P. Villaume (Hrsg.): Northern Europe in the Cold War, 1965–1990

Cover
Titel
Northern Europe in the Cold War, 1965–1990. East-West Interactions of Trade, Culture and Security


Herausgeber
Villaume, Poul; Ekengren, Ann-Marie; Mariager, Rasmus
Reihe
Aleksanteri Cold War Series 3/2016
Erschienen
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Saskia Geisler, Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte, Ruhr-Universität Bochum

Seit einigen Jahren werden die Stimmen im Forschungsdiskurs um den Kalten Krieg lauter, die einen Wechsel des Blickwinkels fordern – weg vom Trennenden zwischen den Blöcken, hin zu Momenten der Interaktion. Katalin Miklóssy und Sari Autio-Sarasmo, die Herausgeberinnen der Aleksanteri Cold War Series, sind Vorreiterinnen dieser Herangehensweise und haben das Paradigma der „multilevelled interaction“ eingeführt, um zu beschreiben, dass Interaktion auf unterschiedlichen Ebenen verschieden intensiv möglich war und es wichtig ist, diese Möglichkeiten der Einflussnahme nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei betonen sie, dass gerade „kleine“ Staaten wie Finnland hier ein wichtiges Untersuchungsfeld bilden.1

In diesem Sinne berufen sich auch die Herausgeber des Sammelbandes „Northern Europe in the Cold War“ auf Autio-Sarasmo und Miklóssy. Die aus einer Konferenz innerhalb des Netzwerkes „Nordic and North/Central European Network of Cold War Researchers“ im Mai 2012 entstandene Aufsatzsammlung füllt die Forderung der Fokusverschiebung vom Konflikt auf die Kooperation mit Leben. Dabei sei gleich vorweg gesagt, dass der Titel regional leicht irreführend ist. Zwar ist der überwiegende Anteil der Aufsätze tatsächlich auf Nordeuropa fokussiert, drei Aufsätze verlassen diesen regionalen Schwerpunkt jedoch.

Nach der programmatischen Einführung durch Poul Villaume ist der Band in drei thematische Bereiche eingeteilt. Unter der Überschrift „Trade and Technology“ versammeln sich drei Aufsätze, die gemessen an dieser Überschrift einen hohen Fokus auf politische Prozesse haben. Simo Laakkonen und Tuomas Räsänen beschäftigen sich in „Cold War Science Diplomacy in the Baltic Sea Region“ mit dem Umgang vor allem finnischer und sowjetischer Wissenschaftler mit der Verschmutzung der Ostsee. Laakkonen und Räsänen können zeigen, dass der gemeinsame „neutrale“ Grund der Wissenschaft und die Last der drückenden Probleme der Interaktion zwischen den Forschergruppen recht große Freiräume verschafften. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die Nutzung der Oral History als Quelle kaum reflektiert wird. Leena Riska-Campbell beschäftigt sich in „A Global ‚Great Society‘ in the Making?” mit dem Austausch zwischen Wirtschaftsexperten im Rahmen des International Institute for Applied Systems Analysis (IISA) und betont dabei, wie wichtig es ist, diese Prozesse nicht nur bilateral zu betrachten, sondern vielmehr multilaterale Einflüsse zu beobachten. Dementsprechend kombiniert sie die Perspektive der USA und Großbritanniens mit schwedischen Quellen. Suvi Kansikas beschreibt in „Balancing Between Moscow and Brussels” das Lavieren der finnischen Politik zwischen Europäischer Gemeinschaft (EG) und sowjetischem Nachbarn und konstatiert, dass die finnische Außenpolitik zwar sehr stark von der Sowjetunion abhängig gewesen sei, andererseits aber einen sehr guten direkten Draht zur sowjetischen Führungsriege gehabt habe und Freiräume entsprechend nutzen konnte.

