F.-L. Kroll (Hsrg.): Zwei Staaten

Cover
Titel
Zwei Staaten, eine Krone. Die polnisch-sächsische Union 1697–1763


Herausgeber
Kroll, Frank-Lothar; Thoß, Hendrik
Erschienen
Berlin 2016: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Querengässer, Leipzig

2013 jährte sich zum 250. Mal das Ende der sächsisch-polnischen Union, die das Schicksal beider Länder seit der Wahl des Wettiners Friedrich August I. zum polnischen König im Jahr 1697 für 66 Jahre miteinander verband. Bereits im ersten Satz des Vorwortes sprechen die beiden Herausgeber des vorliegenden Bandes, Frank-Lothar Kroll und Hendrik Thoß, jedoch vom 200. Jahrestag und sorgen damit beim Leser für Verwirrung. Wohl eher unbeabsichtigt nehmen sie damit Bezug auf das kurzlebige ‚Revival‘ der Union, als der Urenkel Augusts des Starken 1807–1813/15 kurzzeitig als König von Sachsen und Herzog von Warschau regierte. Dieses Intermezzo findet weder im Vorwort noch in einem der folgenden Aufsätze viel Beachtung, obgleich es im Rahmen eines solchen Sammelbandes sicherlich einen eigenen Beitrag verdient hätte.

Der Band ist in fünf thematische Abschnitte unterteilt. Der erste einführende Abschnitt enthält nach einem einleitenden Essay Krolls über Kursachsen während der sächsisch-polnischen Union drei Beiträge, die sich mit den Beziehungen der Union mit den drei benachbarten Großmächten Österreich (Helmut Neuhaus), Russland (Matthias Stadelmann) und Preußen (Hendrik Thoß) beschäftigen. Diese Beiträge begnügen sich im Wesentlichen mit einer Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstandes, ohne ihren Themen neue Facetten abzugewinnen. In vielen Aspekten werden hier auch alte Topoi der sächsischen Geschichtsschreibung bedient. Dies zeigt sich etwa bei den volkstümliche Klischeebilder fortschreibenden Beschreibungen des angeblich fetten und unfähigen Sohnes von August dem Starken und der Politik des Ministers Brühl, der eitel und korrupt gewesen sein soll (Kroll, S. 16). Zudem haben sich in diese Darstellungen so manche Ungenauigkeiten eingeschlichen. So spricht ausgerechnet der Verfassungshistoriker Helmut Neuhaus von „ursprünglich fünf, seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert sieben weiteren Kurfürsten“ (S. 25), was sich schwer erklären lässt, da es seit 1356 bereits sieben Kurfürsten gab, zu denen sich im 17. Jahrhundert nur zwei neue hinzugesellten. Thoß schreibt, dass die Dynastie der Wettiner nach dem Ende der Union 1763 nie wieder an eine solche Bindung anknüpfen konnte (S. 74), und ignoriert dabei, dass der sächsische König Friedrich August I. von 1807 bis 1813/15 auch Herzog von Warschau, dem napoleonischen „Ersatzpolen“, war.

Neue Perspektiven, insbesondere für die sächsische Landesgeschichte, eröffnen die ersten drei Beiträge polnischer Wissenschaftler im Abschnitt über Regierung, Verwaltung und dynastische Lebenswelten. Boguslaw Dybas nimmt die ersten Regierungsjahre Augusts des Starken in Polen in den Blick und Adam Perlakowski geht auf verwaltungstechnische und Marian Drozdowski auf wirtschaftliche wie finanzielle Aspekte der Union ein. Josef Johannes Smids Beitrag über dynastische Verbindungen zwischen den Wettinern und Frankreich beschreibt über mehrere Seiten die Schicksale einzelner Personen. Länge erhält der Beitrag auch durch die vielen seitenlangen Zitate in französischer Sprache, was die Lesbarkeit erschwert. Smids Schluss, die dynastischen Eheverbindungen zwischen Bourbonen und Wettinern hätten einen entscheidenden Schritt zu deren Etablierung als politische Größe gebildet (S. 161), hätte besser begründet werden können. Tatsächlich gilt der Umstand, dass die Dynastie der Wettiner sich bereits im europäischen Mächtegefüge etabliert hatte, als die Voraussetzung für die Eheverbindungen mit dem französischen Königshaus. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass bereits 1719 der Sohn Augusts des Starken eine Kaisertochter geheiratet und sich spätestens dadurch in der vordersten Reihe auf dem europäischen Heiratsmarkt etabliert hatte.

