W. Telesko u.a.: Der verklärte Herrscher

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Titel
Der verklärte Herrscher. Leben, Tod und Nachleben Kaiser Franz Josephs I. in seinen Repräsentationen


Autor(en)
Telesko, Werner; Schmidl, Stefan
Erschienen
Wien 2016: Praesens
Anzahl Seiten
133 S.
Preis
€ 19,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Leitner, Graz

Kaiser Franz Joseph I. hat wie kaum ein anderer Repräsentant der Dynastie Habsburg-Lothringen eine Ausstrahlung entfaltet, die einzigartig geblieben ist. Mit dazu beigetragen hat der Aufschwung der Donaumonarchie, der sich in den Jahrzehnten von 1848 bis zum Ersten Weltkrieg in vielfacher Weise, sowohl in industriell-technologischer Hinsicht wie auf kultureller und künstlerischer Ebene, manifestiert hat. Diese Prämissen haben ihren Eingang in unzählige wissenschaftliche Studien genommen und haben sich in einer beinahe unüberschaubaren Zahl an Publikationen, die sich dieser zeitlichen Spanne angenommen haben, ausgedrückt.

Der Kunsthistoriker Werner Telesko und der Musikwissenschaftler Stefan Schmidl rücken einen bisher kaum beachteten Aspekt in das Zentrum ihrer Untersuchung, nämlich die Präsenz der Persönlichkeit Kaiser Franz Joseph I. in Kunst und Musik. Telesko und Schmidl titulieren den vorletzten österreichischen Regenten als „verklärten“ Herrscher (S. 114) schon zu Lebzeiten und sehen es als Aufgabe ihres Werkes, die mit Franz Joseph verknüpften visuellen und musikalischen Strategien freizulegen und somit einen Beitrag zur Entmythisierung des Regenten zu leisten. Die für das Untersuchungsgebiet großen Bestände der Österreichischen Nationalbibliothek und des Österreichischen Staatsarchivs stellten eine nicht zu unterschätzende Hilfe beim Zustandekommen der Untersuchungen dar, was sich nicht zuletzt auch in der Publikation bis jetzt weitgehend unveröffentlichten Quellenmaterials zeigt. Als methodischen Zugang nützen Telesko und Schmidl einen kulturwissenschaftlichen Ansatz, nämlich die Vorstellung von der Dualität des natürlichen und politischen Körpers, erweitert um jene des heiligen Körpers.1

Die Tatsache der Überhöhung, Verklärung und Mythisierung des Regenten in audio- und visueller Natur geschah in etlichen Varianten: In Bildern und Texten, in Dichtung, Kompositionen, Graphik, Photographie, Ansichtskarten, Malerei, Lebenden Bildern, Panegyrik und Prozessionen sowie höfischen Festen. Sinn des Ganzen war es, ein Bild Franz Josephs zu zeichnen, das hoch über den Wirrnissen und Abgründen der Zeit stehen und die Integrität des Herrschers in den Vordergrund rückten sollte. Denn jeder „verklärte“ Herrscher ist gleichzeitig ein charismatischer Herrscher, abgeschirmt vom Getöse der Welt und dem Alltag entrückt. Somit stehen Macht und Popularität in einer dynamischen Beziehung zueinander.

Seitens des Herrscherhauses erfolgte die Repräsentation „von oben“, indem sie bestimmte Merkmale und Tugenden in den Fokus der jeweiligen Darstellung rückt. Somit wird der Protagonist ästhetisiert und enthistorisiert, er bildet die Basis für eine simplifizierende und propagandistisch verwertbare Personalifizierung historischer Prozesse. In den Verläufen der Kommunikation übernahmen die visuellen Medien eine darstellende bzw. reflektierende Funktion, das heißt einerseits, sie bildeten ab. Durch das ihnen spezifische visuelle Potential griffen sie jedoch auch performativ ein und erzeugten so eine eigene Wirklichkeit, die bestimmte Botschaften an den jeweiligen Adressaten übermittelte. Besonders zeigt sich dies in der Flut der Bilder monarchischer Ikonographie – eine Kompensation der unausweichlichen Endlichkeit des menschlichen Körpers (S. 15). Auch die bewusste „Nahbarkeit“ als Gegenpol zu Idealisierung und Mythisierung findet Anwendung: Hier werden die Regierenden als Menschen „wie du und ich“ dargestellt, insbesondere im Typus als „Arbeiter des Volkes“, in welchem Franz Joseph als „erster Diener“ seines Volkes gezeigt wird.

