W. Muehlhausen u.a. (Hgg.): Kommunalpolitik im Ersten Weltkrieg

Titel
Kommunalpolitik im Ersten Weltkrieg. Die Tagebücher Erich Koch-Wesers 1914 bis 1918


Herausgeber
Mühlhausen, Walter; Papke, Gerhard
Reihe
Schriftenreihe der Stiftung Reichspraesident-Friedrich-Ebert-Gedenkstaette 6
Erschienen
München 1999: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
250 S., 2 Abb.
Preis
DM 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Zilch, Berlin

Die im Bundesarchiv verwahrten, keinen Benutzungseinschränkungen unterliegenden und meist gut leserlichen Tagebücher Erich Koch-Wesers wurden in Bezug auf die Zeit des Ersten Weltkriegs schon wiederholt für die Forschung ausgewertet. Wenn nun diese Quelle in einer aufwendigen Edition vorgelegt wird, so gewinnt der Band seinen Stellenwert durch die Person Koch-Wesers einerseits und die damit in engem Zusammenhang stehende Tatsache andererseits, daß es sich hier um den ersten Band einer Gesamtedition der Tagebücher aus den Jahren von 1914 bis 1932 handelt. Ihr Autor war einer der Führer der Deutschen Demokratischen Partei in der Weimarer Republik und bekleidete mehrfach ein Ministeramt. Seine linksliberale politische Grundhaltung und die Fähigkeit kritischer Selbstreflexion machen die Tagebücher zu einer erstrangigen Quelle für die Geschichte der ersten deutschen Demokratie.

Aber auch schon für die Zeit des Weltkrieges gebührt ihnen Aufmerksamkeit, denn Koch-Weser war nicht nur als Oberbürgermeister von Kassel (seit 1913) ein intra muros geachteter Politiker, sondern sein Blick weitete sich sowohl durch den Umstand, daß er in seiner Funktion aufgrund des sog. Präsentationsrechts der Städte Mitglied der preussischen I. Kammer, dem Herrenhaus, war, als auch im Zusammenhang mit seinem Engagement im Preussischen und Deutschen Städtetag. Nicht zuletzt als geschickter Organisator begann sich Koch-Weser während des Krieges in Preussen und dem Reich einen Namen bei der Gestaltung der städtischen Lebensmittelversorgung zu machen.

Der Blick auf die Quelle erfolgt also in der Erwartung, Genaueres über die Entwicklung der deutschen Kriegszwangswirtschaft zu erfahren als auch die Genese jener politischen Grundüberzeugungen verfolgen zu können, die Koch-Weser in der Weimarer Republik engagiert vertrat. Diesem hohen Anspruch können die Texte aber nur begrenzt entsprechen, denn für die Jahre von 1914 bis 1918 liegt lediglich ein lückenhaftes und disparates Material vor. Der eine Kontinuität suggerierende Untertitel der Edition "Die Tagebücher Erich Koch-Wesers 1914 bis 1918" ist nur aus der Sicht der Gesamtedition gerechtfertigt. Den grössten Teil des hier vorzustellenden Bandes machen regelmässig geführte Aufzeichnungen vom 4. August bis 22. Dezember 1914 aus (S. 41-182). Für 1915 finden sich in mehrwöchigen Abständen verfasste Notizen (S. 185-205), an die sich als einziges Zeugnis aus dem Jahre 1916 eine Notiz vom 31.1. anschliesst (S. 209). 1917 fand Koch-Weser nach eigener Aussage keine Kraft für Kriegsaufzeichnungen (S. 213) und nahm diese in einer mit der für 1915 vergleichbaren Form nochmals vom Januar bis April 1918 auf (S. 213-238). Die dann für die Zeit ab 29. September 1918 wieder vorliegenden umfangreichen handschriftlichen Aufzeichnungen unmittelbar vor und während der Novemberrevolution sind zudem von den Herausgebern dem nachfolgenden Band der Edition zugeordnet. Insgesamt bleiben somit wichtige Abschnitte sowohl in der Geschichte des Weltkrieges als auch im Leben Koch-Wesers für diese Zeit ausgeblendet. Um so bedauerlicher ist es, daß die Herausgeber dem Band nur eine "biographische Skizze" (S. 12-28) voranstellen, in dieser die Weltkriegszeit nur streifen (S. 13 f.) und auch unter der Überschrift "Koch-Weser und seine Tagebücher 1914-1918" (S. 28-31) kaum Anstalten machen, die Quelle umfassender einzuordnen. Insbesondere hätte aus den Tagebüchern Koch-Wesers ab Ende September 1918 geschöpft werden können, um den vorliegenden Band auch separat benutzbar zu machen.

Trotz dieser Einschränkungen gewährt das vorliegende Material über den rein biographischen Aspekt hinaus interessante, zumeist punktuelle Einblicke in die Tätigkeit einer preussischen mittleren Kommunalverwaltung während des Krieges, in die Mentalität ihrer höheren Beamten sowie in das Verhalten der übergeordneten Behörden einschliesslich des Militärs. Koch-Weser als Teil der Wilhelminischen Bürokratie bewahrt sich dabei einen kritischen Blick und vermag frühzeitig wesentliche Defizite zu benennen. Daneben stehen natürlich auch Reflexionen zum Kriegsverlauf und der politischen Entwicklung, nicht zuletzt zum Verhältnis zur Sozialdemokratie. Weit über den Rahmen der dem Band den Titel gebenden "Kommunalpolitik im Ersten Weltkrieg" weisen schliesslich die einen Teil der Tagebücher bildenden umfangreichen "Aufzeichnungen über eine Reise an die Front nach Belgien mit Liebesgaben" hinaus (S. 130-182). Koch-Weser begleitete vom 13. bis 22. Dezember 1914 den Transport der für die in Kassel beheimateten militärischen Formationen gesammelten Spenden zum Weihnachtsfest an die Westfront und beschreibt das Leben in der belgischen Etappe, angereichert durch Informationen und Betrachtungen zur deutschen Besatzungspolitik sowie den Kriegszielen. Dabei fällt auf, daß der Oberbürgermeister nicht auf seine Motive für die Reise eingeht, denn die Sendung bedurfte natürlich nicht derartiger persönlicher Begleitung, zumal Koch-Weser zuvor immer wieder über die Menge der im Rathaus zu bewältigenden Arbeit klagt. Vermutlich ging es schlicht darum, wenigstens auf diesem Wege einmal an die Front zu kommen - ein Wunsch, den er seit August 1914 mehrfach formulierte.

Die Edition besitzt einen umfangreichen Anmerkungsapparat, dessen Sacherklärungen die Quelle auf hohem Niveau erschliessen. Vor allem die Kurzbiographien aller erwähnten Personen zeugen von nimmermüden sowie listigen Recherchen und besitzen eigenständigen Wert. Dankbar nimmt der Leser zudem zahlreiche Verweise auf Materialien in dem Nachlass zur Kenntnis. Es muss aber an dieser Stelle gefragt werden, warum zwar wegen eines biographischen Details eine Anfrage an das Rijksarchief im belgischen Kortrijk gestellt wurde (S. 138), jedoch ausweislich des Anmerkungsapparates weder Akten des Stadtarchivs, der Kasseler Regierung noch des dort ebenfalls ansässigen Oberpräsidiums, des Preussischen und Deutschen Städtetages, geschweige denn von Reichsbehörden wie dem Reichsamt des Innern und dem Reichswirtschaftsministerium bzw. preussischen Ministerien und den Kriegswirtschaftsbehörden, herangezogen werden. Und so findet sich wiederholt zu verschiedenen von Koch-Weser erwähnten Dokumenten dieser Behörden nur der Vermerk, daß sich hiervon kein Exemplar im Nachlass befindet. Ebenso wird seitens der Herausgeber darauf verzichtet, dem Schicksal einzelner von Koch-Weser verfasster bzw. initiierter Schriftstücke nachzugehen. Es ist zu hoffen, daß die kommenden Bände der Edition dieses Manko überwinden.

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