L. Tartaglia (Hrsg.): Georgii Cedreni Historiarum compendium

Cover
Titel
Georgii Cedreni Historiarum compendium.


Herausgeber
Tartaglia, Luigi
Reihe
Bollettino dei classici. Supplemento n. 30
Erschienen
Anzahl Seiten
Bd. 1: 475 S.; Bd. 2: S. 481-935
Preis
€ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, München

Zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt nach 1057 verfasste ein ansonsten unbekannter byzantinischer Autor namens Georgios Kedrenos eine Weltchronik, die von der Erschaffung der Welt bis zum Jahr 1057 reicht.1 Da dieses Werk auch für den Erforscher der Spätantike nicht ganz uninteressant ist, sind die folgenden Bemerkungen von einem Althistoriker zu einer neuen kritischen Edition des byzantinischen Chronisten durch Luigi Tartaglia primär für Althistoriker gedacht; Byzantinisten werden gewiss andere Schwerpunkte setzen. Der Aufbau der Edition entspricht dem üblichen Schema: Einleitung (S. 5–66), kritischer Text (S. 67–792) und Indices (S. 793–935). Die Einleitung ist in Vorwort (S. 5f.), bibliographische Abkürzungen (S. 7–11), Bemerkungen zu Autor und Werk (S. 13–25), Zusammenfassung des Inhaltes der Chronik in Stichworten (S. 25-33), einen Abschnitt zur Überlieferungsgeschichte (S. 33-64) sowie die textkritischen Prinzipien der Edition (S. 64–66) unterteilt. Von Tartaglias zuverlässigen Ausführungen sind für Althistoriker vor allem die Bemerkungen zu den Quellen des Kedrenos (S. 19–23) relevant.

Die Hauptleistung Tartaglias besteht darin, endlich eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Edition vorgelegt zu haben. Bislang gab es lediglich drei Editionen aus den Jahren 1566, 1647 und 1838/39 (dazu S. 61–64, wo noch der Nachdruck in der Patrologia Graeca 121–122 ergänzt werden könnte); zumeist wurde nach der im berüchtigten „Bonner Corpus“ erschienenen jüngsten Ausgabe von Immanuel Bekker zitiert, was sich mit Blick auf die neuen Editionen anderer byzantinischer Chronisten der letzten Jahre immer mehr als ungewollter Notbehelf erwies. Besonders willkommen sind dem Historiker auch die deutlich besseren Register Tartaglias (Namen und Quellen), mit denen der Text des Kedrenos nun wirklich erschlossen ist. Tartaglias neue Edition reicht allerdings nur bis zum Jahr 811; für die übrigen Partien der Chronik, in denen Kedrenos nur Johannes Skylitzes abschreibt, wird auf die vorliegenden Skylitzes-Editionen verwiesen.

