C. Baddack: Katharina von Kardorff-Oheimb

Cover
Titel
Katharina von Kardorff-Oheimb (1879–1962) in der Weimarer Republik. Unternehmenserbin, Reichstagsabgeordnete, Vereinsgründerin, politische Salonnière und Publizistin


Autor(en)
Baddack, Cornelia
Reihe
L'Homme Schriften Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft 23
Erschienen
Göttingen 2016: V&R unipress
Anzahl Seiten
703 S.
Preis
€ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sylvia Schraut, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München

Cornelia Baddack widmet sich in ihrer an der Universität Köln entstandenen Dissertation einer der schillerndsten prominenten Frauen der Weimarer Epoche. Facettenreich war schon das Privatleben von „Kathinka“. Die Kaufmannstochter Katharina von Endert aus Neuss, verheiratet mit dem Ingenieur Felix Daelen, nach der Scheidung in zweiter Ehe verehelicht mit dem Fabrikanten Ernst Albert, verwitwet und in dritter Ehe mit dem Rittergutsbesitzer Hans Joachim von Oheimb verheiratet, ging schließlich nach ihrer zweiten Scheidung eine vierte Ehe mit dem DNVP- und DVP-Politiker Siegfried von Kardoff ein. Untypisch für ihre Generation war auch der Umgang Katharina von Kardoff-Oheimb mit der Mutterrolle. Für die vier Kinder erster Ehe verlor sie, nach geltendem Eherecht schuldhaft geschieden, das Sorgerecht. Zwei weitere Kinder aus der zweiten Ehe überließ sie der Obhut einer Freundin und brachte das Erbe der Kinder durch. Dass sie auch als Leiterin der geerbten Fabriken unternehmerisch scheiterte, ist ein weiterer Mosaikstein im reichlich sprunghaften familiären und ökonomischen Leben einer Frau, die in der Weimarer Republik große mediale Aufmerksamkeit erhielt.

In einem ihrer Wohnorte, Goslar, wird sie heute als „herausragende historische Frauenpersönlichkeit“, als „schillernde und starke Frau“, als eine der „bekanntesten Politikerinnen der Weimarer Republik“ präsentiert.1 Es lässt sich fragen, womit Kardoff-Oheimb diese Charakterisierungen verdient hat: Etwa weil sie im Kaiserreich zwei Jahre im „Bund für Mutterschutz“ aktiv war und als national gesinnte Bürgerin wie viele andere die Heimatfront aufrecht hielt? Oder hat sie sich besondere Wertschätzung erworben, weil sie 1919 für die DVP zur Wahl antrat und ein Mandat gewann, für eine Partei, deren Protagonisten in der vordemokratischen Epoche nicht eben durch besondere Frauenfreundlichkeit aufgefallen waren? Wikipedia schildert Katharina von Kardoff-Oheimb als „Politikerin und Salondame“2, rekrutierend auf ihre Reichstagszugehörigkeit von 1920 bis 1924, auf etliche von ihr rasch gegründete und genauso rasch verschwindende politische Frauenvereine und auf die politische Geselligkeit, die sie einige Jahre in Berlin mit großem materiellen Aufwand pflegte. Für die Zeit-Journalistin Anita Blasberg zählte „Kathinka“ 2014 zu den „modernen Heldinnen“, weil sie sich „nahm, was sie wollte“. Sie charakterisiert ihre „Heldin“ als „Chiffre für eine unangepasste Frau“, die einen klaren feministischen Blick in der Weimarer Republik behielt und nicht den Verlockungen des Nationalsozialismus verfiel.3 Katharina von Kardoff-Oheimbs Leben scheint folglich auch heute noch zu medialen und populärwissenschaftlichen Projektionen einzuladen.

Vor diesem Hintergrund ist Cornelia Baddacks Dissertation angesiedelt. Sie will keine politische Biografie, kein stringent erzähltes Leben mit besonderer Betonung des politischen Agierens der ausgewählten Protagonistin liefern. Im Zentrum steht vielmehr die Diskrepanz zwischen zeitgenössischer Berühmtheit Kathatrina von Kardoff-Oheimbs und deren heutiger Marginalisierung in der Forschung zur Weimarer Republik. Konkret geht es um den „Selbstentwurf einer Fabrikbesitzerin als Politikerin und die Fortschreibung dieses Entwurfs durch ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen“ (S. 26). Dem Stand der historischen Biografieforschung wie ihrem facettenreichen Untersuchungsobjekt angemessen, wählte die Verfasserin eine multiperspektivische Herangehensweise. In fünf „Biografischen Fenstern“ entfaltet sie als Kaleidoskop die großbürgerliche Lebensführung Katharina von Kardoff-Oheimbs „zwischen gesellschaftlicher Repräsentation und politischem Engagement“ (S. 41), ihre politische Partizipation, publizistischen Aktivitäten, ihr frauenbewegtes Engagement und das Beziehungsleben „Kathinkas“ mit Siegfried von Kardoff zwischen 1920 und 1945 als Mit- und Gegeneinander eines Politikerpaares. Cornelia Baddack erarbeitet die wachsende mediale Prominenz Kardoff-Oheimbs als große Dame und Persönlichkeit während der 1920er-Jahre. Insbesondere das kulturelle Kapital des geerbten und erheirateten Habitus einer vermögenden Großbürgerin liefert dann auch die Grundlage für die politischen Aktivitäten und deren zeitgenössische Wertschätzung. Verfolgt wird der Weg „Kathinkas“ als politische Publizistin, ihr großes anfängliches politische Engagement und dessen Versanden schon in der Anfangsphase der Weimarer Republik, ihre Verstrickung in die innerparteilichen Richtungskämpfe und ihr deutliches Bekenntnis zur Republik, der Austritt aus der DVP 1925 und das nachfolgende kurze Intermezzo in der Wirtschaftspartei. Parallel hierzu werden auch ihre Begegnungen mit der Frauenbewegung eher als schillernde Stippvisiten denn als kontinuierliche Vereinsarbeit charakterisiert.

