Titel
Die Frau der Zukunft. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann 1855-1916. Ärztin und Reformerin


Autor(en)
Krauss, Marita
Erschienen
München 2002: Buchendorfer Verlag
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elisabeth Dickmann, Hedwig Hintze-Institut, Universität Bremen

Die Engländerin Dr. Hope Bridge Adams Lehmann (1855-1916) war offenbar die erste Frau, der es gelang, in Leipzig im Jahre 1880 - rund 30 Jahre vor der Öffnung der deutschen Universitäten für weibliche Studierende - ein medizinisches Staatsexamen abzulegen. Über den ungewöhnlichen Werdegang von Dr. Adams hat Marita Krauss bereits 1997 auf einem Kongress in Bremen berichtet und dazu publiziert.1 Sie hat bereits damals die Neugier für diese ungewöhnliche Frau geweckt, deren Bedeutung vor allem in ihren sozialreformerischen Ideen und Projekten zu suchen ist. Einen Nachlass im eigentlichen Sinne gibt es nicht mehr. Das Leben und fachliche Wirken dieser Frau musste daher aus vielen Puzzelteilen, ihren wissenschaftlichen Werken und aus publizierten Äußerungen anderer über sie rekonstruiert werden. Herausgekommen ist ein sehr lebendig geschriebenes, von Sympathie für den geschilderten ‚Gegenstand’ geprägtes Buch, das den Beweis liefert, Biografien auch auf schmaler bzw. sehr verstreuter Quellenbasis schreiben zu können.

Der Titel „Die Frau der Zukunft“ ist trefflich formuliert, denn die Engländerin Dr. Hope Bridge Adams „erlaubte sich, Zukunft zu denken; ihre Modelle sind [...] atemberaubend modern“ (S. 7). Zukunftsweisend sind vor allem ihre Ideen zur Gesundheits- und Sozialreform, deutlich links orientiert ist ihre politische Position: Krauss bezeichnet sie als „Sozialistin“, ohne dass damit eine konkrete Parteizugehörigkeit zur deutschen Sozialdemokratie gemeint ist oder belegt werden könnte.

Adams erwarb nach Abschluss ihres Examens 1880 zunächst die Approbation als Ärztin in ihrer Heimat England und ersuchte 1882 in Frankfurt am Main um die Zulassung. Sie heiratete den deutschen Arzt Dr. Otto Walther und arbeitete fortan in seiner als Gemeinschaft geführten Praxis. Adams musste und wollte Familienpflichten und Beruf erfüllen, zwei Kinder wurden geboren, sie arbeitete eingeschränkt weiter und veröffentlichte 1884 einen Artikel über die Hebammenfrage. Das Ehepaar pflegte einen gesellschaftlichen Umgang, der seitens der Polizei argwöhnisch beobachtet wurde – Otto Walther ist eindeutig als Sozialdemokrat zu identifizieren und hatte mehrfach unter Repressalien zu leiden. Adams selbst könnte man von ihrer englischen Herkunft her eher als ‚Owenistin’ bezeichnen, aber ihr Interesse an der zeitgenössischen sozialistischen Gesellschaftstheorie war groß genug, um als erste August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ ins Englische zu übersetzen. Clara Zetkin, wohl eng mit der Familie befreundet, schrieb später, 1916, über sie: „Das ist in Wirklichkeit die ganze Erklärung für Hopes Stellung; sie sah mit Karls Augen und hörte mit Karls Ohren“ (S. 96). Karl war der zweite Ehemann, aber gleiches galt auch für den ersten. In Zetkins Augen war Adams keine selbständig politisch denkende und handelnde Frau.

Mehrere Wendepunkte im Leben von Adams - eine Erkrankung an TBC, Ehekrisen und eine neue Beziehung und spätere Ehe - erzwangen die Aufgabe der Praxis in Frankfurt; es folgte die Gründung eines modernen Lungen-Sanatoriums im Schwarzwald, das bald auch zum Treffpunkt der linken Prominenz wurde. Mit ihrem neuen Lebenspartner Karl Lehmann baute Adams ab 1896 in München ein glückliches Leben in gemeinschaftlicher Arbeit auf und war wieder erfolgreich publizistisch tätig: „Das Frauenbuch. Ein ärztlicher Ratgeber für die Frau in der Familie und bei Frauenkrankheiten“, erschien 1896 in Stuttgart. Darin ging es um Aufklärung, Verhütung, Hygiene, gesunde Ernährung und Kleidung usw., um Fragen, die aktuell diskutiert wurden und zu denen die Ärztin ausgesprochen freie und fortschrittliche Gedanken äußerte. Diese Themen variiert sie in zahlreichen Aufsätzen, oft in den Sozialistischen Monatsheften.

Bei all dieser Kompetenz ist Adams wohl eine herausragende Protagonistin unter den Akademikerinnen ihrer Zeit, als ‚Feministin’ ist sie aber trotz ihrer auf Frauen bezogenen Arbeit nicht zu bezeichnen. Sie hat – was Krauss in einem eigenen Kapitel würdigt – in der Behandlung des Themas ‚weibliche Sexualität’ eine Haltung eingenommen, die es schwer macht, in ihr eine echte Analytikerin des Geschlechterverhältnisses zu erblicken. Krauss stellt diesem Kapitel eine kurze Übersicht über die entsprechende Debatte in der damaligen Frauenbewegung voran, die sie von den Protagonistinnen Gertrud Bäumer, Helene Stöcker und Marianne Weber (wieso nur diesen?) bestimmt sieht: Männer und Frauen seien danach grundsätzlich verschieden, 'Emanzipation durch Arbeit' sei ein falscher Weg, es gelte, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern neu zu bewerten, denn Frauen verstünden die Liebe im Gegensatz zu den Männern als im Wesentlichen geistigen Prozess – so das Fazit von Krauss über diesen Diskurs. Dagegen Adams: Sie sieht – nach Krauss – keinen wesentlichen Unterschied in der Sexualität von Mann und Frau, sie erhofft von der Liebe ein neues Miteinander der Geschlechter. Adams scheint von dem im Gleichgewicht befindlichen Verhältnis eines Paares, so wie sie es wohl selbst erlebte, auf das Geschlechterverhältnis an sich zu schließen. Andere Auffassungen vom emanzipatorischen Weg der Frau scheint sie abzulehnen: Sie findet deutlich ironische Töne für die „Frauenrechtlerinnen“, die „ihr ganzes Dichten und Streben auf die Erhebung des Menschen in der Frau konzentrieren und dabei das Weib in der Frau vollständig aus den Augen lassen [...] [ihr] ist die Aussicht durch den Staub des Kampfes versperrt“ (S. 69). Adams hingegen wünscht sich die berufstätige Frau, die Erfüllung in ihrer Arbeit und in der Beziehung zum Mann findet. Krauss meint zu erkennen, dass sie somit an eine Aufsprengung der traditionellen männlichen Geschlechtsrollen gedacht habe: „Auch der Mann müsse Fesseln zersprengen, aussichtslos sei jeder Kampf um die Befreiung der Frau, der nicht den Mann mitbefreie [...] Die neue Kultur werde für Mann und Frau gleiche Entwicklungsmöglichkeiten bereitstellen.“ (S. 74) Diese Argumentationen sind sattsam bekannt und zeigen wohl auf eine Auseinandersetzung Adams mit der sozialistischen Debatte über die Frauen- und die Arbeiterinnenfrage. Sie sind andernorts aber wesentlich tief schürfender problematisiert worden – man betrachte nur die entsprechenden Erörterungen bei Anna Kuliscioff, einer im Übrigen mit Adams sehr vergleichbaren Figur, ebenfalls Ärztin und Sozialistin, aber eben auch Feministin2, die leider von Krauss überhaupt nicht erwähnt wird. Gerade an dieser Thematik wäre ein weiterer Exkurs in die zeitgenössische Diskussion angebracht gewesen, was aus den Quellen heraus – z.B. der einschlägigen damaligen Frauenpresse – möglich und sicher fruchtbar wäre.

