M. König: Der Staat als Zuhälter

Cover
Titel
Der Staat als Zuhälter. Die Abschaffung der reglementierten Prostitution in Deutschland, Frankreich und Italien im 20. Jahrhundert


Autor(en)
König, Malte
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 131
Erschienen
Berlin 2016: de Gruyter
Anzahl Seiten
488 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Bruns, Seminar für Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Maßgeblich mit der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten begründet, wurden im 19. Jahrhundert Prostituierte in ganz Europa in Bordellen vom Rest der Gesellschaft segregiert, polizeilich registriert und einem medizinischen Kontrollregime unterworfen. Die vorliegende Studie, die aus der Habilitationsschrift von Malte König hervorgeht, beschäftigt sich mit der Frage, wie und warum diese Reglementierung abgeschafft wurde und weshalb dies in Deutschland, Frankreich und Italien, den drei untersuchten Staaten, zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschah. Trotz der ausgiebigen Literatur zur Geschichte der Prostitution in den entsprechenden Ländern, wurde das Thema bisher noch nicht in transnational-vergleichender Perspektive untersucht. Ein solcher Ansatz verspricht dem Autor zufolge, die Hauptursachen für die Abschaffung auszumachen und nationale Eigenheiten identifizieren zu können: „Der Vergleich eröffnet die Möglichkeit, Phänomene aufzuspüren, die zuvor unsichtbar waren. Fragen, die in dem einen Kulturraum wie selbstverständlich gestellt wurden, hat die historische Zunft eines anderen womöglich vernachlässigt oder übersehen.“ (S. 5) Quellengrundlage der Studie bilden vor allem Parlamentsdebatten, welche durch eine Reihe von Publikationen und Dokumenten der in der Diskussion involvierten Akteure ergänzt werden.

Das Buch beginnt mit einem einführenden Kapitel zur Entstehung und Praxis der reglementierten Prostitution, daraufhin folgt eine Darstellung jener Gesetzesinitiativen in den jeweiligen Ländern, welche letztlich zur Abschaffung der rigiden Kontrollregime geführt haben. Das System der Reglementierung war ab der Jahrhundertwende zunehmend in Kritik geraten. Die Registrierung der Prostituierten kam einer Ächtung gleich, Freiheitsrechte und Privatsphäre der Betroffenen wurden extrem eingeschränkt. Gerade die obligatorischen medizinischen Untersuchungen waren „Hauptsorge und Hauptgesprächsthema der Frauen. Nicht nur Gegner der Reglementation verglichen die Untersuchung mit einer Vergewaltigung.“ (S. 43) Erkrankte Prostituierte wurden interniert und zwangsbehandelt. In Deutschland wurde die reglementierte Prostitution 1927 mit dem „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ abgeschafft. In Frankreich wurde in der Zwischenkriegszeit eine rege Diskussion geführt, welche jedoch unter dem Vichy-Regime zum Erliegen kam. Erst nach Kriegsende wurden 1946 mit der „Loi Richard“ die „maisons closes“ geschlossen, die Registrierung dauerte jedoch bis 1960 an. In Italien, wo während des „Ventennio fascista“ das System der Reglementierung ausgebaut und verschärft wurde, kam es erst in der Nachkriegszeit zu einer Diskussion. Zwar wurde bereits 1948 die so genannte „Legge Merlin“ eingebracht, jedoch erst zehn Jahre später verabschiedet.

König macht in der Diskussion um die Abschaffung der Reglementierung vier Argumentationsstränge aus, die in unterschiedlicher Weise in den jeweiligen Ländern eine Rolle gespielt hätten, und geht diesen jeweils in längeren Kapiteln vergleichend nach. Erstens seien dies gesundheitspolitische Argumente, welche Hauptgrund für die Einführung der reglementierten Prostitution gewesen seien. Die Regel in der Debatte habe gelautet: „Wer die Bordelle verteidigen wollte, bezog sich auf die Ansteckungsrate der Prostituierten; wer das System abschaffen wollte, auf die Klientel.“ (S. 202) Interessanterweise lasse sich jedoch kein Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von neuen effektiven Heilmitteln, etwa des Penicillins, und der Abschaffung ausmachen. Zweitens versucht König unter dem Begriff Sozialpolitik weitere Themen zu bündeln. Hierunter fallen Argumente, die ursprünglich zur Rechtfertigung der Prostitution herangezogen worden seien und teilweise auch im 20. Jahrhundert noch eine Rolle gespielt hätten, etwa die Annahmen, dass der männliche Sexualtrieb unkontrollierbar sei, „anständige“ Mädchen vor dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit vor der Ehe geschützt werden müssten und dass der Hang zur Prostitution auf eine biologische Prädisposition zurückzuführen sei. Weiterhin werden an diesem Punkt der Einfluss diverser Lobbyorganisationen auf die Debatte untersucht und problematisiert. König sieht drittens in allen drei Staaten Frauen als entscheidende Akteure in der Abschaffung der Reglementierung. Ihre Präsenz in den Parlamenten habe zu einer Änderung des Diskussionsklimas geführt und männliche Abgeordnete an ihre Verpflichtung den Wählerinnen gegenüber erinnert. Generell spiegele die Reglementierungsdebatte die Auseinandersetzungen um Geschlechterrollen und rechtliche Gleichstellung wider. Schließlich spielten viertens laut König noch Fragen der nationalen Identität eine Rolle in der Debatte. Bordelle hätten sowohl als Symbol für die Lebensart eines Landes gelten als auch Orte des nationalen Verrats sein können. Auch auf Interventionen internationaler Akteure sei unterschiedlich reagiert worden: Mal seien sie als positive Beispiele herangezogen worden, mal sei ihre Einflussnahme als Angriff auf die eigene Souveränität gesehen worden, mal sei die Zusammenarbeit mit ihnen aus opportunistischen Gründen geboten sein können.

