R. Steinacher: Rom und die Barbaren

Cover
Titel
Rom und die Barbaren. Völker im Alpen- und Donauraum (300–600)


Autor(en)
Steinacher, Roland
Reihe
Urban-Taschenbücher 777
Erschienen
Stuttgart 2016: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Krautschick, Berlin

„Dieses Buch beleuchtet die Geschichte der Gepiden, Heruler und Rugier“ (S. 13). Roland Steinacher gliedert es (S. 15) in zwei einleitende Kapitel zum historischen Rahmen für ihre Geschichte, zwei weitere über Heruler und Gepiden in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts am Schwarzen Meer und Heruler in den Armeen des Westreichs in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts, zwei über Heruler, Rugier und Gepiden „im Schatten der Goten“ (S. 80 u. 85f.) und dann unter hunnischer Herrschaft bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts, zwei über das Ende der hunnischen Vormachtstellung und ihre Verhältnisse nach der hunnischen Niederlage am Nedao 454/55, zwei über ihre Beziehungen zu Ostrom und Italien unter Odoaker bzw. Theoderich bis Anfang des 6. Jahrhunderts, zwei über die Geschicke von Rugiern in Italien, Herulern auf dem Balkan und in den Armeen Justinians und Gepiden in ihren Auseinandersetzungen mit Langobarden und Awaren bis zu ihrem Aufgehen unter anderen im Laufe des 6. Jahrhunderts sowie ein letztes Kapitel zu den „Barbarenstereotypen“ in den Quellen am Beispiel der Heruler. Diese chronologische Grobgliederung verfeinert er durch Unterkapitel und viele Zwischenüberschriften, wobei häufiger Überschneidungen auftreten. Das umfangreiche Literaturverzeichnis enthält weitgehend neueres Schrifttum.1

Nur insgesamt etwa 90 Seiten des Texts, nicht einmal die Hälfte des ganzen Buches handeln von Gepiden, Herulern und Rugiern. Das ist selbstredend den sporadischen Erwähnungen in den Quellen bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts, ja dem zeitweisen völligen „Schweigen der Quellen“ (S. 75) geschuldet. Steinacher füllt Lücken sinnvoll durch Parallelberichte und bezieht sich verändernde Gegebenheiten im Römischen Reich und bei anderen Barbaren ein. Zuweilen vermutet er Gepiden (S. 102) oder Heruler (S. 113), auch wenn nichts von ihnen in den Quellen steht. Meist wägt Steinacher die verfügbaren archäologischen und schriftlichen Quellen sowie Mutmaßungen, Möglichkeiten und Hypothesen sorgsam gegeneinander ab und sagt, welcher er zuneigt, vermeidet aber apodiktische Feststellungen.

Die Gepiden, erst ab Mitte des 3. Jahrhunderts in den Quellen erwähnt und „zahlenmäßig kleiner als andere Verbände“ (S. 85f.), sieht Steinacher als die „stets am Rande des Geschehens gebliebenen“ (S. 131), die im „Gegensatz zu den anderen gentilen Verbänden an der Donaugrenze […] weit weniger versuchten, sich im Reich zu etablieren“, was „mit einer anderen sozialen Struktur erklärbar sein“ mag, weil weit mehr Gepiden bereit gewesen seien, „selbst Landwirtschaft zu betreiben“ (S. 106). Heruler, die in den Quellen im 4. Jahrhundert „meist als gute und verlässliche Soldaten in den römischen Armeen entgegentreten, erscheinen […] wenige Jahrzehnte später als gefährliche Räuber und Piraten“ (S. 72), werden „als Seeräuber beschrieben“ oder sind „als auf eigene Rechnung agierende (ehemalige) Angehörige der römischen Auxiliareinheiten zu sehen“ (S. 74). Rugier, zuerst für das 1. Jahrhundert bei Plinius und Tacitus erwähnt, bildeten erst nach der Auflösung des Hunnenreichs im Donauraum ein Regnum. Erst ab hier wird Steinacher aufgrund der Quellenlage (vor allem Eugipps Vita Severini zu den Rugiern, Jordanes’ Goten- und Prokops Kriegsgeschichte) ausführlicher, wobei auch Skiren, deren Name schon im 3./2. Jahrhundert v.Chr. auf der Protogenes-Inschrift (CIG 2058) erscheint, Donausueben und Sarmaten ins Spiel kommen (S. 106–113): „Alle gegen die Goten“. Steinacher durchforstet die Zeugnisse eingehend nach einzelnen Stammesvertretern und Gruppen der „letzten“ Heruler, Gepiden und Rugier ab dem Ende ihrer Herrschaftsbildungen.

Es entsteht gerade für diese „kleineren Völker“ das Bild von barbarischen „Räubern“ und gens d’armes in römischen Diensten mit fließendem Wechsel, auch wenn zusammenfassende Bemerkungen dazu an etwas abgelegener Stelle zu finden sind: „Die Völker an den Reichsgrenzen waren Spezialisten für den Kriegsdienst und die Grenzgebiete deshalb attraktiv, weil man dort gut bezahlte römische Aufträge annehmen und gleichzeitig von der Produktion landwirtschaftlicher und anderer Güter der Provinzen besser leben konnte.“ Für Steinacher sind Rugier, Gepiden und Heruler „außen vor“ geblieben. „Diese kleineren Völker, die sich keinem der Großverbände angeschlossen hatten und an den Grenzen des Reichs verblieben, hatten schlicht weniger Erfolg im Spiel um ein besseres Leben als Krieger. Während Westgoten, Burgunder, Franken und Vandalen römische Zentralräume übernehmen konnten, bekriegten sich die kleineren Verbände gegenseitig und mussten sich in Pannonien zudem der übermächtigen Goten erwehren“ (S. 103). „Krieger, die ihre Karriere in einer römischen Einheit begonnen hatten, konnten schnell Freibeuter werden, Piraten vielleicht, dann wieder Soldaten, je nachdem wo es mehr zu gewinnen gab“ (S. 72).

