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Titel
Kaisertum und Kalifat. Der imperiale Monotheismus im Früh- und Hochmittelalter


Autor(en)
Höfert, Almut
Reihe
Globalgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main 2015: Campus Verlag
Anzahl Seiten
645 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Zander, Institut für Geschichtswissenschaften, Wissenschaftsgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Almut Höfert, Inhaberin einer Förderprofessur am Historischen Seminar der Universität Zürich, hat eine Habilitationsschrift mit einer großen These vorgelegt: Sowohl das Kaisertum in Byzanz und im Okzident als auch das Kalifat in der arabisch-islamischen Welt seien durch einen „imperialen Monotheismus“ gekennzeichnet, dessen Wurzeln im römischen Kaiserreich lägen. Darunter versteht sie, angelehnt an Garth Fowden, „das spätantike Prinzip der Verbindung von Monotheismus mit imperialen Strukturen“ (S. 145), kurz gesagt: „ein Gott, ein Weltreich, ein Glaube, ein Kaiser als Abbild des himmlischen Gottes“ (S. 231). Damit beansprucht sie, Herrschaftsstrukturen in einem Zeitraum von der Antike bis ins (okzidentale) Hochmittelalter in der Verschränkung von religiösen und politischen Interessen zu erklären. Zugleich weist sie eine isolierte Betrachtung dieser Traditionen zugunsten einer transkulturellen Perspektive zurück.

Nach den Einleitungsfragen präsentiert sie die vorchristliche Situation im Römischen Reich bis Konstantin (Kap. III), die ihr als Matrix für die späteren Entwicklungen dient. Diese analysiert sie in drei regional und religionskulturell ausgerichteten Kapiteln zu Byzanz (Kap. IV), den Umaiyaden und Abbasiden (Kap. V) sowie zum lateinischen Okzident (Kap. VI). Eine Sammlung einschlägiger Quellenauszüge und ein sorgfältig erstelltes Register beschließen den Band.

Die Autorin beeindruckt durch ihr weitgespanntes Wissen, durch eine meist gute Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur, durch den Mut, klassische Grenzen sowohl in chronologischer als auch in thematischer Hinsicht zu überschreiten, und durch die Beherrschung der dazu notwendigen Sprachen (Latein, Griechisch, Arabisch). Beeindruckend ist auch die Einbeziehung von Quellen pragmatischer Schriftlichkeit, etwa von Dekreten, Gesetzgebungstexten, Münzen und Siegeln. Beispielsweise kann sie präziser als die ältere Literatur nachweisen, dass der Titel „Kalif“ nur in Ausnahmefällen auf die frühen Führer der islamischen Gemeinschaft angewandt wurde und das Kalifat eine retrospektive Konstruktion seit dem 9. Jahrhundert ist. Insgesamt dokumentiert die gelehrte Arbeit die Wendung weg von der Analyse solitärer, oft essentialistisch verstandener Kulturen (von ihr als „Zivilisationsparadigma“ kritisiert, S. 44–53) hin zu Konzepten einer „shared“ oder „entangled history“, die sie insbesondere angesichts ihrer polyglotten Sprachkenntnisse auf ein hohes Niveau hebt. Die Arbeit wird man, so viel vorweg, mit großem Gewinn lesen.