Der dritte Abschnitt über Religion und konfessionelle Toleranz besteht einzig aus einem Beitrag von Thomas Fitschen über den Glaubenswechsel Augusts des Starken 1697. Im Abschnitt über Kunst, Kultur und Wissenschaft geht es um intellektuelle Milieus (Stanislaw Roszak), Residenzbau in Polen in der Ära Brühl (Tomasz Torbus), Musikkultur (Alina Zorawska-Witkowska), den Einfluss Bachs auf die polnische Musikkultur (Szymon Paczowski) und die Bauämter in Dresden und Warschau (Walter May). Auch hier zeigen sich handwerkliche Mängel des Bandes bzw. konkret tritt der Bedarf, die Forschungen mehr in den Diskurs einzubetten, zutage: Die These Walter Mays, August der Starke habe sich bei der architektonischen Konzeption Dresdens an der Flussansicht Warschaus orientiert, steht im Widerspruch zur älteren Ansicht des Kunsthistorikers Georg Piltz, wonach vor allem die Faszination des Kurfürsten für Venedig die Ausrichtung der Stadt zum Wasser hin beeinflusst habe.1 Da May zwar den Mangel an Forschungsgrundlagen herausstellt, Piltz jedoch nicht rezipiert, bleibt es späteren Arbeiten vorbehalten, diese unterschiedlichen Einschätzungen zu einer weiterführenden Debatte zusammenzuführen.

Mehr als ein Viertel des Buches beschäftigt sich im fünften Abschnitt mit den Nachwirkungen der Unionszeit. Milos Reznik widmet seinen Aufsatz dem Werk des erst kurz vor der Tagung verstorbenen polnischen Historikers Jacek Staszewski, der einen Großteil seines wissenschaftlichen Oeuvres der Erforschung dieser Zeit widmete und dabei auch umfangreiche Biografien der beiden Unionskönige August II. und August III. verfasste. Reznik betont, wie sehr Staszewski dabei um ein differenziertes Bild, insbesondere Augusts III., bemüht war, der keineswegs dem fettleibigen Naivling ohne jeglichen eigenen Willen zu inneren Reformen entsprach, wie er etwa in Krolls Beitrag erscheint. Der sächsische Landeshistoriker Rainer Groß fast den deutschsprachigen Forschungsstand zur Union zusammen und endet mit dem Plädoyer für eine wissenschaftlich fundierte Monografie zu diesem Thema. Jens Boysen analysiert Erinnerungskulturen zur gemeinsamen sächsisch-polnischen Geschichte, wobei die vielen kritischen Polemiken und nur dürftiges Belegen etwas störend wirken. Der Band schließt mit einer Analyse Martin Munkes über die Unionszeit im Werk des Schriftstellers Józef Kraszweski, dessen Sachsen-Romane bis heute prägend für die kollektive Erinnerung an diese Zeit wirken.

Alles in allem hinterlässt der Band ein zwiespältiges Bild: Dem mit dem Forschungsstand zur sächsisch-polnischen Union vertrauten Leser liefern die meisten Aufsätze der deutschen Wissenschaftler kaum neue Erkenntnisse, die über den Stand des 1997 vom Verein für Landesgeschichte Sachsen herausgegeben Band zu diesem Thema hinausgehen.2 Anstatt überholte Klischeebilder kritisch zu hinterfragen, werden einige sogar bestätigt. Demgegenüber versuchen die Beiträge der polnischen Historiker, mit den vor allem im 19. Jahrhundert formulierten Stereotypen aufzuräumen. Sie bereichern den Band ungemein und stellen somit auch eine wertvolle Grundlage für das in dem Band geforderte, freilich sehr anspruchsvolle Projekt einer eigenständigen Monografie zum Thema dar.

Anmerkungen:
1 Georg Piltz, August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 25f.
2 Verein für Sächsische Landesgeschichte e.V. (Hrsg.), Sachsen und Polen zwischen 1697 und 1765. Beiträge der wissenschaftlichen Konferenz vom 26. bis 28. Juni in Dresden (Saxonia. Schriftenreihe des Vereins für sächsische Landesgeschichte e.V. 4/5), Dresden 1998.