Als Ergebnis des Vergleichs konstatiert König, dass die Diskussion um die Abschaffung der Reglementierung in jedem Land anders ausgeprägt gewesen sei. In Frankreich und Deutschland hätten Geschlechtskrankheiten eine größere Rolle gespielt, in Italien hingegen die Vorstellung eines unkontrollierbaren männlichen Sexualtriebes. In der deutschen Debatte seien Prostituierte als Opfer des kapitalistischen Systems angesehen worden, in Italien hätte sich hingegen die Idee der „prostituta nata“ gehalten. In Frankreich seien Bordellbetreiber teilweise offen als politische Lobby aufgetreten, seien aber aufgrund ihrer Kooperation mit der deutschen Besatzungsmacht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs diskreditiert gewesen. Gegenüber internationalen Akteuren habe sich Frankreich zunächst ablehnend verhalten, geriet jedoch zunehmend unter Handlungsdruck, da das Land „im Brennpunkt des illegalen Geschäfts“ (S. 408) gestanden habe. Italien hingegen sei viel stärker auf internationale Forderungen eingegangen, von der Kooperation habe man sich Anerkennung und Einfluss versprochen. Weiterhin versucht König an verschiedenen Stellen grundsätzliche Dynamiken auszumachen, die bei der Abschaffung in allen Ländern eine Rolle gespielt hätten, ihr entweder zugutekamen oder sie verzögerten. Eine Voraussetzung sei die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen gewesen, ja die Demokratisierung generell. Autoritäre Regime hätten stets die Reglementierung befürwortet und ihre Abschaffung verzögert. Darüber hinaus habe gegolten: „Je stärker der Katholizismus in einer Nation vorherrschte, desto langsamer setzte sich der Positionswechsel des Vatikans durch.“ (S. 409)

Malte Königs Studie „Der Staat als Zuhälter“ wird dem eigenen Anspruch gerecht. Sie ist ergebnisorientiert geschrieben und sprachlich gut gelungen. Überzeugend ist insbesondere die Breite des Themenspektrums, das sozial-, kultur-, politik-, medizin- und geschlechtergeschichtliche Entwicklungen umfasst. Die Methode des historischen Vergleichs erweist sich als fruchtbar, insbesondere auch deshalb, weil sie bewusst sowohl synchron als auch diachron angelegt ist. Es gelingt dem Autor grundsätzliche Dynamiken und Grundbedingungen auszumachen. Die in ihrer vollen Komplexität beschriebenen Diskussionsstränge wirken jedoch ein wenig nebeneinander gestellt. Eine konzise Zusammenführung der Ergebnisse unterbleibt leider. Dies ist insbesondere deshalb bedauerlich, da so ebenfalls ein abschließender möglicher Seitenblick auf die Entwicklung in anderen Staaten unterbleibt, welche durchaus in das entworfene Schema zu passen scheinen: etwa die frühe Abschaffung der Reglementierung im protestantischen Großbritannien. Etwas stutzig macht es generell, dass König die Auswahl der untersuchten Staaten kaum begründet. Auch fehlt ein Ausblick auf den weiteren Verlauf der Debatte. Es hätte durchaus lohnenswert sein können, das System der Militär- und Lagerbordelle im nationalsozialistischen Deutschland mit einzubeziehen, insbesondere vor dem Hintergrund des erwähnten Zusammenhangs von Faschismus und Reglementierung. Weiterhin ist schade, dass die Studie kaum naheliegende Theorieangebote nutzt. Ein Beispiel: Dass, wie der Autor aufzeigt, aus sicherheitspolitischen Überlegungen in Frankreich der 1950er-Jahre weiterhin Bordelle für nordafrikanische Kolonialsoldaten aufgrund von Ausnahmeregeln unterhalten wurden, wäre ein idealer Anknüpfungspunkt für Ansätze der historischen Sicherheitsforschung gewesen. Den positiven Gesamteindruck können diese, letztlich marginalen, Einschränkungen, jedoch kaum trüben.