T. Winkelbauer (Hrsg.): Haus? Geschichte? Österreich?

Cover
Titel
Haus? Geschichte? Österreich?. Ergebnisse einer Enquete über das neue historische Museum in Wien


Herausgeber
Winkelbauer, Thomas
Reihe
Austriaca. Schriftenreihe des Instituts für Österreichkunde
Erschienen
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carlo Moos, Historisches Seminar, Fachbereich Neuzeit, Universität Zürich

Der Band dokumentiert im Wesentlichen die Enquete vom Oktober 20151 zum geplanten Haus der Geschichte Österreich (umstrittenerweise ohne Genitiv-s) und ist mit seinen 20 Beiträgen bei einer ersten flüchtigen Durchsicht etwas irritierend, denn es findet sich nichts darin, was unwidersprochen bliebe. Bei genauerem Zusehen entpuppt sich das Werk aber als interessante Illustration dessen, was man als aktuellen Stand der Debatte über Österreich und seine (Zeit-)Geschichte und über die Art, wie sie präsentiert oder nicht präsentiert werden soll, interpretieren kann. Wolfgang Maderthaner spricht denn auch von einer zutiefst österreichischen Debatte, bei der allerdings nie Inhalte zur Diskussion stünden (S. 213).2

Schnellen Leserinnen und Lesern mag die prägnante Einleitung „Ergebnisse einer Enquete“ von Thomas Winkelbauer zu ihren relevanten Fragen, Themen und Argumenten sowie die mit Blick auf die Kosten eher kritische Anstatt-Zusammenfassung „Zur Engführung der Diskussionen um ein Haus der Geschichte“ von Andrea Brait ausreichen, deren abschließende Passage „Realisierung oder neuerliches Scheitern?" auf letzteres zuzusteuern scheint.3

Eine aufmerksame Lektüre des ganzen Buches mit den Kapiteln zu gescheiterten Anläufen und älteren Projekten sowie zum aktuellen Projekt und der Fundamentalkritik daran und mit weiteren Vorschlägen und Überlegungen lohnt sich indessen unbedingt, denn es zeigen sich fast exemplarisch die Vielschichtigkeit und die Gefahren im Kontext von (vermeintlich) kollektivem Erinnern und Vergessen sowie die Herausforderungen, die ein Haus der (Zeit-)Geschichte Österreichs zu bewältigen hat. Wenn Johanna Rachinger neben einer großen Chance auch von der Gefahr „eines allgemein verbindlichen, ‚von oben’ verordneten Geschichtsbildes“ (S. 96) und Gottfried Fliedl in einem Totalverriss von einem „Kanzleramtsmuseum“ spricht, dessen gesellschaftlicher Sinn nicht klar werde (S. 185f.), geht es Oliver Rathkolb, dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats des Projekts, umgekehrt um Räume der Diskussion und Verhandlung über Geschichte und gerade nicht um politisch verordnete Selbstdarstellungen (S. 67), während Heidemarie Uhl historische Museen als Seismographen versteht, die Gesellschaften und ihre Wertorientierungen sichtbar werden lassen (S. 86).

Bei genauerer Lektüre erweisen sich einige argumentative Hauptschienen zum Standort des angedachten Hauses, zum von ihm zu präsentierenden Zeitraum und dessen Anfangsjahr sowie zu den präferierten thematischen Richtungen und dem angepeilten (möglichst jungen) Publikum, dem als „Ehrenpflicht“ der freie Eintritt gewährt werden sollte (Wolfgang Häusler, S. 254).

Was die Situierung des Museums in der Neuen Hofburg anbelangt, ist die Spannweite zwischen Zustimmung und Ablehnung extrem. Für den auf einer grundsätzlich positiven Basis sehr kritischen Gerhard Botz ergibt sich von einem derart imperial aufgeladenen Ort nur „Fremdenverkehrskitsch“ (S. 121). Noch schärfer der von der Hofburg irritierte Helmut Rumpler, der von einer „Schande“ spricht (S. 258f.), während sich Michael Hochedlinger im Kontext einer Fundamentalkritik am heutigen „universitären Wohlfühlfach ‚Geschichte’“ (S. 151) gegen das Museumsprojekt am Heldenplatz als „(unfreiwillig) selbstironisches ‚Geschichtsminimundus’“ (S. 164) äußert; wie in der Bundesrepublik treffe „bedeutende Vergangenheit [...] auch bei uns auf keine adäquate Gegenwart“ (S. 163). Für Eva Blimlinger ist ein Hauptkritikpunkt neben der seltsam begründeten Finanzierung die mit dem Haus-der-Geschichte-Projekt verknüpfte „Redimensionierung“ des Weltmuseums und der „weltweit bedeutenden Sammlung alter Musikinstrumente“ (S. 196), für die sich eine größere Öffentlichkeit freilich vorher wenig interessierte. Demgegenüber stellt Wolfgang Häusler die Bedeutung des Standorts sehr klar heraus und verweist auf die Risse und Brüche einer vermeintlichen Kontinuität, die sich gerade am kolossal sinnlosen Torso der seltsam verspäteten Neuen Hofburg aufzeigen lassen (S. 246, 248f.).

Auch zur trotz den vorgesehenen Rückblenden und Tiefenbohrungen schwerpunktmäßig mit 1918 einzusetzenden „Zeitgeschichte“ und ihrem „Umfang“ äußert sich Gerhard Botz kritisch (S. 122ff.) und verweist auf die Komplexität bei Österreichs „Brüchen“ angesichts der Überlappung und Gleichzeitigkeit von Kontinuitäten und Diskontinuitäten in seiner Geschichte (S. 126). Demgegenüber betonte Gerald Stourzh in einem Diskussionsvotum nachdrücklich die Wichtigkeit von „Kontinuitätslinien über die Grenzen von 1918 und 1848“ hinaus (S. 19). Nicht zu Unrecht kritisiert Brigitte Mazohl die geplante zeitliche Verkürzung und Beschränkung auf das 20. und 21. Jahrhundert und die „Ausblendung der gemeinsamen Geschichte mit ‚Deutschland’“ (S. 227f.) und will (allzu) weit in die „historische Tiefendimension ‚Österreichs’“ zurückgreifen, weil „ohne das Österreich Maria Theresias und Metternichs“ auch „das Deutschland Hitlers nicht verstanden werden“ könne (S. 234).

Während der Herausgeber am Schluss der Einleitung für die Berücksichtigung der Geschichte der Habsburgermonarchie und der mit ihr assoziierten Geschichtsbilder und Mythen und vielleicht auch Anekdoten und Legenden plädiert (S. 24), möchte Wolfgang Häusler die Bedeutung von 1848 als Beginn des noch nicht zu Ende gegangenen langen und schwierigen Wegs der Demokratie (S. 243) generell stärker gewichten. Helmut Rumpler betont schließlich, dass die Republik von 1918 eine Vorgeschichte hat, die im Kontext des geplanten Hauses weniger von den maria-theresianisch-josephinischen Reformen oder vom Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 1811 und dem Grundsteuerkataster 1817 als vom Gründungsjahr des cisleithanischen Österreich 1867 als dem entscheidenden Ereignis ausgehen müsse (S. 263ff.).

Einem gegenüber dem Projekt wohlgesinnten nichtösterreichischen Leser, der zufällig als Rezensent wirkt, scheint im vorliegenden Buch manches in der Art von Hahnenkämpfen abzulaufen, indem vornehmlich Positionen abgesteckt und Reviere verteidigt werden, und es erfasst ihn eine gewisse Ahnung, dass einmal mehr eine Chance vergeben werden könnte, die sich nicht so bald wieder einstellen dürfte. Jedenfalls hofft dieser Leser sehr, dass man sie doch nützen möge. Eine virtuelle Ausstellung analog zur „Welt der Habsburger“ (S. 207f.), für die Karl Vocelka plädiert, scheint ihm kein Ersatz; vielmehr riskiert eine solche im Netz zu verpuffen. Ein Museum muss man sehen und betreten können, und eine Ausstellung ist – wie Ernst Bruckmüller moniert – immer ein Raumerlebnis und könnte vor allem konfrontative Bilder (über Österreich) präsentieren (S. 219f.).4 Allerdings darf sie nicht für alle Zukunft in Stein gemeißelt sein, sondern sollte sich entwickeln und verändern können und deshalb mit einer gewissen Flexibilität (sowohl in den baulichen Elementen wie mit den eingesetzten Materialien) erstellt werden.

Wenn das Haus der Geschichte als Folge der Polemiken jetzt nicht gelingt, gibt es erneut nichts, und dann bliebe Hitlers Balkon, auch wenn er ursprünglich nur als Dach für eine Kutscheneinfahrt errichtet worden sein mag (S. 279), weiter so ‚unbespielt’ wie bis anhin, während er in Wahrheit der Erinnerungs-Ort der österreichischen Zeitgeschichte schlechthin sein müsste.

Anmerkungen:
1 Vgl. Tagungsbericht: Braucht Österreich ein neues historisches Museum („Haus der Geschichte“) und, wenn ja, was für eines? Eine Enquête, 12.10.2015 Wien, in: H-Soz-Kult, 03.11.2015, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6237> (16.09.2016).
2 Dem hilft Maderthaner selber durch den Hinweis auf zwei bedeutende Projekte des von ihm geleiteten Österreichischen Staatsarchivs zur Wiedereinschreibung der jüdischen in die allgemeine Geschichtsschreibung (S. 215ff.) ab.
3 Demgegenüber ist für die letzten Entwicklungen auf die Projekt-Website <http://www.hdgoe.at> zu verweisen (11.09.2016).
4 Als Beispiel nennt Bruckmüller die von ihm zusammen mit Peter Urbanitsch betriebene Planung der österreichischen Länderausstellung von 1996 (S. 220–226).

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