Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen

Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum (12344)
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12344
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.10.2004 - 27.02.2005

Publikation(en)

Cover
Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen. Mainz 2004 : Philipp von Zabern Verlag, ISBN 3-8053-3298-X 970 S., 551 SW- und 353 Farbabb. € 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimó, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam/Freie Universität Berlin

Was kommt nach der Bilderflut? Anmerkungen zur Schau "Mythen der Nationen"

Über die Ausstellung „Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen“ ist bereits ausführlich berichtet worden1, so dass sich die folgenden Ausführungen auf einige bisher wenig beleuchtete Aspekte beschränken. Die Schau – Fortsetzung einer gleichnamigen Ausstellung des DHM zu nationalen Mythen im 19. Jahrhundert2 – ist eine komplexe Darstellung der jeweiligen nationalen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust in zahlreichen europäischen Ländern sowie in den USA und Israel. Behandelt werden Funktionen, wie etwa Versuche zur Schaffung von nationaler Harmonie, eingefangen im Motto „Wir waren alle gut“ (Niederlande), aber auch Konfliktpotenziale der nationalen Meistererzählungen. Besonders deutlich wird das etwa an der auseinanderdriftenden Erinnerung der Kroaten und Serben nach 1989, welche die gegenseitige Aggressivität steigerte. Zugleich handelt es sich erneut um den – durchaus ehrenwerten – Versuch, im DHM so etwas wie „europäische Geschichte“ abzubilden. Der dafür gewählte Ansatz ist der nächstliegende: so viele Kooperationspartner wie möglich in Europa, aber auch in den USA und in Israel zu finden. 27 sind es in der Ausstellung, gar 30 in den beiden dickleibigen, aber hervorragenden Bänden des Kataloges geworden.3

Bevor ich die ausstellungsinszenatorische Seite bewerte, möchte ich mich zunächst inhaltlichen Fragen zuwenden. Erfordert die Darstellung „europäischer Geschichte“, das (auch bildnerische) Erzählen von „Europageschichte“, ein „Vollständigkeit“ anstrebendes Panorama wie in diesem Fall? Dürfen dann kleine, aber wenig bekannte Länder wie Luxemburg oder größere wie Spanien (mit der zentralen Rolle des Bürgerkrieges für den späteren Zweiten Weltkrieg) einfach übergangen werden, oder müssen auch sie (nicht nur im Katalog wie Spanien) alle berücksichtigt werden? Sollte man nicht eher die altbekannten „Großen“ wie Großbritannien oder Frankreich übergehen? Oder wäre vielleicht eine konsequentere Anwendung des Subsidiaritätsprinzips angemessen?

Es wäre ungerecht, der Kuratorin Monika Flacke und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu unterstellen, dies nicht mit bedacht zu haben. So ist die Ausstellung in neun thematische Blöcke gegliedert, angefangen von den „Siegergeschichten“ der „Großen Drei“ und deren Nachwirkungen bis heute, den Geschichten von „Befreiung“ (vor allem im sowjetischen Machtbereich) und „Widerstand“ (mit Unterschieden in West- und Osteuropa), von „Partisanen“ (Italien, Griechenland, Jugoslawien), von Geschichtskontroversen (vornehmlich seit den 1980er-Jahren) bis hin zur Ermordung der Juden, die sich zunehmend, aber nicht gleichförmig in alle nationalen Erinnerungskulturen einschrieb. Hierzu hätte man durchaus einige spannende Fälle wie Lettland (bekannt seit dem Eklat auf der Leipziger Buchmesse 2004 wegen Sandra Kalnietes Gleichsetzung von nationalsozialistischem und sowjetischem Terror), Finnland (trotziges Festhalten an antisowjetischen Geschichtsbildern der Helden des Winterkrieges) oder die Schweiz („Nazigold“-Affäre) vertiefender behandeln können, anderes dagegen zur Schonung der Besucher besser weggelassen. Aber das war museumsdiplomatisch wohl nicht praktikabel.

Ist es überhaupt möglich, europäische Geschichte darzustellen und auf Frankreich oder Deutschland zu verzichten? Ich meine ja: Europageschichte muss sich allerdings vom liebgewordenen Territorialprinzip lösen, das von der Nationalgeschichte übernommen wurde. Europäische Geschichte kann nicht gleichzeitig alles behandeln, was zwischen Palermo und Oslo, zwischen Dublin und Kiew (oder Moskau?) oder Istanbul passierte. Die Ausstellungsmacher scheinen gefangen zwischen dieser Einsicht und den Zwängen einer europäischen Kooperation. Daher wirkt die Ausstellung wenig konzentriert und eher zerstreut. In Zukunft sollte europäische Geschichte anhand weniger, genau und vertiefend erforschter und erzählter Probleme dargestellt werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Europa bleibt eine Idee, wie es auch die Nationalstaaten sind: Schließlich werden Sinsheim, das Hunsrück oder der Fläming auch nicht zwangsläufig in Ausstellungen zur „deutschen“ Geschichte berücksichtigt. Dies soll allerdings kein Plädoyer für eine Geschichte von Metropolen sein. Interessanter stelle ich mir eine Geschichte des „Dorfes in Europa“ vor – anhand weniger ausgewählter Beispiele erzählt, vielleicht auch aus dem Hunsrück?

