S. Burmistr: Die »Minsker Zeitung«

Cover
Titel
Die „Minsker Zeitung“. Selbst- und Fremdbilder in der nationalsozialistischen Besatzungspresse


Autor(en)
Burmistr, Svetlana
Erschienen
Berlin 2016: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
364 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Küntzel, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Die „Minsker Zeitung. Das deutsche Tageblatt für Weißruthenien“ (MZ) wurde als letzte deutsche Besatzungszeitung auf sowjetischem Gebiet gegründet. Das Blatt erschien vom 15. April 1942 bis zum 28. Juni 1944 in der Hauptstadt des Generalkommissariats. Svetlana Burmistr untersucht in ihrer Studie am Beispiel dieser Zeitung „die Besatzungspresse als eine neue Form der Medienpraxis im Nationalsozialismus“ (S. 327). Wie schon Lars Jockheck in seiner Untersuchung der Besatzungspresse in Polen1 nimmt sie besonders die in der Zeitung vermittelten Selbst- und Fremdbilder in den Blick. In diesen zeigt sich, wie komplex sich das nationalsozialistische Weltbild in der Presse darstellte und wie diese ihre Berichterstattung an das besetzte Land anpasste. Burmistr belegt dies exemplarisch an der MZ und legt damit die erste Monografie speziell zu dieser Besatzungszeitung vor, die bisher nur als Quelle für den Besatzungsalltag genutzt wurde.2

Das auf ihrer 2014 an der Technischen Universität Berlin eingereichten Dissertation beruhende Buch ist klar strukturiert. Nach einer Einführung in die Studie (Kapitel I) widmet sie sich im ersten Teil der Studie den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Besatzungspresse. Sie behandelt die nationalsozialistischen Pressepolitik (Kapitel II) und legt die Geschichte des Zentralverlags der NSDAP Franz Eher Nachfolger GmbH und seiner Tochtergesellschaft der Europa Verlag GmbH dar, unter deren Dach alle Besatzungszeitungen erschienen (Kapitel III). Dabei hebt sie persönliche Entscheidungsmöglichkeiten der Journalist/innen unter dem NS-Regime sowie die Lenkung und Berichterstattung durch Goebbels hervor. Die Besatzungszeitungen macht sie als einen neuartigen Typ der Presse unter nationalsozialistischer Kontrolle aus, der „der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Expansion des nationalsozialistischen Regimes in Europa“ (S. 327) folgte.

Nach der Einordnung in die nationalsozialistische Pressepolitik widmet sich Burmistr ganz der MZ. Neben Gründung, Aufbau und wirtschaftlicher Probleme der Zeitung analysiert Burmistr das Personal der Minsker Verlags- und Druckerei GmbH sowie die Redaktionsmitglieder der MZ (Kapitel IV). Dabei hebt sie hervor, dass die deutschen Mitarbeiter/innen nicht nur die Besatzung mit ihrer Arbeit legitimierten, sondern auch selbst Teil der Besatzergesellschaft waren und von dieser Zugehörigkeit profitierten. Die Redaktionsmitglieder kamen, wie Hauptschriftleiter Hans Dähn, zumeist aus den reichsdeutschen Verlagen der NSDAP. Damit war ihre Ideologietreue und Loyalität zum NS-Regime garantiert. Da aber Minsk einen wenig attraktiven Einsatzort darstellte, herrschte Personalmangel und freiwillige weißrussische Arbeitskräfte waren unentbehrlich. Auch jüdische Zwangsarbeiter/innen und sowjetische Kriegsgefangene wurden eingesetzt. Burmistr versucht, dem Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiter/innen bei der „Minsker Zeitung“ nachzugehen, die wohl fast alle ermordet wurden. Dies gelingt aufgrund der Quellenlage nur zum Teil. Aufschluss gibt besonders ein Videointerview der USC Shoah Foundation mit Bronia Stejman (geb. Gofman), in dem sie von ihrer Arbeit bei der MZ und ihrer Hilfe beim heimlichen Druck von Zeitungen und Flugblättern für den Widerstand berichtet.