Allerdings meine ich auch, drei kritische Anmerkungen machen zu müssen. Zum einen ist die Anwendung der Methode des Vergleichs, wiewohl ein zentrales Instrument ihrer Arbeit, ausgesprochen schwach. Ihr Buch durchziehen überflüssige Rechtfertigungen des „vielgescholtenen Vergleichs“ (S. 513), der sich beträchtlicher „Skepsis“ (S. 450) und vielfältiger Kritik zu erwehren habe (S. 42). Aber selbst in den Geschichtswissenschaften, von anderen Fächern nicht erst zu sprechen, ist die Komparatistik als seriöse Technik akzeptiert. Wirklich problematisch wird ihr Umgang mit der Komparatistik, insofern das einleitende Kapitel (S. 19–22) kaum methodische Reflexionen auf dem Stand der Debatte bietet. Höfert führt vor allem einen Kampf gegen überzogene, vereindeutigende Positionen, etwa gegen folgende: „Das christliche Europa habe sich von Beginn an durch eine Trennung von Religion und Politik ausgezeichnet, während im Islam beide Bereiche von Beginn an untrennbar miteinander verschmolzen gewesen seien. Diese Ansicht soll hier widerlegt werden.“ (S. 22) In der wissenschaftlichen Literatur ist allerdings eine solche Position, wie auch Höfert weiß (z.B. S. 46), seit langem und in den letzten Jahren massiv verschärfter Kritik unterzogen worden. Sie konstruiert eine leicht zu erledigende Chimäre. Gleichwohl postuliert sie die (meines Erachtens unhaltbare) Position einer Existenz „untrennbar miteinander verschmolzener“ Bereiche von Imperium und Religion für das vorchristliche römische Kaisertum (S. 15). Auch intensivere Überlegungen zu anderen grundlegenden Fragen des Vergleichs, etwa zu dem dialektischen Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Differenzen oder zu normativen Implikationen der Selektion und der Konstruktion von tertia comparationis vermisst man weitgehend. Zudem fehlt einschlägige Literatur aus anderen Fächern, etwa der Religionswissenschaft, die sich intensiv mit methodischen Fragen der Komparatistik beschäftigt.1 Das methodische Defizit betrifft im Übrigen nicht nur den Vergleich, sondern auch den Religionsbegriff. Höfert kennt die Tücken des Begriffsgebrauchs, etwa dessen Abhängigkeit von christlichen Konzepten (z.B. S. 124), aber auch hier kommt es nicht zu einer dichten theoretischen Reflexion, auch hier fehlt einschlägige Literatur (S. 74–76). Der komparatistische Mangel überrascht umso mehr, als Höfert Mitautorin eines thematisch eng verwandten Bandes ist2, in dem diese Fragen methodisch solide und inhaltlich prägnant (etwa hinsichtlich kultureller Unterschiede, auch hinsichtlich des „imperialen Monotheismus“) zur Diskussion gestellt werden.

Zum zweiten ist das Konzept des „imperialen Monotheismus“ für die transkulturelle Analyse von Herrschaftskonzepten zweifelsohne ein hilfreiches Werkzeug. Allerdings wird es in meinen Augen überdehnt, meist weil die religiöse Komponente zu stark gewichtet wird. Drei Beispiele: (a) „Der [vorchristliche, HZ] Kaiser wurde mehr und mehr als exklusiver Vermittler zwischen den Menschen der göttlichen Welt angesehen, der die Oberaufsicht über korrekte Kultausübung in seinem Weltreich hatte. Über den Kaiserkult kam es zudem zu einer gewissen Einheitlichkeit der kultischen Praxis, die sich jedoch ihre lokale Variabilität erhielt.“ (S. 124) Eine Rolle des Kaisers als „exklusiver Vermittler“ war innerhalb der römischen Religion auf wenige Funktionen beschränkt und lag hinsichtlich der Vielfalt der Kulte im römischen Reich weit außerhalb seiner Handlungsmöglichkeiten; die „Kultaufsicht“ ließe sich allenfalls für ihn als Pontifex Maximus behaupten; die Bedeutung des „Kaiserkults“ ist unter Althistorikern höchst umstritten, man kann etwa fragen, in welchem Ausmaß die „Einheitlichkeit“ einer Reichsreligion jenseits der „lokalen Variabilität“ mehr war als eine Loyalitätsbekundung. (b) Hinsichtlich des byzantinischen Kaisertums ist Höfert klar, dass Gilbert Dagrons These vom byzantinischen Kaiser als Priester massiv zu relativieren ist (S. 144). Gleichwohl hält sie am Konzept des „imperialen Monotheismus“ fest. Nun hat Anthony Kalldelis jüngst die Relativierung Dagrons radikal weitergedacht und die Sakralisierung des byzantinischen Kaisers weitgehend als westliche Projektion verworfen.3 Stimmt seine These, bräche ein weiterer religiöser Pfeiler eines „imperialen Monotheismus“ weg. (c) Strukturgleich stellt sich diese Frage für das lateinische Kaisertum, dessen sakrale Überhöhung seit den Ottonen (S. 442–450) wohl doch mehr die Theorie von Klerikern als die Intention und Praxis der Kaiser war. Per saldo ist das Problem von Höferts „imperialem Monotheismus“ die überstarke Tendenz, ihren Vergleichsgegenstand so zu konstruieren, wie sie ihn für den Vergleich benötigt.

