H. Puff u.a. (Hgg.), Zwischen den Disziplinen

Cover
Titel
Zwischen den Disziplinen?. Perspektiven der Frühneuzeitforschung


Herausgeber
Puff, Helmut; Wild, Christopher
Erschienen
Göttingen 2003: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Klinger, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Interdisziplinarität ist wichtig, zweifellos. Ebenso bedeutsam aber ist, sich zugleich der Disziplinarität, der eigenen Spezialisierung, Gegenstände, Fragestellungen, Methoden und auch fachlichen Grenzen als Grundlage interdisziplinärer Zusammenarbeit bewusst zu bleiben. Die Herausgeber des anzuzeigenden Sammelbandes stellen deshalb am Beginn ihrer Einleitung zu Recht heraus, dass in wissenschaftspolitischen Zeiten, in denen der Wunsch interdisziplinärer Forschung selbstverständlich scheint, besonders gründlich über die Art und Weise einer sinnvollen Interdisziplinarität aus der Perspektive verschiedener Fächer nachzudenken ist, denn weder die pauschale Verurteilung der Spezialisierung noch die schlichte Feier jeglicher Grenzüberschreitung hilft hierbei weiter. Der vorliegende Band, der auf ein Wolfenbütteler Arbeitsgespräch vom Juni 2001 zurückgeht, hat es sich zur Aufgabe gemacht, am Beispiel der Frühneuzeitforschung die Möglichkeiten interdisziplinären Arbeitens auszuloten.

Nicht immer ist den – als eigenständige Studien dennoch durchweg lesenswerten – Beiträgen zu entnehmen, wieso gerade sie in diesen Band geraten sind. Die Einleitung muss manchmal helfen, die „disziplinäre Perspektivität“ in interdisziplinärer Absicht zu erkennen. Auf einige Beiträge, die den Anspruch des Bandes, Perspektiven der Frühneuzeitforschung aufzuzeigen, nicht allein, aber doch besonders gelungen herausarbeiten, sei deshalb beispielhaft hingewiesen.

Dominik Perler geht der interessanten Frage nach, welche frühneuzeitlichen Texte überhaupt als philosophische Texte angesprochen werden können (Was ist ein frühneuzeitlicher philosophischer Text? Kritische Überlegungen zum Rationalismus/Empirismus-Schema, S. 55-80). Sein Beispielfall sind Descartes’ Meditationes de prima philosophia. Ausgehend von einem methodisch wie sachlich begründeten Unbehagen an der üblichen Charakterisierung der frühneuzeitlichen Epoche der Philosophiegeschichte durch die Opposition von Rationalismus und Empirismus sowie durch die Grundlegung von Subjektivitätsstheorien zeigt Perler in einer knappen kritischen Sichtung der Anfänge der Philosophiegeschichtsschreibung, wie diese Vorstellung durch Kant und besonders Hegel normierende Kraft erlangte. Über die von Perler geltend gemachten philosophiegeschichtlichen Einwände gegen diese historiographische Einordnung der frühneuzeitlichen Philosophie nach dem traditionellen Schema der Erkenntnistheorie hinaus, sind vor allem die weiterführenden Überlegungen interessant, die zeigen, wie die Öffnung zu anderen Disziplinen den Umgang mit philosophischen Texten der Frühen Neuzeit verändern kann.

