F. Trentmann: Herrschaft der Dinge

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Titel
Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Stephan Gebauer-Lippert


Autor(en)
Trentmann, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
1.097 S., 70 farb. Abb.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Häberlein, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Bamberg

„Du jammerst doch nicht über deine alten Hosen, wenn sie morsch und kaputt sind, du kaufst neue, davon lebt die Welt.“ Dieses Zitat aus Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (1929) findet sich zwar nicht in Frank Trentmanns Konsumgeschichte, es hätte aber gut dort hin gepasst, denn der Autor zitiert neben Statistiken, Nachlassinventaren, Selbstzeugnissen, Umfragen und sozialwissenschaftlichen Studien auch eine Reihe literarischer Zeugnisse: Pablo Nerudas „Ode an die Dinge“ ist dem über 1.000 Seiten starken Wälzer als Motto vorangestellt, und im Laufe der Lektüre begegnen dem Leser unter anderem die Schriftsteller Daniel Defoe, Jane Austen, Emile Zola und Bertolt Brecht. Trentmann strebt einen umfassenden Zugriff auf das Phänomen des Konsums an, der „zum bestimmenden Merkmal unseres Lebens geworden“ sei (S. 11). Seine „Geschichte der Nachfrage nach immer ‚mehr‘“ (S. 19) nimmt daher nicht nur ökonomische und technologische Entwicklungen in den Blick, sondern auch kulturelle Aneignungen, Lebensstile und Ideologien, und sie widmet insbesondere dem Verhältnis zwischen politischer Herrschaft und Konsum große Aufmerksamkeit.

Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste Teil zeichnet die Geschichte des Konsums auf 500 Seiten von der Renaissance bis zur Gegenwart chronologisch nach. Hier geht es dem Autor einerseits darum, die „Geschichte der globalen Expansion der Güter“ (S. 23) in der longue durée zu betrachten, doch distanziert er sich zugleich von linearen Entwicklungsmodellen und teleologischen Perspektiven, indem er „die fortdauernde Hybridität, Diversität und Vielfältigkeit im Rahmen universeller Trends zu steigendem Komfort und Besitz von Konsumgütern“ betont (S. 24). Der zweite, knapp 400 Seiten umfassende Teil des Buches ist hingegen thematisch gegliedert und betrachtet aktuelle Themen wie den Zusammenhang von Konsum und Verschuldung, Konsum und Lebensalter, Konsum und Ethik oder Konsum und Ressourcenverbrauch in historischer Perspektive.

Die chronologische Darstellung der Konsumgeschichte setzt im 16. Jahrhundert ein, einer Zeit, für die Trentmann sowohl eine neue Qualität der globalen Verflechtung als auch eine neuartige Wertschätzung materieller Güter konstatiert. An den Beispielen der italienischen Renaissance, Chinas in der späten Ming-Epoche sowie der Niederlande und Englands im 17. und 18. Jahrhundert führt der Verfasser zunächst in verschiedene frühneuzeitliche Konsumkulturen ein, wobei er „erstaunliche Parallelen“ (S. 71) zwischen China und Europa hinsichtlich des Gebrauchs von Dingen als Statusmerkmal und Wertspeicher, aber auch bezüglich des ambivalenten Verhältnisses zu ostentativem Luxus konstatiert. Im Nordwesten Europas sei schließlich eine „neue, durch Umfang, Vielfalt und Innovation gekennzeichnete Konsumkultur“ entstanden (S. 99). Dass deren Genese auf eine „Fleißrevolution“ zurückzuführen sei, bezweifelt der Verfasser – diese insbesondere von Jan de Vries vertretene These kanzelt er regelrecht ab (S. 104f.). Für ungleich wichtiger hält der Autor „ein expansionistisches Staatensystem, das auf Konkurrenzdruck mit der Förderung von Innovationen und der Schaffung von Zukunftsmärkten reagierte“ (S. 106). Das Zeitalter der Aufklärung sieht Trentmann einerseits durch die ambivalente Rolle der außereuropäischen Genussmittel charakterisiert, die zwar in neue Formen der Geselligkeit integriert und mit Vernunft und Mäßigung assoziiert wurden, die letztlich aber auf Kolonialherrschaft und Sklavenarbeit basierten. Andererseits zeichnet er die intellektuellen Debatten in Westeuropa nach, die eine „Kultur der Verbesserung“ (S. 134) jenseits von Luxus und Notdurft entwarfen und das Verhältnis zwischen dem Selbst und den Dingen zu bestimmen suchten.

