: Rethinking the Great Depression. A new view of its causes und consequences. Blue Ridge Summit 2002 : Ivan R. Dee Publisher, ISBN 1-56663-472-5 1912 S. $12.95

: Reflections on the Great Depression. . Cheltenham 2002 : Edward Elgar, ISBN 1-84064-745-0 XII, 230 p. $85.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Baltzer, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Die als Große Depression bezeichnete Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre traf die USA mit ähnlicher Intensität wie Deutschland. Die herbeigesehnte Erholung ließ jedoch in den Vereinigten Staaten deutlich länger auf sich warten, so dass sich die Depression dort wesentlich stärker als in anderen Staaten als das traumatische Ereignis der Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Sowohl Politiker- als auch Expertenwissen versagte angesichts der desolaten wirtschaftlichen Situation.

Während die einen sich auf das klassische Say´sche Theorem beriefen und auf die selbstregulierenden Kräfte des Marktes verwiesen, entwickelten Mitglieder der Österreichischen Schule der Nationalökonomie die Theorie, dass die Depression als das unvermeidbare Ergebnis der Überinvestition der 1920er-Jahre anzusehen sei. Die Intensität der Depression führten sie auf die in ihren Augen kontraproduktiven Eingriffe der Regierung zurück. Dann kam John Maynard Keynes, der in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre behauptete, dass das kapitalistische System unstabil und anfällig für starke und unvoraussagbare Schwankungen im generellen Niveau von Arbeit und Output sei. Er schloss daraus, dass nur durch das Handeln der Regierung in Phasen schwacher privater Investition die Vollbeschäftigung sichergestellt werden könne. Dem widersprachen die Monetaristen, angeführt von Milton Friedman. Ihrer Ansicht nach war die Ursache für die Depression bei der Politik der Notenbanken (Federal Reserve System) zu suchen, die nicht genügend gegen die monetäre Deflation zu Beginn der 1930ereJahre unternommen hätte. Die kontroversen Debatten zu diesem Thema werden bis heute geführt, so dass Bernanke (1995) zu dem Schluss kommt, dass das Begreifen der Abläufe und Mechanismen während der Großen Depression den „Holy Grail of macroeconomics“ darstelle.

Zwei konzeptionell ganz unterschiedliche Werke leisten jeweils auf ihre Art einen Beitrag zum Verständnis der Weltwirtschaftskrise in den USA. Die zentrale These in Gene Smileys Werk „Rethinking the Great Depression“ lautet, dass das ökonomische Versagen an einer Reihe grundsätzlich falscher Regierungsentscheidungen festzumachen ist. Dabei liegt für ihn die zentrale Ursache in dem krampfhaften Bestreben einzelner Staaten (insbes. Großbritanniens), wieder zum Goldstandard im Verhältnis vor dem Ersten Weltkrieg zurückzukehren, was aber aufgrund der vorangegangenen Inflation nicht mehr dem heimischen Preis- und Lohnniveau entsprach. Dadurch entwickelte sich eine Überbewertung der eigenen Währung, was zur Verteuerung von Exporten führte und somit eine deflationäre Entwicklung nach sich zog. In Reaktion darauf und aufgrund des mit Argusaugen beobachteten boomenden Aktienmarktes erhöhte der Notenbankausschuss (Federal Reserve Board) zu Beginn 1928 die Zinsen und setze diese Politik der deflationären Schritte bis Ende 1929 fort. Eine weitergehende Theorie, warum die Auswirkungen dieser Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Einbruch am Aktienmarkt so drastische Folgen hatten, liefert Smiley nicht und konzentriert sich stattdessen auf die Gründe, warum die Grosse Depression in den USA länger dauerte als etwa in Deutschland oder in anderen Staaten. Dabei geht er sowohl auf die fehlgeleitete Interventionspolitik Herbert Hoovers ein, als auch auf den von der Roosevelt Regierung beschlossenen New Deal, der die Grosse Depression eher noch ausweitete und schließlich zu einer Depression innerhalb der Depression führte.

Des Weiteren möchte Smiley mit der These aufräumen, dass der Zweite Weltkrieg gut für die amerikanische Wirtschaft gewesen sei. So zeigt er, dass das Verschwinden der Massenarbeitslosigkeit allein auf die Einberufung von 12 Millionen US-Bürgern in die Armee zurückzuführen ist. Auch wenn die Produktion während der Kriegsjahre zulegte, bedeutete dies keine Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen im Lande, da die neue industrielle Aktivität ausschließlich staatlich gesteuert auf die Kriegsproduktion ausgerichtet war. Das gut lesbare Werk eignet sich als Einführung in die Thematik der Grossen Depression und wendet sich an eine über den Expertenkreis hinausgehende breite Leserschaft, bietet aber auch für den bereits fachlich versierten Leser durchaus neue Perspektiven. Bedauerlich ist lediglich, dass der Text keinen Anmerkungsapparat enthält, der eine Brücke hätte schlagen können zwischen der kommentierten Bibliografie am Ende des Buches und den im Text aufgeführten Positionen.