Dazu stellt Perler die Meditationes aus unterschiedlichen Perspektiven vor. Zunächst fragt er nach deren Bedeutung für die physikalischen Vorstellungen Descartes’. Er bindet sie an dessen frühes Werk zurück und erkennt so, dass die physikalischen, optischen und physiologischen Abhandlungen nun um einen Text ergänzt wurden, der versucht, „begriffliche und metaphysische Grundlagen für jene naturwissenschaftlichen Theorien zu schaffen“. Die Betonung der Physik führt Perler dazu, die Meditationes eben nicht als die „Neubegründung der Philosophie als einer autonomen Disziplin“ zu verstehen, sondern in erster Linie als einen Text, der die Nähe der Philosophie zu den Naturwissenschaften zeigt. Wissenschaftshistorische Untersuchungen, so Perler, würden diese der frühneuzeitlichen Philosophie inhärente Interdisziplinarität nicht nur im Werk von Descartes aufzeigen können. Doch auch in der Analyse der literarischen Form der Meditationes bietet Perler neue Perspektiven auf einen philosophischen Text, da nicht nur die spezifische Textstruktur, sondern auch deren besondere Wirkungsabsicht freigelegt werden kann.

An einem ganz anderen Beispiel zeigt Susanna Burghartz, wie interdisziplinäre Forschungen eine historischen Untersuchungsgegenstand immer wieder neu konstituieren können und dadurch zu neuen Einsichten führen. Ihr Beispiel ist die Geschichte der Ehe in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, genauer zur Zeit der Reformation (Umordnung statt Unordnung? Ehe, Geschlecht und Reformationsgeschichte, S. 165-185). Obgleich die Ehe schon lange Gegenstand der Reformationsforschung war, wurde sie nach Auffassung Burghartz’ in diesen Untersuchungen zwar als grundlegende Institution zur Herstellung gesellschaftlicher Ordnung betrachtet, doch durch die Zuordnung zum privaten oder zivilrechtlichen, mithin angeblich „unpolitischen“ Bereich in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung nur begrenzt verstanden. Burghartz zeigt nun anhand einiger ausgewählter Forschungspositionen, wie durch verschiedene methodische und disziplinäre Ansätze das Verständnis für die Ordnungsfunktion der Ehe zugleich erweitert und genauer bestimmt werden konnte. Gerade in Bezug auf die Ehe, einen Ort institutionalisierter Geschlechterverhältnisse, erweist sich die Geschlechtergeschichte als besonders fruchtbar, besonders wenn sie etwa um diskurs- und literaturwissenschaftliche Fragestellungen ergänzt wird.

Dann zeigt sich nämlich, wie sehr die noch immer gängige Vorstellung einer ordnungstiftenden Rolle der Reformation in den Bereichen von Moral und Ehe den rhetorischen Selbststilisierungen der Reformatoren verhaftet ist. Wenn als ein Ergebnis dieser neuen, interdisziplinären Forschungen zur Ehe am Beginn der Frühen Neuzeit festgehalten werden kann, dass hier die These von der Reformation als einer scharfen Zäsur in Frage gestellt wird, so zeigt sich auch die Anschlussfähigkeit an ganz anders gelagerte historiographische Ansätze, die ihrerseits die Frage der Epochegrenze zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit problematisieren.

Auch Lorraine Daston analysiert in ihrer Betrachtung der neueren Entwicklung von „early modern history“ und der „history of science“ sehr überzeugend, welchen Gewinn verschiedene Disziplinen voneinander haben können (Early Modern History Meets the History of the Scientific Revolution: Thoughts towards a Rapprochement, S. 37-54). Sie betont die Bedeutung, die die jeweilige (Meister)Erzählung der einen Disziplin für die andere besitzt, da nur über diese fachfremde Forschungsergebnisse rasch rezipiert und für die eigene Arbeit fruchtbar gemacht werden können. Für eine verbesserte interdisziplinäre Kommunikation schlägt Daston mit der Erforschung der „history of experience“ für die Frühe Neuzeit ein gemeinsames Projekt vor, das für beide Wissenschaftsbereiche große Relevanz besitzt und deshalb integrative Wirkung entfalten kann.

Wie gesagt, nicht alle Aufsätze des Bandes zeigen so eindrücklich die avisierten Perspektiven der Frühneuzeitforschung „zwischen den Disziplinen“ auf, doch der Leser legt nach der Lektüre einen auch ohne dies anregenden Band aus der Hand.

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