Obwohl Trentmann diese Entwicklungen kenntnisreich und unter Berücksichtigung eines beträchtlichen Teils der internationalen Forschungsliteratur beschreibt, entfallen auf die Epoche der Frühen Neuzeit gerade einmal 125 Seiten, also lediglich ein Viertel des chronologischen Teils. Besonders problematisch erscheint indessen, dass die Darstellung von einer knappen Skizze der Amerikanischen und Französischen Revolution – in denen „der Einfluss des Konsums auf die Revolution“ größer gewesen sei als umgekehrt „deren Einfluss auf den Konsum“ (S. 153) – gleich in die Mitte des 19. Jahrhunderts springt und mit Karl Marx und der industriellen Revolution fortfährt. Die weitgehende Ausblendung des Zeitraums zwischen 1790 und 1850 – wenn man so will, der „Sattelzeit“ der Konsumgeschichte – ist insofern bedauerlich, als deutschsprachige Publikationen gerade in diesem Zeitraum signifikante Veränderungen des Kulturkonsums und der Freizeitgestaltung konstatiert haben: Der Aufstieg des bürgerlichen Theaters und des öffentlichen Museums gehören dazu ebenso wie der Spaziergang im Park, die Lesegesellschaft und neuartige Periodika wie Friedrich Justin Bertuchs „Journal des Luxus und der Moden“.1 Auch der Umstand, dass Schulden und Pfandleiher erstmals im Zusammenhang mit den Lebensumständen von Karl Marx und seiner Familie erwähnt werden (S. 156), unterstreicht, dass Trentmanns Konsumgeschichte für die Frühe Neuzeit und die „Sattelzeit“ einige blinde Flecken aufweist.

Die Darstellung der Entwicklung von der Mitte des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts beeindruckt hingegen durch ihren globalen Zugriff – der Konsumgeschichte Asiens ist ein eigenes ausführliches Kapitel gewidmet – und ihren Detailreichtum. Der Aufstieg des Warenhauses, die Modernisierung der städtischen Wasserversorgung und die wissenschaftliche Entdeckung des Konsumenten werden ebenso behandelt wie die Geschichte des Konsumboykotts und der Zusammenhang von Konsum und Gesellschaftsreform. In Bezug auf letzteres Thema erhellt Trentmann, wie die Aktivitäten von Konsumentenbewegungen vom politischen Prozess ausgeschlossenen Gruppen – insbesondere Frauen – halfen, staatsbürgerliche Rechte zu erlangen. Der Wandel der Wohnkultur und die „Umwälzung der Klanglandschaften“ (S. 354) durch Grammophon und Radio werden anschaulich geschildert. Ein aufschlussreiches Kapitel über das „Zeitalter der Ideologien“ zeigt, wie nicht nur westlich-kapitalistische Staaten, sondern auch faschistische und sozialistische Regime den Konsum propagierten und spezifische Konsumkulturen hervorbrachten.

Der zweite, thematische Hauptteil des Buches ist aus der Perspektive des Frühneuzeit-Historikers leider relativ unergiebig. Trentmann weist zwar wiederholt darauf hin, dass es Phänomene wie Konsum auf Kreditbasis, Konsum durch Kinder, Ressourcenverschwendung und Recycling schon in der Vormoderne gegeben habe, aber er interessiert sich kaum für diese Phänomene, sondern konzentriert sich weitgehend auf das 20. und beginnende 21. Jahrhundert. Dabei werden die Zäsuren mitunter allzu scharf gezogen. So wird allen Ernstes „das Jahr 1900 als Wendepunkt“ bezeichnet, an dem „die Kindheit einen eigenständigen Platz auf dem Markt erhielt. Kinder hatten immer konsumiert“, heißt es weiter, „aber jetzt begann man sie als eigenständige Konsumenten mit eigenen altersspezifischen Bedürfnissen und Moden […] zu behandeln“ (S. 649). Dabei hätte Trentmann als Literaturkenner in E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Nußknacker und Mausekönig“ (1816) und Hans Christian Andersens Märchen „Der standhafte Zinnsoldat“ (1838) eine materielle Welt der Kindheit entdecken können, die wesentlich weiter zurückreicht. Die proto-industrielle Spielwarenherstellung in Nürnberg oder im Erzgebirge mag sich gegenüber modernen Toys R Us-Stores zwar bescheiden ausnehmen, aber man sollte sie auch nicht völlig ignorieren. Das Kapitel über Religion und Konsum greift zeitlich ebenfalls zu kurz, wenn es etwa die „ostentative Verschwendung“, die Peter Hersche als zentrales Merkmal des Barockkatholizismus postuliert, völlig ausblendet.2 Ähnliches gilt für den Gebrauchtwarenhandel der Vormoderne, der nur in einem einzigen Abschnitt einbezogen wird (S. 883).3

