M.-A. Lucas-Avenel (Bearb.): Geoffroi Malaterra. Histoire du Grand Comte

Cover
Titel
Geoffroi Malaterra – Histoire du Grand Comte Roger et de son frère Robert Guiscard. Vol. I. Livres I & II


Autor(en)
Malaterra, Geoffroi
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Becker, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Das in vier Büchern abgefasste Werk „De rebus gestis Rogerii, Calabriae et Siciliae comitis, et Roberti Guiscardi ducis, fratris eius“ des Benediktinermönches Gaufredus Malaterra stellt zusammen mit Amatus von Montecassino und Wilhelm von Apulien eine der wichtigsten Quellen für die Phase der normannischen Eroberung Siziliens und der anschließenden politischen Organisation der Mittelmeerinsel durch Graf Roger I. dar. Der Bericht Malaterras konzentriert sich vor allem auf die Zeit nach dem Eintreffen Rogers I. in Süditalien um das Jahr 1056 bis zur Verleihung der Apostolischen Legation durch Papst Urban II. an Roger I. im Jahre 1098. Verfasst wurde das Werk, das dem Bischof Ansgerius von Catania gewidmet ist, im Auftrag Rogers I. zeitnah zum Berichtszeitraum zwischen 1098 und 1101.

Die hier anzuzeigende Publikation von Marie-Agnès Lucas-Avenel legt eine kritische Edition und Übersetzung der ersten beiden Bücher dieser Tatenbeschreibung des Gaufredus Malaterra vor, die im Jahr 2001 als Doktorarbeit an der Universität von Caen Basse-Normandie unter der Cotutela von Louis Callebat (Caen Basse-Normandie) und Salvatore Fodale (Palermo) angenommen wurde. Im zweiten Band, der sich wie im Vorwort angekündigt bereits in Vorbereitung befindet, wird die Edition und Übersetzung der Bücher drei und vier folgen.

Bisher lag das Werk in einer grundlegenden kritischen Edition, die Ernesto Pontieri im Jahr 1928 herausgegeben hatte, vor.1 Diese beruhte im Wesentlichen auf drei Handschriften und der editio princeps von Gerónimo Zurita.2 Im Jahr 2002 veröffentlichte Vito Lo Curto eine kommentierte italienische Ausgabe des Werkes, die aber auf dem lateinischen Text von Ernesto Pontieri basiert.3 Ihre Berechtigung findet die vorliegende (Neu-)Edition von Marie-Agnès Lucas-Avenel in der Tatsache, dass der Messineser Philologe Gianvito Resta im Jahr 1964 die verloren geglaubte Handschrift Z (Barcelona, Biblioteca de Catalunya, Ms. 996), die ursprünglich von Gerónimo Zurita 1578 entdeckt und für seine editio princeps verwendet wurde, wiederentdeckte. Außerdem sind inzwischen zwei weitere Handschriften aufgetaucht, die allerdings im Vergleich zum Codex Z relativ wertlos sind, da sie auf bereits von Pontieri benutzten Handschriften aufbauen. Folglich basiert die vorliegende Edition auf insgesamt sechs Handschriften und der editio princeps von Zurita, die zwei längere Lücken im Vergleich zu Z aufweist.

Nach einem Siglen- und Abkürzungsverzeichnis sowie der Auflistung der einbezogenen Handschriften und Editionen, werden die lateinischen Begriffe im kritischen Anmerkungsapparat erklärt. Danach folgt eine ausführliche Einleitung (S. 15–108), in der Marie-Agnès Lucas-Avenel Informationen zur Herkunft des Gaufredus Malaterra, zum Abfassungszeitpunkt und zu den Quellen, die seinem Werk zugrunde liegen, bietet. Malaterras Datengerüst ist nicht immer exakt, was darauf zurückzuführen ist, dass er hauptsächlich auf mündliche Erzählungen und Erinnerungen seiner normannischen Landsleute zurückgriff. Nach der Analyse seiner literarischen Erzählmuster geht Marie-Agnès Lucas-Avenel ausführlich auf den Inhalt der einzelnen Kapitel der vier Bücher ein. Am Ende der Einleitung werden das Handschriftenstemma und die einzelnen Codices vorgestellt sowie die Editionskriterien offengelegt. Ein Stammbaum der Familie Tankreds von Hauteville und einige Karten Süditaliens und Siziliens zur Zeit der normannischen Eroberung sowie zu den sizilischen Expeditionen Rogers I. im Anschluss an die Einleitung veranschaulichen dem Leser die Informationen, die Malaterras Werk ihm bietet.

