W. Weinke: Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen

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Titel
Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen…. Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman (1905–1966) – Eine biografische Rekonstruktion


Autor(en)
Weinke, Wilfried
Reihe
Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs 32
Erschienen
Göttingen 2017: V&R unipress
Anzahl Seiten
716 S., 70 Abb.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Kapp, Institut für Germanistik, Universität Potsdam

Wilfried Weinke setzt sich für seine Biografie Heinz Liepmans vor allem ein Ziel: an den bislang nur in der Exilforschung bekannten Schriftsteller, Journalisten und Literaturagenten zu erinnern (S. 25). Allein das ist bereits ein wichtiger Beitrag zur Literatur- und Publizistikgeschichte des 20. Jahrhunderts.

1905 als Heinz Liepmann in Oldenburg geboren, wuchs er in Hamburg auf und musste sich nach dem frühen Tod der Eltern schnell aus eigener Kraft versorgen. In den 1920er-Jahren gelang es ihm, sich als Publizist in dezidiert sozialdemokratischen Periodika, in jüdischen Zeitungen, in Hamburger Lokalblättern, aber auch in überregionalen Zeitschriften zu etablieren. Als Dramaturg arbeitete er in Hamburg und Frankfurt. Liepman veröffentlichte drei teils preisgekrönte Romane, die sich, wie Weinke herausarbeitet, auch autobiografisch motiviert, mit den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs auseinandersetzen. Diese vielfältige Tätigkeit wird vom Autor eingehend beschrieben und ihre Rezeption registriert. Als Schwerpunkte von dessen Arbeit stellt sein Biograf die Literaturkritik und die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus heraus. Politisch engagierte sich Liepman im „Schutzverband Deutscher Schriftsteller“ und kurzzeitig bis zu seinem Ausschluss 1932 auch im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“.

1933 ging Liepman ins Exil, nachdem die nationalsozialistische Presse gegen ihn als Juden und Sozialisten gehetzt hatte. Seine Schriften kamen auf die „Liste der Autoren, die bei der Säuberung der Volksbibliotheken entfernt werden können“, er selbst auf die derjenigen Schriftsteller, die „schädliches Schrifttum“ (S. 597) verbreiteten. Noch im selben Jahr erschien sein „den gemarterten und ermordeten deutschen Juden“ (S. 136) gewidmeter Roman „Vaterland“, der – als authentischer Bericht gekennzeichnet und auf Dokumenten beruhend – ihre Ausgrenzung und Diskriminierung in der Zeit bis zum „Judenboykott“ beschreibt.

Liepman sah aber auch das Dilemma, als Exilant auf ein Thema festgelegt zu sein: „Für einen Teil der Schriftsteller und Journalisten gibt es augenblicklich noch eine Konjunktur, sie wird aufhören, wenn das Interesse der Welt für die Vertriebenen erlischt.“ (S. 165) Als Zeitzeuge gefragt, schrieb er für die Exilpresse Artikel über die Lage in Deutschland, so etwa für die „Neue Weltbühne“, wo er von seiner eigenen Inhaftierung in einem Konzentrationslager berichtete, die – wie Weinke zurückhaltend anmerkt – so nie stattgehabt haben dürfte. Dem Biografen gelingt eine eindrückliche Schilderung von Liepmans Exil-Stationen in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und ab 1937 den USA.

Was sein Leben im Exil von anderen unterschied, sind seine häufigen Gefängnisaufenthalte. Das erste Mal wurde er 1934 in den Niederlanden inhaftiert, weil er in dem nun auch auf Englisch und Holländisch erschienenen Roman „Vaterland“ das deutsche Staatsoberhaupt beleidigt haben sollte. Nach einer internationalen Solidaritätskampagne wurde er freigelassen. Weinke rekonstruiert die vielfachen weiteren Inhaftierungen Liepmans wegen seiner Drogenabhängigkeit anhand der Akten erst des „Home Office“ in Großbritannien, dann des „Immigration and Naturalization Service“ in den USA. Sie verdeutlichen, welche Anstrengungen Liepman unternahm, der wegen dieser Konflikte mit dem Gesetz immer wieder drohenden Abschiebung entgegenzuwirken und auch aus dem Gefängnis heraus weiterhin als Publizist tätig zu sein. Auch wenn er sein Themenspektrum erweiterte und z.B. 1937 ein populärwissenschaftliches Sachbuch zum Gaskrieg veröffentlichte, gelang es ihm nicht, allein vom Schreiben zu leben. So arbeitete er zwischen verschiedenen Gefängnisaufenthalten als Bauer und Hotelangestellter. 1947 wurde er wegen seiner Konflikte mit den Drogengesetzen aus den USA ausgewiesen und kehrte als überzeugter Liberaler nach Deutschland zurück: „Almost all the great German writers are liberals, they left their country because they believed in those ideals on which America is built.” (S. 280)

In Hamburg konnte Liepman seine publizistische Karriere fortsetzen. Er schrieb zunächst für lokale Zeitschriften, dann auch für überregionale wie „Die Welt“, für deren Kulturteil er Veranstaltungsberichte und Literaturkritiken verfasste, und schließlich für internationale wie z.B. das holländische „Algemeen Handelsblad“, deren Auslandskorrespondent er wurde. Durch Vermittlung seines Nachbarn Alfred Andersch konnte er, wie schon in der Weimarer Republik, auch für das Radio arbeiten. Für den Süddeutschen Rundfunk (SDR) produzierte er mehrere Features, z.B. eine Reisereportage über Israel. Zudem gründete er eine Literaturagentur, die englische und amerikanische Bücher an deutsche Verlage wie Desch, Herbig und Rowohlt vermittelte. Nach seiner Hochzeit 1949 überließ er die Agentur seiner Frau und widmete sich ausschließlich dem Schreiben. Auch wenn er sich dadurch seinen Lebensunterhalt sichern konnte, fühlte er sich in der Bundesrepublik nicht heimisch. Politisch sah er sich zwischen den Fronten des Kalten Krieges. Als Liberaler wollte er Distanz wahren vom Kommunismus wie vom Anti-Kommunismus. Die Nicht-Thematisierung und Verleugnung der faschistischen Vergangenheit und nicht zuletzt die antisemitischen Übergriffe 1959 bewegten Liepman dazu, 1961 ein zweites Mal die Bundesrepublik zu verlassen.

Auch von der Schweiz aus blieb Liepman publizistisch aktiv. Er veröffentlichte den Roman „Karlchen“, Reisereportagen, Literaturkritiken und politische Stellungnahmen. Weinke konzentriert sich in der Darstellung auf Liepmans Artikel zur „Vergangenheitsbewältigung“. So berichtet er für die „Weltwoche“ und den Norddeutschen Rundfunk (NDR) vom Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Seine letztes Buch gab er 1966 kurz vor seinem Tod zusammen mit Heinrich Hannover und Günter Amendt bei Rowohlt heraus: „Kriegsdienstverweigerung oder Gilt noch das Grundgesetz?“

Weinkes streng chronologisch aufgebaute Biografie erreicht das selbstgesteckte Ziel, Heinz Liepmans Leben und Wirken wieder in Erinnerung zu rufen. Sie stützt sich neben dessen Veröffentlichungen in wesentlichen Abschnitten auf Liepmans Korrespondenz mit seiner lebenslangen Freundin Mira Rosovsky. Allerdings prüft Weinke kaum, wie zuverlässig die Angaben aus diesen Liebesbriefen sind, die zeitweise auch die Funktion hatten, um sie zu werben und sie zu überzeugen, ihm ins amerikanische Exil zu folgen. Eine quellenkritische Diskussion der extensiv zitierten Briefe hätte manche Auskunft Liepmans über seine Erfolge und Bekanntschaften im Exil wohl relativiert.

Die „biografische Rekonstruktion“ hat ihre Grenzen bei der Analyse der Texte des Protagonisten. Der Autor referiert für die wichtigsten belletristischen Veröffentlichungen den Plot, für die journalistischen die Hauptargumente, er beschreibt dann jeweils die Veröffentlichungsbedingungen und registriert die unmittelbaren Reaktionen wie Rezensionen oder Leserbriefe. Darüber hinaus wird Liepmans Werk aber kaum kontextualisiert. Deswegen werden dessen Argumente für und gegen engagierte Literatur sowie das prekäre Verhältnis von Dokumentarischem und Fiktivem in seiner Belletristik als individuelle Besonderheiten verhandelt und nicht als Probleme, die sich auch anderen Autor/innen stellten. Zurecht betont Weinke in seinem Schlusswort, dass eine Literaturwissenschaft, die sich nicht mit den Produktionsverhältnissen beschäftigt, sich eines „gewichtigen Teils“ (S. 592) ihrer Arbeit entschlägt. Weil er eine systematische Auswertung der von Liepman als Literaturagent vermittelten Titel, die dessen Einfluss auf die Rezeption angloamerikanischer Literatur in der Bundesrepublik belegen könnte, nicht vornimmt, wird dieser Teil seines Wirkens jedoch nicht deutlich. Auch die journalistischen Arbeiten werden nur ansatzweise als Teile eines zeitgenössischen Diskurses rekonstruiert. Zwar erwähnt Weinke in den Fußnoten die einschlägige Forschungsliteratur, etwa wenn er Liepmans Artikel über Juden in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik oder den Eichmann-Prozess referiert. Worin sich aber dessen Stellungnahmen von anderen unterscheiden, diskutiert er nicht.

Die den Band beschließende beeindruckend lange und gründliche Bibliografie der Schriften und Rundfunksendungen Liepmans zeugt von der jahrelangen Recherche Weinkes. Sie zeigt in der Vielfalt der verhandelten publizistischen Themen aber auch, dass es weiteren Forschungsbedarf gibt, um diesen bedeutenden Publizisten in der intellectual history des 20. Jahrhunderts zu verorten.