Cover
Titel
Making IT Work. A History of the Computer Services Industry


Autor(en)
Yost, Jeffrey R.
Reihe
History of Computing
Erschienen
Cambridge 2017: The MIT Press
Anzahl Seiten
X, 359 S., 19 SW-Abb.
Preis
$ 37.00; £ 30.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Schmitt, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

IT-Dienstleister trugen entscheidend zum digitalen Wandel bei – ihre Rolle sei bisher in der Digitalgeschichte aber sträflich vernachlässigt worden, so die Einstiegsthese des US-Wirtschaftshistorikers Jeffrey R. Yost. Die Forschung habe sich anfangs vor allem auf die Geschichte der Computerhardware(hersteller) konzentriert, in den 2000er-Jahren dann auf die Geschichte der Softwareindustrie – nun müsse diejenige von Serviceanbietern im Digitalen Zeitalter1 angegangen werden. Mit seinem Buch „Making IT Work“ wagt Yost, der vielen Lesern bereits durch seine Beteiligung an einem Standardwerk zur Geschichte des Computers bekannt ist2, einen ersten Vorstoß.

Der Titel des Bandes spielt auf die Aufgabe von IT-Dienstleistern an, Informationstechnologie in Organisationen „zum Laufen zu bringen“. Sie berieten ihre Kunden bei der Planung von Computersystemen, halfen bei deren Installation, Prozessintegration und Wartung und übernahmen wahlweise Datenarbeit wie Lohnbuchhaltung oder einfach die gesamte Datenverarbeitung eines Kunden. Damit waren sie Wegbereiter des Digitalen Zeitalters. An den heterogenen Tätigkeitsfeldern wird schon die Diversität der Branche deutlich, die Yost aus einer unternehmenshistorischen Perspektive in den Blick nimmt und nach Tätigkeitsschwerpunkten geordnet in einzelnen Kapiteln aufbereitet. Er gliedert sein Buch in zwei Hauptteile: ein erstes zu den Wurzeln der Branche, ein zweites über die Ausprägung ihrer Identität. Beide Teile zusammen umfassen die Zeit von Mitte der 1950er- bis Anfang der 1990er-Jahre. In einem dritten, kürzeren Teil widmet sich Yost schließlich dem räumlichen und organisationalen Wandel bis in die jüngste Gegenwart.

Charakteristisch für die Branche waren trotz einzelner großer Player wie IBM vor allem kleine, lokal begrenzte Unternehmen. Die geringe Größe und die Medienabsenz solcher im Business-to-Business-Bereich angesiedelten IT-Dienstleister macht Yost auch als Grund dafür aus, dass sie bisher übersehen wurden. Daher stellt er die Startups der Branche, die Mitte der 1950er-Jahre entstanden, in den Mittelpunkt seines ersten Kapitels. Das entspricht seinem Ansatz im ganzen Buch: Yost arbeitet mit einer beeindruckenden Anzahl von Fallstudien einzelner Unternehmen, die er auf Basis von Quellen des Charles Babbage Institute der University of Minnesota untersucht hat, dem Archiv für Digitalgeschichte schlechthin. Die Leitthese, dass IT-Dienstleister als entscheidende Faktoren für die Wissenszirkulation über Computernutzung in Unternehmen wirkten, da sie von Kunde zu Kunde wanderten, veranschaulicht Yost unter anderem an der Unternehmensberatung Andersen and Company. Dabei begeistert, wie er nicht nur den Lesern ganz nebenbei Grundlagen der Digitalgeschichte vermittelt, sondern auch stets die Gegenwart mit reflektiert. Aus Andersen entstand 2001 Accenture und damit der größte IT-Dienstleister weltweit, der die ökonomische Gegenwart stärker beeinflusst, als die meisten ahnen.