Wofür braucht der Althistoriker ein solches byzantinisches Geschichtswerk? Hierzu sind zunächst einige Worte zu den Quellensträngen zu äußern. Neben einigen vollständig erhaltenen Texten (wie Theophanes Confessor oder Georgios Monachos) hat Kedrenos mindestens ein nicht erhaltenes Werk benutzt, auf das auch Zonaras zurückgegriffen hat („Leoquelle“, „Zwillingsquelle“), wodurch für die Geschichte des 3. und 4. Jahrhunderts interessante Informationen erhalten sind, die teilweise durch andere spätantike oder byzantinische Quellen bestätigt werden. Die nachfolgenden Beispiele bieten keine vollständige Auflistung, sondern sollen nur einen Eindruck von der Bedeutung der Chronik vermitteln (B = Bekker, T = Tartaglia): Nur bei Kedrenos und Georgios Monachos überliefert ist eine bislang kaum untersuchte Maßnahme des Decius, der im Rahmen seiner Religionspolitik Frauen in Rom verboten haben soll, eine Kopfbedeckung zu tragen (453,9–12 B; cap. 280,2 = S. 458, Z. 4–7 T).2 Sehr kurz (da auf ein verlorenes Buch seines Werkes verweisend) nennt Ammianus Marcellinus (25,4,23) die Lügen des Philosophen Metrodoros unter Konstantin als eigentliche Ursache für den römisch-persischen Konflikt unter Julian; die vollständige Geschichte findet sich nur bei Symeon Magister und Kedrenos (516,15–517,4 B; cap. 314,1 = S. 517–518, Z. 3–14 T).3 Die als letztes Orakel aus Delphi bekannt gewordenen vieldiskutierten Verse, die Kaiser Julian von seinem quaestor Oreibasios erhalten haben soll, sind nur in der Passio Artemii (die Stelle fehlt im kritischen Apparat Tartaglias, wohingegen die dort genannte Anthologia Graeca ein anderes Orakel überliefert), im unedierten Pseudo-Symeon und bei Kedrenos (532,8–10 B; cap. 320,2 = S. 530, Z. 14–16 T) überliefert. Auch wenn es sich bei den Versen um eine tendenziöse Erfindung handelt, so entstammt diese wohl doch der Spätantike, ist aber erst durch spätere Zeugen überliefert.4 Ebenfalls sehr ausführlich diskutiert wurde in der Forschung die in dieser Form nur bei Kedrenos überlieferte Angabe, wonach die Olympischen Spiele unter Theodosius I. abgeschafft worden seien (573,1–4 B; cap. 351 = S. 564, Z. 1–4 T).5

Bei einem Autor wie Kedrenos, über den nicht übermäßig viel geschrieben wurde, wäre es wünschenswert, wenn die vorhandenen Forschungsbeiträge möglichst vollständig zusammengestellt wären. Wenn dies bei Tartaglia nicht geschieht, so ist dies angesichts dessen, dass er nur einen seiner eigenen Aufsätze anführt6, eher ökonomischen Gesichtspunkten als fehlender Literaturkenntnis geschuldet. Da viele der zu ergänzenden Beiträge allerdings auch in großem Umfang althistorische Fragen behandeln, erscheint es sinnvoll, hier darauf hinzuweisen. Zu ergänzen wären vor allem Titel, die sich mit den Quellen des Kedrenos beschäftigen.7 Aber auch einige Studien, die die Angaben des Kedrenos mit denen anderer Autoren vergleichen, könnten noch angeführt werden.8

Die hier kurz diskutierten Passagen können nur eine vage Vorstellung davon geben, welche Schätze (wie auch als solche zu erkennende Fehlinformationen) eine eingehendere Untersuchung des Kedrenos noch erbringen kann. Als nächste Schritte sind nun eine zuverlässige Übersetzung und ein historischer Kommentar notwendig, um das sichere Fundament zu vollenden. Tartaglia jedenfalls gebührt Dank dafür, einen wesentlichen Beitrag für die Errichtung dieses Fundaments geleistet zu haben. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass seine sorgfältig gearbeitete Edition des Kedrenos für den Althistoriker wie für den Byzantinisten ein überaus nützliches Arbeitsinstrument darstellen wird.9

