Cover
Titel
Muzeum.


Autor(en)
Machcewicz, Paweł
Erschienen
Kraków 2017: Znak
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 23,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Heinemann, Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow, Leipzig

Der Zweite Weltkrieg ist in Polen bis heute nicht vergangen. Dies wird aus Paweł Machcewiczs Erfahrungsbericht zur Entstehung des bislang größten, teuersten und zugleich politisch umstrittensten Museumsprojekts des Landes, des Museums des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk (Danzig), deutlich. Die Bedeutung dieser Institution markiert bereits der Titel der polnischen Originalausgabe: „Das Museum“. Bis heute ist der Streit um seine Dauerausstellung und deren andauernde Trans- bzw. Deformation gemäß den geschichtspolitischen Vorstellungen der aktuellen Regierung in der polnischen Öffentlichkeit immer wieder präsent. Für polnische Leser ist somit klar, welches Museum nur gemeint sein kann. Symbolisch macht das Buchcover mit dem Foto eines Protestplakats mit der unmissverständlichen Botschaft „Politiker! Hände weg von der Ausstellung!“ klar, dass es sich bei dem Buch um eine Streitschrift handelt, die mitten in einen der heißesten geschichtspolitischen Konflikte Polens der letzten zehn Jahre führt.

Als Ideengeber des Museums, Gründungsdirektor und einer der zentralen intellektuellen Köpfe hinter der Dauerausstellung präsentiert der Autor seine Perspektive der Ereignisse, die Anfang 2017 zur Eröffnung des Museums, kurz darauf jedoch zur Ablösung der Direktion führten. So viel sei bereits vorweggenommen: Als zentraler Protagonist der Geschehnisse schildert Machcewicz seine fast neunjährige Museumserfahrung engagiert und immer wieder auch emotional, dabei bleibt er jedoch stets auf einer argumentativen Ebene. Dies macht das Buch zu einem außerordentlich spannenden und lesenswerten Dokument einer Auseinandersetzung, die gerade für ausländische Beobachter oft nur schwer nachzuvollziehen ist. Mit der Anfang Mai erschienenen Übersetzung steht es nun auch einem deutschsprachigen Lesepublikum zur Verfügung.1

Die Darstellung gliedert sich in drei große Abschnitte, die der Chronologie der Ereignisse folgen. Zunächst werden die Anfänge des Museumsprojekts geschildert, ausgehend von einem Artikel Machcewiczs in der auflagenstärksten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Im November 2007 entwarf er darin die Idee eines Museums der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das in Polen entstehen und die Kriegsereignisse in breiter europäischer Perspektive zeigen sollte. Hintergrund waren die damaligen politischen Verstimmungen zwischen Berlin und Warschau aufgrund der deutschen Pläne für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“, dem die polnische Seite eine Verharmlosung deutscher Verantwortung für die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges vorwarf. Machcewiczs Vorschlag einer in gemeinsamer Regie mehrerer europäischer Staaten zu schaffenden Institution griff der damalige Premier Polens Donald Tusk auf und lancierte sie bereits im Dezember 2007 bei einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin. Nach der kühlen Reaktion aus Berlin entschied Tusk, das Projekt dennoch und aus ausschließlich polnischen Finanzmitteln umzusetzen. Die Realisierung des Museums trug man – überraschend für ihn selbst – Machcewicz an. Dieser politische Kontext der Genese und nicht zuletzt die hohen Kosten des Mammutprojekts wurden den Museums- und Ausstellungsmachern in der späteren Auseinandersetzung immer wieder zum Vorwurf gemacht. Vor diesem Hintergrund ist auch der Exkurs zum (geschichts-)politischen Hintergrund der Entstehung weiterer prominenter internationaler Holocaust- und Kriegsmuseen zu sehen (S. 44–54). Bereits in dieser Darstellung wird ein wesentliches Anliegen Machcewiczs deutlich: Immer wieder greift er Vorwürfe und Kritikpunkte seiner Gegner auf, um sie auf sachlicher Ebene einzuordnen und zu widerlegen. Besonders viel Raum nimmt diese argumentative Auseinandersetzung in der Schilderung der Welle von Kritik seitens rechtskonservativer Politiker, Journalisten und Historiker ein, die der Veröffentlichung des ersten Museumskonzepts Ende 2008 folgte. Machcewicz gibt hier sowohl seinen Gegnern als auch seinen Unterstützern mit umfangreichen Zitaten Raum, was das Nachverfolgen der Debatte für den Leser ermöglicht. Zusammen mit den Verweisen auf publizierte wie nichtöffentliche Dokumente macht dies den Band damit zugleich zu einem informativen Quellenfundus.