Da sie diesen „imperialen Monotheismus“ für Byzanz, den lateinischen Okzident und den arabischen Islam postuliert, benötigt sie drittens möglichst starke Gemeinsamkeiten. Deshalb schwächt oder marginalisiert sie Differenzen zwischen Kulturen. Dabei findet eine grundlegende Technik der Komparatistik, die Abwägung zwischen einem genus proximum und einer differentia specifica, zu wenig und wenn unter Präferierung von Gemeinsamkeiten statt. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich kennt Höfert differente Entwicklungen in allen drei Kulturen. Aber sie kommen als scharfe Gegenargumente nicht zum Tragen.

Ein Beispiel ist die Geschichte der Unterscheidung (Höfert spricht meines Erachtens unzutreffend oft von „Trennung“, z.B. S. 141, 204, 235) von Religion und Herrschaft. Natürlich weiß sie, dass die Konzeption einer ‚untrennbaren Verschmelzung‘ von Religion und Politik im Islam ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist und auch dort Theorien der Unterscheidung beider Sphären entwickelt wurden. Nur: Dass es Gemeinsamkeiten gibt (hier: in der Unterscheidung von Religion und Herrschaft), ist in komparatistischer Perspektive klar, weil Gemeinsamkeiten (schon epistemologisch) eine Bedingung des Vergleichs bilden. Indikativ ist hingegen die Frage, in welchem Ausmaß Gemeinsamkeiten und eben auch Unterschiede existieren. Was bedeutet es etwa, dass der Islam, wie auch Höfert betont, kein institutionelles Äquivalent zur körperschaftlich verfassten Kirche kannte? Doch wohl, dass man es im Verhältnis Religion und Herrschaft mit unterschiedlichen institutionellen Akteuren zu tun hatte. Mit der Konzeption von Kirche lag nun eine Unterscheidung von Religion und Herrschaft vor, die schlecht in das Modell eines „imperialen Monotheismus“ passt, weil sie Monarchie und Monotheismus auseinanderhielt. Von hoher Bedeutung waren dabei die Konzilien, zu denen es in der islamischen Tradition nur sehr begrenzt vergleichbare Einrichtungen der Konsensfindung gab (Schura, Rechtsschulen). Man kann mit geringer Vergröberung sagen: Zu Konzilien gab es in der islamischen Welt fast keine Parallelen. Konzilien kommen aber bei Höfert meist dann vor, wenn sie den kaiserlichen Einfluss auf die Konzilien – zur Bestärkung ihrer These vom „imperialen Monotheismus“ – hervorhebt (S. 156, 176, 187–190, 199f., 207, 220) – abgesehen von einer Stelle mit gegenteiliger Wertung (S. 190). Aber die Bedeutung von Konzilien für die Abgrenzung gegenüber Herrschern4 oder die Etablierung des kanonischen Rechtes gerade gegen säkulares Recht5 fehlen oder sind marginalisiert. Diese Abblendung christlich-islamischer Unterschiede findet sich auch bei anderen Entwicklungen, oft mit markanten Wertungen: So sei der ekklesiale „negierende rex-et-sacerdos-Diskurs“, also die Zurückweisung der Identifizierung von Kaiser und Priester, „eine zweitrangige Debatte“ (S. 497) (obwohl sie unmittelbar vorher festhält, dass er „mitnichten nur im Westen sondern ebenso im Osten“ geführt worden sei). Ähnlich bewertet sie auch eine zentrale Diskussion um die Differenzierung zwischen Religion und Herrschaft im Okzident, den Investiturstreit. Er „stand nicht in einer kontinuierlichen Linie von neutestamentlicher (unterschiedlich aufgefasster) Gegensätzlichkeit von göttlichem Königtum und römischem Reich“ (S. 138), womit sie eine sehr komplexe Entwicklung auf genau die Position reduziert, die sie für ihre Identifizierung von Imperium und Monotheismus braucht. Mit ihrer Fokussierung auf Gemeinsamkeiten fehlen oft nicht nur die Differenzen, sondern auch ein Instrumentarium, unterschiedliche Entwicklungen in christlichen und islamischen Traditionen zu beschreiben. Ein Begriff wie „Sonderweg“, also die Möglichkeit, Differenzen zwischen Kulturen zu analysieren, ist bei ihr konsequenterweise negativ konnotiert (z.B. S. 49, 284).

Einige kleinere Anmerkungen: Höfert beansprucht, „transkulturelle“ Beziehungen zu analysieren, etwa in „gemeinsamen Mustern“ (S. 22), „parallelen Vorgängen“ (S. 16) oder angesichts von „Byzanz als transkultureller Drehscheibe“ (S. 451). Wie allerdings diese historischen Entitäten interagierten, bleibt weitgehend außen vor, sie schreibt keine Verflechtungsgeschichte. Das ist einerseits ein missliches Defizit, andererseits gibt es nun wirklich Grenzen des Machbaren. – Der von Höfert ubiquitär gebrauchte Begriff der „Kultaufsicht“ durch Kaiser und Kalifen ist kein glücklicher Terminus für deren religiös-imperiale Rolle, weil man fragen kann, in welchem Ausmaß sie real existierte und ob sie die Verbindung von Religion und Politik beinhaltete, die Höfert für ihren „imperialen Monotheismus“ benötigt. Weitgehend bleibt offen, wie sich intellektuelle Theorie und politische Praxis zueinander verhielten und wie der „imperiale Monotheismus“ real funktionierte. Die lateinisch-, griechisch- und arabischsprachigen Zitate im Anhang sind ausschließlich im Haupttext übersetzt. Diese Fundstellen im Anhang nicht anzugeben, kommt einem Schildbürgerstreich nahe. Im Deutschen ist es nicht glücklich, Daniel Boyarin als „Talmudgelehrten“ (S. 83) zu bezeichnen, er ist einer der wichtigsten Wissenschaftler für das frührabbinische Judentum.

Summa summarum: Eine ausgesprochen anregende Arbeit, die dokumentiert, welche Optionen in der kulturvergleichenden Forschung stecken, insbesondere, wenn man Sprachkenntnisse zusammenführen kann, die oft auf verschiedene Disziplinen verteilt sind. Und weil die Autorin auf durchgehend sehr hohem Niveau schreibt, eröffnet sie die Möglichkeit, sich mit Inhalt und Methode ihres Werkes kritisch auseinanderzusetzen. Wir brauchen Bücher wie dieses.

Anmerkungen:
1 Klassisch etwa die Publikationen von Wilfred Cantwell Smith, aktuell etwa diejenigen von Oliver Freiberger.
2 Wolfram Drews u. a., Monarchische Herrschaftsformen der Vormoderne in transkultureller Perspektive, Berlin 2015.
3 Anthony Kalldelis, The Byzantine Republic. People and Power in New Rome, Cambridge (MA) 2015.
4 Clarence Gallagher, Church Law and Church Order in Rome and Byzantium. A Comparative Study, Aldershot 2002.
5 Christopher W. B. Stephens, Canon Law and Episcopal Authority. The Canons of Antioch and Serdica, Oxford 2015.