In seinem zweiten Kapitel widmet sich der Autor den Anbietern von Datendienstleistungen, allen voran den Servicebüros von IBM. Sie verhalfen dem Konzern zu seiner marktbeherrschenden Stellung, da er durch sie über die ganze Konzerngeschichte hinweg Problemlöser wurde und nicht nur Computer ablieferte, so Yost. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen die Software-Dienstleister, die vor allem Programmieraufgaben übernahmen oder Programmierer schulten. Sie unterstützten die Kunden teilweise über Jahre, indem sie Programme aktualisierten und Fehler behoben. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit Firmen wie SDC oder Informatics, die bei der Prozessintegration halfen. Ein klassisches Beispiel war das Reservierungssystem SABRE (American Airlines). Hier lernt der Leser, dass Computergroßprojekte oft Jahre später fertiggestellt wurden als geplant, während der Öffentlichkeit funktionierende Versatzstücke präsentiert wurden. Für die Kunden stellten sie eine riesige Herausforderung dar, was sie nur selten kommunizierten. IT-Dienstleister versprachen, diese Herausforderung mit ihrer Expertise handhabbar zu machen – was nicht immer gelang. Genauso vernachlässigt wie IT-Dienstleister sieht Yost die Geschichte von Wirtschaftsverbänden der IT-Branche. Daher widmet er sich in seinem fünften Kapitel der US-amerikanischen ADAPSO (Association of Data Processing Organizations), die 1961 gegründet wurde.

Den Wandel der Branche im Laufe der 1960er- bis in die 1980er-Jahre verknüpft Yost im sechsten und siebten Kapitel mit der informationstechnologischen Entwicklung des Time-Sharing, bei der sich mehrere Kunden einen Computer teilten. Unternehmen wie Tymshare spielten eine beachtliche Rolle in der wirtschaftlichen Nutzbarmachung ausgefallener Ideen von Informatikern. Sie dienen als Beispiele dafür, wie Konzerne bereits in den 1960er-Jahren komplette Rechenzentren auslagerten. Das war nicht nur für Wirtschaftsgiganten oder Banken interessant, sondern vor allem auch für kleine und mittlere Unternehmen, die sich kein eigenes Rechenzentrum leisten konnten. Hier weist Yost auf gegenwärtige Entwicklungen des Cloud Computing hin, ohne dabei Analogien zu überzeichnen: Time-Sharing war für Unternehmenskunden bestimmt, die Cloud dagegen ist auch für den Endkunden gemacht.

Im achten Kapitel wirft der Autor einen Blick auf die Dienstleistungsangebote der Hardwarehersteller. Obwohl einem hier als erstes Unternehmen sicher IBM einfällt, spielte der Supercomputer-Hersteller Control Data Corporation in diesem Bereich lange eine dominante Rolle. Geschickt schaffte es dessen Management in den 1970er-Jahren IBM die Stirn zu bieten. Trotzdem hatten selbst große Dienstleister mit schwankender Auftragslage zu kämpfen, während kleinere vor allem Schwierigkeiten im Vertrieb hatten. Das brachte die Wirtschaftsanalystin Grace Gentry auf die Idee, gemeinsam mit ihrem Mann eine Vermittlungsfirma für Computerdienstleistungen zu gründen, die im neunten Kapitel gemeinsam mit der Rolle von Frauen in der Branche beleuchtet werden. Den Wandel seit den 1980er-Jahren erfasst Yost im abschließenden zehnten Kapitel an drei Prozessen: dem Umbau der großen Player, der Verlagerung von Dienstleistungen ins Ausland und dem Cloud Computing.

Der geografische Schwerpunkt des Buches liegt auf den USA. „In large part, this reflects the industry“ (S. 9), schiebt Yost mit globalem Anspruch hinterher. Für die USA als Untersuchungsgebiet ist seine Analyse brillant. Internationale Entwicklungen nimmt er aber nur vereinzelt mit in den Blick, wobei er sich auf Sekundärliteratur beschränkt. Aus seiner eigenen Argumentation heraus entsteht so eine fragwürdige Schieflage. Gerade zu Beginn waren IT-Dienstleistungsunternehmen hochgradig lokal. Das heißt aber, dass Unternehmungen in den USA nicht notwendigerweise die gesamte Branche widerspiegeln. Dies ist eine unzulässige und veraltete Verallgemeinerung, die zum Teil von Martin Campbell-Kelly herrührt.3 In Europa beispielsweise sah die IT-Dienstleistungslandschaft anders aus. Mit seinem Blick sieht Yost dort aber nur vier Giganten. Dazu passt, dass er phasenweise den Unternehmerhelden der Branche eine Bühne bereitet. Eine akteurszentrierte Geschichte macht Agency für den Leser nachvollziehbar, aber die Digitalgeschichte braucht keine weiteren Heldengeschichten findiger Unternehmer, hinter denen Ideen und Strukturen verlorengehen. Das trifft sogar auf die Darstellung von Frauen in der Branche zu, unter denen – mit der wohltuenden Ausnahme der Darstellung einer einfachen Programmiererin im neunten Kapitel – ebenfalls Heroinnen gesucht werden, obwohl die Forschung bereits weiter ist.4