Vor der eigentlichen Transkription und Übersetzung des Textes der ersten beiden Bücher (S. 118–391) findet der Leser noch Tafeln mit 16 Abbildungen der wichtigsten Handschriften und der editio princeps von Zurita. Die französische Übersetzung des Textes versehen mit detaillierten inhaltlichen Informationen ist auf der linken Seite, der lateinische Text einschließlich eines dreifachen kritischen Apparates – handschriftliche Varianten, Bibelzitate und ein philologischer Kommentar – auf der gegenüberliegenden rechten Seite abgedruckt.

Abgerundet wird die insgesamt sehr aufwendig und ästhetisch ansprechend gestaltete Publikation durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personen- und Ortsregister sowie ein Verzeichnis der zitierten Autoren beziehungsweise der antiken und mittelalterlichen Texte. Gleichzeitig ist die Transkription und Übersetzung der ersten beiden Bücher auch als online-Edition verfügbar.4 Hier kann man sich die Varianten im lateinischen Text oder die inhaltlichen Kommentare in der Übersetzung direkt in den jeweiligen Text einblenden lassen.

Einige kleinere Kritikpunkte sollen den großen Gewinn dieser Edition für alle diejenigen, die sich mit der Geschichte der normannischen Eroberung Siziliens befassen, nicht schmälern. Etwas gewöhnungsbedürftig ist beispielsweise, dass sowohl in der Print- als auch in der online-Edition die französische Übersetzung auf der linken und der lateinische Text auf der rechten Seite erscheint. In der Regel erwartet man zunächst den lateinischen Text als Ausgangsbasis und dann die Übersetzung. Nicht ganz nachvollziehbar ist außerdem die Wahl des Buchtitels „Histoire du Grand Comte Roger et de son frère Robert Guiscard“, zumal die Titelangaben in den Handschriften in einem eigenen Abschnitt diskutiert werden. Roger I. hat sich nie selbst als „Großgraf“ (magnus comes) bezeichnet, sondern es handelt sich hierbei um eine spätere Zuschreibung aus seinen nicht original überlieferten griechischen Urkunden.5 Hier kommt ein generelles Defizit der vorliegenden Publikation zum Vorschein, denn die deutsch-italienische Forschung zu Roger I. beziehungsweise zu Gaufredus Malaterra6 hätte stärker mit einbezogen werden können. So wird beispielsweise auf S. 26 eine Urkunde Rogers I. für S. Maria di Bagnara von 1085 nach der Ausgabe von Kehr7 und nicht nach der jüngst erschienenen kritischen Edition8 zitiert. Nichtsdestotrotz wird der angekündigte zweite Editionsteil des Werks „De rebus gestis Rogerii“ mit großer Vorfreude und Spannung erwartet.

Anmerkungen:
1 Gaufredus Malaterra, De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae Comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratris eius, bearb. von Ernesto Pontieri, Bologna 1925–1928 (Rerum Italicarum Scriptores 5,1).
2 Roberti Viscardi Calabriae ducis et Rogerii ejus fratris Calabriae, et Siciliae ducis principum Normannorum, et eorum fratrum rerum in Campania, Apulia, Bruttiis, Calabris et in Sicilia gestarum Libri IV. Auctore Gaufredo Malaterra monacho Rogerii ipsius hortatu, in: Indices rerum ab Aragoniae regibus gestarum ab initiis regni ad annum MCDX, a Hieronymo Surita tribus libris parati et expositi, ed. Gerónimo Zurita, Caesaraugustae, ex officina Dominici a Portonariis de Ursinis [Saragosse, Domingo de Portonariis y Ursino], 1578, S. 5–95.
3 Goffredo Malaterra, Ruggero I e Roberto il Guiscardo, a cura di Vito Lo Curto, Cassino 2002.
4 Vgl. http://www.unicaen.fr/puc/sources/malaterra (25.04.2017).
5 Vera von Falkenhausen, I diplomi dei re normanni in lingua greca, in: Giuseppe de Gregorio / Otto Kresten (Hrsg.), Documenti medievali greci e latini: studi comparativi, Spoleto 1998, S. 293–294.
6 Julia Becker, Strenuitas et rex consultus. Herrscherattribute und Darstellung von Herrschaft bei Gaufredus Malaterra und ‘Hugo Falcandus’, in: Grischa Vercamer / Norbert Kersken (Hrsg.), Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik, Wiesbaden 2013, S. 219–234.
7 Karl Andreas Kehr, Die Urkunden der normannisch-sizilischen Könige, Innsbruck 1902 (Nachdruck Aalen 1962).
8 Julia Becker, Documenti latini e greci del conte Ruggero I di Calabria e Sicilia. Edizione critica, Roma 2013.

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