Neben der Zusammenarbeit mit der deutschen Zivilverwaltung thematisiert Burmistr im Folgenden besonders Zielgruppe und Themen der MZ (Kapitel V). Da nur geringe Deutschkenntnisse in der einheimischen Bevölkerung vorhanden waren, richtete sich die MZ vor allem an eine deutsche Leserschaft. Soldaten stellten die Mehrheit der hunderttausenden von Deutschen, die sich während der Besatzung in Weißrussland befanden. Hinzu kamen „zehntausende Reichsbahnangehörige, Bauarbeiter der Organisation Todt, Postbeamte, tausende Verwaltungsbeamte, Polizisten und SS-Personal, Wirtschaftskräfte privater oder staatlicher Unternehmen“ (S. 171) und Abonnement/innen im Reichsgebiet. Aussagen über die Rezeption in der weißrussischen Bevölkerung, für die zumindest in einer kleinen Rubrik in Landessprache die wichtigsten militärischen Meldungen zusammengefasst wurden, seien laut Burmeister kaum möglich. Um die große Leserschaft in ihren jeweiligen Lebens- und Arbeitsbedingungen anzusprechen und zu verbinden, war ein breites Spektrum zu behandelnder Themen nötig, was „jedoch keinesfalls Informations- und Meinungsvielfalt bedeutete“ (S. 181). Meist wurden militärische und politische Berichterstattungen sowie ideologische Beiträge veröffentlicht, die größtenteils vom OKW oder den Presse- und Informationsdiensten des Reiches stammten. Nur ein geringer Teil der Artikel wurde von den Redakteur/innen – drei Frauen gehörten zum festen Redaktionskern – der MZ selbst verfasst. Kennzeichnend für die MZ, wie auch andere Besatzungszeitungen, sei der „Besatzerdiskurs“ (S. 185), der ein einheitliches Bild der Besatzer vermitteln sollte.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen analysiert Burmistr die in der Zeitung transportierten Selbst- und Fremdbilder (Kapitel VI). Dazu untersucht sie Bilder von Deutschland und seinen Bündnispartnern und Kriegsgegnern sowie Darstellungen des besetzten Weißrussland. Wie allgemein für die Berichterstattung der Besatzungszeitungen, war auch für die transportierten Selbst- und Fremdbilder die „Legitimation des Krieges und der deutschen Besatzung in Europa“ (S. 212) zentral. Daher definiert sie in diesem Kapitel zunächst den Krieg, die Kriegsgegner und die deutsche Besatzung in Europa „als Folie der Berichterstattung“. Die Ergebnisse zur Darstellung der Selbst- und Fremdbilder bleiben aufgrund der wenig differenzierten Beschreibung als „positiv“ oder „negativ“ recht eindimensional. „[P]ositive Qualitäten wurde dem deutschen Volk zugeschrieben“ (S. 247); dem „positive[n] Selbstbild“ und dem „ausschließlich positive[n] Deutschlandbild“ (S. 227) „die negativen Kategorisierungen der Feindbilder […] entgegengesetzt und eine undifferenzierte, schwarz-weiße Weltsicht vermittelt“ (S. 227). Emotionen nimmt sie entgegen ihrer Ankündigung in der Einleitung nicht explizit in die Analyse mit auf. Dasselbe gilt für die Untersuchung der vermittelten Bilder der Achsenmächte. So sind diese Teile des Buches mehr eine Aneinanderreihung von Verweisen, als historische Analyse und auch sprachlich weniger gelungen als die restlichen Kapitel.

Dies fällt besonders im Kontrast zu den Abschnitten zum Bild „der Juden“ als „Feindbild schlechthin“3 und zum Weißrusslandbild auf, die nun weit differenzierter ausgearbeitet und historisch kontextualisiert, Entwicklungen aufzeigen und Vergleiche mit anderen Besatzungszeitungen bieten. Die antisemitische Propaganda in der MZ „wies Parallelen zu antisemitischen Bildern, Argumentationsmustern und Propagandakampagnen in der reichsdeutschen Presse auf“ (S. 259), wurde aber an Weißrussland angepasst und mit der Rechtfertigung der deutschen Besatzung verbunden: „So wurden die Juden für tatsächliche oder vermeintliche Missstände in allen gesellschaftlichen Bereichen Weißrusslands verantwortlich gemacht“ und ihnen „eine führende Rolle sowohl bei den Stalinschen Terrormaßnahmen als auch beim Widerstand der Partisanen zugeschrieben“ (S. 261). Im Vergleich mit der „Krakauer Zeitung“ arbeitet Burmistr heraus, worin sich die Besatzungszeitungen hinsichtlich der Thematisierung des Holocaust unterschieden. Wurden in der „Krakauer Zeitung“ antijüdische Maßnahmen im Generalgouvernement durchaus erwähnt, so war in der MZ „[d]ie in direkter Nachbarschaft der Redaktion […] stattfindende Verfolgung, Ausbeutung, Ghettoisierung und Vernichtung der weißrussischen sowie der aus Westeuropa deportierten Juden […] überhaupt kein Thema“ (S. 262). Dafür sollten Nachrichten über antijüdische Maßnahmen in verbündeten und besetzten Ländern zeigen, dass Deutschland mit seiner antisemitischen Haltung nicht allein stand. Derartige Meldungen seien, so Burmistr, nicht einheitlich in den Besatzungszeitungen und Blättern im Reich erschienen, sondern wurden „gezielt an einzelne Zeitungen weitergegeben“ (S. 269). Bei den vermittelten Bildern von Weißrussland und seiner Bevölkerung „zeigen sich zum Teil graduelle Unterschiede in den Interpretationen, die offensichtlich je nach Autor, Zeitpunkt, Zielgruppe und Intention variieren“ (S. 275). So schrieb Generalkommissar Wilhelm Kube in einem Artikel vom Juni 1942 noch von den Weißrussen als einem slawischen Volksstamm, im Oktober 1942 von „Elementen der indogermanischen Herkunft des weißruthenischen Volkes“ und hob im Juni 1943 einen verhältnismäßig großen „nordischen Blutsanteil“ bei den Weißrussen hervor (vgl. S. 275).

Insgesamt zeichnet sich Burmistrs Arbeit durch die breite Darstellung der Rahmenbedingungen, Gründung und Personalia der MZ aus. Auch dass sie alle 680 erhaltenen Ausgaben der MZ in ihre Untersuchung mit einbezieht, ist durchaus bemerkenswert. Allerdings führt dies auch dazu, dass nur ausgewählte Artikel und Rubriken tatsächlich analysiert werden können. Für zukünftige Arbeiten wäre daher eine Analyse der nicht-deutschsprachigen Artikel der MZ oder auch ein kulturgeschichtlicher Blick auf Anzeigen und abgedruckte Fotos aufschlussreich. Auch der – in der Studie am Rand genannten – gezielten Ansprache weiblicher Leserinnen aus der weißrussischen Bevölkerung zur Werbung als „Ostarbeiterinnen“ weiter nachzugehen und die dargestellten Selbst- und Fremdbilder auch geschlechterhistorisch einzuordnen, böte ein interessantes Forschungsfeld für anknüpfende Arbeiten.

Anmerkungen:
1 Lars Jockheck, Propaganda im Generalgouvernement. Die NS-Besatzungspresse für Deutsche und Polen 1939–1945, Osnabrück 2006.
2 Etwa Stephan Lehnstaedt, Okkupation im Osten. Besatzeralltag in Warschau und Minsk 1939–1944, München 2010.
3 Dieser Abschnitt wurde bereits publiziert: Svetlana Burmistr, „Die Völker Europas wollen samt und sonders die Juden nicht“ – Die Judenverfolgung im Spiegel der Minsker Zeitung, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 19 (2010), S. 217–233.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension