I. Schwab (Hrsg.): Die Urkunden Alfons' von Kastilien

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Titel
Die Urkunden Alfons' von Kastilien.


Herausgeber
Schwab, Ingo
Reihe
Monumenta Germaniae Historica. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 19,1
Erschienen
Wiesbaden 2016: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XLVIII, 280 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubertus Seibert, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Dynastiewechsel und Vakanzen hoher weltlich-kirchlicher Ämter deuteten Herrscher und Fürsten im mittelalterlichen deutschen Reich vielfach als Einschnitt und mögliche Ursache für Dissens und Konflikt. Dieses Wissen um die Fragilität und Wandelbarkeit politischer Ordnung artikulierten die zur Wahl eines neuen Königs versammelten Reichsfürsten 1237 in Wien in einer bis dato unbekannten Prägnanz und Eindeutigkeit, „daß nach dem Hinscheiden eines Herrschers die Zwischenzeit (interstitium temporis) zwischen dem Tod des Vorgängers und der vollen Herrschaft des Nachfolgers, welche die Vorfahren in alter Zeit Interregnum nannten, dem Reich gewichtige Gefahren […] bringen kann“.1

Diese im Wahldekret für Konrad IV. ausgedrückte Sorge der Fürsten um den Fortbestand des Reichs wurde seit 1245/46 rasch durch die politische Realität eingeholt, als die staufische Herrschaftsordnung der unio regni ad imperium zerbrach und sich strukturelle Veränderungen in der Verfassung des Reichs anbahnten. Diese manifestierten sich vor allem in der Doppelwahl von 1257 und in den nun einsetzenden Entwicklungen: Über die Nachfolge im Königtum entschied erstmals und ausschließlich eine Gruppe von sieben geistlichen und weltlichen Fürsten, die künftigen Kurfürsten, die ihr Wahlrecht zu monopolisieren und ihre herausgehobene Stellung in der Reichsverfassung zu verankern begannen. Während die Doppelwahl Richards von Cornwall und Alfons‘ von Kastilien „die Frage nach dem Inhaber der deutschen Königswürde europäisierte“2, verliehen die neuartigen Formen herrschaftlicher Partizipation (Städtebünde, Stadträte) und gerichtlicher Konfliktlösung (Schiedsgerichte) sowie die Suche des Königtums nach bislang wenig genutzten materiellen Ressourcen (Verpfändung von Reichsgut) der politischen Ordnung ein neues Gepräge.

Jüngere Forschungen haben daher zu Recht auf den Umbruchcharakter der Zeit des sogenannten Interregnums (seit 1245/46) abgehoben und die Neuansätze in Herrschaft, Verfassung und Rechtswesen betont.3 Damit ging eine intensivere Beschäftigung mit den Grundlagen und Praktiken der Herrschaft Richards von Cornwall einher, die dessen Person und Regierung als römisch-deutschem König (1257–1272) nun ein deutlich eigenständigeres Profil verliehen.4 Die Regierung seines Kontrahenten Alfons‘ von Kastilien im römisch-deutschen Reich (1255/57–1272/75) stand jedoch lange Zeit nicht im Fokus der Forschung. Sie kaprizierte sich vielmehr auf Alfons‘ ambivalente Herrschaft als kastilischer König und sein Streben nach einem römischen (und leonesisch-spanischen?) Kaisertum, das „fecho del imperio“.5

Diese offenkundige Lücke schließt die vorliegende Edition der insgesamt 102 Urkunden Alfons‘, die unser diffuses Wissen auf eine gesicherte Grundlage stellt und den Boden für künftige Forschungen bereitet. Die 75 Urkunden (DD Nr. 1–75), die Alfons zwischen Oktober 1255 und Oktober 1281 als römisch-deutscher König ausstellte, hat der Herausgeber um 27 Stücke spanischer Provenienz (A 1–27) erweitert, die alle in ihrem lateinischen oder altkastilischen Urkundentext auf Alfons‘ „fecho del imperio“ Bezug nehmen.