Im zweiten Abschnitt wird detailliert die Zusammenstellung des Teams geschildert, das das Projekt in den folgenden Jahren ausarbeiten und voranbringen sollte, ebenso wie die organisatorischen und politischen Prozesse der Museumsgründung, die Probleme seiner Finanzierung und schließlich des Museumsneubaus selbst. Machcewicz gibt hier nicht zuletzt Einblick in die Kommunikationsprozesse mit dem zuständigen Ministerium wie mit der Kanzlei des Premierministers. Auch schildert er wichtige Hintergründe späterer Kontroversen, wie etwa die frühe Gründung eines Museums auf der Danziger Westerplatte und dessen Verbindung mit dem Museum des Zweiten Weltkrieges. Ersteres sollte von der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) später zur Absetzung des Direktors instrumentalisiert werden. Einblick erhält man des Weiteren in die Entwicklung des Museumskonzepts im Austausch mit dem mit international renommierten Historikern besetzten wissenschaftlichen Beirat sowie durch Studienbesuche in Museen weltweit. Im Zentrum dieses Kapitels steht jedoch die Entstehung der Dauerausstellung selbst, insbesondere ihrer materiellen Basis, das heißt der Aufbau einer bis dahin fehlenden eigenen Sammlung originaler Objekte und die damit verbundenen Herausforderungen, denen sich das Team gegenübersah.

Das dritte Großkapitel – treffend betitelt mit „Krieg“ – ist schließlich der Auseinandersetzung um das Museum zwischen dessen Leitung und der PiS-Regierung gewidmet. Besonders in diesem Abschnitt stellt Machcewicz die ungeheure emotionale und psychische Belastung heraus, der sich das Museumsteam angesichts der andauernden Bedrohung durch die Ende 2015 ins Amt gekommene Regierung ausgesetzt sah. Dem kontinuierlichen Behindern des Museumsbaus auf finanzieller und organisatorischer Ebene folgte schließlich der drastischste Angriff in Form einer Bekanntmachung des Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe, das Museum des Zweiten Weltkriegs mit dem – lediglich auf Papier bestehenden – Westerplatte-Museum verschmelzen zu wollen. Hierdurch sollte eine nominell neue Institution geschaffen werden, was den Weg zur Absetzung Machcewiczs freigemacht hätte. Veröffentlicht wurde dieses entscheidende Dokument, das die Liquidierung des größten Museumsprojekts des Landes bedeutete, ohne vorherige Rücksprache mit den Betroffenen an einem Freitagnachmittag Mitte April 2016 auf der Website des Ministeriums, in der Hoffnung, eine öffentlichkeitswirksame Reaktion der Museumsleitung und der Presse zu vermeiden. Bereits am Samstagmorgen jedoch mobilisierten Machcewicz und sein Team hunderte Wissenschaftler, Journalisten und Museumsfachleute weltweit; eine über Monate anhaltende öffentliche Kontroverse folgte. Gegen die Pläne des Ministeriums gingen das Museum und seine politischen Unterstützer auch rechtlich vor. Die Schilderung der monatelangen gerichtlichen, publizistischen wie parlamentarischen Auseinandersetzungen gibt einen intensiven Einblick in die – es ist anders kaum zu beschreiben – Realsatire aktueller polnischer Regierungs- und Parlamentspolitik. Am 5. April 2017 machte jedoch ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts den Weg frei für die Umsetzung des Ministerialerlasses: Es entstand das „Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk“; Machcewicz und seine Stellvertreter wurden bereits am nächsten Tag entlassen. In den folgenden Wochen verließen zahlreiche Mitarbeiter, die an der Entstehung des Museums maßgeblich beteiligt waren, die Institution oder wurden entlassen. Die neue Direktion begann bald damit, in die Dauerausstellung einzugreifen, was einen Rechtsstreit über Urheberrechtsfragen zur Folge hat, der gegenwärtig andauert.

In einem abschließenden Kapitel schließlich ordnet Machcewicz selbst die Kontroverse um das Museum und vor allem um sein inhaltliches Konzept in die bereits seit mehr als einem Jahrzehnt andauernden innerpolnische Auseinandersetzungen um das polnische historische Selbstbild, nationale Identität und die Ziele historischer Bildung ein.

Wie der Autor in seinem Bericht immer wieder hervorhebt, waren sein Team und er letztendlich erfolgreich: Es gelang ihnen gegen alle Widerstände, „vollendete Tatsachen“ (S. 187) zu schaffen – den Museumsneubau fertigzustellen und die Dauerausstellung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen; ein Erfolg, der bis zuletzt kaum möglich schien. Die Präsentation, die die polnischen Kriegserfahrungen in einer übergreifenden Erzählung europäischer, teilweise auch globaler Kriegsereignisse und Kriegserfahrungen verortet, in der die Zivilbevölkerung als Hauptleidtragende der Kämpfe und Besatzungen im Zentrum steht, wurde sowohl von einem internationalen Fachpublikum als auch der Öffentlichkeit begeistert aufgenommen. Die Eintrittskarten waren über Wochen nach der Museumseröffnung ausverkauft. Der Stolz des Autors auf diesen „Sieg“ (S. 255, 257, 298) lässt sich gut nachvollziehen.

Dieser sehr persönliche Bericht der Entstehungs- und Streitgeschichte des Museums des Zweiten Weltkriegs spiegelt die aktuelle Polarisierung der erinnerungskulturellen, geschichtspolitischen wie historiografischen Debatten in Polen. Das Buch gibt damit einen tiefen Einblick in eine der – bezogen auf die eigene Vergangenheit und Erinnerungskultur – streitlustigsten Gesellschaften Ostmitteleuropas. Sowohl für Spezialisten als auch allgemein Interessierte ist es damit sehr zu empfehlen.

Anmerkung:
1 Paweł Machcewicz, Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit, Wiesbaden 2018 (aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew).