Cover
Titel
Art and Politics. Between Purity and Propaganda


Autor(en)
Segal, Joes
Erschienen
Anzahl Seiten
165 S., 25 Farb- und 3 SW-Abb.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Verena Wirtz, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Mit dem „Ende der Geschichte“ wurde 1989 auch die Avantgarde zu Grabe getragen. Was Francis Fukuyama der Politik und Peter Burger der Kunst prophezeite, resultierte aus der verbreiteten Annahme, dass eine Alternative zur marktliberalen, repräsentativen Demokratie nicht mehr denkbar, eine gesamtgesellschaftliche Umwälzung oder ein politischer Systemwechsel unmöglich geworden seien.1 Doch spätestens seit der Finanzkrise ab 2007/08 gerät diese Zuversicht ins Wanken. Beide Kräfte, Kunst und Politik, so heißt es allerorts, betreten erneut die welthistorische Bühne – allerdings und für viele unerwartet: von rechts. Für die gegenwärtige Kunst bedeutet dies, sich seit dem Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen in einer äußerst eigentümlichen, vermeintlich neuen Situation zu befinden. Wie Hanno Rauterberg kürzlich in der „ZEIT“ schrieb, ist Kunst nun nicht mehr Systemzerstörer, sondern Systembewahrer, ja sie tritt gar als Verteidiger der liberalen, repräsentativen Demokratien auf.2 Eine solche Haltung verdankt die Kunst diesmal nicht ihrer seismographischen Qualität oder ihrem Erneuerungspotential. Sie ist vielmehr eine Reaktion auf das avantgardistische Gebaren der neuen autoritären Internationale. Ob Trump, Le Pen, Petry oder Putin: Sie alle gewinnen ihre politische Macht nicht zuletzt aus jenem Jargon ästhetisch legitimierter „Eigentlichkeit“, der Adorno zufolge noch der deutschen Nachkriegsgesellschaft anhaftete und schon im „Dritten Reich“ Ausdruck von unberechenbaren Vabanque-Manövern, Provokationen und Tabubrüchen gewesen war.3

Dass die Wahlverwandtschaft von Avantgarde und Antiliberalismus im 21. Jahrhundert also weder ein Novum noch ein Widerspruch ist, zeigt Joes Segal jetzt mit einer eindrucksvollen Beziehungsgeschichte von Kunst und Politik im 20. Jahrhundert. Auf gerade einmal 165 Seiten weist der niederländische Kunsthistoriker und Kurator des Wende-Museums in Los Angeles nach, welche paradoxen Wiederholungsstrukturen das Verhältnis beider Welten zwischen 1914 und 2014 kennzeichneten. In sieben Fallstudien gelingt es Segal, den Herkunftskontext und die Folgen der im Ersten Weltkrieg evident gewordenen Verflechtung von Kunst und Politik zu historisieren und damit, wie er selbst einleitend betont, einen neuen Ansatz zu entwickeln. Dieser besteht erstens darin, das Verhältnis von Kunst und Politik nicht typologisch, sondern dezidiert historisch zu analysieren. Zweitens geschieht dies aus einer internationalen Perspektive. Seine chronologisch angelegten Analysen bieten nicht nur klassische Fallbeispiele wie den deutsch-französischen Kulturkampf im Ersten Weltkrieg, das Verhältnis von „Deutscher“ und „Entarteter“ Kunst im „Dritten Reich“ oder die Kunstpolitiken der „Kalten Krieger“. Sie berücksichtigen auch die Wandmalereien Diego Riveras (1886–1957) in Mexiko und in den Vereinigten Staaten, die bildenden Künste in Chinas Volksrepublik zwischen Kommunismus und Kapitalismus sowie die preisgekrönte provokante Silhouettentechnik der afroamerikanischen Künstlerin Kara Walker (geb. 1969). Drittens hebt sich Segals Methode von den klassischen Herangehensweisen jener Historiker ab, die Kunst allein als illustre Quelle politischer Umbrüche behandeln. Ebenso überschreitet er die methodischen Grenzen jener Kunstgeschichte, die das Verhältnis von Kunst und Politik zwar stilgeschichtlich einordnet, aber nicht kontextualisiert. Viertens sieht Segal das Besondere seines Zugangs vor allem darin, konsequent die Beziehung zwischen den Sphären, „the paradoxical relation between art and politics“ in den Blick zu nehmen (S. 10). So banal dies klingen mag, der Untertitel „Between Purity and Propaganda“ ist Programm. Völlig zu Recht betont Segal, dass die bisherigen Analysekategorien und Dichotomien von künstlerischer Autonomie und ästhetischer Unschuld einerseits, von politischer Kunst, Kitsch und Propaganda andererseits weder dem zeitgenössischen Selbstverständnis der Künstler und Politiker entsprachen noch der genaueren historischen Forschung standhalten (S. 9).

