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Titel
Reparationsschuld. Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa


Autor(en)
Roth, Karl Heinz; Hartmut Rübner
Erschienen
Berlin 2017: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
645 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Lillteicher, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung

Während der Diskussion um EU-Kredite führte die griechische Regierung unter Ministerpräsident Zipras noch bestehende Reparationsschulden des ehemaligen Deutschen Reiches ins Feld. Ihrer Ansicht nach bestand eine schuldrechtliche Verpflichtung des Nachfolgestaates Bundesrepublik Deutschland gegenüber Griechenland, die bei der Diskussion über die Vergabe von Krediten Berücksichtigung finden müsse. Sie vermengte dabei die Reparationsfrage auch mit Entschädigungs- und Restitutionsansprüchen der Erben oder Nachkommen der griechischen Juden.

Die Reparationsfrage war nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands Gegenstand der zunehmenden Auseinandersetzung zwischen den West-Alliierten und der Sowjetunion, doch einigte man sich auf der Londoner Schuldkonferenz auf eine Verschiebung dieser Frage bis zum Abschluss eines Friedensvertrags mit einem vereinten Deutschland. Mit der deutschen Einheit im Jahr 1990 wurde dieses Thema wieder aktuell und Gegenstand der Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen. Der Vertrag sah keine weiteren Reparationsleistungen vor, zumal nach 1945 von den Großmächten aus dem besetzten West- und Ostteil Deutschlands einseitig Reparationen entnommen worden waren. Griechenland wie auch zahlreiche andere Staaten erhielten nach 1945 und auch nach 1990 vertragsgemäß keine Reparationsleistungen. Versuche Italiens und Griechenlands, Deutschland auf Zahlung von Wiedergutmachungsleistungen – nicht Reparationen – zu verklagen und im Zuge dessen deutsches Auslandsvermögen zu requirieren, erteilte 2009 der Internationale Gerichtshof in Den Haag eine Absage.

Nun legen die Historiker Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner eine 700seitige Studie vor, die sich in eine 200seitige Erörterung des Problems und eine 500seitige Dokumentensammlung gliedert. Ziel der Autoren ist es, mit ihrem Werk eine abschließende Reparationskonferenz in Gang zu setzen (S. 24). Dies ist eine ungewöhnliche Vorgabe für eine wissenschaftliche Studie, die zu einer Vermengung von wissenschaftlicher Erörterung eines Problems und politisch moralischer Auseinandersetzung über die NS-Vergangenheit führen kann. Erstrebenswert wäre allerdings, die hitzige Diskussion zunächst auf ein wissenschaftliches und quellengesättigtes Fundament zu stellen.

Die von Karl Heinz Roth verfasste Abhandlung gliedert sich nach einer Klärung der komplexen Begrifflichkeiten und einem Rekurs auf den Versailler Friedensvertrag in grob drei Abschnitte. Zunächst geht es um die Okkupation Griechenlands, die mit der NS-Besatzungspolitik im übrigen Europa verglichen wird. Danach geht es um den Verlauf der unterschiedlichen Reparationspolitiken nach 1945 bis hin zur Wiederaufnahme des Problems im Zug der deutschen Einheit und der Verhandlungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags. Danach versucht der Autor eine Gegenüberstellung von teilweise sehr kühn und manchmal auch willkürlich geschätzten Reparationsschulden auf der einen Seite und tatsächlichen gezahlten Reparationsleistungen auf der anderen Seite, um dann Argumente für eine abschließende Reparationsakte zum Zwei-plus-Vier-Vertrag anzuführen.

Die von Hartmut Rübner verantwortete Quellensammlung umfasst insgesamt 100 Dokumente, die im Zeitraum 1941 bis 2014 entstanden. Viele davon sind schon veröffentlicht und entstammen dem Bundesarchiv, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, den Nationalarchiven in Großbritannien und USA, den digital zugänglichen Akten des FRUS (Foreign Relations of the United States) und den edierten Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschlands. Die Autoren konnten auch auf das Privatarchiv des Historikers Hagen Fleischer zurückgreifen. Leider wird nicht erwähnt, wodurch sich dieses offenbar noch unbekannte Quellenkorpus auszeichnet und welche neuen Gesichtspunkte es offenlegt. Griechenland ist laut Götz Aly bis heute die einzige Regierung, die ihre Akten zur Verfolgung und Ausraubung der griechischen Juden unter Verschluss hält. Stammen Fleischers Akten aus diesen Konvoluten?

Die Dokumentation soll nach Hartmut Rübner „ein Begleitmedium für eine Publikation mit Handbuchcharakter“ (S. 204) sein. Die Sammlung berührt daher ebenfalls die Themenfelder nationalsozialistische Okkupation, alliierte Nachkriegsregelungen, bundesdeutsche Reparationspraxis und die Neuauflage der „Restitutionsdebatte“ (S. 204) im Zuge des Einigungsvorganges. Die Autoren verzichten auf eine ausführliche Kommentierung und Annotationen der Quellen, weil diese nach ihrer Ansicht schon durch die zeitgeschichtliche Kontextualisierung im voran geschalteten Analyseteil erfolge. Dies ist ebenfalls ein sehr ungewöhnliches Vorgehen, sind doch Analyse von Quellen und ihre möglichst neutrale Präsentation in einer Dokumentation zwei sehr unterschiedliche Angelegenheiten. Die Auswahl aus insgesamt 1.000 recherchierten Quellen erfolgte nach den Kriterien: Konkretisierung von zeithistorischen Ereignissen, Relevanz politischer Vorgänge und Motivlagen und Gestaltungsspielräume bei Entscheidungsprozessen. Etwa 20 Prozent der Dokumente werden nur in Auszügen wiedergegeben. Die Konstruktion des Bandes macht eine Einordnung in gängige wissenschaftliche Publikationsarten schwierig. Wäre es eine klassische Quellenedition, dürfte ein ausführlicher Kommentierungs- und Annotationsapparat nicht fehlen. Für dieses Genre ist der erste Teil des Buchs allerdings zu umfänglich und entspricht nicht dem Charakter einer Einführung in einen Quellenkorpus. Es ist aber auch keine reine Studie zur griechischen Reparationsproblematik. Für ein Handbuch ist wiederum der Dokumentenapparat recht umfänglich geraten.

Karl Heinz Roth möchte gleich zu Anfang seiner Analyse die oft komplexen Begrifflichkeiten von Reparationen, Innerer und Äußerer Restitution und Entschädigung, die in ihrer jeweiligen Übersetzung ins Englische wiederum andere Bedeutungen haben, erläutern und einordnen. Um einzelne Ansprüche und ihre Klärung auseinanderhalten zu können, ist jedoch eine exakte und völkerrechtlich akzeptierte Definition der Begriffe notwendig. Reparationsforderungen und Forderungen nach äußerer Restitution (z.B. Kriegsbeute) sind staatliche Ansprüche und können daher auch nur zwischenstaatlich vertraglich geregelt werden. Die Klärung dieser Forderungen in diesen Verträgen hat einen Ausschluss individueller Ansprüche zur Folge. Die Rechtsgebiete der inneren Restitution (Rückerstattung) und Entschädigung umfassen grob formuliert nur Ansprüche von Opfern deutscher Staatsangehörigkeit. Eine Rückübertragung von Werten an Opfer nichtdeutscher Nationalität war nur möglich, wenn diese nachweisen konnten, dass ihr Eigentum im Zuge der Verfolgungsmaßnahmen nachweislich in die Bundesrepublik und West-Berlin gelangt war. Ferner konnten deren Ansprüche nur befriedigt werden, wenn ihr Heimatland diplomatische Beziehungen zu Deutschland pflegte.1 Beide Rechtsgebiete wurden in Deutschland mit dem Begriff Wiedergutmachung zusammengefasst. Hierbei handelte es sich nicht um Reparationen.

