Cover
Titel
American Pulp. How Paperbacks Brought Modernism to Main Street


Autor(en)
Rabinowitz, Paula
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 390 S.
Preis
$ 17.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Schmidt, Department of History and Philosophy of Science, University of Cambridge

Die Zirkulation und Geltungsmacht von Ideen im zwanzigsten Jahrhundert kann kaum analysiert werden ohne die Geschichte des Buches und der Publizistik in den Blick zu nehmen. Paula Rabinowitz’ „American Pulp“ führt dies vor, umso mehr als die Autorin Sachbücher untersucht und sich damit von den lange Zeit auf fiktionale Texte konzentrierten Publikationen zum Thema abhebt. Nachdem Rabinowitz im vergangenen Jahr den renommierten DeLong Prize der Society for the History of Authorship, Reading and Publishing (SHARP) erhalten hat, ist ihre Studie zum modernen Taschenbuch nun als Paperback erschienen. Der Band wirft Licht auf die zentralen Aufgaben einer Buch- und Mediengeschichte des späten 20. Jahrhunderts.

Rabinowitz, Literaturwissenschaftlerin an der University of Minnesota, untersucht die Geschichte des „mass market paperback“ im Amerika der 1940er- und 1950er-Jahre und schließt damit an eine Reihe klassischer Studien an.1 Gegenüber früheren papiergebundenen Formaten, wie sie bereits seit dem 19. Jahrhundert produziert wurden, zeichneten sich die 1939 von Simon & Schuster in den USA eingeführten Pocket Books durch ihre Distributionsart aus, waren sie doch nicht im Buchhandel, sondern in Drogerien und an Zeitungsständen erhältlich. Das Geschäftsmodell, maßgeblich entwickelt von Penguin (Großbritannien), machte rasch Karriere, wie die Gründung amerikanischer Paperback-Verlage wie Bantam, New American Library, Dell oder Avon im Laufe der 1940er-Jahre illustriert. Dazu trugen nicht zuletzt die vom Council of Books in Wartime entwickelten Armed Services Editions bei, die im Zweiten Weltkrieg an Soldaten verteilt wurden.2

Als „Pulp“ versteht Rabinowitz Reprints und Neuauflagen im Taschenbuchformat und wendet den Begriff damit ausdrücklich jenseits der Unterhaltungsliteratur an. Im Mittelpunkt stehen Prozesse der Verteilung und Umwidmung, häufig weit über den ursprünglichen Entstehungszusammenhang hinaus. Besonderer Wert kommt paratextuellen Verweisen zu, und zwar nicht allein in Gestalt von Buchcovern (der Band ist reich illustriert), sondern auch in Form von Klappentexten, mittels derer Reprints aktualisiert und neu kontextualisiert wurden.

Rabinowitz lässt belletristische Texte nicht außen vor, doch sie richtet größeres Augenmerk auf Sachliteratur als bisherige Untersuchungen und darin liegt der besondere Wert von „American Pulp“. Taschenbücher zu Geographie und politischer Geschichte lieferten während des Zweiten Weltkriegs allgemeinverständliche Hintergrundinformation zum Kriegsgeschehen; im Kalten Krieg traten dazu naturwissenschaftliche (insbesondere physikalische) ebenso wie sozialwissenschaftliche Texte – freilich reißerisch präsentiert. So pries etwa der kleine Science-Fiction Verlag „Berkley“ 1955 Eugen Kogons „Der SS-Staat“ (1946) als Einblick in „what a German concentration camp was really like“ (S. 216). Als Taschenbuch wurde Margaret Meads „Coming of Age in Samoa“ (1928) geradezu zum Erotik-Ratgeber („[a] practical psychology in the domain of erotics“, S. 224) und erschien in den 1950er-Jahren in jährlichen Neuauflagen.

Wiewohl lesenswert, geht „American Pulp“ über die bisherige Forschung zur Paperback-Revolution kaum hinaus und lässt zudem, zumindest aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, historische Tiefe vermissen – wie bereits andernorts angemerkt wurde.3 Dies ist umso bedauerlicher als es sich um den Beitrag einer ausgewiesenen Expertin handelt.4 Die Stärken und Leerstellen von „American Pulp“ verweisen auf die Aufgaben einer Buch- und Mediengeschichte jenseits der Paperback-Revolution. Diese Geschichte lässt sich nicht ohne weiteres als eine Geschichte des Taschenbuchs schreiben, nicht nur weil die Unterscheidung zwischen Hardcover und Paperback in den späten 1960er-Jahren institutionell wie auch inhaltlich aufgelöst wurde (Stichwort „Quality-Paperback“). Es stellen sich ihr insbesondere drei Aufgaben:

Erstens gilt es, dem Boom der Sachbuchliteratur in den USA Rechnung zu tragen, der in engem Zusammenhang zur Transformation des Bildungssystems steht. Zweitens ist der gängige Topos einer primär weiblichen Leserinnenschaft, von Rabinowitz wiederholt aufgerufen, zu relativieren. Zwar wurden Bücher in den USA häufiger von Frauen als von Männern gelesen, dieser Unterschied jedoch nivellierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zusehends – dies mag in Teilen auf die Arbeit des Council of Books zurückzuführen sein. Die Diskrepanz gleicht sich weiterhin aus, wenn neben Büchern auch Periodika und neben der Freizeitlektüre auch edukative und berufliche Lektüre einbezogen werden, und sie unterscheidet sich im Hinblick auf einzelne Titel. Zu fragen ist also nach qualitativen Differenzen ebenso wie nach Gemeinsamkeiten und übergreifenden Trends im Leseverhalten.5 Angesichts zunehmend multinational operierender Verlagskonglomerate ist eine Geschichte des Buches und der Publizistik ab den späten 1960er-Jahren, drittens, eine globale Mediengeschichte.

„American Pulp“ beantwortet diese Fragen nicht, doch kommt Rabinowitz das Verdienst zu, aus der Perspektive der Paperback-Revolution ein Schlaglicht auf diese zentralen Fragen zu werfen.

Anmerkungen:
1 Siehe insbesondere Kenneth C. Davis, Two-Bit Culture. The Paperbacking of America, Boston 1984; Janice Radway, Reading the Romance. Women, Patriarchy, and Popular Literature, Chapel Hill, NC 1991 [1984].
2 Dazu maßgeblich: John B. Hench, Books as Weapons. Propaganda, Publishing, and the Battle for Global Markets in the Era of World War II, Ithaca, NY 2010.
3 Josh Lambert, Rezension von Paula Rabinowitz’ American Pulp, in: Journal of American History 102/3 (2015), S. 922.
4 Siehe Paula Rabinowitz, Black & White & Noir, New York 2002.
5 Erste Anhaltspunkte bietet Erin A. Smith, Hard-Boiled. Working-Class Readers and Pulp Magazines, Philadelphia 2000; siehe auch Carl F Kaestle et al. (Hrsg.), Literacy in the United States. Readers and Reading Since 1880, Yale 1991; Philipp Felsch, Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte, München 2015, legt nahe, dass Theorie-Leser in der Mehrzahl männlich waren, Vgl. die Rezension von Daniel Timothy Goering, in: H-Soz-Kult, 09.06.2015 http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-23963 (25.10.2016).

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