Diese übergreifende These belegt Segal unter anderem anhand folgender Fallbeispiele: Pablo Picasso repräsentierte in der jeweiligen Selbstwahrnehmung der „Kalten Krieger“ sowohl die demokratische Kultur des Westens als auch diejenige des progressiven Realsozialismus. So war seine „Taube“ 1949 auf dem „Weltkongress der Friedenspartisanen“ in Paris zu sehen. Ein Jahr später erhielt er Stalins „Friedenspreis“. Seine Kunstwerke konnten unter Joseph McCarthy Teil einer von der CIA organisierten Wanderausstellung US-amerikanischer Avantgarde-Kunst sein und zeitgleich als staatsgefährdend betrachtet werden. Umgekehrt wurde Picassos Kunst in der Sowjetunion nach Stalins Tod als „entartet“ bezeichnet, während sie in Europa und in den USA bald zum Inbegriff der künstlerischen Freiheit des Westens avancierte (S. 76). Als „entartet“ galt im „Dritten Reich“ auch das Werk des NS-affinen Malers Emil Nolde, das – obwohl von Göring wie Goebbels geschätzt – als Negativfolie zur Großen Deutschen Kunstausstellung 1937 das „Entartete“ verkörpern sollte. Und Rudolf Bellings Skulpturen wurden kurzerhand in beiden Ausstellungen gezeigt (S. 55).4 Zur gleichen Zeit wurden Diego Riveras Fresken in Mexiko mal als kommunistisch gefeiert, mal als kapitalistisch diffamiert. Genauso widersprüchlich verhielt es sich mit der Rezeption seines Kunstwerks „Man at the Crossroads“ (1934) im Rockefeller Center in New York5, das von Journalisten kritisch als „Red Wall“ bezeichnet und vor der Vollendung in Rockefellers Auftrag zerstört wurde. Rivera selbst, so Segal, habe seine Kunst immer als revolutionär betrachtet – unabhängig davon, welchem politischen Auftrag er folgte und welcher Partei er gerade angehörte. Einen ähnlichen Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sieht Segal noch heute bei den Künstlerikonen Ai Weiwei in China und Kara Walker in den Vereinigten Staaten. Beide stellen – statt ideologische Gegensätze – populärkulturelle Schnittmengen und stereotype Parallelen zwischen Kommunismus und Kapitalismus, Schwarz und Weiß, West und Ost zur Schau. Beide sind dafür bekannt, in ihren Herkunftsländern Nationalsymbol und Kulturfeind in einer Person zu sein (S. 95, S. 106).

Es ist eine „Schizophrenie“ (S. 76), die Segal an diesen Fallbeispielen fasziniert und die er so anschaulich wie argumentativ stringent als eine Wiederholungsstruktur im Kultur-Politik-Verhältnis kenntlich macht: dass Kunstwerke und Ideologien zwischen internen wie externen Freund- und Feindschemata changierten; dass Künstler dabei von sich einander bekämpfenden Mächten im In- und Ausland ebenso geliebt wie gehasst werden konnten und dass diese Paradoxien nach dem Fall der Mauer fortexistierten. Die Diskrepanz zwischen der Intention des Künstlers und der Rezeption des Betrachtenden wird allerdings erst durch die Kontextualisierung dieses Zwischenraums (S. 99) verständlich. Walter Benjamins Formel von der „Ästhetisierung der Politik“ im Faschismus und der „Politisierung der Kunst“ im Kommunismus6 müsste folglich historisiert und dann als Frage neu formuliert werden: Warum, zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Zweck erlangten Kunstwerke eine politische Funktion und politische Ordnungen eine ästhetische Legitimation?7

Letzteres, die künstlerische Seite der Politik, kommt bei Segal zu kurz. Die Beziehungsgeschichte gestaltet sich damit einseitiger als einleitend angekündigt. Der Kunsthistoriker konzentriert sich auf die politische Bedeutung der bildenden Künste im 20. und 21. Jahrhundert, lässt dabei aber die künstlerische Seite der Politik und die ästhetische Qualität politischer Ordnungen aus.8 Um diese Perspektive müsste Joes Segals ansonsten beeindruckendes Panorama erweitert werden, will man es nicht bei der Aufdeckung von Paradoxien belassen. Denn so bleibt dem Autor zum Schluss nur die Hoffnung, dass die Künstler der Gegenwart auch nach der „Rückkehr“ der Geschichte und der rechten „Avantgarden“ politische Gegensätze weiterhin kenntlich machen und dekonstruieren. Ob sie aber noch eine Alternative zur „Alternative“ darstellen können, bleibt ungewiss. Zudem müsste auch umgekehrt der heutigen Politik die Geschichte und laufende Wiederholung ihrer ästhetischen Selbstlegitimation und Selbstdarstellung vor Augen geführt werden.

Anmerkungen:
1 Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 1992; Peter Burger, Nach der Avantgarde, Weilerswist 2014. Vgl. ders., Theorie der Avantgarde, Frankfurt am Main 1974.
2 Hanno Rauterberg, Im Kugelhagel der Realität. Wenn alles Krieg und Krise ist, müssen die Künstler zu einer neuen Bestimmung finden. Eine Antwort auf Christine Lemke-Matweys Essay über die Eigenmacht der ästhetischen Erfahrung, in: ZEIT, 12.01.2017, S. 44, http://www.zeit.de/2017/03/politische-kunst-populismus-krisen-kuenstler-agitation-politisierung/komplettansicht (10.02.2017).
3 Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt am Main 1964.
4 Für solche und weitere Inkonsistenzen siehe auch Dieter Scholz / Maria Obenaus (Hrsg.), Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung 1933–1945, Berlin 2015 (Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, in der Neuen Galerie im Hamburger Bahnhof, 21. November 2015 bis 31. Juli 2016).
5 Für Bildmaterial siehe etwa https://en.wikipedia.org/wiki/Man_at_the_Crossroads (10.02.2016).
6 Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und weitere Dokumente. Kommentar von Detlev Schöttker, Frankfurt am Main 2007 (dritte und letzte autorisierte Fassung von 1939), S. 50.
7 Dies ist in Deutschland u.a. eine Leitfrage von „Kunst und Politik“, dem Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft: http://www.v-r.de/de/kunst_und_politik_jahrbuch_der_guernica_gesellschaft/sd-0/3006 (10.02.2017).
8 Klassisch dazu etwa Klaus von Beyme, Die Kunst der Macht und die Gegenmacht der Kunst. Studien zum Spannungsverhältnis von Kunst und Politik, Frankfurt am Main 1998.