Zu Lebzeiten Franz Josephs stellte die Herrscherikonographie gleichsam das Zentrum des monarchischen Selbstverständnisses dar. Es diente dazu, „der Öffentlichkeit gegenüber das politische System zu rechtfertigen und zu festigen“.2 Bezeichnend für die ganze monarchische Image-Produktion ist eine bislang nicht bekannt gewesene breite Ebene der Optionen der Wiedergabe des Regenten vor dem Hintergrund einer intensivierten Produktion aller Bild- und Textmedien (z. B. Portraits Franz Josephs im Ornat des Ordens vom Goldenen Vlies, primär in Denkmälern und öffentlichen Gebäuden). Zusammengefasst und neu strukturiert wurden die angeblichen Eigenschaften des Kaisers in Zeitungen und Jubiläumspublikationen. So wurde eine Art „Lebensroman“ (S. 20) Franz Josephs konstruiert. Wesentliche Ingredienzien dazu bildeten seine Hochzeit mit Elisabeth 1854 oder auch die ungarische Krönung im Jahr 1867. In musikalischer Hinsicht ergänzte die Krönungsmesse von Franz Liszt die visuelle Ebene, indem er den Dualismus Österreich-Ungarns besiegelte – dies trotz so mancher ungarischer Spezifitäten.

Bei imperialen Hoheitsakten waren deren klanglich-visuelle Rahmungen gleichfalls Teil der Inszenierung. Einerseits agierte Franz Joseph hier als gottgesalbter Regent höfischer Kultur, auf der anderen Seite wurden dem Kaiser von Seiten öffentlicher Einrichtungen, Institutionen und Privatinitiativen Huldigungen entgegengebracht. Auch die Feiern und Rituale der Dynastie Habsburg-Lothringens hatten eine Systematisierung der Zeit zur Folge, die den Gegenpol zur unvorhersehbaren Macht der Geschichte bildete. So stellte auch der „Makart-Festzug“, der 1879 anlässlich der Feier der silbernen Hochzeit von Franz Joseph und Elisabeth veranstaltet wurde, eine neuartige Verschmelzung bürgerlicher und dynastischer Traditionslinien dar. In weiterer Folge sollten sich die Jubiläen der Jahre 1898 und 1908 als Höhepunkte der Mythisierung des Kaisers erweisen.3 Dies geschah, indem das Image Franz Josephs an die historischen Ruhmestaten „seiner“ Dynastie geknüpft wurde. So diente auch der Kult des Antlitzes Franz Josephs als emotionales Zentrum des Herrschermythos, war doch die Physiognomie des Kaisers in der Medienpolitik und der Belletristik schon im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer Art Ikone stilisiert worden (S. 60). Das Gesicht des Kaisers wurde gleichgesetzt mit dem Wesen des Österreichischen schlechthin, wurzelnd in einem Leitbegriff der Christologie: Eine Gestalt (der Kaiser), diesem Lande eingeboren und verwurzelt.4

Die Wirkmächtigkeit des habsburgischen Zeremoniells wurde schließlich auch durch den Tod Franz Josephs bestätigt, denn noch zu Lebzeiten hatte man angefangen, das Leben des Kaisers als eine abgeschlossene Kontinuität darzustellen. In diesem Zusammenhang bedeutete der Tod auch keinen wirklichen Einschnitt mehr, hatte sich doch das Wirken des Regenten in seinem hagiographisch vielfach präsenten Profil bereits erfüllt und war im mythischen Sinn verklärt worden. Das kaiserliche Begräbnis selbst war auch ein Ereignis für die Medien, die den vielfältigen „Lebensroman“ des Kaisers in verschiedensten Aufmachungen umsetzten. Der Wunsch nach einer verklärten Vergangenheit entsprach in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhundert gleichfalls der mythisch-verklärten und überhöhten Vorstellung der Person des Kaisers. Der Bogen spannt sich von der Operette (Im weißen Rössl) bis hin zum Film der Nachkriegszeit (Sissys Brautfahrt und Sissy) sowie den Popularmythologien Franz Josephs in der Gegenwart.

Werner Telesko und Stefan Schmidl haben in ihrer Arbeit eine unglaubliche Bandbreite an bisher gar nicht oder wenig bekannten Aspekten der Imagebildung Kaiser Franz Josephs dargelegt. Als besonders gelungen darf die interdisziplinäre Kooperation des Kunsthistorikers und des Musikwissenschaftlers hervorgehoben werden. Die Darstellung einer herrschenden Person als mythische Überhöhung ist zwar ein bekanntes und oft praktiziertes Verfahren, aber die akribisch angelegte und mit großer Umsicht ausgeführte Vorgangsweise der Autoren bringt Licht in bisheriges Dunkel und gibt Anreize, sich mit unzähligen, bis jetzt ignorierten oder übergangenen Aspekten dieser Thematik zu beschäftigen. Wahrlich ein lohnendes Feld!

Anmerkungen:
1 Vgl. Kristin Marek, Die Körper des Königs. Effigies, Bildpolitik und Heiligkeit, München 2009.
2 Vgl. Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000.
3 Vgl. Elisabeth Großegger, Der Kaiser-Huldigungs-Festzug Wien 1908, Wien 1992.
4 Vgl. Hans Wagener, Franz Joseph I. Eine Gestalt für alt und jung. Das Bild des Kaisers bei Felix Salten, in: Leopold R. G. Decloedt (Hrsg.), An meine Völker. Die Liberalisierung Franz Joseph I., Bern 1998.

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