Roth führt individuelle und staatliche Ansprüche wieder zusammen und will Fragen der inneren Restitution und Entschädigung als Teil der Reparationsansprüche verstanden wissen. Einmalzahlungen (Innere Restitution) und Renten (Entschädigung) würden nach Roth als „Wiedergutmachung“ verharmlost, „als ob Mord, Totschlag, KZ Haft […] durch materielle Kompensationsleistungen aus der Welt geschafft werden könnten“ (S. 16). Der Autor vermengt somit moralisch berechtigte individuelle Forderungen von Opfern der NS-Herrschaft mit Fragen der Regelung zwischenstaatlicher Ansprüche nach Kriegen. Abweichend von den völkerrechtlichen Prinzipien zahlte die Bundesrepublik Deutschland 1960 im Rahmen eines Globalabkommens 115 Mio. DM an den griechischen Staat, der wiederum die Verteilung der Entschädigungsgelder an individuelle NS-Opfer übernahm.2

Der historische Hintergrund, respektive die deutsche Okkupations- und Ausplünderungspolitik in Griechenland sowie die Vernichtung der griechischen Juden nimmt einen großen Teil in Roths Analyseteil ein. Er vergleicht die deutsche Okkupation Griechenlands auch mit den übrigen von NS-Deutschland besetzten Gebieten in Europa.

Die Lage in Griechenland war äußerst komplex und anfänglich auch durch die anderen Okkupationsmächte Italien und Bulgarien geprägt. Hinzu kamen die Existenz einer Kollaborationsregierung und ein zersplittertes griechisches Widerstandsspektrum.

Eine genaue Auseinandersetzung mit den von Götz Aly3 vorgelegten Ergebnissen unterbleibt jedoch. Dieser hatte schon 2005 das perfide System der Ausbeutung der europäischen Volkswirtschaften und Staatskassen zugunsten des deutschen Vernichtungsfeldzuges eindrücklich dargelegt. Wer diese Studie nicht kennt, wird manche Ausführungen Roths nicht verstehen und kritisch einordnen können. Nur vor dem Hintergrund von Götz Alys Analyse sind die Ungenauigkeiten in Roths Darstellung zu finden. So gibt Roth an, dass der deutsche Zentralbankkommissar das Gold der Juden Thessalonikis an der Athener Börse verkauft habe (S. 43). Das in der Quellensammlung aufgeführte Dokument 23 spricht jedoch von Verkäufen des griechischen Finanzministers, die lediglich unter Aufsicht des deutschen Bankenkommissars erfolgt seien. Das Gold wurde also von griechischen Stellen an Griechen verkauft, um teilweise die von deutscher Seite auferlegten Besatzungskosten zu finanzieren und die griechischen Staatsfinanzen zu stabilisieren. Nach Aly wurde hier der „Wohlstand eines neuen (griechischen) Raubbürgertums von Kriegs- und Holocaustgewinnlern“ begründet.4 Roth verschweigt damit die Reichweite griechischer Kollaboration und Nutznießerschaft, die aber unbedingt zu einer Analyse des grausamen und unmenschlichen Gesamtbilds deutscher Besatzungsherrschaft und Vernichtungspolitik in Griechenland gehört. Die deutsche Gesamtverantwortung steht dabei außer Frage. Die Kollaborationsgeschichte gibt auch Aufschluss über möglicherweise noch bestehende Rückerstattungsansprüche griechischer Juden gegenüber nichtjüdischen Griechen, die während der NS-Herrschaft von der Ausplünderungspolitik profitiert hatten.

Roth behandelt den in der Öffentlichkeit viel diskutierten Betrag von 476 Millionen Reichsmark (S. 43), den er wie Hagen Fleischer als unzulässige deutsche Zwangsanleihe bezeichnet. Durch eine Übertragung dieses Betrages auf die heutige Kaufkraft errechnet Roth Schulden in Höhe von 5 Mrd. Euro, die das heutige Deutschland gegenüber Griechenland habe. Tatsächlich hatten deutsche Beamte mit dem deutschen Rückzug aus Griechenland die verbleibende Restschuld des Deutschen Reiches gegenüber Griechenland berechnet, die in dieser Höhe von der griechischen Kollaborationsregierung akzeptiert wurde. Es handelt sich hier also ausschließlich um eine deutsche Restschuld und nicht um eine Zwangsanleihe. Das von Hartmut Rübner editierte Dokument Nr. 24 endet mit der Berechnung dieser Restschuld. Nur über Götz Aly erfahren wir, dass die griechische Kollaborationsregierung bemüht war, ihr Guthaben auf dem Gebiet der Besatzungskosten mit noch bestehenden Schulden Griechenlands gegenüber dem Deutschen Reich zu verrechnen. Hierzu gehörten Importe zur Stabilisierung Griechenlands, die im selben Bericht mit mindestens 300 Mio. RM angegeben werden5, jedoch nicht aus dem Deutschen Reich, sondern aus den anderen von Nazi-Deutschland besetzen Gebieten Europas stammten. Vollzogen wurde der Ausgleich jedoch nie.

Der geneigte und informierte Leser fragt sich, warum gerade dieses doch sehr heftig öffentlich diskutierte Dokument in der vorliegenden Studie so ungenau behandelt und nur in Ausschnitten präsentiert wird. Dies stimmt auf unnötige Weise misstrauisch.

Der Band, in dem eine respektable Arbeitsleistung steckt, hat daher viele Chancen vertan, die doch komplexe Thematik zunächst einmal auf eine neue solide kommentierte und annotierte Quellenbasis zu stellen, von der aus sich womöglich eine neue und weniger politisch geleitete Rekonstruktion der Besatzungs- und Wiedergutmachungsgeschichte in Griechenland anstellen ließe, auch in der Hoffnung, dass der griechische Staat die bisher unter Verschluss gehaltenen Akten zugänglich macht. Die Entscheidung, weder eine klassische Edition noch eine neue historische Studie vorzulegen, lässt die Leser aber orientierungslos zurück. Teilweise müssen sie sich mangels Annotation und Erläuterung mit den Dokumenten überfordert fühlen, zumal der Handbuchteil die notwendigen Erklärungen nicht liefert, sondern ihre tendenziös geratene Interpretation. So fordert Karl Heinz Roth am Ende seiner Ausführungen, Deutschland möge 1,2 Billion Euro an Griechenland zahlen. Eine Summe, die seiner Ansicht nach durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer in den nächsten 15 bis 20 Jahren finanziert werden könne (S. 196). In einer neuen Reparationsrunde „sollten nicht mehr die großen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs das Sagen haben, und auch die jüdische Welt der westlichen Hemisphäre […] sollten in die zweite Reihe treten, weil sie an der Prosperität der Nachkriegsjahre teilhatten“ (S. 198). Auch durch derartige Formulierungen entzieht sich der Band einer wissenschaftlichen Leserschaft, von politischen Entscheidungsträgern ganz zu schweigen.

Anmerkungen:
1 Diese Ansprüche regelte das Bundesrückerstattungsgesetz von 1957.
2 Zu den schwierigen Verhandlungen über das Globalabkommen mit Griechenland und zur Verteilung der Wiedergutmachungsgelder an die Opfer siehe: Hagen Fleischer / Despina Konstantinakou, Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hans Günter Hockerts u.a. (Hrsg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000, Göttingen 2006, S. 375–457.
3 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005, S. 274–308.
4 Götz Aly in Berliner Zeitung vom 10.04.2014, http://www.berliner-zeitung.de/kolumne-griechen--deutsche---reparationen-ii-3323762 (15.08.2017).
5 Götz Aly in Berliner Zeitung vom 12.05.2014, http://www.berliner-zeitung.de/kolumne-griechische-schuldenlegenden-2636140 (15.08.2017); Sven-Felix Kellerhoff in Welt Online, 18.03.2015, https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article138498430/Griechenlands-476-Millionen-Anleihe-gibt-es-nicht.html (15.08.2017); dagegen: Hagen Fleischer auf Tagesschau online 10.02.2015, http://www.tagesschau.de/ausland/nsbesatzung-griechenland-101.html (15.08.2017).

Kommentare

Von Roth, Karl Heinz30.09.2017

Anmerkung der Redaktion: Grundsätzlich steht es allen Leser/innen von H-Soz-Kult offen, auf bei uns veröffentlichte Rezensionen in Form von Repliken zu reagieren. Diese unterliegen dem redaktionellen Vorbehalt. Üblicherweise werden Repliken direkt auf der Webseite und nicht über die Mailingliste veröffentlicht. In diesem Fall haben wir entschieden, die Replik der Autoren Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner ebenso wie eine nachfolgende Antwort des Rezensenten Jürgen Lillteicher auch über die Mailingliste zu publizieren, weil die diskutierte Thematik aus Sicht der Redaktion von großer geschichtspolitischer Bedeutung ist.
Die Redaktion, 29.09.2017

Am 11. September 2017 veröffentlichte H-Soz-Kult eine von Jürgen Lillteicher verfasste Rezension unseres Buchs, in der zahlreiche falsche Behauptungen aufgestellt wurden, die nicht unwidersprochen bleiben können.

