C. A. Stanford (Hrsg.): Building Accounts of the Savoy Hospital

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Titel
The Building Accounts of the Savoy Hospital, London, 1512–1520.


Herausgeber
Stanford, Charlotte A.
Reihe
Westminster Abbey Record
Erschienen
Woodbridge 2015: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
XXVIII, 462 S.
Preis
£ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kathrin Pindl, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Nachmittagstee in gediegenem Ambiente – diese Assoziation, die auch viele Historiker/innen mit den Stichworten “London” und “Savoy” verbinden, ist weniger abwegig, als man vermuten würde: Am epochenübergreifend als prime location geschätzten Standort des für Tee mit Häppchen berühmten Grandhotels am Themseufer befanden sich im Spätmittelalter zunächst der Stadtpalast eines savoyardischen Hochadeligen und ab dem frühen 16. Jahrhundert das Savoy Hospital, mit dessen Rechnungsbuchüberlieferung sich die vorliegende Publikation auseinandersetzt.

Die gedruckte Edition der Baurechnungen des Savoy Hospitals in London (1512–1520) ist als achter Band der Westminster Abbey Record Series veröffentlicht worden – bearbeitet von Charlotte Alighieria Stanford, die als Associate Teaching Professor an der von der Glaubensgemeinschaft der Mormonen finanzierten Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah forscht. Der Band ist das Produkt eines Fulbright-Forschungsaufenthaltes der Autorin in Großbritannien. Vorangegangen war ein 2012 vom National Endowment for the Humanities (NEH) gefördertes Seminar in London unter dem Titel “Health and Disease in the Middle Ages”.

Die Forschung zu englischen Hospitälern fand im deutschsprachigen Raum bislang verhältnismäßig wenig Resonanz. Insoweit besteht Grund zur Hoffnung, dass die vorliegende Edition mit ihrer kundigen Hinführung als Brücke für entsprechende (Vergleichs-)Arbeiten wirkt. Stanford liefert in dieser Einleitung einen konzisen Überblick zur Geschichte des Hospitals. Beispielhaft für viele Hospitäler in der Alten Welt symbolisiert auch das Londoner Savoy Hospital in seiner Entstehungsgeschichte die Verflechtung zwischen Obrigkeit und Kirche. “It was part church organization, part a private charitable institution, and the whole thing combined to make a propaganda statement”1, so Charlotte Stanford.

Gegründet von Heinrich VII. Tudor, der den Einzug der ersten Hospitalinsassen im Jahr 1519 nicht mehr erlebte, galt das gemäß Stiftungszweck seinem Angedenken verpflichtete Savoy Hospital den Zeitgenoss/innen als Musterkrankenhaus und überregional bekannte Anlaufstelle für verarmte und marginalisierte Gruppen der Bevölkerung. Damit steht das Londoner Savoy Hospital in seiner Bedeutung für die städtische Wohlfahrt in einer Reihe etwa mit dem Wiener Bürgerspital, das derzeit in einem Projekt am Institut für Österreichische Geschichtsforschung2 erstmals strukturgeschichtlich untersucht wird und sich für Vergleichsuntersuchungen mit Sicherheit anbieten würde.

Zunächst jedoch beginnt die Gliederung mit einer Auflistung der im Buch verwendeten Illustrationen. Darunter befinden sich zahlreiche Bauzeichnungen, Karten und Grundrisspläne, die für das Verständnis der in den Rechnungen dargelegten Transaktionen durchaus instruktiv sind. Der Fokus auf diese Abbildungen ist auf das architekturhistorische Spezialinteresse der Verfasserin zurückzuführen. Stanfords Expertise baut auf diverse früheren Arbeiten zur historischen Bauforschung im mittelalterlichen Europa. Dieser breite Erfahrungshorizont schimmert durch sämtliche wirtschaftshistorische Ausführungen der Autorin. Unklar bleibt indes, ob die Liste eine vollzählige Aufstellung der vorhandenen Bildquellen zum Savoy Hospital darstellt. Schade ist weiter, dass nur zwei Beispielseiten aus den Rechnungsbüchern in schwarz-weiß abgedruckt sind.

Von wesentlich konkreterem forschungspraktischem Nutzen sind für wirtschaftshistorisch orientierte Leser/innen die ebenfalls vorangeschickten Tabellen und Graphiken, welche die Ergebnisse von Stanfords Auswertung der Rechnungsbücher schon auf den ersten Seiten des Editionsbandes vorwegnehmen. Erhellend in Bezug auf den gruppenspezifischen Lebensstandard der arbeitenden (Unter-)Schichten im London des frühen 16. Jahrhunderts ist etwa ihr Vergleich der Entlohnung für verschiedene Bauhandwerker auf unterschiedlichen Ausbildungsstufen. Für die jeweiligen Meister – seien es Steinmetze, Pflasterarbeiter oder Schreiner – offenbart sich ein merkliches skill premium. Die Aufschlüsselung der am Hospitalbau beteiligten Handwerker und der verwendeten Materialien sowie deren Herkunft – die Transport- überstiegen die Materialkosten erheblich, wie auch Katherine French in ihrer Rezension für The Medieval Review bemerkt3 – ergibt das Organigramm einer vormodernen Baustelle und lässt Rückschlüsse auf demographische und konjunkturelle Entwicklungen zu, die im Abgleich mit ergänzendem Quellenmaterial4 zu überprüfen ausstehen.

Für ein ganzheitliches Verständnis der edierten Zahlen, die die Grundlage für die erwähnten Auswertungen bilden, sind die knapp gehaltenen Einlassungen der Autorin zu den verwendeten (Standard-)Abkürzungen und zu den angelegten Konventionen unverzichtbar. Abgesehen davon, dass die Autorin klarmacht, dass sie römische Ziffern in arabischen Zahlen ausdrückt, lässt aufhorchen, dass Stanford Summen auf- bzw. abrundet, um gerade Werte zu erhalten, was zwar traditionell nicht unüblich ist, die Exaktheit der Angaben allerdings schmälert.

Gleichwohl gibt Stanford umsichtig zu bedenken, dass Umrechnungen von historischen Einheiten in moderne Maße bekanntermaßen problembelastet seien, und sie macht deutlich, dass man versucht hat, das ursprüngliche Layout der Rechnungsbücher im Druck möglichst realgetreu darzustellen. Da, wie oben erwähnt, nur zwei Seiten der Originalrechnungen als Bildreproduktionen verfügbar sind, kann die Leserin hingegen kaum beurteilen, ob diesem Anspruch entsprochen werden konnte. Nichtsdestoweniger ist Stanfords grundwissenschaftliche Präzision, ihre profunde Quellenkenntnis und der erhebliche Aufwand, den es bedeutet, eine relativ umfangreiche serielle Quelle unter wissenschaftlichen Kriterien zu edieren, dem Band auf jeder Seite anzumerken.

Vor diesem Hintergrund hätte man sich eine (parallele) digitale Edition der Baurechnungen gewünscht. Dass das für die internationale wirtschafts- und spitalhistorische Forschung hochinteressante Datenmaterial lediglich in gedruckter Form vorliegt, schränkt nicht nur den möglichen Rezipienten- und Nutzerkreis ein. Es limitiert beziehungsweise erschwert auch denkbare Auswertungs-, Vergleichs- und Darstellungsoptionen. Dazu gehören zum Beispiel die Verbindung von digitaler Reproduktion (Foto oder Scan des Rechnungsbuchdokuments) mit der Transkription zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit, die Annotation der Texte mit ergänzenden Informationen unter Verwendung von XML/TEI oder auch die Möglichkeit, die Daten in verschiedenen Formaten auslesen zu können. In produktiver Zusammenarbeit zwischen den klassischen Geschichtswissenschaften und den Digital Humanities gibt es seit Jahren Initiativen, die sich für die Verbreitung digitaler Editionen von Rechnungsbüchern einsetzen.5 Angesichts von deren immanenten Vorteilen, die bereits in verschiedenen Projekten erfolgreich genutzt und weiterentwickelt werden6, wirkt die Selbstbegrenzung auf eine rein gedruckte Edition beinahe anachronistisch. Es steht daher zu hoffen, dass die von Charlotte Stanford so präzise zusammengetragenen Baurechnungen vielleicht in Zukunft noch digital erschlossen werden oder dass nach dem endgültigen Abschluss des Projekts unter Umständen die spreadsheets online zugänglich gemacht werden.

Dessen ungeachtet legt Charlotte A. Stanford mit der Edition der Baurechnungen des Londoner Savoy Hospitals 1512–1520 einen substantiell wichtigen Beitrag zur (Wirtschafts-)Geschichte nordwesteuropäischer Spitäler vor. Derart umfangreiche und für einen bestimmten Zeitraum vollständige Datensätze, die Einblick in mikroökonomische Verhältnisse und Netzwerke des vormodernen Alltags gewähren, sind europaweit keineswegs im Überfluss vorhanden. Stanfords faktengesättigte, kultur- und bauhistorisch fundierte und flüssig zu lesende Kontextualisierung liefert Impulse für unterschiedliche Teildisziplinen, nicht zuletzt für die historische Lebensstandardforschung. Die Realisierung dieses Editionsprojektes im Rahmen der Westminster Abbey Record Series – wenn auch leider nicht digital – ist überdies ein ermutigendes Signal für das vielschichtige Erkenntnispotential vormoderner Rechnungsbücher, die lange zu Unrecht als dröge Quellengattung verschrien waren.

Anmerkungen:
1 Siehe http://humanities.byu.edu/pages-of-brick-and-stone (02-10-2016).
2 Siehe http://www.geschichtsforschung.ac.at/?q=node/557 (02.10.2016).
3 Siehe https://scholarworks.iu.edu/journals/index.php/tmr/article/view/22131/28083 (02.10.2016).
4 Siehe etwa http://www.iisg.nl/hpw/data.php (02.10.2016).
5 Zum Beispiel MEDEA (Modeling semantically Enriched Digital Editions of Accounts), https://medea.hypotheses.org/ (02.10.2016) oder jüngst das Symposium Digital Scholarly Editions as Interfaces, https://informationsmodellierung.uni-graz.at/de/aktuelles/digital-scholarly-editions-as-interfaces/ (02.10.2016).
6 Siehe etwa die Jahrrechnungen der Stadt Basel 1535 bis 1610, http://gams.uni-graz.at/context:srbas (02.10.2016).