M. Becker u.a. (Hrsg.): Consularia Constantinopolitana

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Titel
Consularia Constantinopolitana und verwandte Quellen. Consularia Constantinopolitana – Fastenquelle des Sokrates – Berliner Chronik – Alexandrinische Weltchronik. Ediert, übersetzt und kommentiert


Herausgeber
Becker, Maria; Bleckmann, Bruno; Groß, Jonathan; Nickbakht, Mehran A.
Reihe
Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike G, Chroniken und Chronikfortsetzungen des 5. und 6. Jh. 1-4
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
XXXIV, 330 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, München

Bei dem dritten der mittlerweile vier1 publizierten Bände der Reihe „Kleine und fragmentarische Historiker“ handelt es sich um eine Sammeledition, in der die Consularia Constantinopolitana und drei Texte derselben Gattung ediert sind. Zunächst einige allgemeine Worte zu den vermutlich kaum bekannten Werken auf Basis der Ergebnisse der Einleitungen: Bei dem Hauptwerk der Edition, den Consularia Constantinopolitana (S. 3–28 Einleitung von Maria Becker, S. 29–57 Text von Maria Becker und Übersetzung von Mehran A. Nickbakht, S. 59–158 Kommentar von denselben), handelt es sich um eine Chronik auf Basis einer römischen Konsulliste, in der die Konsuln bis zum Jahr 464 angegeben und mit gelegentlichen knappen historischen Notizen ergänzt sind, die ab dem Jahr 251 (hier setzt auch die Edition ein) häufiger werden und bis 468 reichen. Das nur in einer mit Zusätzen und Korrekturen versehenen Handschrift vollständig erhaltene Werk wurde in seiner ersten Fassung wohl um 395 in Konstantinopel abgeschlossen und danach im Westen weitergeführt. Die Endredaktion fand wohl in Spanien statt; eine Autorschaft des Hydatius ist aber nicht anzunehmen.

Drei weitere Chroniken ergänzen die Edition: Die ‚Fastenquelle des Sokrates‘ (S. 161–167 Einleitung von Bruno Bleckmann und Maria Becker, S. 169–217 Text von Maria Becker sowie Übersetzung von Maria Becker und Bruno Bleckmann, S. 219–249 Kommentar von denselben) ist eine nicht erhaltene und aus dem Werk des Kirchenhistorikers Sokrates von Konstantinopel rekonstruierte Quelle, die durch eine exakte Datierung nach Konsuljahren sowie oft auch nach Tagen und Monaten auffällt, deutliche Parallelen zur chronistischen Literatur aufweist und bis zu den Ereignissen des Jahres 395 von Sokrates herangezogen wurde. Als ‚Berliner Chronik‘ (S. 253–259 Einleitung von Bruno Bleckmann und Jonathan Groß, S. 261–269 Text und Übersetzung von Jonathan Groß, S. 271–281 Kommentar von demselben) werden die Reste eines chronographischen Werkes bezeichnet, die sich auf einem illustrierten Pergamentblatt aus dem späten 5. Jahrhundert erhalten haben. Die Chronik bietet eine Konsulliste und historische Notizen für die Jahre 251 bis 273 (Decius bis Aurelian) und 306 bis 338 (konstantinische Zeit). Bei der ‚Alexandrinischen Weltchronik‘ (S. 285–309 Einleitung von Bruno Bleckmann und Jonathan Groß, S. 311–317 Text und Übersetzung von Jonathan Groß, S. 319–330 Kommentar von Bruno Bleckmann und Jonathan Groß, S. 331–332 Bildanhang) handelt es sich um ein Sammelwerk mit verschiedenen Inhalten, aus dem hier die von 383 bis 392 (Theodosius I.) reichende und nach 412 entstandene Chronik von Interesse ist.

Auch dieser Band der Reihe ist – um das vorab festzuhalten – wie seine Vorgänger ein exzellenter Beitrag zur spätantiken Historiographie, der neben textkritischen Fortschritten auch durch die Diskussion des Begriffs der Chronik in Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungen einen Beitrag zur Gattungsfrage leistet. Text und Übersetzung sind gleichermaßen gelungen. Die Schwerpunkte der einzelnen Kommentare und diesbezügliche Abweichungen untereinander sind vor allem der Kürze der historischen Notizen und dem Überlieferungszustand des jeweiligen Werkes geschuldet: Der Kommentar zu den Consularia Constantinopolitana ist vor allem philologischer Natur und erfasst sprachliche Phänomene, während der historische Teil größtenteils Sacherklärungen und Parallelquellen zu den behandelten Ereignissen bietet; von besonderem Interesse sind die Ausführungen zu Interpolationen und späteren Ergänzungen (S. 114f. zu 361,1; S. 128 zu 378,3; S. 129–131 zu 379,3; S. 137f. zu 388,1). Der Kommentar zur Fastenquelle begründet die Aufnahme der einzelnen Partien in der Rekonstruktion näher und bietet textkritische Bemerkungen zu Sokrates. Bei den letzten beiden Werken stehen vor allem der Überlieferungszustand und die Entzifferung des (nicht immer klar lesbaren) Textes im Vordergrund, weswegen hier auch in größerem Umfang die Parallelüberlieferung zum Vergleich wörtlich zitiert wird. An einzelnen Stellen ließen sich Details nachtragen.2

Lediglich zwei grundsätzliche Einwände sind zu äußern:3 Die vorliegende Edition der Consularia Constantinopolitana beginnt erst mit Decius, während das Werk selbst mit den Konsuln der frühen Republik einsetzt. Nun wäre es vermutlich nicht unbedingt sinnvoll gewesen, diese Konsulliste nochmals vollständig abzudrucken (wenngleich man für diesen Teil leicht auf die Übersetzung hätte verzichten können), aber es wäre für zukünftige Forschungen zu Fragen der Quellenverhältnisse oder der Überlieferung nützlich gewesen, in kurzen Kapiteln zum einen eventuell notwendige Abweichungen gegenüber den Editionen von Mommsen bzw. Burgess und zum anderen weiteres Vergleichsmaterial für die Konsuln der früheren Zeiträume kurz allgemein zu präsentieren. Zweitens stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Edition der Fastenquelle des Sokrates. Da deren Fragmente im Unterschied etwa zur Enmannschen Kaisergeschichte lediglich aus einer Quelle stammen, handelt es sich letztlich nur um einen verbesserten Text von Bruchteilen des Sokrates mit einer deutschen Übersetzung, so dass diese Fortschritte vielleicht besser in eine Ausgabe des Sokrates mit deutscher Übersetzung, wie sie Heinz-Günther Nesselrath vorbereitet, oder in einen Aufsatz eingegangen wären. Zudem ist die Herkunft der Fragmente nicht immer überzeugend: Text Nr. 17 (S. 180–183: Sokrates 3,26,5 und 4,1,1) könnte ebenso aus Eutropius, der nachgewiesenermaßen von Sokrates herangezogen wurde, stammen, zumal im Kommentar auf Seite 228 auch auf Parallelen zwischen beiden Autoren an dieser Stelle hingewiesen wird.

Als Gesamturteil ist festzuhalten, dass vier wenig bekannte und kaum beachtete Texte in einer qualitativ hochwertigen Ausgabe vorliegen, deren Text, Übersetzung und Kommentar die Grundlage für jede weitere Untersuchung sein muss.

Anmerkungen:
1 Zur Edition der Fragmente der Historiker der Reichskrise siehe mittlerweile ausführlich die Rezension von Udo Hartmann, in: H-Soz-Kult, 05.12.2016, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26856 (01.02.2017).
2 Allgemein wäre Ernst Steins Geschichte des spätrömischen Reiches (S. XXXIV) vorrangig nach der deutlich ergänzten französischen Übersetzung von 1959 zu zitieren; S. 61 zu 261: Zur Romania und ihrer erstmaligen Erwähnung siehe noch Eugen Fehrle, Romania bei Ammianus Marcellinus, in: Philologische Wochenschrift 45 (1925), Sp. 381–382; S. 61f. zu 261: Zu den Einfällen unter Gallienus siehe zuletzt Michael Geiger, Gallienus, Frankfurt am Main 2013, S. 107–120 (allerdings ohne Berücksichtigung des Zeugnisses der Consularia); S. 66–68 zu 283–285: Die Ereignisse dieser Zeit werden ausführlich in dem erst S. 69 zitierten Buch Altmayers behandelt; S. 69 zu 285: Aurelius Victor hebt zwar die Milde Diokletians nach dem Bürgerkrieg gegen Carinus hervor, allerdings wäre auch darauf hinzuweisen, dass ein solches Vorgehen nicht so selten ist, wie Victor behauptet (siehe etwa Joachim Szidat, Usurpator tanti nominis, Stuttgart 2010, S. 269–272 u. 328–339); S. 78 zu 306: Zu Konstantins Rang am Beginn seiner Regierung siehe zuletzt Johannes Wienand, Der Kaiser als Sieger, Berlin 2012, S. 120–133; S. 89 zu 326,1: Speziell zum Ende des Crispus siehe zuletzt Robert Matijašić, La fine di Crispo prope oppidum Polam (Amm. Marc. 14,10,20), in: Giuseppe Cuscito (Hrsg.), Costantino il Grande a 1700 anni dall’„editto di Milano“, Triest 2014, S. 219–228; S. 106 zu 351,4: Zur Kreuzesvision von 351 siehe jetzt auch (vermutlich zu spät für die Herausgeber erschienen) Mattias Gassman, Eschatology and politics in Cyril of Jerusalem’s Epistle to Constantius, in: Vigiliae Christianae 70 (2016), S. 119–133; S. 117 zu 364,1: Zum Tod Jovians und den damit verbundenen Diskussionen um die Quellenverhältnisse siehe Stéphane Ratti, Antiquus error, Turnhout 2010, S. 113–116 u. 127 sowie Richard W. Burgess, Chronicles, consuls, and coins, Farnham 2011, Aufsatz Nr. VII, S. 175f.; S. 123 zu 375: Zum konsullosen Jahr 375 siehe Anthony R. Birley, AD 375: A year with no consuls, in: Edward Dąbrowa (Hrsg.), Studies on the late Roman history, Kraków 2007, S. 15–32. Zweitpublikationen, S. 80 und S. 109: Burgess, Chronicles, Aufsatz Nr. XV bzw. Nr. XI; S. 82: Patrick Bruun, Studies in Constantinian numismatics, Rom 1991, S. 133–144; S. 97: Konrad Kraft, Gesammelte Aufsätze zur antiken Geldgeschichte und Numismatik, Bd. 1, Darmstadt 1978, S. 87–132; S. 115: Heinz Bellen, Politik – Recht – Gesellschaft. Studien zur Alten Geschichte, Stuttgart 1997, S. 151–166.
3 Meine Bemerkungen zur Frage des fehlenden Registers in dieser Reihe brauche ich nicht wiederholen; diese sind nachzulesen unter http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26381 (01.02.2017).

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