Im zweiten thematischen Block, „Culture and Norms“, sind drei Aufsätze versammelt. In „Building Bridges: Deference and National Interests“ untersucht Palle Roslyng-Jensen die Haltung öffentlich-rechtlicher Sender in Schweden und Dänemark gegenüber der Sowjetunion, wobei er feststellt, dass in Schweden deutlicher versucht wurde, kritische Berichterstattung durch positive Darstellungen in der Waage zu halten. Jens Boysen geht in „Defending the Country, the Camp or Both?” der Frage nach, wie nationale Narrative die Entwicklung und Haltung des Militärs in der BRD, der DDR und Polen bis nach 1990 beeinflussten, wobei der Aufsatz nicht mit großen Überraschungen aufwartet. Der letzte Aufsatz in diesem Unterkapitel ist Bent Boels „Go East! Danish Cold War Contacts with Soviet Bloc Dissidents“. Der Beitrag zeichnet sich vor allem durch eine intensive Reflexion der bis heute umstrittenen und ideologisch gefärbten Interpretation von „moralisch richtigem“ oder „falschem“ Handeln in Bezug auf die Unterstützung von Dissidenten aus und zeigt, dass es eher politisch links-orientierte Einzelkämpfer waren, die hier aktiv wurden.

Im dritten und letzten Abschnitt des Bandes „Security and Détente“ sind die am deutlichsten makrohistorisch ausgerichteten Aufsätze versammelt. So beschreibt Stephan Kieninger in „Joining the Bandwagon without a Learning Process” wie das US State Department kleine Staaten nutzte, um die eigene eher positive Position zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gegenüber dem kritisch eigestellten Kissinger durchzusetzen. – Hier geraten die europäischen Staaten in den Hintergrund, werden eher zum Instrument der Erklärung für politische Vorgänge in den USA. Ann-Marie Ekengren und Rasmus Mariager stellen in „The Socialist International, Common Security, and the Palme Commission” dieser USA-fokussierten Studie einen anderen Ansatz entgegen, indem sie bezüglich des Zeitraums der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre nicht nach den verschlechterten Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion fragen, sondern vielmehr darauf schauen, wie die europäischen Kräfte diesen Veränderungen entgegenzuwirken suchten. Schade ist, dass hier zwar die Rezeption des zentralen Dokuments, des Berichts der Palme-Kommission von 1982, postuliert wird, eine tiefergehende Analyse der Wirkung jedoch ausbleibt. Hier kann also auf weitere Forschung gehofft werden. Ähnlich wie Kieninger beschäftigt sich auch Thomas Fischer in „A Lifeline to the Helsinki Process“ mit der KSZE, hier allerdings vor allen Dingen mit den Folgetreffen, und kann dabei herausarbeiten, dass es gerade die neutralen, nicht-alliierten Staaten waren, die ein Scheitern der fortlaufenden Verhandlungen verhinderten. Im letzten Aufsatz des Bandes wirft Kimmo Rentola sodann einen Blick auf das Ende der Sowjetunion mit der Frage „When to Move?“. Speziell betrachtet er das finnische Umgehen mit der Krise der Sowjetunion und ihrer Auflösung. Dabei stellt er fest, dass Finnland schon früh die Krise erkannt und entsprechende Veränderungen in den diplomatischen Beziehungen vorgenommen habe, letztlich aber erst eine Woche nach Auflösung der Sowjetunion 1991 weitreichendere Initiativen etwa zum Beitritt in die EG unternommen habe, da das Ende des Systems für die finnischen Akteure bis zuletzt nicht vorstellbar gewesen sei.

Insgesamt ist „Northern Europe in the Cold War, 1965–1990“ ein durchgängig informativer und lesenswerter Sammelband mit Detailstudien zum Thema, wobei einige Aufsätze, wie bereits einleitend erwähnt, regional nicht ganz zu passen scheinen. Einige der Studien geben wichtige Anregungen, wenn sie den Blick weg von bilateralen hin zu multilateralen Beziehungsgeflechten lenken (Riska-Campbell, Kansikas), oder wenn sie die europäische Position in der Entwicklung des Kalten Krieges betonen (etwa Ekengren / Mariager). Es gelingt allen Texten, die in der Einleitung postulierte Fokusverschiebung vom Konflikt auf das Verbindende umzusetzen und so Interaktionsräume erkennbar zu machen. Allerdings wäre eine tiefergehende methodische Reflexion gelegentlich wünschenswert gewesen. So bleibt zum Beispiel vollständig offen, warum sich sämtliche Autoren gegen die Verwendung des Begriffs der Transnationalität entschieden haben.

Anmerkung:
1 Siehe dazu: Sari Autio-Sarasmo / Katalin Miklóssy (Hrsg.), Reassessing Cold War Europe, New York 2011, besonders die Einleitung, S. 1–15.

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