Cover
Titel
Schahbesuch 1967. Fanal für die Studentenbewegung


Autor(en)
Michels, Eckard
Erschienen
Anzahl Seiten
355 S., 24 SW-Abb.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hanno Balz, Department of History, Johns Hopkins University, Baltimore

Im Oktober 2016 wurde von der Mainzer Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen „Schmähgedicht“ auf Recep Tayyip Erdoğan nach §103 StGB eingestellt. Die Existenz dieses Paragrafen aus der Kaiserzeit, der die „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren sanktioniert, war den meisten Kommentatoren bis dato unbekannt – und in der Tat liegt das letzte Mal, dass ein öffentlichkeitswirksames Verfahren auf dieser Basis eröffnet wurde, eine ganze Weile zurück: In den 1950er- und 1960er-Jahren sah Schah Mohammad Reza Pahlavi von Persien wiederholt sich selbst oder seine zweite Frau Soraya von der westdeutschen Presse verunglimpft. Der klagefreudige Regent, der von einer freien Presse nicht viel hielt, brachte so die bundesdeutsche Justiz ein ums andere Mal in eine unangenehme Lage. Bis heute firmiert das fragwürdige Rechtskonstrukt unter dem Namen „Schah-Paragraf“. Diese Vorgeschichte darzustellen und die Ereignisse vom 2. Juni 1967 ausführlich, konzise und spannend zu kontextualisieren ist das Verdienst des vorliegenden Buches.

Eckard Michels widmet sich entsprechend auf den ersten 60 Seiten seiner Studie der Entwicklung der deutsch-persischen Beziehungen. Diese waren zum einen geprägt durch die Unterstützung jener anti-kommunistischen Diktatur im Nahen Osten, nachdem 1953 die demokratische Regierung unter Mohammad Mossadegh gestürzt worden war – mit kräftiger Hilfe der CIA und des MI6. Der Adenauer-Regierung galt Mossadegh „als verantwortungsloser Abenteurer, der die Position des Westens gegenüber Moskau im Mittleren Osten gefährdet“ habe (S. 33). Zum anderen, in eher popkultureller, glamouröser Hinsicht, handelte es sich bei dem Regentenpaar „auf dem Pfauenthron“ (wie es in der Presse oft hieß) vermutlich um die den Westdeutschen am besten bekannten Repräsentanten eines Entwicklungslandes. Vor allem Pahlavis schon erwähnte zweite Frau, die deutschstämmige Soraya, tauchte in der Regenbogen-Presse bis in die frühen 1960er-Jahre (selbst nach der Scheidung von 1958) derart häufig auf, dass diese bald auch „Soraya-Presse“ genannt wurde. Entsprechend groß war das Aufsehen, als der Schah 1955 Deutschland besuchte – das zweite ausländische Staatsoberhaupt in der erst kurz darauf souveränen Bundesrepublik.

Bekanntlich stand der nächste Besuch des Schahs 12 Jahre später (mit seiner dritten Frau Farah) unter einem anderen Stern. So beleuchtet Michels zunächst ausführlich die bundesdeutschen Planungen für den Staatsbesuch, vor allem aber auch die Mobilisierungsanstrengungen der organisierten iranischen Studierenden in der Bundesrepublik. An westdeutschen Universitäten stellten sie die größte Gruppe ausländischer Studierender, und die Bundesrepublik war das Studienziel Nummer eins in Europa für die große Gruppe von jungen Iranern, die ihren akademischen Abschluss im Ausland erreichen wollten. Doch hatten sich nach einem Teheraner Massaker an Demonstranten 1963 Teile der iranischen Jugend zunehmend radikalisiert – mit CISNU („Confederation of Iranian Students / National Union“) verfügten sie über eine schlagkräftige Organisation in Europa und vor allem in der Bundesrepublik.

Bemerkenswerterweise waren die deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen vor dem Schahbesuch nicht sonderlich daran interessiert, die Zustände im Iran zur Kenntnis zu nehmen. Die Führungsriege des SDS bzw. deren anti-autoritärer Flügel war vor dem 2. Juni 1967 in ihrer Analyse der „Dritten Welt“ noch vollständig auf den Vietnamkrieg fixiert. Rudi Dutschke selbst begann Bahman Nirumands einflussreiches Buch „Persien, Modell eines Entwicklungslandes“, das kurz vor dem Schahbesuch in der rororo-Reihe erschienen war, erst nach dem Tod Benno Ohnesorgs zu lesen (S. 97).

Auf anschauliche Weise gelingt es Michels, die Makro- und Mikroebene der Ereignisse zu verknüpfen und vor allem auch das, was man heute wohl interkulturelle Differenzen nennen würde, präzise darzustellen. Diese Differenzen gab es auf Seiten der jeweiligen Regierungen ebenso wie unter den studentischen Aktivistinnen und Aktivisten. Nur wenn die deutsch-iranischen Beziehungen jener Jahre vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der deutsch-deutschen Konfrontation gesehen werden, erschließt sich das ganze Bild. So befürchtete die Bundesregierung, der Schah könnte sich für Rüstungs- und Ölgeschäfte den Sowjets oder sogar der DDR zuwenden – im Januar 1967 erwarb der Iran als erstes offiziell mit den USA verbündetes Land für 100 Millionen US-Dollar Waffen in der UdSSR. Nicht zuletzt waren es goldene Zeiten für die Autokraten eines „Dritten Weges“ (siehe Nasser oder Tito). Nur in diesem Kontext ist es zu verstehen, dass die Bundesregierung den Schah drängte, auch West-Berlin zu besuchen – ein unbeliebter Pflichttermin für jedes ausländische Staatsoberhaupt in Zeiten der Hallstein-Doktrin.