Hinsichtlich der Identifikation von Personen legt Steinacher jedoch eine merkwürdige Inkonsequenz an den Tag: Beispielsweise hält er sich an PLRE II und sieht in Thraustila, Leibwächter, Schwiegersohn und Rächer des Aëtius an Valentinian III., sowie in dem 480 an einer Verschwörung gegen den Ostkaiser Zeno beteiligten und daraufhin hingerichteten gleichnamigen Magister militum wohl zu Recht zwei Gepiden, ignoriert aber die noch heute erwogene Identität der beiden Barbaren (S. 104f.).2 Die Gleichsetzung des Sueben Hunimund bei Jordanes und des Alemannen gleichen Namens bei Eugipp stellt dagegen für ihn kein Problem dar (S. 113), jedoch die vor allem von Lotter vertretene Identität des Heiligen Severin mit einem Senator dieses Namens (S. 115). Auch sieht Steinacher Mundus/Mundo, den Gepidenprinzen, Enkel Attilas, „Räuberhauptmann“ und späteren Magister militum Justinians, trotz Zweifeln in PLRE II/III (S. 96, 132 mit 229, Anm. 65 nach Pohl), Attilas Sekretär Orestes bei Priskos und den gleichnamigen Vater des Romulus Augustulus sowie Edekon bei Priskos und Odoakers Vater Edica (S. 121/123 mit 222, Anm. 14) trotz Leppins und Maenchen-Helfens Einwänden jeweils wiederum als die gleiche Person. Die seit Buat-Nançay und Gibbon vorgenommene Gleichsetzung von Odoaker mit dem Sachsenanführer Adovacrius bei Gregor von Tours (so etwa in der PLRE II) weist Steinacher dagegen (mit Wolfram) als „prosopographischen Beziehungswahn“ zurück (S. 122 mit 227, Anm. 7).3 Austrigusa, seit etwa 515 zweite Ehefrau des Langobardenkönigs Wacho (gestorben um 540) und Tochter eines Gepidenkönigs, dürfte – nach ihrem Namen – wohl eher Tochter Elemunds (fehlt im Register) als Thurisinds gewesen sein (S. 163); ihr Bruder hieß ähnlich, nämlich Ostrogotha, und wurde von Thurisind als Nachfolger seines Vaters erst 548/49 verdrängt. Zwei Personen macht Steinacher gar aus dem „gotischen General Ildibad“ und dem „Westgoten Hildebald“ (sic!), „Neffen des spanischen Gotenkönigs Theudis“ (531–548) und vormaligen Statthalter Theoderichs bei den Westgoten, obwohl Prokop offensichtlich vom gleichen Ostgotenkönig (540/41) spricht (S. 135, 156 u. 244).

Jedenfalls liegt nun doch einmal ein umfassender Überblick aus der Wiener Schule über Geschehen und Verhältnisse im österreichisch-ungarischen Raum in der Spätantike und über die ihn an der Peripherie des Römischen Reiches nach der „hunnischen Alternative“ (Wolfram) für anderthalb Jahrhunderte prägenden Kriegergesellschaften vor, der auch dem Fachhistoriker einen inhaltsreichen Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen bietet.

Anmerkungen:
1 Nicht verzeichnet sind Joseph von Aschbach, Geschichte der Heruler und Gepiden, Frankfurt 1835; Constantin C. Diculescu, Die Gepiden. Forschungen zur Geschichte Daziens im frühen Mittelalter und zur Vorgeschichte des rumänischen Volkes, Halle 1922; Heinrich Sevin, Die Gebiden, München 1955; hier nur von Steinacher nicht gegebene Verweise.
2 Alexander Demandt, Der spätrömische Militäradel (ND), in: ders., Zeitenwende. Aufsätze zur Spätantike, Berlin 2013, S. 52–84, hier S. 67 mit Anm. 59, nach Mommsen und L. Schmidt, aber gegen Enßlin. Dass Thraustila „an der Ermordung des Aëtius beteiligt war,“ ist eine Verwechslung mit Valentinian oder eine sehr weitgehende Vermutung.
3 Überhaupt unterlaufen Steinacher im Umkreis Odoakers einige unglückliche Formulierungen: Odoakers „Vater Edika war in der Schlacht an der Bolia 469 gefallen“ (S. 121), aber „Orestes stand gegen Edika, Odoaker und Onoulph“ in Italien (S. 123). Beim Heiligen Severin sei Odoaker „noch in Felle gekleidet“ gewesen (S. 122 nach von Rummel); vilissimo habitu steht bei Eugipp. Im Bürgerkrieg zwischen Kaiser Anthemius und dem Heermeister Rikimer „blieb Odoaker seinem Herrn treu und auf der Seite der Sieger“ (S. 121f.); Sieger war Rikimer, Odoaker wohl kaiserlicher protector domesticus!

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