Der Eindruck der Zerstreuung, den die Bilderschau über die Erinnerung hinterlässt, hängt nicht zuletzt mit dem geradezu massiven Einsatz von Leinwänden (für Kinofilme) und Bildschirmen (für Fernsehsendungen) zusammen. Damit komme ich zur musealen Umsetzung des Themas: Im letzten Raum, bei dem es um die Erinnerung an den Holocaust geht, sind mehr als ein Duzend Videobildschirme in einem Kreis zusammengestellt. Diese Idee ist hervorragend: Betrachter werden eingeladen, verschiedene Versuche der Annäherung an das Thema „Ermordung der europäischen Juden“ in der jeweiligen Nationalgeschichte miteinander zu vergleichen. Auch die Kritik an der „Holocaust-Industrie“ und die popkulturelle Verarbeitung des Themas (z.B. der Comic „Maus“) haben hier ihren Platz. Mit diesem letzten Raum ist man thematisch, gedanklich und bildlich schon sehr weit weg von den Siegergeschichten der „Großen Drei“ (erster Raum), besonders von der schwerfälligen stalinistischen Umsetzung. Der Stalin-Darsteller im Film „Schlacht um Berlin“ schwebt zwar wie weiland Hitler in Riefenstahls Parteitagsfilm vom Himmel ein, wirkt aber tapsig wie Frankensteins Monster, gezwängt in eine weiße Galauniform und vermenschlicht durch eine lächelnde „Väterchen“-Maske. Er wird umringt von Massen von Sowjetsoldaten und befreiten KZ-Häftlingen auf einem düsteren Rollfeld mit zerstörtem Reichstag im Hintergrund. Die Fernsehbilder haben dagegen etwas Leichtes, Zufälliges – vielleicht auch, weil man so leicht an ihnen vorbeischauen kann. Nach mehreren Stunden, die man inmitten dieser Bilderflut verbracht hat, wird es anstrengend. Die museale Darstellung von Geschichte wird hoffentlich bald wieder angenehmer zu betrachten sein. Man hat den pädagogischen Stellwänden der 1970er-Jahre zu Recht „Textlastigkeit“ vorgeworfen. Aber es ist zweifelhaft, ob eine solche flimmernde Bilderflut viel besser ist.

An dieser Stelle noch eine kleine inhaltliche Anmerkung: Es ist falsch, wenn behauptet wird, Länder wie die ČSSR, Polen oder Ungarn hätten sich seit den 1970er-Jahren erneut einer eher „nationalen“ Betrachtung zugewandt. Zwar wurde die unterwürfige Bindung an die Sowjetunion, wie sie noch die 1950er-Jahre prägte, gelockert. Zugleich ließ man aber gerade die schrille nationalistische Propaganda hinter sich, wie sie für den Stalinismus nicht nur in der Sowjetunion, sondern überall typisch ist (siehe Albanien und Nordkorea) und ersetzte sie durch eine eher „pragmatische“, verhaltene Werbung für das jeweilige sozialistische System. Die Uniformität des sowjetischen Systems bis Ende der 1950er-Jahre ging mit betont „nationalen“ Botschaften und Verpackungen einher, was die Legitimität der mit Gewalt eingerichteten Parteidiktaturen erhöhen sollte.4

Die Ausstellung im DHM bietet eine wunderbare Gelegenheit, über die Erinnerung und Erinnerungsforschung der letzten Jahrzehnte nachzudenken; sie regt an, bildet und lohnt auf jeden Fall den Besuch.

Anmerkungen:
1 Eine Auswahl: Baureithel, Ulrike, Bilder einer unabschließbaren Geschichte, in: Freitag, 19.11.2004; Laube, Stefan, Europäisches Bildgedächtnis. Eine historische Ausstellung zur Chiffre ‚1945’ in Berlin, in: Neue Zürcher Zeitung, 29.10.2004; Schmidt, Thomas E., Der Boulevard der Lebenslügen. Ein Ausstellung im DHM in Berlin macht die Abgründe in den europäischen Geschichtsbildern sichtbar, in: DIE ZEIT, 3.2.2005; Bahners, Patrick, Der Mythos der Verdrängung. Legendenbildung im DHM: Der Holocaust und die Nationen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.1.2005.
2 „Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama“, 20.3. bis 9.6.1998. Siehe <http://www.dhm.de/ausstellungen/mythen>.
3 Zum Katalog vgl. die ausführliche Besprechung von Andreas Biefang im Archiv für Sozialgeschichte online 44 (2004): <http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80631.htm>.
4 Vgl. Klimó, Árpád von, Nation, Konfession, Geschichte. Zur nationalen Geschichtskultur Ungarns im europäischen Kontext (1860–1948), München 2003.