Der US-zentrierten Perspektive ist eine weitere Schieflage geschuldet: Nur sporadisch berücksichtigt Yost die Kundenseite, obwohl er selbstbewusst anführt, dass sich sein Buch von bisherigen Studien unterscheide, weil im Dienstleistungsbereich Hersteller und Nutzer verwischen. Dienstleistungsanbieter waren eng mit dem Kunden verwoben und damit Technik-Nutzer und Produzenten zugleich. In diese Schnittstelle dringt Yost aber selten vor, weil er stets die Dienstleisterperspektive einnimmt. Wie veränderte der Dienstleister beim Kunden die Art, wie Computertechnologie eingeführt und angewandt wurde? Statt in fast enzyklopädischer Art viele auf Jahresberichten basierende Fallbeispiele aneinanderzureihen, die zwar unerforscht sein mögen, aber meist wenig überraschen und auf eine „aggressive“ Expansion hinausliefen (S. 158–162, S. 204, S. 216, S. 234–243), hätte ein intensiverer Blick auf die Kundenseite größere Erkenntnis versprochen.

In den beiden letzten Kapiteln wagt Yost den mutigen Schritt über die klassische Zäsur von 1989 hinaus. Quellentechnisch behilft er sich dabei vor allem mit Zeitungsberichten und Unternehmenschroniken und zeichnet so erste Linien auf einem wissenschaftlich kaum kartierten Gebiet. Überraschend ist, dass der Kalte Krieg und seine Folgen dabei überhaupt keine Rolle spielen. Zwar analysiert Yost durchaus militärische Großprojekte, allerdings stets diejenigen der US-Seite. Nun war es nicht der Anspruch Yosts, diesen breiteren Zusammenhang einzubeziehen, aber das Ende des Kalten Krieges ermöglichte es gerade Dienstleistungsunternehmen, ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch die Expansion in neue Märkte zu überwinden und dort das Wissen über die kapitalistische Computernutzung zu verkaufen. Angesichts der konsequenten Fortführung der Digitalgeschichte in die Gegenwart sind diese Lücken zu verschmerzen. Gutgetan hätte dem ganzen Buch aber eine stärkere Einordnung in zeithistorische Kontexte, die Yost im angloamerikanischen Stil erst in seinem kenntnisreichen Fazit liefert.

Der Leser bleibt mit dem zwiegespaltenen Gefühl zurück, einerseits Jeffrey R. Yosts Konzentration auf das Wesentliche sowie seine akribischen Fallstudien zu bewundern und andererseits zu wissen, dass hier (noch) mehr möglich gewesen wäre. Trotz der genannten Kritikpunkte ist das Buch, das MIT Press sauber lektoriert und produziert hat, ein großer Wurf, weil es bisher ungekannte Wege in das Digitale Zeitalter aufzeigt.

Anmerkungen:
1 Zum Verständnis von Digitalgeschichte und „Digitalem Zeitalter“ siehe Martin Schmitt u.a., Digitalgeschichte Deutschlands. Ein Forschungsbericht, in: Technikgeschichte 83 (2016), S. 33–70, hier S. 33–38.
2 Martin Campbell-Kelly u.a., Computer. A History of the Information Machine, 3. Aufl., Boulder 2014.
3 Martin Campbell-Kelly, From Airline Reservations to Sonic the Hedgehog. A History of the Software Industry, Cambridge 2004.
4 Vgl. z.B. die Themen und Methoden der Tagung „Shift CTRL: New Perspectives on Computing and New Media“ vom Mai 2016 in Stanford, http://events.stanford.edu/events/590/59041/ (19.02.2018) sowie zur Genderfrage Thomas Haigh u.a., ENIAC in Action. Making and Remaking the Modern Computer, Cambridge 2016.

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