In seiner Einleitung gibt der Herausgeber dem Benutzer unverzichtbare und vielfach weiterführende Informationen über das Urkundenwesen Alfons‘, insbesondere über seine Kanzlei, die äußeren und inneren Merkmale seiner Urkunden für das Imperium sowie über die verwendeten Siegel. Zeitlich verteilen sich die Urkunden Alfons‘ ziemlich ungleich. Fast ein Viertel seiner Urkunden (DD Nr. 1–18, Oktober 1255 bis Oktober 1256) dokumentiert die politisch-diplomatischen Verhandlungen Alfons‘ mit den Städten Pisa und Marseille, die ihn bereits im März bzw. September 1256 zum römisch-deutschen König bzw. römischen Kaiser wählten und Freundschaftsbündnisse mit ihm schlossen. Eine zweite Gruppe von 57 Stücken (von 1257–1281) bilden die Urkunden, in denen Alfons von Kastilien Angelegenheiten im nordalpinen Reich oder in Italien regelte und entschied. Das Spektrum der Überlieferung der 75 Urkunden – bei 20 Deperdita – reicht von 18 Originaldiplomen und sechs originalen Notariatsinstrumenten über sieben Imbreviaturen, fünf Inserte und zwei Konzepte bis zu 15 Abschriften und drei als Drucke überlieferte Stücke. In formaler Hinsicht überwiegen die Privilegien, Briefe und Mandate, während speziellere Formen wie litterae clausae und Konzepte (späterer Ausfertigungen) nur selten begegnen. Hinsichtlich des Diktats und der formalen Gestaltung werden vier verschiedene Gruppen unterschieden: die von den Notaren aus Pisa und Marseille angefertigten Dokumente, die Stücke kastilischer Schreiber und die in der Kanzlei des römisch-deutschen Königs entstandenen Urkunden, denen der Herausgeber wegen des verwendeten spezifischen Formenapparats eine gewisse Eigenständigkeit attestiert.

Der wissenschaftliche Ertrag der Edition ist fundamental, da sie bisherige Annahmen der Forschung durch eindeutige Befunde und belegbare Ergebnisse ersetzt. Das Fehlen jeglicher Urkunden für rechtsrheinische Empfänger und eine eklatante Überlieferungslücke für das nordalpine Reich von 1260 bis 1280 – nur ein bloßer Überlieferungszufall? – lassen Alfons‘ Beziehungen zum und sein Wirken im Reich jetzt in einem anderen, kritischeren Licht erscheinen. Die zahlreichen Diplome für italienische Städte (sieben allein für Genua) und Alfons‘ verwandtschaftliche Verflechtungen in die Lombardei unterstreichen, dass sein vorrangiges politisches Interesse spätestens seit 1260 Oberitalien und dem Mittelmeerraum galt. Auch Alfons‘ Beziehungen zum Papsttum sind mangels entsprechender herrscherlicher Zeugnisse erst nach 1270 genauer zu fassen. Spuren seiner bis 1275 währenden Verhandlungen mit den Päpsten über die angestrebte Kaiserkrönung haben sich nur in einem (indirekt überlieferten) Mandat von 1263 (D Nr. 42) erhalten.

Die grundlegende und mit 8 farbigen Abbildungen ausgestattete Edition wird durch umfangreiche Register (Namen, Sachen) und Verzeichnisse (der archäologischen Überlieferung, der Quellen und Literatur) sowie durch eine Konkordanz mit dem Regestenwerk von Böhmer-Ficker-Winkelmann hervorragend erschlossen. Es bleibt zu hoffen, dass der Herausgeber bald auch die Edition der Urkunden Richards von Cornwall, Alfons‘ Thronrivalen, vorlegen und damit eine weitere Leerstelle in der Reihe der Herrscherurkunden des 13. Jahrhunderts schließen wird.

Anmerkungen:
1 Ludwig Weiland (Hrsg.), Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. II, Hannover 1896, Nr. 329, S. 439–441. Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von Lorenz Weinrich, Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, 2. Aufl., Darmstadt 2000, Nr. 124, S. 502–509, hier S. 505.
2 Dieter Hägermann, Art. „Interregnum“, in: Lexikon des Mittelalters 5, München 1991, Sp. 468 f.
3 Martin Kaufhold, Deutsches Interregnum und europäische Politik. Konfliktlösungen und Entscheidungsstrukturen 1230–1280, Hannover 2000; ders., Interregnum, 2. Aufl., Darmstadt 2007; Franz-Reiner Erkens, Art. „Interregnum“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, 2. Aufl., Berlin 2012, Sp. 1276–1278. Zum Platz des Interregnums im historischen Gedächtnis Marianne Kirk, „Die kaiserlose, die schreckliche Zeit“. Das Interregnum im Wandel der Geschichtsschreibung vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2002.
4 Anton Neugebauer / Klaus Kremb / Jürgen Keddigkeit (Hrsg.), Richard von Cornwall. Römisch-deutsches Königtum in nachstaufischer Zeit, Kaiserslautern 2010.
5 Zuletzt Barbara Schlieben, Verspielte Macht. Politik und Wissen am Hof Alfons‘ X. (1252–1284), Berlin 2009, bes. S. 169–273, die begründete Zweifel an der Existenz eines autochthon-spanischen Kaisertums anmeldet.

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