R.-C. Amthor (Hrsg.): Soziale Arbeit im Widerstand!

Cover
Titel
Soziale Arbeit im Widerstand!. Fragen, Erkenntnisse und Reflexionen zum Nationalsozialismus


Herausgeber
Amthor, Ralph-Christian
Erschienen
Weinheim 2017: Beltz Juventa
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Ayaß, FB 1, Universität Kassel

Der Sammelband gibt Ergebnisse eines seit 2012 laufenden Projekts zum „Widerstand in der Sozialen Arbeit“ wieder, an dem neben den Autorinnen und Autoren (in der Mehrzahl Lehrende in der Ausbildung von Sozialarbeitern) das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen und die Redaktion der Fachzeitschrift „Soziale Arbeit“ beteiligt waren.

Die Forschung über das Verhalten der in der Sozialen Arbeit Tätigen in der NS-Zeit fällt noch immer weit hinter den Stand anderer Berufe zurück. Verbreitet war in der Nachkriegszeit die Meinung, dass die Zeit der Hitler-Herrschaft als nicht zur Fürsorgegeschichte gehörig angesehen wurde. In die Verfolgung involvierte Fürsorgefunktionäre und Fürsorgeinstitutionen erklärten sich selbst durchweg zu Verlierern der NS-Zeit oder gar zu Verfolgten, was nur durch aufwendige Detailforschung widerlegt werden konnte. Die vor allem seit den 1980er-Jahren erfolgte Forschung zur Sozialarbeit zwischen 1933 und 1945 setzte zunächst am Agieren von Verbänden bzw. Institutionen und einzelner Funktionäre an, brachte jedoch wenig Ergebnisse über das Verhalten der Berufsarbeiterinnen vor Ort. Dies gilt sowohl hinsichtlich der weitverbreiteten aktiven Mitarbeit am Regime als auch der Frage, ob es nicht Fürsorgerinnen gab, die trotz aller rassenhygienisch motivierten Vorgaben die sozialen Probleme ihrer Klienten nicht in einer angeblich unabänderlichen „Minderwertigkeit“ begründet sahen, sondern weiterhin – althergebracht – soziale Einzelfallhilfe leisteten.

Zum Thema „Widerstand in der Sozialen Arbeit“ war in der Fachliteratur bisher nicht viel zu finden. Der vorliegende Band bündelt den – begrenzten – Wissensstand. Natürlich wissen die Autorinnen und Autoren, dass die Frage, was als „Widerstand“ zu bewerten ist, schon lange und kontrovers diskutiert wird (S. 139). Das Projekt hat sich für einen weiten Widerstandsbegriff entschieden, der nicht nur organisierte Formen umfasst, sondern auch eher lose Netzwerke bis zum „Rettungswiderstand“ Einzelner. Dies wird bereits an den verwendeten Begriffen deutlich: Allein im Inhaltsverzeichnis ist neben „Widerstand“ von „widerständigem Handeln“, „Widerstehen“, „widerständiger Sozialer Arbeit“ und „aufblitzendem Widersetzen“ die Rede.

Die dürftige Forschungslage ist neben dem Desinteresse des Fachs an seiner Geschichte auch der Wirklichkeit geschuldet. „Sozialarbeit“ ist ein Sammelbegriff, der sehr unterschiedliche Handlungsfelder umfasst. Dies spiegelt sich im besprochenen Band wider. Die gewürdigten Personen waren überdies nur zum Teil „Sozialarbeiterinnen“ im heutigen Sinn, sondern stammten aus sehr unterschiedlichen Berufen, von denen ausgehend sie dann im sozialen Bereich tätig wurden. Gerade die Leitungsebenen der Ämter und der Verbände bestanden nur selten aus Fürsorgern und Fürsorgerinnen.

Vieles, was der Band über „Widerstand“ in der Sozialen Arbeit berichten kann, ist – oft seit Jahrzehnten – bekannt, wenngleich sehr verstreut dokumentiert. Dieses alles aus unterschiedlichsten Forschungszusammenhängen und Datenbanken zusammengetragen zu haben, ist eine Leistung der Autorinnen und Autoren, die nicht zu unterschätzen ist.

Die Einzelbeiträge haben einen sehr unterschiedlichen Ausgangspunkt und Zugriff. Bisweilen wird das Thema des Bandes von einigermaßen entfernten Themenbereichen angegangen, wie z.B. der Entwicklung der Berufsverbände der Fürsorgerinnen. Auch werden in vielen Lebensbildern nicht Widerstandshandlungen geschildert, sondern Entlassung und Verfolgung bzw. Emigrationsschicksale.

Im Kern schildern die Beiträge jedoch einzelne Personen, die aus sehr unterschiedlichen Anlässen mit dem Regime in Konflikt gerieten, wobei die Motivation für den Widerstand meist nicht unmittelbar aus ihrem sozialarbeiterischen Berufsethos abzuleiten ist: „Vieles spricht eher dafür, dass die Motivation für den Widerstand – eine politisch-soziale, sozialistische, kommunistische, sozialdemokratische, christliche und/oder humanistische Grundhaltung – sie bereits dazu geführt hatte, einen Beruf zu ergreifen, in dem sie dem Menschen in einem umfassenden Sinne helfen wollte“, so Johannes Tuchel in seinen Geleitwort (S. 14).

Aus der Wohlfahrtsschule der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin ging eine Reihe von linkssozialistischen Widerstandskämpfern hervor. Ähnliches gilt, dies verdeutlichen die Beiträge von Martin Biebricher und Sven Steinacker, für das Jugendamt Prenzlauer Berg unter Walter Friedländer. Es gab also mit Sicherheit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Widerstand. Allerdings waren es sehr wenige, und diese wurden in der Widerstandsforschung bisher meist unter der Perspektive ihrer jeweiligen politischen Gruppierung thematisiert.

Insgesamt zeigt das Buch, dass aktive oder bestenfalls duldende Mitarbeit am NS-Regime auch in der Sozialen Arbeit die Regel war, Widerstand dagegen die absolute Ausnahme. Aber diesen wenigen Personen setzt der Band ein Denkmal. Erfreulich ist, dass die Autorinnen und Autoren der Versuchung, den marginalen Widerstand zu überhöhen, nicht erlegen sind. Im Gegenteil: Die Darstellungen sind durchzogen vom Erschrecken darüber, wie wenig Aufbegehren es seitens der Berufsarbeiter gab. Und dies obwohl, wie Carola Kuhlmann in ihrem Beitrag nachdrücklich zeigt, gerade die eugenische Praxis der Zwangssterilisationen, der Euthanasiemorde und der Verfolgung von Klienten als „Asoziale“ vielfache Anlässe gegeben hätte, sich von der Fürsorgepolitik der Nationalsozialisten zu distanzieren.

Der Band schließt mit einem biographischen Lexikon von 100 ausgewählten Personen des Widerstands in der Sozialen Arbeit. 33 von diesen Biographien sind bereits in dem 1998 erschienenen „Who is who der Sozialen Arbeit“ von Hugo Maier1 enthalten und dort oft wesentlich ausführlicher geschildert. Leider enthalten die Biogramme keine Verweise auf die Fundstellen in den Einzelbeiträgen, zumal die Publikation auch kein Personenregister enthält, obwohl der entsprechende Zugriff mit Hunderten erwähnten Personen konstituierend für den Band ist. Leserfreundlichkeit sieht anders aus.

Anmerkung:
1 Hugo Maier, Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg im Breisgau 1998.