1. Lillteicher behauptet, bei der Gegenüberstellung der im NS-beherrschten Europa angerichteten Zerstörungen mit den bislang erbrachten Reparationsleistungen seien unsere Schätzungen „teilweise sehr kühn und manchmal auch willkürlich“ ausgefallen. Einen Beleg für diese Einschätzung sucht man in der Besprechung jedoch vergebens. Wir sind bei unseren Berechnungen (Roth / Rübner, S. 179 ff.) von einer Synopse aller Zahlenwerke ausgegangen, die derzeit in den Archiven und in der internationalen Forschungsliteratur verfügbar sind.

2. Lillteicher behauptet, ein uns von Hagen Fleischer mitgeteiltes Dokument könnte möglicherweise aus jenen Aktenkonvoluten über die Shoah in Griechenland stammen, die laut Götz Aly von der griechischen Regierung bis heute unter Verschluss gehalten würden. Dieses Dokument ist ein Aktenstück des Auswärtigen Amts von Ende Mai 1990, das den deutschen Auslandsmissionen eine Sprachregelung in der Reparationsfrage vorschrieb. Es fehlt also jeglicher Zusammenhang mit den von Griechenland unter Verschluss gehaltenen Akten der Kollaborationsregierungen aus den Jahren 1943/44.

3. Ebenfalls unter Verweis auf Götz Aly bestreitet Lillteicher, dass der deutsche Bankenkommissar das den Juden von Thessaloniki geraubte Gold an der Athener Börse verkauft hatte; zur Untermauerung seiner Kritik verweist er auf den von uns erstmalig auszugsweise abgedruckten Abschlussbericht des Bankenkommissars Paul Hahn (Roth / Rübner, Dok. 23), wonach nicht dieser, sondern der griechische Finanzminister das Gold an der Börse verkauft habe. Diese Behauptung widerspricht allen archivalischen Befunden, und zwar ausdrücklich auch dem Dokument 23. Dort heißt es in Anlage 5 (Roth / Rübner, S. 285), die Verkäufe seien „unter Aufsicht des Deutschen Bankenkommissars in ständiger Fühlungnahme mit dem griechischen Finanzminister durchgeführt“ worden. Somit ist klar: Zentraler Akteur war der deutsche Bankenkommissar. Auch wenn die griechischen Kollaborateure zwei bis drei Prozent des Verkaufserlöses erhielten, waren und blieben die Deutschen die Hauptprofiteure.

4. Jürgen Lillteicher wirft uns vor, in Anlehnung an Hagen Fleischer die in der Schlussbilanz der deutschen Okkupationsverwaltung aufgelisteten Schulden gegenüber der griechischen Zentralbank im Umfang von 476 Millionen Reichsmark als „unzulässige deutsche Zwangsanleihe bezeichnet“ zu haben. Dies ist falsch (S. 43; siehe auch Dokumentauszüge 23 und 24).

5. Der Rezensent behauptet, dass wir abschließend gefordert hätten, „Deutschland möge 1,2 Billionen Euro an Griechenland zahlen.“ Das ist unwahr. Wir haben den Umfang der aktuellen deutschen Reparationsschuld Griechenland gegenüber auf 185,3 Milliarden Euro beziffert (Roth / Rübner, Tabelle 9 S. 195). Die von Lillteicher stattdessen referierten 1,2 Billionen Euro beziehen sich auf die Gesamtsumme der deutschen Reparationsschuld gegenüber allen Ländern der Anti-Hitlerkoalition.

6. In handwerklicher Hinsicht bemängelt Lillteicher vor allem, dass wir die ausgewählten 100 Dokumente nicht kommentiert bzw. annotiert sowie zu stark gekürzt hätten. Die Dokumente wurden im Einführungsbeitrag kontextualisiert und teilweise ausführlich erörtert. Alle Streichungen wurden im Einzelfall begründet und die entfallenen Passagen kurz referiert. Auch Lillteichers Behauptung, dass viele der im Buch präsentierten Dokumente bereits an anderer Stelle abgedruckt seien, ist falsch: Bei 74 der insgesamt 100 Dokumente handelt es sich um Erstveröffentlichungen.. Nur in wenigen, begründeten Ausnahmefällen wurde auf andernorts publizierte Dokumente zurückgegriffen.

