D. Hacke: Konfession und Kommunikation

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Titel
Konfession und Kommunikation. Religiöse Koexistenz und Politik in der Alten Eidgenossenschaft. Die Grafschaft Baden 1531–1712


Autor(en)
Hacke, Daniela
Erschienen
Köln 2017: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
579 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Würgler, Département d'histoire générale, Université de Genève

In ihrer Zürcher Habilitationsschrift untersucht Daniela Hacke, Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Freien Universität Berlin, Streitfälle mit einer konfessionellen Dimension zwischen 1531 und 1712 aus einer kommunikationshistorischen Perspektive (Kapitel 1). Ihr Untersuchungsraum, die sogenannte Grafschaft Baden, war eine Gemeine Herrschaft der Eidgenossen. Das bedeutet – wie im Kapitel 2 umsichtig dargelegt wird –, dass die acht „besitzenden“ Kantone dieses kleine Territorium seit der Eroberung 1415 gemeinsam verwalteten. Sie taten dies mit einem nach dem Rotationsprinzip reihum aus den acht Kantonen rekrutierten Landvogt, der an den jährlichen Jahrrechnungskonferenzen Rechenschaft ablegen musste.

Die ohnehin nicht konfliktfreie Zusammenarbeit wurde seit der Reformation schwieriger, weil zwei der regierenden Kantone – Zürich und Bern – sich dem neuen Glauben zuwandten, während fünf – Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug – beim alten blieben; der achte Kanton, Glarus, wurde bi-konfessionell. Da Entscheidungen im Prinzip nach der Mehrheitsregel zu fällen waren, entstand eine strukturelle Minderheitsposition für die beiden mächtigsten Kantone Zürich und Bern.

Die nicht rotierenden Chargen der Lokalverwaltung, wie der Landschreiber und die Untervögte, waren immer mit Katholiken besetzt. Gerade in kirchlichen Angelegenheiten verkomplizierte sich das Herrschaftsgefüge auch insofern, als geistliche Institutionen wie der Bischof von Konstanz (als Bischof und teilweise als Patronatsherr) oder der Abt des Klosters Wettingen mitzureden hatten.

Nach dem Glaubenskrieg regelte der Zweite Kappeler Landfrieden von 1531 die Verhältnisse der Gemeinen Herrschaft Baden in asymmetrischer Weise zu Gunsten der katholischen Sieger: Zwar durften die schon existierenden reformierten Gemeinden bei ihrem Glauben bleiben, doch die Einrichtung neuer reformierter Gemeinden oder Konversionen zum neuen Glauben waren ausgeschlossen. Dagegen konnten Reformierte jederzeit zum alten Glauben zurückkehren. Ebenso konnte eine kleine katholische Minderheit jederzeit eine neue Gemeinde errichten und damit ein Anrecht auf die simultane Nutzung der Dorfkirche beanspruchen. Die Bedingungen des Landfriedens unterbanden auch eine volle Institutionalisierung der reformierten Kirchen, insbesondere die Einführung von Sitten- und Ehegerichten. Die reformierten Pfarrer waren in aller Regel in Zürich ausgebildete Zürcher Stadtbürger.

Diese Ausgangslage verspricht einiges an Konfliktpotential. Im Gefolge der Arbeiten von Randolph Head1 stellt Hacke ins Zentrum (Kapitel 3 und immer wieder), dass sich die Konfliktbewältigung entlang der im Landfrieden von 1531 festgelegten Normen bewegt habe, während ergänzende Verträge wie jener von 1632 oder der Dritte Landfrieden von 1656 entgegen der herrschenden Forschungsmeinung keine Veränderung der Praxis in Richtung paritätischer Schiedsgerichte gebracht hätten (S. 457). Ein Wandel sei vielmehr in den Argumenten der Auslegungsdifferenzen zwischen den beiden konfessionellen Streitparteien festzustellen. Die nach der Niederlage 1531 sehr defensiv agierenden Reformierten, insbesondere Zürich, erkämpften sich im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts mehr Einfluss. Dies geschah über eine bessere Dokumentation der Streitfälle und Argumente sowie durch ein geschicktes Lavieren zwischen der horizontalen politischen Kommunikation mit den anderen regierenden (katholischen) Kantonen und der vertikalen Kommunikation mit dem Landvogt (sofern er reformiert war) und den (immer zürcherischen) reformierten Pfarrern. Aber auch mit den katholischen Institutionen entstanden intensive Kontakte aufgrund der geographischen Nähe und vielfacher Verflechtungen (S. 285–290).

Anhand von Streitfällen aus drei Bereichen – Lästerpredigten (Kapitel 4), Konversionen (Kapitel 5) und Simultankirchen (Kapitel 6) – rekonstruiert die Autorin die kommunikative Bewältigung dieser Mehrebenenkonflikte durch die beteiligten (oder umgangenen) Instanzen. Sie nutzt dafür eine breite Auswahl an Quellen vor allem aus den Staatsarchiven in Zürich und Aarau (wo auch viele Luzerner Akten liegen), sowie dem Staatsarchiv Bern, dem Stadtarchiv Baden und fünf weiteren kirchlichen, kommunalen oder staatlichen Institutionen aus der Schweiz und Deutschland (S. 53–58, 517–522).

Zu ihren wichtigsten Ergebnissen zählt Hacke, dass die Mehrheitsregel umstritten war und vor allem von Zürich oft umgangen wurde, indem die Limmatstadt kirchliche Angelegenheiten in bi-konfessionellen Gemeinden direkt mit der kirchlichen katholischen Seite, insbesondere dem Abt von Wettingen, regelte (S. 99–119, 285–290, 371, 485, dagegen allerdings 280, 284). So schufen die Zürcher manchmal irreversible Tatsachen zugunsten der Reformierten an der Mehrheit der mitregierenden katholischen Kantone vorbei, wie zum Beispiel die Einsetzung eines Taufsteins in Zurzach 1604 (S. 405–424).