Bei einem Buch von derartigem Umfang bleibt die Gewichtung einzelner Details letztlich eine willkürliche Entscheidung: Was dem einen Leser wissenswert erscheint, mag der andere für belanglos halten. Dass es erst 1966 ein US-amerikanischer Song erstmals in die Top Ten der finnischen Charts schaffte, mag ein interessantes Schlaglicht auf die Musikkultur Finnlands werfen; dass es sich dabei um den Song „These Boots Are Made For Walkin‘“ handelte, dürfte außer Fans der Sängerin Nancy Sinatra indessen nur passionierte Trivial Pursuit-Spieler interessieren (S. 472). Bisweilen scheint die Detailverliebtheit des Autors auch auf falsche Fährten zu führen. In einem an sich erhellenden Abschnitt über die iranische Konsumkultur nach der Islamischen Revolution von 1979 erfährt man zum Beispiel, dass der Iran die USA bei der Fußball-WM 1998 mit 2:1 besiegte und der Siegtorschütze Mehdi Mahdavikia später beim Hamburger SV spielte (S. 828). Dieses triviale Detail wäre aufschlussreich, würde Trentmann daran Überlegungen zur globalen Vermarktung von Fußballstars anschließen, die inzwischen weit über Fanartikel, Werbe- und Fernsehrechte hinausgeht – der Weltfußballer Cristiano Ronaldo eröffnete 2016 auf Madeira sein erstes eigenes Hotel der Marke CR7 –, aber das tut er nicht.

Natürlich kann ein Buch dieses Umfangs und Zuschnitts nicht frei von Detailfehlern sein, zumal wenn die Übersetzer schnell arbeiten mussten. So fuhren die spanischen Galeonen von Acapulco aus nicht nach Sevilla, sondern nach Manila (S. 43); die Familien Squarciafico und Brignole waren in Genua, nicht in Genf beheimatet (S. 48)4; die Augsburger Fugger hatten ein Handels- und Bankhaus, kein „Geldverleiherhaus“ (S. 59), und Hans Fugger bestellte seine Schuhe nicht in Amsterdam, sondern in Antwerpen (ebd.). Dass die Luxusgesetzgebung der Tudors 1604 endete, ist insofern wenig überraschend, als die Dynastie mit dem Tod Elisabeths I. 1603 erlosch (S. 61). Bevor die Niederländer Kaffee in Surinam anbauten, hatten sie bereits eine erfolgreiche Kaffeeproduktion auf Java etabliert (S. 110); und die Emanzipation der Sklaven im britischen Empire 1833 bedeutete ganz sicher keine „Gleichberechtigung“ (S. 167).

Dessen ungeachtet bietet Trentmanns Buch eine ausgesprochen anregende Lektüre. Der Autor steht marktliberalen wie konsumkritischen Positionen gleichermaßen skeptisch gegenüber und plädiert abschließend für einen „historischen Realismus“, der die lange Dauer des Strebens nach materiellen Dingen – das damit eben kein Produkt des industriellen Kapitalismus ist – ebenso ernst nimmt wie die Pluralität von Lebensstilen und Konsumgewohnheiten sowie die Erkenntnis, dass „Besitztümer in zunehmendem Maß wichtige Träger von Identität, Erinnerungen und Gefühlen wurden“ (S. 924). Eben weil die Menschen sich (auch) über den Besitz und Gebrauch von Dingen definieren, gibt es für das Problem steigenden Konsums und Ressourcenverbrauchs keine einfache Lösung. Für die Debatte um dieses Thema stellt „Die Herrschaft der Dinge“ reichhaltiges Material bereit.

Anmerkungen:
1 Michael North, Genuss und Glück des Lebens. Kulturkonsum im Zeitalter der Aufklärung, Darmstadt 2003; Ulrich Rosseaux, Freiräume. Unterhaltung, Vergnügen und Erholung in Dresden (1694–1830), Köln 2006; Walter Steiner / Uta Kühn-Stillmark, Friedrich Justin Bertuch. Ein Leben im klassischen Weimar zwischen Kultur und Kommerz, Köln 2001.
2 Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg im Breisgau 2006, bes. Kapitel 3.
3 Laurence Fontaine (Hrsg.), Alternative Exchanges. Second-Hand Circulations from the Sixteenth Century to the Present, New York 2008; Georg Stöger, Sekundäre Märkte? Zum Wiener und Salzburger Gebrauchtwarenhandel im 17. und 18. Jahrhundert, Wien 2011.
4 Wie ein Blick in die Originalfassung zeigt, handelt es sich hier um einen Fehler der Übersetzer, die „Genoa“ und „Geneva“ verwechselt haben.

Anm. der Red.: Siehe zu diesem Buch auch die Parallel-Rezension von Peter-Paul Bänziger aus der Perspektive der Zeitgeschichtsforschung: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27132 (21.12.2017).