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Titel
Die Regierung des Himmels. Globalgeschichte des Luftkriegs. Übersetzung: Daniel Fastner


Autor(en)
Hippler, Thomas
Erschienen
Berlin 2017: Matthes & Seitz
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sophia Dafinger, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Die französischsprachige Originalausgabe dieser „Globalgeschichte des Luftkriegs“ von Thomas Hippler wurde 2014 in einer Reihe von Essays verlegt, und das ist der in zehn chronologische Kapitel gegliederte Text auch von seinem Anspruch her. Hipplers Monographie ist ein anregender Denkanstoß für große Thesen und eine interessante Antwort auf die Frage, wie die Geschichte des Luftkriegs strukturiert werden könnte – weniger eine Untersuchung, in der Details nachzuschlagen wären. Stilistisch für ein breites Lesepublikum angelegt und äußerst zurückhaltend mit Fußnoten versehen, versucht die Darstellung Theorie und Praxis des Luftkriegs in langen Bögen zusammenzubringen. Dass eine deutschsprachige Rezension leises Unwohlsein über diesen Zuschnitt anklingen lässt, mag mehr über den deutschen Wissenschaftsbetrieb als über das Buch selbst verraten, das nun beinahe zeitgleich in deutscher und englischer Übersetzung erschienen ist (auf Englisch unter dem Titel „Governing from the Skies“ bei Verso, London). Jedenfalls liegt hier keine „Globalgeschichte“ etwa im Sinne einer kondensierten Zusammenfassung der Forschung zu rund 100 Jahren Luftkrieg vor, sondern eine essayistische Annäherung an die Geschichte ausgewählter „Luftbombardements in ‚polizeilicher‘ Absicht“ (S. 15) und eine gegenwartskritische Einordnung dieser Geschichte.

Ebenso wie andere neuere Forschungsarbeiten1 betont Hippler, dass der Luftkrieg, wie wir ihn heute denken, untrennbar mit kolonialen Praktiken verbunden ist. Bis 1918 versuchten Armeen vereinzelt, ihren Kontrahenten auch aus der Luft Schaden zuzufügen; der Erste Weltkrieg kannte Kämpfe zwischen Aufklärungsflugzeugen und defensiven Kräften, auch einige taktische Angriffe auf Frontstellungen und Versorgungswege, aber wenige Bombardierungen städtischer Ziele. Konkrete Vorstellungen davon, die Zivilbevölkerung der gegnerischen Seite aus der Luft zu disziplinieren, entstanden erst mit den sogenannten „polizeilichen“ Maßnahmen der britischen Royal Air Force in ihren Kolonialgebieten, die deutlich von (rassistischen) Wahrnehmungen der eigenen Überlegenheit und stereotypen Vorstellungen leicht zu verängstigender „Wilder“ beeinflusst waren. Zugleich entwickelten Theoretiker wie der italienische General Giulio Douhet in der Zwischenkriegszeit eine eigene Luftkriegsdoktrin für den sogenannten strategischen Luftkrieg, der unabhängig von Bodentruppen oder Seestreitkräften den Gegner in seinem Kernland zu besiegen versprach und an den auch im öffentlichen Bewusstsein hohe Erwartungen, ja geradezu apokalyptische Szenarien für den nächsten europäischen Krieg geknüpft waren.2

Angemessen deutlich wird bei Hippler, dass der strategischen Luftkriegsdoktrin ein neues Verständnis des Kriegs an sich innewohnt: Es sind keine Armeen im Auftrag von Staaten und Regierungen mehr, die ihn führen, es ist die gesamte Bevölkerung, die somit zum Angriffsziel wird. Die politisch Verantwortlichen identifizierten die „Arbeiterschaft“ als Garant und zugleich als Schwachstelle gesellschaftlichen Zusammenhalts und wirtschaftlicher Effizienz. Auf die „kleinen Leute“, nicht zuletzt Frauen, richteten sich daher im Zweiten Weltkrieg sowohl die herablassende Sorge, deren „Kriegsmoral“ könne erodieren, als auch die Bemühungen, die kriegführende Gesellschaft zu einen. In den „heißen Kriegen“ des Kalten Kriegs (etwa in Korea und Vietnam) behielt dieses Konzept seine Prägekraft – trotz offensichtlich mangelnder Erfolge, denn bekanntlich hatte erst die gewissermaßen traditionelle Bodenoffensive der Alliierten den Zweiten Weltkrieg beenden können. Weiterhin galten nach 1945 jedoch ganze Gesellschaften als Kontrahenten, und der Luftkrieg wurde, unter anderem dank aktivem Lobbying, nach wie vor als Werkzeug verstanden, Gesellschaften und mit ihnen Staaten zu schwächen oder gar zu besiegen. Die Atombombe war in die Doktrin des strategischen Luftkriegs nahtlos als Waffe gesteigerter Zerstörungskraft einzufügen. Neu waren allerdings zwei Dinge: Erstens die Tatsache, dass in den zunehmend häufigen Guerillakriegen die Unterscheidung zwischen Zivilem und Militärischem bewusst verunmöglicht wurde, und zweitens, dass diese Kriege vollends nicht mehr als Territorialkonflikte zu verstehen waren. Hippler sieht in dieser Veränderung den Vorboten heutiger Luftschläge wie beispielsweise in Pakistan oder im Jemen, die als wiederum „polizeiliche“ Maßnahmen eine Kriegserklärung bzw. den Einmarsch von Bodentruppen gänzlich zu vermeiden suchen, indem sie jeglichen Widerstand aus der Luft beobachten und gegebenenfalls physisch vernichten sollen.

Aus historischer Perspektive stellen sich manche Fragen an den stark philosophisch oder politiktheoretisch argumentierenden Text: Da Hippler die einschlägigen Veröffentlichungen zu Gesellschaften im Luftkrieg rezipiert hat, irritiert es beispielsweise, dass er es dem „fürsorglichen und demokratischen“ (S. 19) Staat zuschreibt, sich um das Wohlergehen seiner Bürger/innen im Bombenhagel zu kümmern. Er selbst macht durchaus deutlich, dass die Sorge um die Bevölkerung Teil der Defensivstrategie aller Staaten im strategischen Luftkrieg war, mithin beispielsweise auch des nationalsozialistischen Regimes, dem viel daran lag, einen zweiten November 1918 zu vermeiden. Hipplers an anderer Stelle eingeführte Verwendung des Begriffs „demokratisch“ als Ausdruck der Tatsache, dass „das ‚Volk‘ die grundlegende politische Größe bildet“ (S. 131), überzeugt nicht vollständig, weil sie den Begriff zu beliebig werden lässt.

Auch die Kontroverse um die Erinnerung an die alliierten Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs und die Debatte um Jörg Friedrichs 2002 veröffentlichtes Buch „Der Brand“ erscheint bei Hippler verzerrt, indem er sie auf die vermeintlich debattenleitende Frage reduziert: „Ist es legitim, den bewussten Angriff auf die deutschen Zivilisten und das ihnen zugefügte Leid zum Gegenstand einer historischen Analyse zu machen?“ (S. 172f.) Während in der Geschichtswissenschaft zu jeder Zeit unbestritten war, dass es keine illegitimen Gegenstände historischer Analyse gibt, wiesen kritische Stimmen nach Friedrichs Veröffentlichung vielmehr darauf hin, dass nationalsozialistische Propagandamotive in „Der Brand“ reproduziert und die deutschen Luftkriegsopfer in einer Sprache beschrieben wurden, die gemeinhin für die Darstellung des Holocaust und seiner Opfer verwendet wird.3 Hippler ist zuzustimmen, wenn er anmahnt, normative Perspektiven in der historischen Analyse beiseite zu lassen oder zumindest beide Ebenen voneinander zu trennen – genau diese Vermischung ist es, die Friedrichs Buch vorgeworfen werden kann. Es bleibt außerdem nach wie vor falsch, dass „hinsichtlich des Luftkriegs einiger Spezialstudien zum Trotz eine seltsame Leerstelle in Geschichtsschreibung und kollektiver Erinnerung“ geblieben sei, „bis im Jahr 2002 mit ‚Der Brand‘ das erste dem Leid der deutschen Zivilbevölkerung gewidmete Buch erschien“ (S. 172). Vor allem in der Erinnerung der Deutschen waren der alliierte Luftkrieg und das „Leid der deutschen Zivilbevölkerung“ seit Kriegsende nachdrücklich präsent.4

Der große Vorzug des Bandes liegt darin, in einer Zusammenschau eines Teils der existierenden historischen Forschungsliteratur sowie theoretischer und philosophischer Texte Kontinuitäten aufzuzeigen, wo militärisch und politisch Verantwortliche sie lieber vergessen machen woll(t)en. Immer noch findet sich das Versprechen, Kriege schnell und möglichst lautlos aus der Luft gewinnen zu können, obwohl historische Beispiele wiederholt gezeigt haben, dass Menschen und Gesellschaften auch mit dem präzisesten Plan nicht nach Belieben zu disziplinieren oder zu manipulieren sind – und dass es „saubere“ Luftschläge ohne fatale Nebenfolgen nicht gibt. Die Geschichte, nähme man sie ernst, könnte dieses Versprechen als Wunschdenken entlarven.

Anmerkungen:
1 U.a. Martin Böhm, Die Royal Air Force und der Luftkrieg 1922–1945. Personelle, kognitive und konzeptionelle Kontinuitäten und Entwicklungen, Paderborn 2015, der von Hippler, dessen französische Originalausgabe 2014 erschien, nicht mehr rezipiert wurde. Siehe zu Böhms Buch auch die Rezension von Georg Hoffmann, in: H-Soz-Kult, 04.05.2017, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26612 (26.09.2017).
2 In einer stärker wissenschaftlich orientierten Studie hat sich Hippler damit zuvor beschäftigt: Thomas Hippler, Bombing the People. Giulio Douhet and the Foundations of Air-Power Strategy, 1884–1939, Cambridge 2013.
3 So vor allem Dietmar Süß, „Massaker und Mongolensturm“. Anmerkungen zu Jörg Friedrichs umstrittenem Buch „Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945“, in: Historisches Jahrbuch 124 (2004), S. 521–544.
4 Siehe u.a. Jörg Arnold / Dietmar Süß / Malte Thießen (Hrsg.), Luftkrieg. Erinnerungen in Deutschland und Europa, Göttingen 2009.