Titel
Die Lüneburger Saline im 18. und 19. Jahrhundert.


Autor(en)
Janowitz, Axel
Reihe
Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte 5
Erschienen
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckart Maier, Fernstudienzentrum, Universität Lüneburg

Obwohl fast seit den Anfängen moderner wissenschaftlicher Geschichtsschreibung auch der Lüneburger Salinenbetrieb Gegenstand zahlreicher historischer Untersuchungen gewesen ist, ist „Die Geschichte der Lüneburger Saline“ noch immer unvollständig. Die bisherigen Untersuchungen waren meist aus stadtgeschichtlichem Interesse heraus entstanden, und endeten daher an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, als der Betrieb von städtischer in landesherrliche Regie überging. Mit der Arbeit von Axel Janowitz liegt nun eine Studie vor, die über den stadtgeschichtlichen Rahmen hinaus den landesherrlichen Betrieb bis hin zur Industrialisierung beschreibt. Sie schließt eine nicht nur von Salinen- und Regionalhistorikern, sondern auch von geschichtsinteressierten Laien als schmerzlich empfundene Lücke. Daher wendet sich die Publikation nicht nur an das Fachpublikum, sondern ebenso an Geschichtsinteressierte, die ihren Museumsbesuch inhaltlich vertiefen möchten, und an Menschen, die sich aus regionalgeschichtlichem Interesse für die Geschichte Lüneburgs und seiner Saline interessieren. Dies ist ein Wagnis, handelt es sich doch um die unveränderte Fassung einer Dissertation aus dem Jahr 1998. Illustrationen finden sich, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur im Anhang. Dennoch überzeugt Janowitz durch sprachliche Klarheit wie durch einen ausreichenden, aber nicht überbordenden Anmerkungsapparat.

Wer von Axel Janowitz einen chronologischen Abriss der Salinengeschichte über zwei Jahrhunderte erwartet, wird enttäuscht. Dreh- und Angelpunkt des Buches ist die im zeitgenössischen Sprachgebrauch so genannte „Salinenreform“ der Jahre 1794 bis 1802. Hierbei handelte es sich um eine grundlegende Umstrukturierung des Betriebes in technischer Hinsicht, in der Betriebsverfassung und in der wirtschaftlicher Organisation. Diese Umstrukturierung, die vom Landesherrn veranlasst wurde, stellt zweifelsfrei eine Zäsur in der über 1000-jährigen Geschichte dieser Saline dar.

In den beiden auf die Einleitung folgenden Kapiteln behandelt Janowitz auf etwa 60 Seiten chronologisch die Vorgeschichte dieses Ereignisses. Zunächst widmet er der wirtschaftlichen Entwicklung der Saline im 18. Jahrhundert das zweite Kapitel, um dann das Zustandekommen der Umstrukturierungsplanungen in den Jahren 1794 - 1797 zu beschreiben. Die folgenden vier Kapitel beleuchten systematisch klar gegliedert die Bereiche Verwaltung (Kapitel 4), Beschäftigungssituation (Kapitel 5), bauliche und technische Entwicklung (Kapitel 6) sowie die wirtschaftliche Entwicklung (Kapitel 7).Für alle vier Bereiche führt Janowitz einen Plan-Ist-Vergleich durch. Er stellt die im Salinenplan festgeschriebenen Vorhaben den tatsächlichen Umsetzungen in der Anfangsphase nach der Umstrukturierung gegenüber. In einem weiteren Schritt untersucht er schließlich die langfristigen Auswirkungen dieses Ereignisses auf den Betrieb bis etwa um das Jahr 1866. Der Wechsel von der chronologischen in eine sachsystematische Gliederungsform mag inhaltlich gerechtfertigt sein, erschwert allerdings mitunter den gezielten Zugriff auf Informations- und Quellenmaterial. Zudem werden die Zusammenhänge zwischen Verwaltung, Technik und Wirtschaft nur durch zahlreiche, aber unumgängliche Wiederholungen und Verweise deutlich. Was bei durchgängiger Lektüre zäh wirkt, ist dabei notwendiges Hilfsmittel zur Kontextualisierung bei kapitelweisem Zugriff, beispielsweise durch Verwaltungs-, Technik- oder Wirtschaftshistoriker.

Janowitz arbeitet seine Themen auf breiter Quellenbasis sauber und detailliert ab. Allein das kann bei der erschreckend guten Überlieferungslage zu diesem Themenbereich kaum hoch genug eingeschätzt werden. Neben den umfangreichen Beständen des Lüneburger Stadtarchivs zieht er auch Quellen aus dem Archiv des Museums für das Fürstentum Lüneburg sowie aus dem Archiv des Oberbergamtes Clausthal-Zellerfeld heran, welche erst Ende der 1980er-Jahre durch aufwändige Vorarbeiten von Annegret Reski und Herbert Aagard 1 für die Geschichtsschreibung zur Lüneburger Saline erschlossen, bislang aber kaum ausgewertet wurden. In der Chance dieser hervorragenden Quellenbasis liegt jedoch auch die Gefahr einer allzu großen Quellennähe, der Janowitz in Teilen erliegt. So übernimmt er aus den Quellen vielfach zeitgenössische und betriebsspezifische Fachtermini, wie z. B. „Sülfmeister“, „Barmeisterei“, „Weißladerei“, „Sülzprälaten“, „Sülzbegüterte“, „Choralisten“, etc., ohne deren Verwendung hinreichend begründet einzuführen. Hier hätte ein Glossar im Anhang die Lektüre wesentlich erleichtert, insbesondere, wenn er seinem Anspruch gerecht werden möchte, mit der vorliegenden Arbeit Vergleichsstudien anzuregen.

Problematisch wird bei Janowitz schließlich seine durchgängige Verwendung des zeitgenössischen Begriffs der „Salinenreform“ für die Umstrukturierung des Betriebes. Geprägt wurde diese Vokabel von den Trägern des Umstrukturierungsprozesses, die in mehrfacher Hinsicht unter erheblichem Erfolgsdruck standen. Mussten sie einerseits im Interesse des Landesherrn die Saline wieder zu einer lukrativen staatlichen Einnahmequelle machen, so sahen sie sich auf der anderen Seite erheblichen Widerständen seitens der städtischen Vertreter der alten Salinenverwaltung gegenüber. Nun braucht man zwar nicht soweit zu gehen, den Begriff „Salinenreform“ als Propagandabegriff der „Reformatoren“ in deren speziellen Konfliktsituation zu bezeichnen. Doch ist die Übernahme dieses Begriffs bei Janowitz symptomatisch dafür, dass er sich auch den Argumentationsgängen seiner Quellen in weiten Teilen nicht entziehen kann. Die Träger dieses Umstrukturierungsprozesses haben selbstverständlich gerne über ihre Erfolge berichtet und etwaige Rückschläge in eigene Erfolge umgemünzt. In einer historischen Untersuchung sollte aber stärker gerade die Interessengebundenheit derjenigen berücksichtigt werden, die wesentliche Teile des heute zugänglichen Quellenmaterials verfasst haben. Der Rechtfertigungsabsicht seiner Quellen folgend, schreibt Janowitz in der Gesamtbilanz eine Erfolgsgeschichte dieses Umstrukturierungsprozesses, wonach die konsequente Umsetzung der landesherrlichen Planungen den wirtschaftlichen Weiterbestand der Saline im 19. Jahrhundert gesichert habe (vgl. S. 336). Zu diesem Gesamtergebnis kommt er trotz teilweise anders lautender Zwischenergebnisse in den Kapiteln seines Plan-Ist-Vergleichs.

Dort konstatiert er für alle untersuchten Bereiche in der Umsetzung z.T. erhebliche Abweichungen vom ursprünglichen Salinenplan, beziehungsweise Verschlechterungen gegenüber der alten Betriebsstruktur. Diese Ergebnisse weisen aber nicht unbedingt auf eine geradlinige Erfolgsstory staatlichen Handelns hin. Janowitz‘ Interpretation, dass nämlich die radikale staatliche Intervention an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert das Überleben des Salinenbetriebes bis zur Phase der Industrialisierung gesichert habe, könnte im Extrem genau umgekehrt formuliert werden, nämlich dass auch die staatlichen Maßnahmen das langfristige Überleben des Betriebes nicht verhindert haben. Damit sei nur auf das breite Spektrum des Interpretationsspielraums hingewiesen, das Janowitz in seiner Arbeit bei weitem nicht ausschöpft.

Janowitz erhebt nicht den Anspruch, „allgemeingültige Aussagen über Strukturen und Mechanismen staatlichen Wirtschaftshandelns zu treffen“ (S. 17). Vielmehr versteht er seine Arbeit als einen „Mosaikstein“, der - gemeinsam mit anderen Mikrostudien - eine brauchbare Vergleichsgrundlage für eine Analyse der Salzproduktion oder des Bergbau-, Hütten- und Salinenwesens im Kurfürstentum und Königreich Hannover sein könnte (vgl. S. 17). Diese zeitlich wie regional stark eingrenzenden Anknüpfungspunkte werden wohl nur einem ganz kleinen Kreis von Historikern als Forschungsanregung dienen. Von daher hätte Janowitz - in mehrfacher Hinsicht - sicher „mehr“ erreicht, wenn er seine Untersuchung in eine stärker gegenwartsbezogene oder überregional relevante Fragestellung eingebunden hätte.

Anmerkungen
1 Aagard, Herbert; Reski, Annegret (Hgg.), Akten- und Quellenverzeichnis zur Geschichte der Saline Lüneburg, Lüneburg 1988.