Der letzte Schwerpunkt der Arbeit ist den zeitgenössischen Stilisierungen der Politikerin Kardoff-Oheimb gewidmet. Hier arbeitet die Verfasserin gekonnt die mediale Entwicklung „Kathinkas“ zu einer Prominenten, zur Akteurin mit „einer der führenden Rollen in der Berliner Gesellschaft“ heraus (S. 561). Ausgehend von der Aufmerksamkeit, die den wenigen weiblichen Reichstagsabgeordneten zu Beginn der Republik ohnehin zu Teil wurde, wird deutlich, dass es ab 1924 „weniger ihre Aktivitäten als vielmehr sie selbst war“ (S. 569), über die geschrieben wurde, ein Prominenz, die in den Endjahren der Republik kontinuierlich zurückging und im Nationalsozialismus verschwand. Es sind Baddack zufolge vor allem zwei Narrative, die die mediale Präsenz Kardoff-Oheimbs begründeten: ihre Stilisierung als gleichzeitige Dame und neue Frau einerseits und neue politische Persönlichkeit andererseits. Versprach das erste Klischee eine Synthese von weiblichen Leitbildern des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, so erlaubte die zweite Charakterisierung den Entwurf einer Politikerin frei von Parteiinteressen und parteibürokratischem Taktieren. Beide Narrative ließen sich je nach Ausgestaltung mit Elementen des Tabubruchs, der Skandalisierung und des Märchenhaften verbinden und ließen so mediales Interesse erwarten.

In ihrer (zu kurzen) Schlussbetrachtung schildert die Verfasserin den Weg einer (auch) Frauenpolitikerin über die als Frau selbst erlebten Nachteile, insbesondere im Familienrecht, zu eigenständigen mit der zeitgenössischen Frauenbewegung kompatiblen Positionen. Es wird aber auch deutlich, dass Kardoff-Oheimbs wechselhafte Pfade durch Politik- und Medienbereiche die geringe Beachtung erklären, die sie in der Forschung gemeinhin erfährt. Wie ihr privates Leben erscheint auch ihr öffentliches und politisches Leben durch zumeist nur kurzfristig besetzte Aktionsräume und großen Individualismus gekennzeichnet. Hieraus mag in erster Linie die vergleichsweise geringe politische Wirksamkeit Kardoff-Oheimbs erklärbar sein. So charakterisiert Cornelia Baddack insgesamt die Politikerin, Saloniere, große Dame, Fabrikantin und Frauenpolitikerin mit fest verankertem Elitebewusstsein auch nicht als repräsentatives Beispiel für die neue weibliche Politikerinnengeneration in der Weimarer Republik, sondern als Beispiel dafür, welche Chancen und Handlungsspielräume sich nach dem Ersten Weltkrieg politisierten Frauen eröffneten, aber auch welche Grenzen weiblicher politischer Partizipation gezogen wurden.

Insgesamt ist Cornelia Baddack ein lesenswertes und facettenreiches biografisches Kaleidoskop gelungen. Die Arbeit beruht auf einem breiten Quellenstudium, insbesondere auf der Auswertung einschlägiger Nachlässe und Briefwechsel. Die Autorin macht die Quellengrundlagen und historischen Hintergründe der Argumentationsgänge stets deutlich. Auf diese Weise liefert sie neue Kenntnisse zu weiblichen Handlungsspielräumen, nicht nur in der politischen Sphäre der Weimarer Republik. Sie verbindet darüber hinaus auf innovative Weise Überlegungen zur Bedeutsamkeit, die Politikern und Politikerinnen zugeschrieben wird, mit der Rolle, die die zeitgenössischen Medien in der Herstellung von Wichtigkeit übernehmen.

Anmerkungen
1 Internet-Auftritt der Stadt Gosslar, „Rubrik Stadt und Bürger“, https://www.goslar.de/stadt-buerger/25-stadt-stadtteile/455-katharina-von-kardorff-oheimb (02.09.2017).
2https://de.wikipedia.org/wiki/Katharina_von_Kardorff-Oheimb (02.09.2017).
3http://www.zeit.de/2014/05/katharina-von-oheimb-abgeordnete (02.09.2017).