7. Lillteicher kommt in seiner Besprechung des Buchs zu einem vernichtenden Urteil, obwohl er sich nur mit einem kleinen Teil auseinandersetzt, nämlich mit Einzelaspekten der deutschen Okkupationspolitik in Griechenland. Dabei beruft er sich ausschließlich auf Alys Buch über „Hitlers Volksstaat“. Die zentralen wissenschaftlichen Fragestellungen listet er dagegen nur auf. In dem Buch ist eine vergleichende Übersicht über die im NS-besetzten Europa angerichteten materiellen Zerstörungen und humanitären Schäden erarbeitet. Wir haben die Obstruktionspolitik der deutschen Ministerialbürokratie untersucht, die auf eine Instrumentalisierung der Reparationsleistungen zugunsten der Westintegration abzielte. Und wir haben gezeigt, wie es der bundesdeutschen Machtelite im Zusammenspiel mit Washington 1990 gelang, die Reparationsfrage aus dem Zwei-plus-Vier-Vertrag herauszuhalten. Das sind die Kernthemen des Buchs, wobei wir für jeden historischen Abschnitt Griechenland als Fallstudie heranzogen. Die Forschungsergebnisse diskutiert Lillteicher an keiner Stelle.

8. Lillteicher wirft uns eine Vermengung von materiellen Reparationsansprüchen und humanitären Entschädigungsforderungen vor, wodurch politische und moralische Fragen unzulässig miteinander vermengt würden. Dem Völkerrecht ist eine derartige Trennung jedoch fremd, und für diese Fragen ist ausschließlich das internationale, auf ethischen Prinzipien begründete Recht maßgeblich. Bei der Definition des Reparationsbegriffs sind wir deshalb von den in allen einschlägigen Handbüchern des internationalen Rechts verankerten Festlegung ausgegangen, wonach die Kompensation aller den Zivilbevölkerungen von den Okkupationsmächten zugefügten materiellen und humanitären Schäden im Rahmen bilateraler oder multilateraler zwischenstaatlicher Verträge zu regeln ist. Diese Bestimmungen folgen den ethischen Prinzipien des Völkerrechts (Roth / Rübner, S. 9 ff.). Mit moralischen Kriterien haben sie nichts zu tun. Von diesem Prinzip eines alle Teilaspekte umfassenden Reparationsbegriffs sind bis heute auch alle involvierten Regierungen ausgegangen. Auch die Bundesregierung hat vor 1990 immer wieder darauf bestanden, dass auch die humanitären Folgen des NS-Besatzungsterrors erst im Rahmen einer in einem Friedensvertrag zu verankernden Reparationslösung zu regeln seien, bevor sie sie dann durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag für „erledigt“ erklärte. Und das war auch der Grund, weshalb der Internationale Gerichtshof 2009 die Sammelklagen von NS-Opfern aus Griechenland (und eben nicht der griechischen Regierung, wie Lillteicher meint) zurückwies. Die bundesdeutsche Geschichtsschreibung hat diese Aspekte bislang ausgeblendet und sich auf Einzelaspekte beschränkt.

9. Lillteicher wirft uns vor, eine unzulässige Vermengung zwischen historischer Analyse und politischer Praxis vorgenommen zu haben. Dabei erweckt er den Eindruck, als wäre unser Anliegen – das Votum für die Abhaltung einer abschließenden Reparationskonferenz – der treibende Motor unserer Studie gewesen. Dies ist falsch.

10. Gegen Ende seiner Besprechung entrüstet sich Lillteicher über unseren Vorschlag, bei einer abschließenden Reparationslösung sollten die großen Siegermächte, die jüdische Welt der westlichen Hemisphäre und die hoch entwickelten westeuropäischen Länder zurücktreten, „weil sie an der Prosperität der Nachkriegsjahre teilhatten“ und deshalb auf deutsche Reparationsleistungen nicht mehr angewiesen seien (Roth / Rübner, S. 198). Dieses Votum hält er für besonders kritikwürdig, und er schlussfolgert: „Auch durch derartige Formulierungen entzieht sich der Band einer wissenschaftlichen Leserschaft, von politischen Entscheidungsträgern ganz zu schweigen.“ . Wir haben nachgewiesen, dass die Länder Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas von den Folgen der deutschen Okkupationspolitik besonders betroffen waren, dass aber gerade sie von den bisherigen deutsch-deutschen Reparationsleistungen weitgehend ausgeschlossen blieben. Erscheint es da abwegig, nun diese Länder – die früheren „kleinen Alliierten“ der Anti-Hitlerkoalition – bei einer abschließenden Reparationsvereinbarung bevorzugt zu entschädigen?

