Cover
Titel
Curating America. Journeys through Storyscapes of the American Past


Autor(en)
Rabinowitz, Richard
Erschienen
Anzahl Seiten
382 S., 92 Abb.
Preis
€ 36,24; $ 39.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Zechner, Berlin

Die so faszinierende wie schwierige Historie der Vereinigten Staaten von Amerika behandeln neben verschiedensten Buchpublikationen und Fernsehdokumentationen auch fast 17.000 dortige Geschichtsmuseen und -stätten.1 Platzhirsch bezüglich Finanzmitteln und Besuchszahlen ist dabei eindeutig das National Museum of American History, gelegen an der Prachtmeile National Mall im geographischen wie symbolischen Herzen der Hauptstadt Washington DC.2 Aber auch kleinere Einrichtungen meist lokaler, regionaler oder gemeinnütziger Trägerschaft prägen die auf eine breitere Öffentlichkeit zielende Geschichtsvermittlung, in der sich ein Trend von affirmativen hin zu kritischen Vergangenheitspräsentationen abzuzeichnen scheint.3

Als wichtiger Impulsgeber dieser Entwicklung ist der in Harvard promovierte Geschichtswissenschaftler Richard Rabinowitz zu nennen, auf dessen umfangreichem Erfahrungsschatz die nun zu besprechende Veröffentlichung basiert. Denn die von ihm gegründete Geschichtsagentur American History Workshop hat seit 1980 insgesamt mehr als 500 Projekte quer durch die USA zu Themen von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart organisiert, mit einem Schwerpunkt auf Ausstellungskonzepten und -realisierungen sowie pädagogischen Programmen. Schon der gewählte Name verweist auf den ursprünglichen Ansatz einer New Social History, wie sie sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts an amerikanischen Universitäten und Museen zu etablieren begonnen hatte.4

Formal wollte Rabinowitz keine gelehrte Abhandlung mit ausufernden Theoriediskussionen und ungezählten Fußnoten vorlegen, sondern vielmehr „a professional memoir“ (S. 12) und „a practitioner's book“ (S. 8) schreiben. So beginnt das Buch quasi-literarisch mit dem als Erweckungserlebnis beschriebenen Besuch eines Freilichtmuseums im Jahr 1967, der dem damaligen Doktoranden die Grenzen eines rein akademischen Geschichtsverständnisses vorgeführt habe. Empirische Grundlage der Ausführungen ist vor allem die Bilanzierung eigener Projekte, wobei er ehrlicherweise die fast unvermeidlichen Probleme und Verzögerungen oder bürokratisch beziehungsweise finanziell bedingte Abbrüche nicht verschweigt.

Konzeptionell versteht Rabinowitz das Museum ganz gemäß der – mittlerweile auch schon etwas in die Jahre gekommenen – New Museology als „a process rather than a place“ (S. 78) und das Publikum als „active meaning-makers“ (S. 11). Folgerichtig distanziert er sich von idealtypischen Vorstellungen des Museums als Tempel kennerschaftlicher Objektandacht, gegen welche er die interaktiven wie multisensorischen Bedürfnisse aller Besucher stark macht. Von dieser Prämisse ausgehend finden sich mannigfach praxisnahe Überlegungen, wie historische Ausstellungen zum einen die Interessenlage des Publikums und zum anderen Herausforderungen der Gegenwart besser in ihre Arbeit einbeziehen können.

Thematisch plädiert Rabinowitz für die Überarbeitung museal vermittelter Erfolgsgeschichten von Demokratie und Fortschritt zugunsten eines kritischeren Blickes auf die nationale Vergangenheit, zu der eben auch Genozid und Sklaverei gehörten. Auch bedürfe es bei Sammlungen und Ausstellungen eines verstärkten Einbezugs von Frauen und ethnischen oder religiösen Minderheiten, deren Stellenwert bisher nicht nur in den USA keineswegs ihren jeweiligen Bevölkerungsanteilen entspricht. Für seine eigene Tätigkeit bilanziert er dabei interessanterweise einen Wandel von abstrakten sozialhistorischen Ansätzen hin zu individualisierbaren Aspekten der Alltagsgeschichte im Sinne einer „touchability of the past“ (S. 333).

Besonders aufschlussreich sind diejenigen Abschnitte, in denen Rabinowitz detailliert und gegebenenfalls selbstkritisch auf Genese wie Fortgang einzelner von ihm mitgeplanter Geschichtsprojekte eingeht: zum Beispiel am Lower East Side Tenement Museum in New York City zu Immigrationsphänomenen oder am National Underground Railroad Freedom Center in Cincinnati zum Abolitionismus der Anti-Sklaverei-Bewegung.5 Bedauerlicherweise nicht mehr einbezogen werden konnte seine intensive Mitarbeit am National Museum of African American History and Culture, das sich seit Eröffnung Ende September 2016 in Sichtweite des Weißen Hauses einem lange unterrepräsentierten Themenkomplex widmet.6

Rabinowitz zeigt sich durchweg als aufmerksamer Beobachter aktueller Entwicklungen im Feld der Public History, die er als wissenschaftliche Subdisziplin und „political act“ (S. 9) zugleich versteht. Klar legt er seine biographische Prägung durch die Studentenbewegung der 1960er-Jahre und eine entsprechende Positionierung offen, bis hinein in die Danksagung mit der doch kuriosen Erwähnung von Präsident Franklin D. Roosevelt als Begründer der modernen amerikanischen Rentenversicherung. Indes kritisiert er Identitätsmuseen wie insbesondere das Washingtoner National Museum of the American Indian überaus scharf als „ethnocentric“ (S. 290).7

Abgerundet wird der mit nicht immer geschmackssicheren Zeichnungen von Richard T. Hoyen illustrierte Band durch eine kommentierte Bibliographie sowie ein kombiniertes Personen- und Sachregister. Zu wünschen ist ihm eine weite Verbreitung, vor allem aber leidenschaftliche bis kontroverse Diskussionen in Historikerkreisen und Museumswelt – etwa über Rabinowitz' starke Betonung nicht-kognitiver Formen der Geschichtswahrnehmung oder seinen provokanten Vergleich von Kuratoren mit Theaterdramaturgen und Sporttrainern. Und als ob das der Wünsche nicht genug wären: Bisher stehen ähnlich anregende Bilanzierungen aus der Feder deutscher Protagonisten des historischen Ausstellungswesens noch aus.

Anmerkungen:
1 Vgl. als ältere Überblicksliteratur Warren Leon / Roy Rosenzweig (Hrsg.), History Museums in the United States. A Critical Assessment, Urbana 1989; zu aktuelleren Daten http://www.imls.gov/research-evaluation/data-collection/museum-universe-data-file (11.05.2017).
2 Vgl. als jüngere Selbstdarstellungen etwa Kathleen Kendrick / Peter Liebhold, Smithsonian Treasures of American History, Washington 2006; Richard Kurin, The Smithsonian's History of America in 101 Objects, New York 2013.
3 Vgl. als neuere Veröffentlichungen aus der praxisnahen „Interpreting History Series“ etwa Raney Bench (Hrsg.), Interpreting Native American History and Culture at Museums and Historic Sites, Lanham 2014; Kristin L. Gallas / James DeWolf Perry (Hrsg.), Interpreting Slavery at Museums and Historic Sites, Lanham 2014; Julia Rose, Interpreting Difficult History at Museums and Historic Sites, Lanham 2016; Avi Y. Decter, Interpreting American Jewish History at Museums and Historic Sites, Lanham 2017.
4 Vgl. etwa mehrere Beiträge in Eric Foner (Hrsg.), The New American History, Philadelphia 1990; zudem Richard Handler / Eric Gable, The New History in an Old Museum. Creating the Past at Colonial Williamsburg, Durham 1997.
5 Siehe als Internetauftritte dieser Museen http://tenement.org (11.05.2017) und http://www.freedomcenter.org (11.05.2017).
6 Siehe als Internetauftritt dieses Museums http://nmaahc.si.edu (11.05.2017); vgl. als zeitnahe Berichte Vinson Cunningham, Making a home for Black History. The vision and the challenges behind a new museum on the National Mall, in: The New Yorker, 29.08.2016, URL: http://www.newyorker.com/magazine/2016/08/29/analyzing-the-national-museum-of-african-american-history-and-culture (11.05.2017); Edward Ball, At Last, a Black History Museum, in: The New York Review of Books 24.11.2016, URL: http://www.nybooks.com/articles/2016/11/24/smithsonian-black-history-museum (11.05.2017).
7 Siehe als Internetauftritt dieses Museums http://www.nmai.si.edu (11.05.2017); vgl. als wissenschaftlichen Sammelband Amy Lonetree / Amanda J. Cobb (Hrsg.), The National Museum of the American Indian. Critical Conversations, Lincoln 2008; als Verzeichnis ethnischer Museen Victor J. Danilov, Ethnic Museums and Heritage Sites in the United States, Jefferson 2009.

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