um die Innere und äußere Emigration schien dieses regionale Ereignis peinlich-beschämend und anachronistisch zugleich erscheinen zu lassen. Ehm Welk, neben Bredel die zentrale Gestalt in dieser Region, dessen kompromisshaftes Verhalten während der Nazizeit der Verfasser zutreffend beschreibt, erfreute sich auch nach 1945 mit seiner „Heimatliteratur in einem guten Sinne“ (S. 46) bei den Lesern großer Beliebtheit. Er engagiert sich für den Aufbau der Volkshochschulen und avanciert zum „Star“ des Schweriner Kulturbundes, dessen Ortsgruppe er vorsaß. Dieser wird nun zum Genius loci , an dem sich die Kontrahenten schriftlich in der von Bredel herausgebenen Zeitschrift „Heute und morgen“ (1947-1954) sowie mündlich in der öffentlichen Veranstaltung des Schweriner Kulturbundes am 2. März 1948 gegenübertraten. Bei diesem „Realismusstreit“ ging es um mehr als Ästhetisches, denn die gegenseitigen politischen Diffamierungen gründeten sich auf die unterschiedlichen Haltungen zum NS und auf die Frage, wer überhaupt zu realistischem Schreiben befähigt sei, der „Kollaborateur mit den Nazis“ und Emigrantenfeind (Scharrer über Welk, S. 77) oder der „parteilose Federhalter in seinem gußeisernen Turm“ (Welk über Scharrer, S. 73). Der Hinweis Welks, zu diesem Zeitpunkt SED-Mitglied, auf Scharrers KAP-Vergangenheit war bösartig und hatte mit dem Realismusproblem eigentlich nichts zu tun. Er ging über Scharrers antifaschistisches Wirken ebenso hinweg, wie er dessen beste, durchaus realistische wie bei Welk bevorzugt im ländlich-bäuerlichen Milieu angesiedelte Erzählungen ignorierte. Der Vorwurf der Kollaboration an Welk übertrieb wohl auch, denn dessen geschicktes Jonglieren mit seinen viel gelesenen Kummerow-Büchern, das literarische Zugeständnisse an NS-Gedankengut und militaristische Ziele einschloss, ist wohl eher als erfolgreiches Arrangement mit dem NS-Regime zu beschreiben, zumal er sich (nach seiner kurzzeitigen Konfrontation mit Goebbels 1934, die ihm einige Tage KZ einbrachte) der besonderen Protektion des Landeskulturwalters und Leiters des Reichspropagandaamtes beim Gauleiter der NSDAP für Pommern, Kuno Popp, erfreute. Man kann Scharrers Erbitterung schon verstehen, wenn er sich, in der Emigration und jetzt wieder alles andere als ein erfolgreicher Autor, mit Welk verglich, der ihm zu viel Ruhm auf sich häufte. Hinzu kam, dass er sich von denen, auf deren Hilfe er rechnete, wie seinem Exil-Gefährten Bredel im Stich gelassen fühlte. In einem Brief nach dem Tode Scharrers an Becher schrieb Bredel von Scharrers „Vereinsamung“ und dessen „Kritik an der Bündnispolitk“, die er „letztlich“ teile. Nur öffentlich und in der von ihm geführten Zeitschrift wohl eben nicht. Bechers Antwort lässt dessen Vorwurf mangelnder Unterstützung Scharres erkennen und seiner Wertung des Ganzen als „unglückseliger Diskussion“ kann man sich nur anschließen. Mit Bredel hatte er schon im Exil um die „richtige“ Bündnispolitik gestritten und eigentlich hätte Bredel, als Arbeiterschriftsteller Scharrer näher stehend als Ehm Welk, diesen unterstützen müssen. Bredel kannte natürlich auch die Enttäuschung der proletarischen Weggefährten wie Lorbeer, Grünberg, Gotsche u.a., dass eben im Zeichen des Bündnisses auch die Autoren der inneren Emigration integriert wurden, gerade von Becher, wie dessen Engagement für Fallada oder Hauptmann gezeigt hatte. Konkurriert hatten sie im Exil als Herausgeber mit den Zeitschriften „Internationale Literatur“ (Becher) und „Das Wort“ (Bredel), woher sich auch der zähe Kampf von Bredel um die eigene Literaturzeitschrift im Norden erklären lässt. Hier kam das Spannungsverhältnis Zentrum-Peripherie voll zum Tragen, wobei das Regionale auf dem Zeitschriftensektor mit dem Ende von „Heute und Morgen“ 1954 verloren hatte.

Wenn auch mit „Literaturgeschichte“ zuviel versprochen wurde, da literarische Analysen weitgehend fehlen, hat der Verfasser doch ein erstaunlich buntes Bild vom vielseitigen und reichen literarischen Leben zeichnen können. Damit hat sich sein regionaler Zugriff als produktiv erwiesen. Das gilt auch für die Porträts von wichtigen regionalen Akteuren wie der Schriftstellerin und Journalistin Karla König, vom Pfarrer Bruno Theek und dem Buchhändler sowie Schweriner Regierungsrat Gustav Siemon und vor allem von Karl Kleinschmidt, der als Domprediger, Sozialist und Schriftsteller weit über Schwerin hinaus bekannt war.

Anmerkung:
1 in: Dahlke, Birgit; Langermann, Martina; Taterka, Thomas (Hgg.), LiteraturGesellschaft DDR. Kanonkämpfe und ihre Geschichte(n), Stuttgart S. 240-274.

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