Karl Heinz Roth
Hartmut Rübner


Von Lillteicher, Jürgen30.09.2017

Den von den Autoren mit einigem Furor und mit den Kategorien „falsch“ und „richtig“ erhobenen Vorwürfen soll hier gesammelt begegnet werden.

Dreh- und Angelpunkt einer Diskussion über das von Roth und Rübner vorgelegte Buch ist die Neudefinition des Begriffs "Reparationen", der zivilrechtliche Forderungen von Angehörigen der Geschädigten als Reparationen deklariert und zum Ausgangspunkt von Analyse und Bewertung macht. Nach 1945 galten jedoch andere völkerrechtliche Maßstäbe. Hier wurde zwischen staatlichen Ansprüchen (Reparationen) und Individualansprüchen (Entschädigung/Restitution) unterschieden. Nie zuvor wurde ein Staat nach kriegerischen Auseinandersetzungen von den Siegermächten dazu verpflichtet, seine eigenen Staatsbürger zu entschädigen. Zwischenstaatliche Globalabkommen sollten darüber hinaus Wiedergutmachungsleistungen an Opfer ermöglichen, die von den in Deutschland durchgeführten Programmen ausgeschlossen blieben. Daher sollten die zum Zeitpunkt der Verhandlungen geltenden Definitionen Grundlage für die Beurteilung der Wiedergutmachungsgeschichte sein und nicht Rechtsmaßstäbe, die sich bis heute noch in der Entwicklung befinden und bei weitem noch keine international akzeptierte Norm darstellen.

Verhandlungen über Reparationen und Wiedergutmachungsleistungen zeigen unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen von Gewalt, Ausbeutung und Vernichtung. Historische Analysen sollten sich diesen Verhandlungsgestus nicht zu eigen machen. Stehen daher die Reparations- und Wiedergutmachungsforderungen der griechischen Regierung bzw. von Nachkommen der ermordeten jüdischen Griechen zur Verhandlung, sollte man den Blick vor Nutznießerschaft und Kollaboration in Griechenland nicht verschließen. Diese Vorgänge gehören zum Gesamtbild der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland. Der Verkauf des den Juden Thessalonikis geraubten Goldes wird von Götz Aly als Nutznießerschaft nichtjüdischer Griechen bewertet. Die Autoren des Bandes bestreiten dies mit der Gesamtverantwortung der deutschen Besatzer. Auch der Terminus "Zwangsanleihe" in Bezug auf eine Restschuld des Deutschen Reiches wird von Forschung und Publizistik als unzutreffend bewertet (Kellerhoff in Welt-online, 18.3.2015). Es handele sich schlichtweg um eine Restschuld und nicht um eine Zwangsanleihe.

Die von den Autoren geleistete Rekonstruktion der Besatzungsherrschaft, die Aspekte wie Kollaboration und Nutznießerschaft unberücksichtigt lässt, ist ungenau und kann weder Leitlinie einer Forschung über die deutsche Besatzungsherrschaft in Griechenland, noch sachliche Grundlage für die Bewertung von Wiedergutmachungsansprüchen sein. Hier scheint die von den Autoren auf den Seiten 24 und 196 klar formulierte Absicht hervor, neue Verhandlungen zu initiierten, die individuelle Ansprüche unter das Rubrum Reparationen fassen. Auch die Konstruktion eines Kampfes bundesdeutscher „Machteliten“ gegen Reparationsforderungen Griechenlands folgt diesem politischen Verhandlungsgestus. Constantin Goschler spricht in der Süddeutschen Zeitung vom 25.9.2017 treffend von von einer "Vermischung ungenauer historischer Analyse mit aktuellen linken Gerechtigkeitsdiskursen“ und von einer Argumentation, die latent zwischen "Machteliten" und "Volk" unterscheide und daher eine rote Linie vom Dritten Reichen in die Bundesrepublik zöge.