Auch zeigt Hacke minutiös auf, wie konfessionell gebunden die Kommunikationsabläufe waren. Katholische Untertanen und Amtsträger der Gemeinen Herrschaft Baden wandten sich prioritär an katholische Vorgesetzte oder Kantone, ohne den „Dienstweg“ (über den je nachdem katholischen oder reformierten Landvogt) einzuhalten. Umgekehrt informierten sich die regierenden Kantone auch meist über konfessionsverwandte Dienstleute oder Vertraute, nicht aber über den offiziellen Weg (Landvogt).

Aufgrund der Herrschaftskonstellation konnten individuelle und familiäre Entscheide (Konversionen, hier allerdings mangels Quellen vor allem an Beispielen aus dem Rheintal und dem Thurgau behandelt) oder Spannungen in kleinen bi-konfessionellen Gemeinden (Kirchenraumgestaltung, Altar, Taufbecken, Bilder, Chorvergitterung) auf die Ebene der eidgenössischen Politik durchschlagen. Die Kantone mussten dann gleichzeitig die Verschiebung eines Altars im Dorf X und ihre politische Positionierung im Dreißigjährigen Krieg verhandeln, wobei zwischen beiden Geschäften ein konfessionelles Junktim hergestellt werden konnte.

Insgesamt betont Hacke aber die meist freundliche, die Kompromissbereitschaft betonende und immer am Landfrieden orientierte Rhetorik der Einigkeit in der innereidgenössischen Kommunikation, die oft darauf abzielte, Konflikte dadurch zu entschärfen, dass man sie in die Länge zog oder zerredete (S. 296, 417).

Gerade die letztgenannten Ergebnisse sind nun aber bei weitem nicht so neu, wie Hacke meint. Sie bestätigt vielmehr anhand einiger konfessioneller Beispiele die Resultate der Untersuchungen zur politischen Kommunikation in der Eidgenossenschaft2, die sie zwar in der Bibliographie nennt, mit denen sich sie sich aber nicht wirklich auseinandersetzt und deren Resultate sie (zu) wenig nutzt.

Wo sich Hacke explizit von bisherigen Forschungsresultaten absetzt, bezieht sie sich gelegentlich auf veraltete Positionen, wie etwa das längst relativierte Klischee von der Schweiz als Land des Konsenses (S. 495)3, oder überdehnt die Bedeutung ihres Fallbeispiels für die gesamte Eidgenossenschaft (Mehrheitsregel). Die Verallgemeinerbarkeit ihrer Erkenntnisse leidet an der geringen Fallzahl und am „Verzicht“ (S. 53) nicht nur auf eine Quantifizierung, sondern auch auf qualitative Repräsentativitätsüberlegungen (S. 289–291) und explizite Vergleiche mit anderen – auch monokonfessionellen – Gemeinen Herrschaften.

Erstaunlich ist zudem, dass die gerade für informations- und kommunikationshistorische Fragestellungen enorm ergiebigen Bestände der Zurlaubiana nicht herangezogen wurden.4 Überraschen mag auch, dass von „religiöser Diversität“ in der Gemeinen Herrschaft Baden die Rede ist, ohne die zeitweilige jüdische Präsenz zu erwähnen (S. 393). Ausserdem sollten sich einige kleinere Irrtümer nicht verfestigen.5

Insgesamt aber handelt es sich um eine Studie, die in elaborierter Sprache und mit sehr viel theoretischem Aufwand (Kommunikationstheorie nach Niklas Luhmann, Labelling-approach, Raumsoziologie nach Martina Löw, Emotionshistorie, Konfessionalisierungs- und Konversionsforschung, Kapitel 1 und S. 219–223, 302) detailreich und überzeugend die horizontalen und vertikalen kommunikations- und Entscheidungsprozesse bei konfessionellen Mehrebenenkonflikten (S. 14, 19) im komplexen Herrschaftsgefüge der gemeinen Vogtei Baden rekonstruiert. Damit liefert der ansprechend gestaltete Band einen weiteren Baustein zu einer Kulturgeschichte des Politischen in der Eidgenossenschaft.

Anmerkungen:
1 Exemplarisch: Randolph C. Head, Fragmented Dominion, Fragmented Churches: The Institutionalization of the Landfrieden in the Thurgau, 1531–1630, in: Archive for Reformation History 96 (2005), S. 117–144.
2 Z.B. Michael Jucker, Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter, Zürich 2004; Thomas Lau, „Stiefbrüder“. Nation und Konfession in der Schweiz und in Europa (1656–1712), Köln 2008; Andreas Würgler, Die Tagsatzung der Eidgenossen. Politik, Kommunikation und Symbolik einer repräsentativen Institution im europäischen Kontext (1470–1798), Epfendorf/Neckar 2013.
3 Vgl. das Themenheft: Die Schweiz: Land des Konsenses?, in: traverse. Zeitschrift für Geschichte 8/3 (2001).
4 Editionsprojekt Zurlaubiana, Kantonsbibliothek Aargau, Aarau <https://www.ag.ch/de/bks/kultur/archiv_bibliothek/kantonsbibliothek/sammlungen/zurlauben/zurlauben.jsp> (06.08.2017).
5 S. 67 Mitte: Glarus (nicht: evangelisch Glarus); S. 72 oben: die acht alten Orte sind keineswegs Mitbesitzer aller nach 1415 eroberten Gemeinen Herrschaften; S. 80 Mitte: bei Tagsatzungen und Konferenzen in Baden wurden nicht nur Angelegenheiten der Gemeinen Herrschaften behandelt.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/