Michels’ Blick auf die Planungen der Sicherheitsbehörden, aber auch auf die Provokationen und Interventionen des iranischen Geheimdienstes SAVAK verdeutlicht die damalige Naivität ebenso wie ein noch verbreitetes Vertrauen in die Obrigkeitshörigkeit der Berliner. Zugleich belegt der Autor die Frustration und Gewaltbereitschaft der West-Berliner Polizei, die sich schon vor dem 2. Juni 1967 von den unkonventionellen Protesten der Studierenden oftmals überfordert und provoziert fühlte.

Auf der anderen Seite betrachtete die DDR-Regierung die Anti-Schah-Proteste ebenfalls mit Missfallen, erhoffte man sich doch selbst einen Ausbau der Handelsbeziehungen mit dem Iran. Erst nach der Eskalation des 2. Juni, als sich die Proteste zu einem innenpolitischen Thema entwickelten, zeigte das Zentralkomitee der SED Wohlwollen gegenüber den westdeutschen Protestierenden: Die Transitstrecke von West-Berlin nach Hannover säumten an die 1.000 FDJ-Mitglieder, um dem ihnen völlig unbekannten Ohnesorg und seinem Trauerkonvoi mit Transparenten wie „Kein Blut des Volkes für den Notstand der Monopole“ das letzte Geleit (Ost) zu gewähren (S. 248).

Die Darstellung der Ereignisse am 2. Juni in Berlin, die im ganzen Buch weniger als 40 Seiten einnehmen, ist hier weniger wegen der minutiösen Darstellung der Abläufe interessant – zu ihnen wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach publiziert1 –, sondern aufgrund der Einbettung in den größeren Kontext von Studierendenprotest und internationalen Beziehungen. Bei der Betrachtung der polizeilichen Einsatzkonzepte ist besonders hervorzuheben, wie bei den Protesten in München gegen den Schah ein Deeskalationskonzept offenbar funktionierte, wogegen in der Frontstadt Berlin bewusst auf Eskalation gesetzt wurde. Deutlich wird hier auch einmal mehr, was für hysterische Zeiten dies waren – und zwar auf allen Seiten. Anschaulich beschreibt Michels die Debatten im SDS nach dem Mord an Ohnesorg und widerlegt den studentischen Vorwurf, es habe sich hierbei um „eine systematisch von der West-Berliner Polizei geplante und brutal durchgeführte ‚Notstandsübung’“ gehandelt (S. 227). Dennoch soll an dieser Stelle nicht bestritten werden, dass es sich, wie der Berliner SDS erklärte, um eine Eskalation staatlicher Einschüchterungspolitik handelte.2

Deutlich wird in Michels’ abschließendem Versuch einer Beurteilung des 2. Juni 1967, dass es sehr schnell nicht mehr um den Schah oder die Verhältnisse im Iran ging, sondern um Notstandsgesetze und Obrigkeitsstaat. Interessanterweise, so betont der Autor, zielte die Aufrüstung für den „Polizeistaatsbesuch“ jedoch gar nicht auf die APO, sondern folgte den Warnungen und gezielten Provokationen des SAVAK vor der iranischen Exilopposition. Im Grunde hatten SDS und Berliner Polizei die Bedeutungsdimension des Schahprotestes gleichermaßen nicht einzuschätzen vermocht.

Eckard Michels hat ein gut lesbares, spannendes und akribisch recherchiertes Buch vorgelegt, dessen Verdienst eine breitere Einbettung des 2. Juni 1967 in den internationalen Kontext ist. Allerdings wäre stellenweise ein wenig mehr theoretische Unterfütterung sinnvoll gewesen. Einen wirklichen Begriff von antikolonialen Kämpfen bzw. Postkolonialismus hat Michels nicht. Auch weitergehende Fragen nach Bewegungs- und Gewaltdynamiken bleiben hier außen vor, aber darauf Antworten zu liefern ist auch nicht der Anspruch des insgesamt empfehlenswerten Buches.

Zum Abschluss zurück zur Majestätsbeleidigung: Wie zu erwarten, war der Schah nach dieser missratenen Prunkvisite außer sich und setzte die deutschen Behörden unter Druck. So wurde gegen rund 100 Personen wegen Verstoßes gegen §103 StGB ermittelt. Daraufhin gründete sich in Frankfurt am Main eine „Aktionsgemeinschaft §103“, die Formulare verteilte, auf denen sich empörte Bürger/innen selbst der Majestätsbeleidigung bezichtigen konnten. Praktischerweise wurden gleich zwei Formulierungen vorgeschlagen („Schreibtischmörder“ oder „Exponent eines despotischen Regimes“), und am Ende gingen bei bundesdeutschen Justizbehörden über 2.000 Selbstanzeigen ein (S. 277f.). Bald darauf wurden die Verfahren eingestellt, und Innenminister Paul Lücke (CDU) machte mit einer bundesdeutschen Wirtschaftsdelegation gut Wetter (und Geschäftsversprechungen) beim Schah in Teheran, dessen Zorn rasch verraucht war. So geht’s natürlich auch.

Anmerkungen:
1 Hier seien vor allem die Veröffentlichungen von Uwe Soukup genannt. Erst kürzlich ist erschienen: Uwe Soukup, Der 2. Juni 1967. Ein Schuss, der die Republik veränderte, Berlin 2017.
2 Zu Mentalitäten, Gewaltdispositionen und Gruppendynamiken bei der Polizei siehe Klaus Weinhauer, Schutzpolizei in der Bundesrepublik. Zwischen Bürgerkrieg und Innerer Sicherheit: Die turbulenten sechziger Jahre, Paderborn 2003.