Damit kommen wir zur zentralen Kritik an dem vorgelegten Band. Die von Karl Heinz Roth verfasste Abhandlung zu Beginn der "Edition" will Geschichte der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland, Geschichte des schwierigen Umgangs der Bundesrepublik mit Reparationsforderungen, eine Gegenüberstellung von Kriegsschäden, geleisteten Reparationen und offenbar noch bestehenden Schulden, Empfehlung für neue Reparationsverhandlungen und eine Einführung in einen umfänglichen Quellenkorpus sein, die übliche Annotationen und Kommentare am Quellenkorpus ersetzt. Damit übernimmt sich der Autor. Wo sonst ganze Kommissionen über Zahlenwerken sitzen, kalkuliert Roth im Alleingang Wiedergutmachungsansprüche in Höhe von rund 50 Mrd. US-Dollar. Er multipliziert die Anzahl von Getöteten und Geschädigten - er geht von jeweils 13 Mio. aus - mit einem Phantasiebetrag von 5000 Dollar und bereinigt den Betrag mit Faktoren des damaligen BIP. Als Grundlage für diesen Betrag nimmt er bezeichnenderweise die Wiedergutmachungsverhandlungen der Bundesrepublik mit Israel und der Claims Conference. Im Fall Israels behalf man sich während der Verhandlungen mit dem Terminus "Integrationskosten für Holocaustüberlebende" und rief einen geschätzten Betrag von 3000 Dollar pro Überlebenden auf. Für die Ermordeten sollte dezidiert kein Betrag aufgerufen werden. Benjamin Ferencz, einer der Unterhändler, damals: "What do you ask for 6 Mio. dead?" Roth erhöht den Betrag relativ willkürlich um 2000 Dollar (S. 184). Derartige freihändige Kalkulationen mit der Fragestellung "Was hätte eigentlich gezahlt werden müssen?" sind beim besten Willen keine Synopse von Forschungsergebnissen. Historikern wie Dieter Pohl werfen die Autoren in Bezug auf die Kalkulation von Schäden gar "Agnostizismus" vor (S. 184 Fußnote 486).

Die Empfehlung, dass bei den von den Autoren angeregten neuen Reparationsverhandlungen die "jüdische Welt der westlichen Hemisphäre" zurückzutreten habe, ist gelinde gesagt sehr kühn und verkennt darüber hinaus die historischen Verhältnisse. Dieser Terminus ist eher ein Konstrukt, das wenig mit den realen Verhältnissen zu tun hat. Die für die Verhandlungen gegründete Conference for Jewish Material Claims against Germany - ein Zusammenschluss aus 25 jüdischen Organisationen - hat alles in ihrer Macht stehende getan, um Wiedergutmachungsleistungen über den "Eisernen Vorhang" hinweg nach Osteuropa zu transferieren. Bis heute leistet sie Hilfe für jüdische Gemeinden in Osteuropa. Jüdische Individualforderungen aus Ost- wie Westeuropa sind keine Reparationsschuld und können daher auch nicht als solche zwischenstaatlich verhandelt werden. Die Autoren setzen jedoch beide Anspruchskategorien gleich. Die Frage, ob Angehörige von jüdischen Opfern, sich von den jeweiligen Staaten in ihren Belangen vertreten lassen möchten oder von bestehenden jüdischen Organisationen, ist damit ebenfalls noch nicht geklärt. Moralisch berechtige individuelle Forderungen nach Wiedergutmachung für die Begründung von neuen Reparationsforderungen heranzuziehen, ist eine neue Argumentationsfigur, die auch die derzeitige polnische Regierung heranzieht, sie verlässt jedoch die Ebene bisher gültiger internationaler Normen.

Das internationale Recht ist im Fluss und es kann diskutiert werden, ob heutige Folgen von Gewaltherrschaft und zwischenstaatlichen Konflikten nach anderen Maßstäben kompensiert werden sollen. Das Kapitel Reparationen ist für Deutschland jedoch abgeschlossen. Der neuen Bundesregierung bleibt es jedoch unbenommen im Sinne einer moralischen Verpflichtung gegenüber den Angehörigen von Opfern in Staaten wie Griechenland weitere individuelle Unterstützungsmaßnahmen in Gang zu setzen.

Jürgen Lillteicher