Anmerkungen:
1 Einen aktuellen Überblick bietet Warren Treadgold, The Middle Byzantine historians, Basingstoke 2013, S. 339–342. Umfangreichere Teilübersetzungen bei: Stephanie Brecht, Die römische Reichskrise von ihrem Ausbruch bis zu ihrem Höhepunkt in der Darstellung byzantinischer Autoren, Rahden 1999; Thomas Michael Banchich / Eugene N. Lane, The history of Zonaras from Alexander Severus to the death of Theodosius the Great, London 2009 (von Tartaglia nicht zitiert).
2 Iole Fargnoli, Tückischer Tyrann oder glänzender Herrscher? Zur Gesetzgebung des Kaisers Decius, in: Jan Hallebeek / Martin Schermaier / Roberto Fiori / Ernest Metzger / Jean-Pierre Coriat (Hrsg.), Inter cives necnon peregrinos. Essays in honour of Boudewijn Sirks, Göttingen 2014, S. 199–217, hier S. 214–216.
3 Marilena Amerise, Mendacium Metrodori. Un particolare casus belli, in: Klio 86 (2004), S. 197–205.
4 Bruno Bleckmann / Markus Stein (Hrsg.), Philostorgios, Kirchengeschichte, Bd. 2: Kommentar, Paderborn 2015, S. 340–343.
5 Veruska Verratti, La pretesa abolizione delle Olimpiadi antiche fra romanità, ebraismo e cristianismo, Livorno 2008, S. 17–24; Iole Fargnoli, Politica religiosa di Teodosio il Grande e abolizione delle Olimpiadi. Tra Cedreno e il Codex Theodosianus, in: Index 39 (2011), S. 576–583; Sofie Remijsen, The end of Greek athletics in late antiquity, Cambridge 2015, S. 47–49.
6 Von ihm stammen etwa noch: Nuove testimonianze sulla polemica antigiudaica in due manoscritti della Cronaca di Giorgio Cedreno, in: Koinonia 37 (2013), S. 159–166; La morte dell’imperatore Zenone nella Cronaca di Giorgio Cedreno e nelle fonti bizantine, in: Tiziana Creazzo / Carmelo Crimi / Renata Gentile / Gioacchino Strano (Hrsg.), Studi bizantini in onore di Maria Dora Spadaro, Acireale 2016, S. 429–434.
7 Speziell mit der Handschrift Parisinus Gr. 1713 A (S. 39f.) befasst sich noch Léopold Delisle, Feuillets d’un manuscrit de Cedrenus offerts à la Bibliothèque nationale par la Bibliothèque de l’université de Bâle, in: Comptes-rendus des séances de l’Académie des inscriptions et belles-lettres 25 (1881), S. 167–170. Zu Quellenfragen: Paul Sauerbrei, De fontibus Zonarae quaestiones selectae, Diss. Jena 1881; Theodor Büttner-Wobst, Studia Byzantina I, Dresden 1890; Carl de Boor, Römische Kaisergeschichte in byzantinischer Fassung II. Georgius Monachus, Georgius Cedrenus, Leo Grammaticus, in: Byzantinische Zeitschrift 2 (1893), S. 1–21; Edwin Patzig, Über einige Quellen des Zonaras (I), in: Byzantinische Zeitschrift 5 (1896), S. 24–53; Karl Praechter, Die römische Kaisergeschichte bis auf Diokletian in cod. Paris. 1712 und cod. Vatic. 163, in: Byzantinische Zeitschrift 5 (1896), S. 484–537; Konstantinos A. Zafeiris, The Synopsis chronike and its place in the Byzantine chronicle tradition, Diss. University of St. Andrews 2007; Gianfranco Gaggero, Il sacco di Roma e la gallina di Onorio. Le fonti di Procopio, Cedreno e Zonara, in: Francesca Gazzano (Hrsg.), Le età della trasmissione. Alessandria, Roma, Bisanzio, Tivoli 2013, S. 327–341.
8 Karl Praechter, Olympiodor und Kedren, in: Byzantinische Zeitschrift 12 (1903), S. 224–230; Olympiodor und Synkellos, in: Byzantinische Zeitschrift 15 (1906), S. 588–589; Heribert J. Gleixner, Das Alexanderbild der Byzantiner, Diss. München 1960, S. 40–42; Maciej Kokoszko, Imperial portraits in George Kedrenos’ chronicle, in: Mélanges d’histoire byzantine offerts à Oktaviusz Jurewicz à l’occasion de son soixante-dixième anniversaire, Lódź 1998, S. 151–163; Esteban Moreno Resano, La fisiognomía de Constantino en Pseudo-Aurelio Víctor y Jorge Cedreno, in: Francisco Beltrán Lloris (Hrsg.), Antiqva iuniora. En torno al Mediterráneo en la Antigüedad, Zaragoza 2004, S. 237–249.
9 Neben dem angemerkten Irrtum im Quellenapparat war ein einziger Druckfehler aufzufinden: S. 62 „Stadtbiblothek“.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension