Cover
Titel
Inszenierte Geschichtsbilder. Museale Sinnbildung in Bayerisch-Schwaben vom 19. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit


Autor(en)
Bendl, Eva
Reihe
Bayerische Studien zur Museumsgeschichte 2
Erschienen
Anzahl Seiten
324 S., 54 s/w Abb.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Zechner, Berlin

Historische Museen sollen Geschichte machen – und liefern damit mannigfache Identitätsangebote. Ein solcher Befund gilt hierzulande nicht nur für gesamtstaatliche Institutionen wie das Deutsche Historische Museum in Berlin oder das Haus der Geschichte in Bonn, sondern auch für zahlreiche Museen kommunaler Trägerschaft. Versuche der Sinnstiftung erfolgen dort über die lokale Identifikation, die aber durchaus mit übergeordneten regionalen und nationalen Zugehörigkeiten verknüpfbar ist. Im deutschen Sprachraum dominierte dabei lange das Modell des Heimatmuseums, dessen patriotische bis nationalistische Grundkonzeption deutlich moderne- und zivilisationskritische Züge aufwies.1

An dieser Stelle setzt das vorzustellende Buch an, das auf einer Augsburger geschichtswissenschaftlichen Dissertation beruht und zehn Lokalmuseen der Region Bayerisch-Schwaben analysiert: neben dem Maximilianmuseum Augsburg unter anderem Einrichtungen in Kempten, Lindau und Memmingen. Dabei interessiert die Autorin Eva Bendl, „wie sich politische Veränderungen auf die Geschichtsbilder scheinbar unpolitischer historischer Museen auswirkten“ (S. 21). Folgerichtig erstreckt sich der ambitionierte Untersuchungszeitraum über mehrere Zäsuren hinweg vom Beginn des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, wobei die Quellenlage nicht für alle Perioden und Häuser gleich umfassend ausfallen kann.

Der geographische Fokus liegt darin begründet, dass Bayern – neben der Hauptstadt München vor allem die Untersuchungsregion Schwaben – um 1900 unter die „am stärksten musealisierten Gegenden des deutschsprachigen Raums“ (S. 15) zu rechnen gewesen sei.2 Begünstigende Faktoren waren Bendl zufolge erstens die aktive Geschichtspolitik der um den kollektiven Zusammenhalt besorgten Wittelsbacher, zweitens das bürgerliche Engagement in den vormals primär adligen Praktiken des Sammelns und Stiftens und drittens die Vorbildwirkung der in den 1850er-Jahren gegründeten Institutionen mit überlokalem Anspruch wie das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg oder das Bayerische Nationalmuseum in München.3

Im Einklang mit der neueren Museumsforschung versteht der Band Ausstellungen als „Schauplätze von Repräsentation und Distinktion“ (S. 13), die dem Publikum unter anderem Bilder des Eigenen und des Fremden nahebringen sollen. Deren Rekonstruktion gestaltet sich indes – wie Bendl eingesteht – kompliziert, wenn als Untersuchungsmaterial nur noch Photographien und Texte statt der dreidimensionalen Expositionen selbst vorhanden sind; ähnlich schwierig ist auf der Rezeptionsseite der umfassende Einbezug von Besucherreaktionen, sodass hier stattdessen Kuratorenperspektive und Organisationsgeschichte im Vordergrund stehen.

Bereits die Gründung der untersuchten Museen wurde laut Bendl von lokalen Identitätsbedürfnissen der Städtekonkurrenz vorangetrieben, die sich von Anfang an mit Fragen regionaler und dynastischer Zugehörigkeit verbanden. Im Prozess der Musealisierung erfolgte ab den 1840er-Jahren eine Fokusverschiebung von der römischen Antike zum romantisch verstandenen Mittelalter, nach der Reichsgründung 1871 ergab sich die zusätzliche Herausforderung einer Vermittlung mit der kleindeutsch-nationalen Ebene – immerhin hatte Bayern fünf Jahre zuvor im ‚Deutschen Krieg‘ noch auf der Seite Österreichs gegen Preußen gekämpft.

Die folgende Entwicklung prägten die volkskundlichen Überlegungen des Münchner Museumsdirektors und Professors für Kulturgeschichte Wilhelm Heinrich Riehl, der in seinen vielgelesenen Werken einen bestimmenden Zusammenhang von ‚Land und Leuten‘ behauptete.4 Um 1900 beobachtet Bendl im Rahmen einer zunehmenden Kommunalisierung und Professionalisierung des vorher oft vereinsgestützten Museumswesens sowohl Neugründungen als auch Umgestaltungen gemäß dem Heimatideal. Inszenatorischen Ausdruck fand dies im skandinavisch beeinflussten Stubenprinzip, das der „ganzheitlichen Illusion“ (S. 111) einer zeitenthobenen Bauern- und Bürgeridylle verpflichtet war.

Nach 1918 verschob sich – so Bendl – der Schwerpunkt der Museumsarbeit weiter vom Ideal rationaler Aufklärung zum Ziel emotionaler Gemeinschaftsbildung, wodurch radikalnationalistische und völkische Positionen mehr und mehr Einfluss gewinnen konnten. Mit der NS-Machtübernahme 1933 erfolgte einerseits eine museale Selbstgleichschaltung bei verstärkter Rhetorik der rassebasierten Heimat- und Volkstümlichkeit; andererseits fanden aber Einrichtungen in der Provinz im Gegensatz zu Museen in Berlin und München oder temporären Propagandaausstellungen nicht die erhoffte finanzielle und personelle Unterstützung.5

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wollten die Alliierten dann die untersuchten Einrichtungen für Zwecke der ‚reeducation‘ einsetzen, während die Museumsmacher erneut die Wichtigkeit einer nun demokratisch formulierten Heimatverbundenheit betonten. Solche Äußerungen versteht Bendl nachvollziehbar als weitere Belege für die „immense Anpassungsfähigkeit“ (S. 286) des Heimatmuseums an die jeweiligen Zeitläufte: Denn die mannigfachen Systemwechsel vor allem des 20. Jahrhunderts schlugen sich eher in semantischen Optimierungen nieder als in wirklichen Veränderungen von Konzeption und Präsentation.

Als Untermauerung dessen liefert die übersichtlich strukturierte und gut lesbare Studie detaillierte, aus den Quellen geschöpfte Informationen zur Geschichte bayerisch-schwäbischer Heimatmuseen über einen Zeitraum von fast 150 Jahren. Zudem bettet Bendl ihre Ergebnisse immer wieder in die breitere Forschung ein, vor allem im Aufzeigen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den Museumslandschaften etwa Frankens oder Westfalens. Instruktive Erkenntnisse bieten auch ein Exkurs zum Schicksal von Ethnographica in Heimatsammlungen sowie die Ausführungen zur „Historisierung der Gegenwart“ (S. 205) in musealen Aktivitäten während des Ersten und Zweiten Weltkrieges.

Hinsichtlich einiger museologischer Aspekte fällt das Fazit nicht ganz so positiv aus: Obgleich Bendl selbst auf die Unmöglichkeit retrospektiver Besucherforschung und die prinzipielle Subjektivität von Publikumsreaktionen hinweist, spricht sie dennoch von einer „Deutungshoheit“ (S. 13) der Ausstellungsmacher – vergleichbar unbelegt ist die Behauptung einer besucherlenkenden Wirkung von gedruckten Museumsführern (siehe S. 17). Ferner bezeichnet der Begriff „Museumsgestalter“ (S. 13) eigentlich nicht wie hier alle Ausstellungsbeteiligten, sondern spezieller die mit Architektur und Inszenierung befassten Personen.

Nichtsdestotrotz kann sich die Lektüre auch über den Kreis bayerischer Landeshistoriker hinaus für diejenigen lohnen, die an den vielfältigen Facetten des Forschungsfeldes Geschichtsmuseen und Museumsgeschichte interessiert sind.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Typus Heimatmuseum Martin Roth, Heimatmuseum. Zur Geschichte einer deutschen Institution, Berlin 1990.
2 Vgl. zu aktuelleren Entwicklungen Ulla-Britta Vollhardt, Geschichtspolitik in Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte zwischen Privatinitiative und Institutionalisierung, München 2003.
3 Vgl. dazu Bernward Deneke / Rainer Kahsnitz (Hrsg.), Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852–1977. Beiträge zu seiner Geschichte, München 1978; Peter Volk, Das Bayerische Nationalmuseum in München. Konstanz und Wandel, in: Marie-Louise von Plessen (Hrsg.), Die Nation und ihre Museen, Frankfurt am Main 1992, S. 191–199.
4 Vgl. dafür auch Ingolf Bauer, Wilhelm Heinrich Riehl und das Bayerische Nationalmuseum, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1997, S. 13–27.
5 Vgl. dazu jetzt Tanja Baensch / Kristina Kratz-Kessermeier / Dorothee Wimmer (Hrsg.), Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik, Köln 2016.

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