G. Krüger: Kriegsbewältigung und Geschichtsbewußtsein

Titel
Kriegsbewältigung und Geschichtsbewußtsein. Realität, Deutung und Verarbeitung des deutschen Kolonialkriegs in Namibia 1904 bis 1907


Autor(en)
Krüger, Gesine
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 133
Erschienen
Göttingen 1999: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
306 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel J. Walther, Department of History Co-Coordinator, International Relations Major Wartburg College

Seit der Vereinigung Deutschlands und der Unabhängigkeit Namibias gibt es zunehmendes Interesse an der deutschen Kolonialzeit (1894-1915) in dem ehemaligen Schutzgebiet Südwest-Afrika (dem heutigen Namibia). Dieses Interesse hat verschiedene Gründe. Experten stehen nun Akten über das Forschungsgebiet in beiden Ländern zur Verfügung. Außerdem wurde Helmut Bleys grundlegende Monographie, "Southwest Africa under German Rule" unter einem neuen Titel und mit einer neuen Einleitung wieder veröffentlicht 1. Jedoch nur wenige Veröffentlichungen über diesen Zeitabschnitt behandeln direkt die Afrikaner. Dies ist besonders merkwürdig in Bezug auf den Herero-Krieg. Es gibt wohl einige Studien, die den Krieg darstellen, aber die meisten befassen sich nur mit dessen Ursachen oder versuchen, den Krieg aus der Sicht der Deutschen darzustellen. Eine Ausnahme ist Karla Poewes, "The Namibian Herero. A History of Their Psychological Disintegration and Survival" 2. Krügers Monographie ergänzt unsere Kenntnisse über die Bedeutung des Krieges und ihre Auswirkung auf die Herero und verleiht uns neue Einsichten in dieses Volk.

Das Hauptziel der Autorin ist es dem Herero-Volk eine Stimme zu geben und es nicht als Akteur der Geschichte in Vergessenheit zu geraten. Um dieses Ziel zu erreichen, verknüpft die Studie "drei unterschiedliche Perspektiven: Sie fragt nach Bildern, Mythen und Geschichtsgeschichten über den Krieg und die Geschichte der Herero, nach sozialen, ökonomischen und kulturellen Formen der Kriegsbewältigung der Nachkriegszeit, die in einem Prozeß der Rekonstruktion mündeten, der bisher in der Forschungsliteratur nur in Ansätzen dargestellt worden ist" (S. 15).

Krüger behauptete, daß der Krieg nicht nur für die "Rekonstruktion" der Herero während der deutschen Kolonialzeit, sondern auch für die "Konstruktion, die "Erfindung" der Herero-Nation in den Jahren vor 1945 sehr wichtig war (S. 15). Diese Behauptung richtet sich gegen Argumente anderer Historiker, die die Einwirkung des Kriegs als entweder gering oder nicht vorhanden bezeichneten 3 oder die meinten, er habe zu einer Desintegration des Volkes geführt 4. Die "Rekonstruktion" und die "Konstruktion" teilten sich in drei Phasen ein. Die erste begann während der deutschen Kolonialzeit. Krüger argumentiert, daß der Prozeß der Rekonstruktion "in ökonomischer Hinsicht auf den Wiederaufbau der Viehherden zielte, in spiritueller und politischer Hinsicht auf die Schaffung einer allgemeinen, 'nationalen' Herero-Identität." Mit der Machtübernahme der Südafrikaner 1915 fing die zweite Phase an und wurde durch eine Beschleunigung des Prozesses gekennzeichnet, "der einen vorläufigen symbolischen Höhepunkt mit der Beerdigung von Samuel Maharero 1923 erhielt." Die letzte Phase fand in der Zwischenkriegszeit statt und wurde durch "[d]en symbolischen Kampf um das Land und um kulturelle Autonomie, der die wirtschaftliche und soziale Rekonstruktion begleitete, geprägt" (S. 183). Obwohl Krüger einen erfolgreichen Wiederaufbau der Herero-Gesellschaft durch diese Prozesse darstellt, gibt sie auch zu, daß es "Widersprüche innerhalb der Nachkriegsgesellschaft..." gab. Diese zeichneten sich in den "Generation- und Geschlechtskonflikten sowohl in den urbanen Gebieten als auch in den Reservaten (S. 183)" ab.

Die Beschreibung der Wirkungen dieser Prozesse und der Konflikte findet sich in den letzten (4. und 5.) Kapiteln an, und diese sind am interessantesten. Um ihre Argumente zu unterstützen, verwendet Krüger verschiedene Quellen. Zum Beispiel benutzt sie für die deutsche Kolonialzeit Bevölkerungsstatistiken und Briefe, um zu belegen, daß die Herero nach dem Krieg "eine Rekonstruktion sozialer und kommunikativer Netzwerke" unternahmen (S. 189). In diesem Zusammenhang spielte die Post eine sehr wichtige Rolle. Aber die Autorin unterstützt ihre Argumente mit zu wenigen Beispielen von Briefen, um überzeugend zu sein.

Noch interessanter und überzeugender war ihre Beschreibung von Samuel Mahareros Beerdigung und die Bedeutung, die sie ihr zuschrieb. Für sie symbolisierte die Beerdigung "eine Rückeroberung eines historischen Ortes, eine machtvolle politische Demonstration und eine spirituelle Bestätigung der Nation (S. 216)." Da sie nach dem Herero-Ritus organisiert wurde, wurden die "Herero-Ältesten Traditionen und Rituale" revitalisiert (S. 213). Die Regierungsvertreter wurden als Gäste der Herero-Chiefs gesehen, "obwohl ein Teil der Feier im weißen Gebiet stattfand" (S. 207), nämlich in Okahandja. Noch wichtiger war, daß die otruppa (oder auch als otjiserandu oder Truppenspieler bekannt), eine quasi-militärische, aber eigentlich unpolitische Organisation, zum ersten Male in einer öffentlicher Funktion auftauchte.

Diese Organisation spielte eine wichtige Rolle in der "sozialen Reorganisation der Herero" in der Nachkriegszeit. Sie nahm nicht nur jedes Jahr am Herero-Tag (dem Jahrestag der Beerdigung) teil, sie wurde auch ein bedeutender Teil des Netzwerkes. Sie sorgte für gegenseitige Unterstützung und Selbsthilfe und übernahm eine moralische Funktion, indem sie versuchte, einen guten Charakter unter den Jugendlichen zu befördern und auch bestimmte Pläne der südafrikanischer Administration zu bekämpfen. Ein sehr bemerkenswerter Aspekt dieser Organisation war das Tragen von Uniformen. Krüger argumentiert, daß diese "zugleich eine Hülle, ein Rahmen sind, der vielfältige und oft gegensätzliche militärische Erfahrungen umfaßt: Von den Erinnerungen an die Chiefs des 19. Jahrunderts, über die Teilnahme am Krieg 1904 als Soldaten von Samuel Maharero oder als 'Truppenbambusen', den Dienst beim deutschen Militär nach dem Krieg, bis hin zum Dienst in Militär- und Polizeikräften der südafrikanischen Machthaber in der Zwischenkriegszeit und zuletzt den Dienst in der südafrikanischen Armee im Zweiten Weltkrieg" (S. 238). Vor allem aber waren sie Herero-Uniformen und als solche gingen sie "über die Verarbeitung und Versöhnung dieser unterschiedlichen Erfahrung hinaus" (S. 238). Laut Krüger, wird mit den Uniformen "die Macht des Kolonialstaates anerkannt und gleichzeitig sind sie ein Mittel, dessen Autorität und Macht zumindest symbolisch in Frage zu stellen" (S. 238). Durch das Tragen der Uniformen gewannen die otjiseraandu nicht nur ein Stück Eigenständigkeit, sondern auch das Recht, einen Anspruch auf die Rückgewinnung der ancestral lands zu stellen, wenn sie auf den Herero-Tagen in weißen Gebieten erschienen.

Trotz der Stärke des 4. und 5. Kapitels und neue Einsichten in die Bedeutung und Wahrnehmung des Krieges für die Herero, sind einige bemerkenswerte Schwächen in Krügers Arbeit vorhanden. Vor allem ist es nicht immer klar, wie die verschiedenen Teile des Buches zusammenpassen. Zum Beispiel beschreibt Krüger im 2. Kapitel sowohl die deutschen Erfahrungen als auch die der Herero, obwohl sie sich in den anderen Abschnitten auf die Herero-Erlebnisse konzentriert. Sie behauptet, daß andere Bücher die deutsche Verarbeitung des Krieges untersuchen, aber man muß sich trotzdem fragen, warum sie die deutschen Eindrücke überhaupt erwähnt. Die Einbeziehung aber nicht weitere Diskussion der deutschen "Seite" schafft eine Ungleichmäßigkeit in der Studie.

Außerdem gibt es ein Problem in der Verwendung von Quellen. In mehreren Fußnoten (z.B.: Nr. 66 auf S. 199, Nr. 71 auf S. 201 und Nr. 75 und 78 auf S. 202) zitiert sie den falschen Autor. An dieser Stellen gibt sie Lehmann als der Autor des Artikels "Truppenspieler" falsch an. Laut Literaturverzeichnis hat nur W. Werner einen Artikel dieses Titels geschrieben. Natürlich geschahen diese Fehler bestimmt aus Versehen, aber wenn eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht wird, sollte man dafür sorgen, daß die Informationen im Text und die angegebenen bibliographischen Informationen übereinstimmen.

Immerhin trägt diese Monographie zu unserem Verständnis über die Rolle des Krieges von 1904 für die Herero-Gesellschaft bei. Krüger baut auf frühere Studien auf, ergänzt und/oder korrigiert sie mit neuen Kenntnissen und Einsichten. Nun hören wir wirklich die Stimmen der "Unterdrückten", die trotz ihrer beinahe erfolgten Vernichtung, verbliebene Handlungsräume nutzen konnten, um ihre eigene Identität zu rekonstruieren und neu zu konstruieren.

Anmerkungen:
1 Helmut Bley, Namibia under German Rule, Studien zur Afrikansichen Geschichte, Bd. 5, Hamburg 1996.
2 Karla Poewe, The Namibian Herero. A History of Their Psychological Disintegration and Survival, Lewiston, New York 1985.
3 Jon Bridgman, The Revolt of the Hereros, Berkeley 1981.
4 Poewe, vgl. Anm. 2.

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