Diesem Defizit kann der Leser auf unkonventionelle Weise zum Teil mit dem zweiten vorzustellenden Werk von Randell E. Parker, „Reflections on the Great Depression“ begegnen. Die Ausgangsidee darin ist folgende: Man nehme das traumatischste Ereignis in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften, treibe ein paar Zeitgenossen auf, die behaupten, dass sich ihr Leben dadurch nachhaltig verändert habe bzw. sie dadurch geprägt worden seien, und schon ist ein Stoff vorhanden, wie ihn der Leser gemeinhin liebt: Historisch einschneidende Ereignisse aufgezeigt an persönlichen Schicksalen. Soweit so gut, aber es geht noch weiter: Was, wenn die befragten Zeitgenossen die „Experten“ sind, die uns in den vergangenen Jahrzehnten erklärt haben, wie Ökonomie funktioniert? Wenn sich durch die Große Depression vielleicht tatsächlich ihr persönliches Leben verändert hat, daraus dann aber folgt, dass die Veränderung in ihrem Leben auf das gesamte ökonomische Verständnis Einfluss ausübte? Was, wenn die befragten Zeitgenossen diejenigen sind, die uns zu unserem heutigen ökonomischen Denken geführt haben? Dann wird aus der einfachen Idee ein sowohl unter historischen als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten einzigartiges und vielschichtig auswertbares Zeitdokument.

1997 und 1998 führte Parker Interviews mit elf führenden Ökonomen, die alle in den 30er-Jahren an ihren Dissertationen arbeiteten bzw. diese abgeschlossen haben. Von den elf Interviewpartnern, unter ihnen vier Nobelpreisträger, sind in der Zwischenzeit fünf verstorben: Moses Abramovitz, Albert Hart, James Tobin (Nobelpreisträger 1981), Wassily Leontief (Nobelpreisträger 1973) und Herbert Stein. Die weiteren Interviewpartner waren Paul Samuelson (Nobelpreisträger 1970), Milton Friedman (Nobelpreisträger 1976), Charles Kindleberger, Anna Schwartz, Morris Adelman und Victor Zarnowitz.

Ben S. Bernanke 1 verweist dann auch in seinem Vorwort darauf, dass neben den unschätzbaren Einsichten in die Entwicklung der ökonomischen Theoriegeschichte während der Depression, als junge aufstrebende Ökonomen die bis dahin existierenden Theoriegebäude einstürzen sahen, der Leser von einer außergewöhnlichen Gruppe von Leuten mit unterschiedlichem sozio-kulturellen Hintergrund über diese Zeit erfährt. Ihre Erfahrungen spiegeln in einem Mikrokosmos die Erfahrungen von Millionen während der Depression wider.

Um die Interviews einordnen zu können, verweist Parker in einem einführenden Kapitel auf seine eigenen empirischen Forschungen 2, in denen er zunächst unterschiedliche monokausale Erklärungen ökonometrisch getestet hat. Danach kann die Intensität und die Dauer der Depression nur im Zusammenspiel verschiedener Variablen signifikant erklärt werden. Die dabei zu Grunde liegenden Theorien sind Milton Friedmans monetäre Hypothese, Ben Bernankes Schulden-Deflations Hypothese und Barry Eichengreens Goldstandard Hypothese.

Natürlich weist jedes der als Interview aufgeschriebenen Gespräche seinen eigenen individuellen Verlauf auf. Dennoch versucht Parker eine Vergleichbarkeit durch ähnlich gestellte Fragen zu gewährleisten, wie etwa: “Was denken Sie von monokausalen Erklärungen der Grossen Depression?”, “Was war der eigentliche Anstoß für die Grosse Depression und was der Grund für ihre Intensität?”, “Womit endete die Grosse Depression?”, “Könnte es wieder passieren?”, “Was bedeutete die Grosse Depression in Bezug auf Ihr Denken und Ihre berufliche Laufbahn?”, “Was können wir aus den gemachten Erfahrungen lernen?”. Trotz der unterschiedlichen Antworten gibt es doch erkennbare Gemeinsamkeiten. So konnte sich keiner der Interviewten eine Wiederholung der Grossen Depression vorstellen, wenn sie sie auch nicht völlig ausschließen wollten. Interessant ist die Ansicht der meisten Interviewten, dass mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg bzw. mit der Finanzierung der Mobilisierung die amerikanische Wirtschaft aus der Depression herauskam, eine Ansicht, die man mit Smileys oben angesprochenen Ergebnissen kritisch hinterfragen bzw. ergänzen sollte.

Auch wenn die Interviews sicherlich keine völlig neuen Sichtweisen der interviewten Experten zu Tage fördern, so liefern sie doch eine zusätzliche, zum Teil sehr persönliche Perspektive der bedeutendsten Ökonomen der Zwischenkriegsgeneration.

Literatur:
1 Bernanke, Ben, The Macroeconomics of the Great Depression. A Comparative Approach, in: Journal of Money, Credit, and Banking 27 (1995), S. 1-28.
2 Fackler, J. S.; R. E. Parker, Accounting for the Great Depression. A Historical Decomposition“, in: Journal of Macroeconomics 16 (1994), S. 193-220.

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