J.R. Flemming: Inventing Atmospheric Science

Cover
Titel
Inventing Atmospheric Science. Bjerknes, Rossby, Wexler, and the Foundations of Modern Meteorology


Autor(en)
Fleming, James Rodger
Erschienen
Cambridge 2016: The MIT Press
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
$ 31.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Kaiser, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

James Rodger Fleming, Professor für Science, Technology and Society am Colby College in Waterville, Maine, ergänzt mit dem 2016 erschienenen Buch „Inventing Atmospheric Sciences“ seine bereits umfangreiche Publikationsliste zur Meteorologiegeschichte.1 Der Untersuchungszeitraum seines Buchs erstreckt sich über etwas mehr als 60 Jahre von 1900 bis in die frühen 1960er-Jahre. In diese Zeit fallen für die Meteorologie zentrale Entwicklungen wie die Transformation zu einer Physik der Atmosphäre, die Etablierung der numerischen, computergestützten Wetterprognose sowie die ersten Klimamodellierungen, die bereits seit längerer Zeit im Fokus von Historikerinnen und Historikern sind.2

Fleming wählt einen biografischen Zugriff und beleuchtet anhand der Leben und Karriereverläufe von drei Hauprotagonisten – Vilhelm Bjerknes (1862–1951), Carl-Gustaf Rossby (1898–1957) und Harry Wexler (1911–1962) – die Geschichte der Meteorologie und ihrer Technologien für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Fleming nutzt dazu erstmals ausgewertete Quellen wie beispielsweise den Austausch Bjerknes’ mit der Carnegie Institution, Rossbys verstreute private Briefe oder Wexlers offizielle wie auch persönliche Akten.

Im ersten Kapitel zeichnet Fleming den Karriereverlauf des norwegischen Physikers und Meteorologen Vilhelm Bjerknes’ von Stockholm über Leipzig bis zur Gründung der sogenannten „Bergen School“ nach und zeigt, wie seine Forschung zur Transformation der Meteorologie zu einer physikalischen und mathematischen Wissenschaft auf der Grundlage der Fluidmechanik und Thermodynamik beitrug. Es wird deutlich, wie schnell die grafischen Methoden der „Bergen School“, mit denen unlösbare mathematische Probleme gehandhabt wurden, in der bereits eng vernetzten meteorologischen Scientific Community im frühen 20. Jahrhundert ihre Wirkmächtigkeit entfalteten. Sehr detailliert beschreibt Fleming zudem die Kontakte Bjerknes’ in die USA, insbesondere zur Carnegie Institution, einer 1902 gegründeten Stiftung zur Wissenschaftsförderung, und der damit einhergehenden Rezeption der Arbeiten der „Bergen School“ wie beispielsweise der Polarfront-Theorie durch US-amerikanische Meteorologen.

Im Zentrum des zweiten Kapitels steht der schwedische Meteorologe und Bjerknes-Schüler Carl-Gustav Rossby, der zunächst am Massachusetts Institute of Technology lehrte und ab 1939 die Forschung des US-amerikanischen Wetterdienstes leitete. In die biografischen Ausführungen eingeflochten sind längere Passagen zu technologischen Entwicklungen wie etwa der Radiosonden oder der digitalen Datenverarbeitung. Fleming sieht die Bedeutung Rossbys darin, dass er drei bedeutende akademische Ausbildungsprogramme in Cambridge, Chicago und Stockholm maßgeblich mitprägte, durch die Gründung mehrerer Zeitschriften die Forschungslandschaft mitbestimmte und durch seine gute politische Vernetzung der wissenschaftlichen Disziplin Meteorologie zu größerer Aufmerksamkeit verhalf.

Während es sich bei Bjerknes und Rossby um bekannte Meteorologen handelt, die in der wissenschaftshistorischen Forschung bereits auf entsprechendes Interesse gestoßen sind, wurde dem dritten Protagonisten Harry Wexler bisher weniger Aufmerksamkeit zuteil. Der „grand student“ (S. 218) Rossbys war mitverantwortlich für die Einführung der Luftmassen-Analyse im US-amerikanischen Wetterdienst und leitete während des Zweiten Weltkrieges die Ausbildung tausender vom US-Militär benötigter „Wetteroffiziere“. Fleming sieht ihn aufgrund seiner Funktion als Leiter der Forschungsabteilung des Wetterdienstes ab 1946 als eine Schlüsselfigur für drei wichtige Ereignisse: die Entwicklung des ersten Wettersatelliten TIROS-1 (Inbetriebnahme 1960), die Etablierung einer funktionsfähigen numerischen Wetterprognose und die Modellierung der allgemeinen Atmosphärenzirkulation. Zudem streicht er Wexlers diplomatische Bedeutung als Chefunterhändler der USA für die „World Weather Watch“ heraus, einem Projekt zur friedlichen Nutzung des Weltraums auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.

Im vierten und letzten Hauptkapitel löst sich Fleming von der biografischen Herangehensweise und skizziert für die Jahre 1957 bis 1962 „a rapid transition from meteorology to atmospheric science“. „Atmospheric science“ verwendet er dabei als Sammelbegriff für die interdisziplinäre Forschung zur Zusammensetzung, Struktur und Dynamik der Erdatmosphäre, deren Herausbildung er durch ausgereifte theoretische Modelle, ausgebaute Beobachtungsnetzwerke sowie die politischen Interessenlagen des Kalten Krieges begründet sieht.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass die Netzwerke von Akteuren und Institutionen gleichsam kompakt wie hochauflösend dargestellt werden. Damit kann es als hilfreiches Nachschlagewerk für die Meteorologiegeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dienen. Des Weiteren weist Fleming auf blinde Flecken der bisherigen Forschung hin und eröffnet neue Fragestellungen für die Meteorologiegeschichte. Dass er insbesondere der bisher unbekannten Meteorologin Anne Beck, die in den frühen 1920er-Jahren nach einem Studienaufenthalt in Bergen erstmals die Methoden von Bjerknes in den US-Wetterdienst einführte, späte Anerkennung verschafft, ist lobenswert, auch wenn er die entscheidende Frage, warum ihre Arbeit von ihren Kollegen kaum wahrgenommen wurde und sie deshalb in der wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit verschwand, selbst nicht beantworten kann.

Aus mehreren Gründen ist das Buch jedoch auch problematisch und es bleibt fraglich, ob Fleming die von ihm angestrebte „big picture history“ (S. 3) zu leisten vermag. Ohne eine konkrete Forschungsfrage zu formulieren, schreibt Fleming hauptsächlich eine Geschichte der „großen Meteorologen“ und ihrer „talentierten Studenten“, die wegweisende Aufsätze und Bücher publizierten. Es ist bezeichnend, dass die von Naturwissenschaftlern verfassten Rezensionen des Buches äußerst positiv ausgefallen sind.3 Denn Fleming bietet in erster Linie einen „Erinnerungsdienst“ der Atmosphärenwissenschaften, der oft die kritische Distanz zu den Akteuren vermissen lässt und so teilweise hagiografische Züge annimmt.

Während man über das (private) Leben der Akteure Neues – bis hin zum Liebesleben – erfährt, folgt Fleming hinsichtlich der Entwicklung der Meteorologie weitgehend den etablierten Thesen und Narrativen. Dabei geht er kaum über die Beschreibungsebene hinaus und die eingestreuten Anekdoten oder Auszüge aus persönlichen Briefen bieten selten einen Mehrwert für die Beschäftigung mit der Geschichte der Meteorologie als wissenschaftlicher Disziplin. Zudem bleibt die konkrete Wissensproduktion angesichts der Ankündigung Flemings, eine Geschichte der „research practices“ (S. 8) zu schreiben, unterbeleuchtet. Eine wissenschaftshistorische Darstellung, welche mehr den praktischen Dimensionen der Meteorologie Rechnung trägt, bleib damit weiterhin ein Desiderat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich eine Lektüre für (Wissenschafts-)Historikerinnen und Historiker hauptsächlich dann lohnt, wenn man sich konkret für die Biografien der einzelnen Protagonisten und Protagonistinnen interessiert. Für Laien bietet es zudem einen durchaus guten Überblick zentraler Entwicklungen der Meteorologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen:
1 James Rodger Fleming, Fixing the Sky. The Checkered History of Weather and Climate Control, New York 2010; ders., Meteorology in America, 1800–1870, Baltimore 1990; ders., Global Environment Change and the History of Science, in: The Cambridge History of Science, Cambridge 2009, S. 634–665; ders., Sverre Petterssen, the Bergen School, and the Forecast for D-Day, in: Proceedings of the International Commission on History of Meteorology 1 (2004) 1, S. 75–84.
2 Siehe Robert Marc Friedman, Appropriating the Weather. Vilhelm Bjerknes and the Construction of Modern Meteorology, New York 1989; Kristine C. Harper, Weather by the Numbers. The Genesis of Modern Meteorology, Cambridge 2008; Paul N. Edwards, A Vast Machine. Computer Models, Climate Data, and the Politics of Global Warming, Cambridge 2010.
3 Siehe Anthony J. Vegas, Inventing Atmospheric Science, in: The AAG Review of Books 4/3 (2016), S. 153–155; Alan Thorpe, The Brainstormers, in: Nature 532 (2016), S. 30–31.