Die Münchner Jahre des Ehepaars Lehmann, denen ein eigenes Kapitel gewidmet ist, das für die Kulturgeschichte des Bürgertums und die linke Szene in München sicher interessant ist, sollen hier nicht weiter berücksichtigt werden, die Schilderung des gesellschaftlichen ‚Netzwerks’, in dem beide lebten, ist umfangreich und zuweilen verwirrend. - Die beiden darauf folgenden Kapitel hingegen sind wieder unmittelbar Projekten Adams' gewidmet: Das ‚Frauenheim’, eine Geburtsklinik, die an das Berliner Modell der ‚Klinik für weibliche Ärzte’ erinnert und eine Reform der Pflegeausbildung vorsah. Adams Vorstellungen zur Klinikführung, zur Hygiene usw. sind in der Tat erstaunlich weit blickend. Ähnlich modern sind auch ihre Gedanken zu einer Reform des Grundschulwesens und der Kindergartenpädagogik, dem zweiten Projekt, Themen, die damals von Adams genau zu dem Zeitpunkt in die öffentliche Debatte geworfen wurden, als ihr Mann, Karl Lehmann, Gemeinderat und Vorsitzender des Schul- und Sanitätsausschusses wurde. Krauss meint, dass beide Konzepte Adams’ „von einer ungewöhnlichen Originalität gekennzeichnet“ sind; aber sie gibt leider keinen Hinweis darauf, wieweit Adams selbst möglicherweise die pädagogischen Reformvorstellungen der italienischen Ärztin und Feministin Maria Montessori oder den europaweiten Siegeszug der Fröbelkindergärten gekannt hat, obwohl sie anführt „[...] ihr Blick ging weit über den lokalen oder nationalen Tellerrand hinaus“ (S. 139).

Die beiden schmalen letzten Kapitel behandeln zwei kritische, aber wichtige Wendepunkte in Adams Leben, nämlich einmal einen gegen sie 1914 angestrengten Prozess wegen unerlaubter Schwangerschaftsabbrüche, in dem sie unerhört mutig auftrat und der 1915 niedergeschlagen wurde, und zweitens ihre abenteuerliche Reise im August 1914 nach England, wo sie hoffte, Kriegsgegner namhaft machen zu können. Der Sache war wenig Erfolg beschieden, aber sie erlebte auch das bittere Ende des Krieges nicht mehr, sie starb 1916.

Die Bewunderung der Autorin für Hope Bridge Adams ist gerechtfertigt, wenn auch manchmal etwas emphatisch formuliert. Nur wenig Einschränkendes zu diesem Buch ist zu sagen, vor allem dies: die Einordnung der Person in die Zeit und ihre Diskurse gerät manchmal lokalhistorisch ausufernd, manchmal aber zu kurz. Das Literaturverzeichnis zur Sekundärliteratur ist umfangreich, jedoch sind wichtige Titel der jüngeren Forschung nicht enthalten, für andere Hinweise wird der Zusammenhang nicht deutlich. Dennoch: ‚Die Frau der Zukunft’ ist eine sehr lesenswerte Abhandlung über Chancen und Möglichkeiten weiblicher Emanzipation und Selbstverwirklichung in Zeiten geistigen Umbruchs. Es ist eine Geschichte, in der nicht nur Barrieren auftauchten, sondern unermüdlicher Kampf dagegen auch zu Erfolgen und zu einem erfüllten Leben führte – dank persönlicher Fähigkeiten und Mut, aber auch glücklichen Umständen entsprechend.

Anmerkungen:
1 Krauss, Marita, Die Lebensentwürfe und Reformvorschläge der Ärztin Hope Bridges Adams Lehmann, in: Dickmann, Elisabeth; Schöck-Quinteros, Eva (Hgg.), Barrieren und Karrieren. Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland. Dokumentationsband der Konferenz „100 Jahre Frauen in der Wissenschaft“, Berlin 2000, S. 143-158. Merkwürdigerweise fehlt dieser Titel im Literaturverzeichnis von Krauss, was vor allem für die vergleichende Betrachtung der frühen Akademikerinnen-Schicksale bedauerlich ist.
2 vgl. Addis Saba, Marina, Anna Kuliscioff, Milano 1993; Dickmann, Elisabeth, Anna Kuliscioff – ein Leben im italienischen Exil als Ärztin, Sozialistin und Feministin, in: Dickmann, Elisabeth; Schöck-Quinteros, Eva (Hgg.), Politik und Profession. Frauen in Arbeitswelt und Wissenschaft um 1900, Bremen 1996, S. 57-82.

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