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Titel
Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre


Autor(en)
Barck, Simone
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
275 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wladislaw Hedeler, Berlin

Es lohnt, sich mit Simone Barck auf die Spurensuche zu begeben. Denn sehr bald verlässt man das einem längst bekannt scheinende ostdeutsche Terrain und findet sich in einer grenzüberschreitenden deutsch-deutschen terra incognita wieder. Den Reisenden erwarten in den fünf Kapitel des Buches (Zeugnis ablegen; „Was gehen uns die Seelenkämpfe solcher Bestien an?“; Widerstandserzählungen und Heldenberichte; „Darlegung der historischen Wahrheit"?; Widerstandsgeschichte „von unten“ schreiben) unerwartete Konfigurationen und Signaturen, Artikulationen und Spuren des Antifaschismus. Er trifft auf Helden und Kämpfer, Täter und Opfer, Märtyrer und Verräter. Neben unbekannten, randständigen und abgesunkenen Texten, denen man auf der Zeitreise begegnet, wird man mit vielen Leerstellen und Lücken, die in der noch ausstehenden Kulturgeschichte des Antifaschismus geschlossen werden sollten, konfrontiert.

Die weder streng chronologisch noch strikt systematisch gegliederte Studie „entstand von 1996-2000 im Rahmen eines von der DFG geförderten Projekts zur ‚Geschichte des Herrschaftsdiskurses in der DDR. Institutionen, Leitbilder und Praktiken’. Sie untersucht in einer Zusammenschau historiographische und literarisch-publizistische Ausdrucksformen des Antifaschismus in ihrer jeweiligen Materialität vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren in der DDR.“ (S. 16). Barck rekonstruiert, was Antifaschismus in der DDR war, unter welchen Bedingungen er zustande kam, welche Akteure beteiligt waren und was – mit Blick auf seine Abhängigkeit von der SED-Politik im Auftrag der Parteiführung von der ersten Stunde an – ausgegrenzt wurde.

Am Anfang steht die Skizze des kurzen Lebens der als gesamtdeutsche Organisation 1947 gegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Warum ausgerechnet die VVN 1953 auf Beschluss der SED-Führung aufgelöst wurde, wird auf dem Hintergrund der von Simone Barck untersuchten Debatten über die Veröffentlichungen des VVN-Verlages deutlich. Die hier zum Ausdruck gebrachte Bandbreite des Widerstandes passte nicht in das Konzept der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten KPD-Führer. Sie waren unter der Losung „Nach Hitler kommen wir“ angetreten und hatten nicht vor, die ihnen übertragene Macht zu teilen.

Für sie waren für die Widerstandskämpfer aus dem Land gewöhnliche Themen wie Verrat und Denunziantentum tabu, die ohne ihre Billigung vor Ort bereits praktizierte Einheitsfront mit anderen Antifaschisten ein Störfaktor und jede Erwähnung des in der UdSSR praktizierten Terrors eine vom Klassenfeind verbreitete Verleumdung. „Die Klasse gibt uns Kraft und Mut und die Richtung die Partei, mit Walter Ulbricht kämpft sich’s gut, voran, die Straße frei!“ – dichtete Max Zimmering 1961. Autorinnen und Autoren, die nicht bereit waren, in dieser vorgegebenen Richtung zu marschieren, wurden ausgegrenzt, was sie zu sagen hatten, zensiert oder erst gar nicht für den Druck freigegeben. Viele von ihnen verließen die SBZ oder versuchten, ihre Erinnerungen und Skizzen in den von den anderen Alliierten besetzten Zonen zu veröffentlichen. Doch hier waren sie mit neuen Problemen und anderen Verdrängungsmechanismen konfrontiert.

In diesem Zusammenhang sind die in den ersten zwei Kapiteln der Studie untersuchten Schwierigkeiten mit der Biografie von Lilo Hermann, das Sachsenhausenbuch von Arnold Weiß-Rüthel, der von Walter Hammer begründete Fackelreiter-Verlag, der Streit um die Erinnerungen von Rolf Weinstock oder das Buch „Goethe in Dachau“ von Nico Rost zu nennen. Praktizierter Antifaschismus stieß in Ost und West auf Schwierigkeiten, Hindernisse und Ablehnung. Da viele dieser Geschichten nach der Wende aus unterschiedlichsten Anlässen wieder eine Rolle spielten – von Simone Barck u.a. am Beispiel der Erzählung „‚Die Kommandeuse’ und dem ‚Fall’ Stephan Hermlin“ erläutert – lohnt es, immer wieder, auch die gründlich recherchierten anderen „Fälle“ über die „richtige Darstellung der KZ-Geschichte“ nachzulesen.

Die daran anschließenden Kapitel 4 und 5 sind den unterschiedlichen Akteuren und Auftraggebern der Widerstandsgeschichtsschreibung in Ost- und Westdeutschland gewidmet. Im Osten ist es Ernst Thälmann als von oben in Auftrag gegebenes Werk von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, im Westen der Versuch, Widerstandgeschichte von unten – durch Peter Weiß – zu schreiben. In Person der Charlotte Bischoff wird der Glücksfall (für Peter Weiss) zur Chiffre in der „Ästhetik des Widerstandes“.

Hieran ist, wie Simone Barck in der Nachbemerkung hervorhebt, anzuknüpfen. Die neue Generation, an die sich die Autorin wendet, wird mit Gewinn auf den vieldimensionierten übersichtlich gegliederten und sachkundig kommentiert angeboten Erfahrungsschatz zurückgreifen.

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